Interview mit 鬼 von Unreqvited

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Wie aus dem Nichts erschien 鬼 im Jahr 2016 mit „Disquiet“, dem Debüt seines Soloprojekts UNREQVITED auf der Bildfläche der Post-Black-Metal-Szene. Innerhalb kürzester Zeit erreichte das Projekt eine beträchtliche Zuhörerschaft im Underground. Mit „Mosaic I“ erschien zuletzt der erste Teil eines Doppelalbums und zugleich die bisher gelungenste Platte von UNREQVITED. Wie es kommt, dass die Ein-Mann-Band in so kurzer Zeit so viel Musik herausbringen und damit so viele Leute erreichen konnte und was man von „Mosaic II“ erwarten darf, erfahrt ihr im folgenden Interview.

Du agierst unter dem kryptischen Pseudonym 鬼. Was ist die Bedeutung hinter diesem Schriftzeichen und warum hast du es als Künstlernamen gewählt?
Aus Faszination für die japanische Kultur, vor allem. Ich habe dieses Zeichen gezielt gewählt, weil es „Geist“ bedeutet, und ich wollte, dass das Zeichen, unter dem ich diese Musik erschaffe, eine ätherische Aura hat, genau wie die Musik selbst.

Ein Soloprojekt wie UNREQVITED zu führen, ist gewiss mit einer Menge Aufwand verbunden. Welcher Aspekt der Tätigkeit als Einzelkünstler ist für dich mit den größten Schwierigkeiten oder Anstrengungen verbunden?
Die Produktion. Ich betrachte mich hauptsächlich als Komponist, ich schreibe immer Musik. Mit der Produktionsseite muss ich mich immer herumschlagen, weil ich mich damit nicht so wohl fühle und es mir nicht so sehr gefällt. Ich denke, dass ich mit jeder Veröffentlichung besser werde, also werde ich hoffentlich irgendwann die Produktionsfähigkeiten haben, die ich mir wünsche.

Du hast mit UNREQVITED innerhalb kürzester Zeit bemerkenswerte Bekanntheit in der Post-Black-Metal-Szene erlangt. Wie erklärst du es dir, dass du so schnell Anklang finden konntest?
Ich schulde den Labels, die an das Projekt geglaubt haben, großen Dank, die sie das Ganze aus der Wiege gehoben und physische Tonträger davon veröffentlicht haben. Auch den YouTube-Kanälen, die bereits einige Follower hatten, die die Musik hochgeladen haben. Außerdem habe ich viel Arbeit darauf verwendet, dass Black-Metal-Fans in jeder Ecke des Internets mit der Musik in Berührung kommen.

In deiner Musik finden sich die verschiedensten Einflüsse von Black Metal über Post-Rock bis hin zu klassischer und orchestraler Musik. Woher beziehst du hauptsächlich deine Inspiration?
Es ist schwer zu sagen. Ich denke, ich hatte schon immer meinen eigenen Sound, egal welche Art von Musik ich zu schreiben versuchte. Ich höre eine große Bandbreite an Musik, also ist es nur logisch, dass all diese Einflüsse in meiner Musik zum Vorschein kommen. Ich weiß aber nicht genau, woher mein Wunsch kommt, etwas zu erschaffen. Es ist einfach etwas, das immer da ist.

Deine Musik soll gleichermaßen bedrückend und erhebend sein. Wo liegt deiner Meinung nach die Verbindung zwischen diesen beiden Gegensätzen?
Ich denke, dass diese Art von Dualität in der Musik immer dazu neigt, sie attraktiver und wirkungsvoller zu machen. Ich denke, die hoffnungsvollen Melodien und die depressiven Black-Metal-Einflüsse passen einfach unglaublich gut zusammen und vermitteln gemeinsam das Gefühl, das ich auszudrücken versuche.

Würdest du sagen, dass Musik zu kreieren für dich ein Mittel zur Katharsis ist?
Absolut, es ist das einzige Ventil, das ich habe. Der kreative Output ist das Einzige, was mich jeden Tag antreibt.

Ich kann mir vorstellen, dass viele deiner Zuhörer in deiner Musik Trost suchen. Gab es schon Fans, die dir erzählt haben, dass deine Songs ihnen durch schwere Zeit geholfen haben? Und falls ja, wie geht es dir damit?
Ja. Es fühlt sich unglaublich an, Menschen helfen zu können. Letztendlich konnten diese Menschen aus eigener Kraft ihr eigenes Leben retten, aber es bedeutet mir die Welt, die Leute sagen zu hören, dass ich zu ihrem Wunsch beitragen konnte, weiter voranzukommen.

2016 hast du mit „Disquiet“ dein erstes Album veröffentlicht, nur zwei Jahre später hast du nun sogar schon zwei weitere ganze Platten herausgebracht. Wie schaffst du es, so schnell neues Material zu kreieren?
Musik zu machen ist buchstäblich das Einzige, was ich gerne mache, wenn ich allein bin. Ich spiele keine Videospiele, ich schaue kein Fernsehen, ich mache nichts davon. Wenn ich allein in meinem Zimmer bin, arbeite ich mit ziemlicher Sicherheit an Musik. Ich würde wahrscheinlich den Verstand verlieren, wenn ich es nicht ständig tun würde.

Während du auf dem Debüt noch recht herkömmlichen Depressive Black Metal gespielt hast, klingt dein aktuelles Album „Mosaic I“ in erster Linie nach Post-Rock und nur noch wenig nach Metal. Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Nun, „Mosaic I“ ist der erste Teil von zweien, und das nächste Album ist das genaue Gegenteil. „Mosaic I“ ist sehr hell und erhebend, während „Mosaic II“ sehr dunkel, depressiv und experimentell ist. Dazu kam es, weil ich 2018 eine Vielzahl von Gefühlen durchlebt habe; einige großartige Dinge geschahen (z.B. der Erfolg von „Stars Wept To The Sea“), aber ich durchlebte auch einige schreckliche, depressive Zeiten. Beide Alben wurden zur gleichen Zeit geschrieben, und abhängig davon, ob ich mich gut oder schlecht fühlte, arbeitete ich an dem einen oder an dem anderen Album.

Die Metal-Archive haben dich inzwischen ja sogar schon aus dem Verzeichnis gestrichen. Würdest du dich selbst dennoch als Metal-Musiker definieren?
Ich nehme es an. Ich höre immer noch viel davon und kreiere sicherlich immer noch Musik, die allgemein als Metal definiert wird, aber ich habe nicht das Ziel, den Grenzen des Genres anzupassen. Ich habe gesehen, dass viele Leute „Disquiet“ bei den Metal-Archiven eingereicht haben, als es herauskam, aber ich glaube, sie haben UNREQVITED dort von Anfang an nicht aufgenommen.

Ziehst du in Betracht, in Zukunft auch wieder härtere Musik zu kreieren?
„Mosaic II“ wird meine bisher härteste Veröffentlichung sein.

Du setzt in deinen Songs viel synthetische Orchestrierung ein. Wäre es für dich erstrebenswert, auch mal ein Album mit einem „echten“ Orchester aufzunehmen, sofern es finanziell machbar wäre?
Es wäre ein absoluter Traum. Ich weiß aber nicht, ob ich jemals die finanziellen Mittel haben werde, um etwas so Großes umzusetzen.

Ich habe den Eindruck, dass der Sound von „Mosaic I“ abgerundeter ist als bei deinen bisherigen Veröffentlichungen. Bist du diesmal bewusst anders an die Produktion herangegangen?
Es ist die bisher größte Veränderung, und ich denke, so wird es sich auch bei meinen weiteren Veröffentlichungen fortsetzen. Ich will nicht jedes Mal denselben Sound kreieren.

Das Artwork deiner neuen Platte sieht wieder sehr ästhetisch aus. Hast du es selbst kreiert? Was war die Idee dahinter?
Nein, die Bilder kreiere ich nicht selbst. Ich arbeite eng mit einigen wenigen Menschen zusammen, denen ich mit der Vision vertraue, die ich für die Ästhetik von UNREQVITED vorgesehen habe. Das Artwork ist nur eine visuelle Darstellung des Titels, da es sich um ein zweiteiliges Album handelt, und es bildet zusammen mit dem Artwork für „Mosaic II“ ein vollständiges Stück.

Welcher der Songs, die du bisher kreiert und veröffentlicht hast, ist deiner Ansicht nach dein gelungenster?
Es hat lang gedauert, „Permanence“ von „Mosaic I“ zu kreieren und ich bin sehr stolz darauf. Ich mag auch „The Autumn Fire“ von „Disquiet“ und „Kurai“ von „Stars Wept To The Sea“.

Für den Release deiner dritten Platte bist du von Avantgarde Music zu Northern Silence gewechselt. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?
Northern Silence war das Label, mit dem ich schon für „Stars Wept To The Sea“ arbeiten wollte, aber ich zog den Deal vor, den Avantgarde mir angeboten hat. Ich dachte mir, für LP Nummer drei würde ich Northern Silence eine Chance geben.

Du spielst mit UNREQVITED grundsätzlich keine Konzerte, nicht wahr? Hältst du es für möglich, irgendwann doch mal mit Session-Musikern live aufzutreten?
Ich spiele grundsätzlich nicht live. Es gibt keine Pläne für die absehbare Zukunft, aber wer weiß? Ich schließe es sicherlich nicht als Option aus.

Zuletzt möchte ich mit dir, wie wir es hier immer machen, noch ein kurzes Brainstorming durchgehen. Was kommt dir bei den folgenden Begriffen in den Sinn?
Soundtrack: Filmmusik, Orchestermusik. Filmmusik ist etwas, worauf ich mich in naher Zukunft konzentrieren möchte.
Traditioneller Black Metal: Kein großer Fan von, aber viel Respekt vor seinem Einfluss.
Liebe: Rätselhaft, unverstanden. Schwierig.
Klargesang: Kommt demnächst.
Politik: Nicht im Geringsten daran interessiert.
UNREQVITED in fünf Jahren: Sehr, sehr unsicher.

Danke nochmal, dass wir deine Zeit in Anspruch nehmen durften. Möchtest du noch ein paar abschließende Worte an die Leser richten?
Ich schätze euch alle unheimlich dafür, dass ihr meine Musik hört und unterstützt. Ich werde nie ganz ausdrücken können, was das für mich bedeutet. Noch so viel mehr wird folgen.

Publiziert am von Stephan Rajchl

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

2 Kommentare zu “Unreqvited

    1. Danke für das nette Feedback! Ich muss auch sagen, dass ich Unreqvited mit großem Interesse verfolge. Demnächst erscheint ja ein neues Album über Prophecy Productions – darauf bin ich auch schon ziemlich gespannt. Und falls dir auch roherer Black Metal zusagt, würde ich dir auch noch das Nebenprojekt The Ember, The Ash empfehlen.

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