Im Herzen Sibiriens, genauer in Krasnojarsk, gut 4000 Kilometer östlich von Moskau, kämpfen ULTAR um die Aufmerksamkeit der heimischen Szene. Im Rahmen unserer Serie „Metallisierte Welt“ haben wir 2016 mit der Band gesprochen. Nachdem der Text bislang nur im Buch „Metallisierte Welt – auf den Spuren einer Subkultur“ abgedruckt wurde, möchten wir das Interview mit Gitarrist Denis über inspirierende Natur, limitierende Abgeschiedenheit und repressive politische Entwicklungen in Russland nun auch online verfügbar machen.
Was bedeutet es, als Metal-Band im Herzen Sibiriens beheimatet zu sein?
Ich denke, es macht keinen großen Unterschied, ob man eine Band in Sibirien betreibt oder irgendwo anders. Hier gibt es halt einfach nicht viele Leute, die diese Musik hören und diesen Lifestyle pflegen – deswegen halten uns die anderen Leute für so etwas wie Verrückte. Aber es ist trotzdem cool.
Wie schwierig gestaltet es sich da, Mitmusiker für eine Band zu finden?
Das ist eine ziemlich schwere Aufgabe, vor allem, wenn du einen guten Schlagzeuger brauchst. Die meisten erfahreneren Musiker sind bereits in zwei oder mehr Projekten involviert – da kannst du nicht erwarten, dass sie einem neuen viel Aufmerksamkeit widmen. Vor allem aber gibt es viele Leute, die zwar Instrumente besitzen, aber keine Bereitschaft zeigen, ihre Fertigkeiten weiterzuentwickeln. Die meisten Leute verstehen nicht, dass Musik viel mehr Engagement bedarf als sie investieren.
Gibt es bei euch alles, was man als Band braucht – Equipment, Proberäume, Studios und so weiter?
Ja, wir haben wir Zugang zu so ziemlich allem, was man als Musiker braucht. Was Musikläden angeht, ist es ein zweischneidiges Schwert. Es gibt in der Stadt zwar genug davon, aber die Preise dort sind schlichtweg unakzeptabel, weil ungerechtfertigt hoch. Insofern bestellen wir alle Instrumente und anderes Equipment online. Allerdings ist das ganze Zeug wegen des schlechten Rubel-Kurses momentan trotzdem ziemlich teuer. Zum Glück werden wir seit letztem Jahr von der coolen sibirischen Gitarren-Equipment-Firma AMT Electronics unterstützt, insofern ist zumindest das Equipment-Problem gelöst. Proberäume gibt es viele, aber die meisten davon sind schlicht mit billigem Equipment voll gestellte Garagen. Wir selbst sind jetzt seit fünf Jahren in unserem Raum – nicht der Beste in der Stadt, aber unseren Ansprüchen genügt er. Was die Tonstudios angeht, gibt hier zwei, drei gut ausgerüstete mit guten Toningenieuren, die lokalen Musikern recht anständige Aufnahmen anfertigen können. Wir selbst nehmen immer in zwei Schritten auf – erst nehmen wir im Studio alle elementaren Instrumente auf, und dann machen wir das finale Arrangement, die Keyboardaufnahmen, Samples und solche Kleinigkeiten daheim.
Wie steht es generell um die Szene, was Nachwuchsbands angeht?
Neue Bands formieren sich jedes Jahr – einige sind recht ordentlich, andere nicht so gut. Im Durchschnitt steigt die Zahl lokaler Bands schrittweise, aber ein gewisser Mangel an Wettbewerb zwischen den Bands ist bemerkbar. Aus unserer Stadt könnte ich dir nur drei oder vier Bands nennen, die wirklich gut sind – die anderen hängen sich einfach nicht genug rein.
Gibt es bei euch Konzert-Locations oder andere Szene-Treffpunkte?
Es gibt ein paar Clubs, in denen Rock- und Metal-Konzerte stattfinden, aber das wird von Jahr zu Jahr weniger, weil immer weniger Leute zu diesen Veranstaltungen gehen. Bei uns im Land ist Rap-Musik gerade auf einem Popularitäts-Hoch – insofern sind viele Leute, die früher Rock und Metal gehört haben, jetzt Rap- und Hip-Hop-Fans. Vor ein paar Jahren hatten wir hier noch ein bis zwei Gigs im Monat, jetzt ist es vielleicht einer alle zwei Monate. Aber es gibt noch eine kleine Community, die auch bei Konzerten auftaucht, CDs und Merchandise kauft – selbst in Zeiten der Finanzkrise. Das ist erfreulich und hilft, an kommende, bessere Zeiten zu glauben.
Das klingt alles, als wäre es sehr schwer, bei euch Aufmerksamkeit für seine Musik zu bekommen. Wie motiviert ihr euch, trotzdem weiterzumachen?
Als wir die Band gegründet haben, war uns Aufmerksamkeit wirklich egal – für die meisten von uns war ULTAR ein Nebenprojekt. Wir waren einfach eine Truppe guter, alter Freunde, die gemeinsam abgehangen sind und eine gute Zeit hatten – aber wir hatten vorher nie versucht, zusammenzuspielen. Bis heute, fast sechs Jahre später, hat sich daran nichts geändert: Wir sind immer noch gute Freunde, die einfach gerne Musik machen und aufnehmen. Ich denke, Aufmerksamkeit sollte nicht das sein, wonach eine gute Band verzweifelt strebt – mach deine Musik mit Hingabe, sei nett zu anderen und du wirst deine Hörer finden – ob nun hunderte oder tausende.
Wie steht es generell um den Metal in Russland?
Die ganze Metal-Sache ist in Russland recht vital. Russland hat definitiv viele gute Metal-Bands. In Europa oder Amerika sind sie halt nicht so bekannt, weil es in diesen Ländern selbst so viele Bands gibt. Viele Bands in Russland zielen darauf ab, in Europa groß rauszukommen, weil sie glauben, dass das Gras auf der anderen Seite grüner ist. Davon abgesehen, ist es extrem witzig, in Russland zu touren, weil man von der lokale Szene meistens viel Wertschätzung entgegengebracht bekommt. In Moskau und Sankt Petersburg haben wir dreimal gespielt, zudem haben wir letztes Jahr eine Zwölf-Städte-Tour gespielt, die absolut fantastisch war. Im russischen Underground sind wir mittlerweile recht bekannt, insofern bekommen wir für gewöhnlich gutes Feedback auf unsere Musik und unsere Shows.
Bekommt ihr aus Europa auch schon Feedback, beispielsweise über Facebook?
Über Facebook bekommen wir aus vielen Teilen der Welt Grüße gesendet, oder Leute fragen uns, wann wir mal in ihre Heimatstadt kommen und dort spielen. Natürlich sind das nicht wahnsinnig viele, aber es gibt uns die Möglichkeit, auf ihre Nachrichten zu antworten und mit den Leuten zu reden. Ich hoffe wirklich, dass wir es eines Tages in jede einzelne Stadt schaffen, in die sich unsere Unterstützer uns gewünscht haben. Aber diese Aufmerksamkeit ist für uns auch überraschend: Wir haben bislang nicht im Ausland gespielt, trotzdem haben diese Leute irgendwie von uns gehört.
Bedauerst du manchmal, dass ihr aus Sibirien stammt und nicht die gleichen Möglichkeiten habt wie eine Band aus Europa oder siehst du eure Herkunft auch als Vorteil, weil sie ULTAR zu etwas Besonderem macht?
Nun, ehrlich gesagt ist es nicht sehr praktisch, in Sibirien beheimatet zu sein – schon allein wegen der unglaublichen Distanz zum westlichen Teil unseres Landes, in dem die größten Festivals und Konzerte stattfinden. Insofern fühlt es sich schon ein bisschen so an, als würde man hier festsitzen. Ich meine, wir können oft nicht in Moskau oder Sankt Petersburg spielen, einfach, weil es so eine lange Reise bedeuten würde. Aber wir bedauern nicht, dass wir aus Sibirien stammen – im Gegenteil, ich würde fast sagen, dass wir sogar ein bisschen stolz darauf sind. Ich denke, unsere Herkunft inspiriert uns maßgeblich und hat somit auch einen starken Einfluss auf unsere Musik. Nicht das Land als Land, aber die Natur und die Landschaft, die uns umgibt. Die schöne sibirische Natur, unsere endlosen Wälder, die ausladenden Flüsse und Seen… all das hat uns geprägt. Es ist eine Art Seele, die uns allen gemeinsam ist.
Wie stehst du zu Politik im Metal?
Schwer zu sagen, um ehrlich zu sein. Wir ziehen es vor, diese beiden Bereiche nicht zu vermischen. All das, was in Russland in den letzten zwei Jahren passiert ist, ist einfach lächerlich. Metal-Shows wurden abgesagt, Bands ausgewiesen und so weiter. Das geschah nahezu alles auf das Betreiben von Mitgliedern religiöser Organisationen und es macht mich wirklich sauer, wenn ich sehe, dass unser Land gerade wieder direkt ins Mittelalter zurückfällt.
Könntest du da etwas ins Detail gehen?
Nun, Behemoth zum Beispiel wurden auf ihrer letzten Tour aus Russland ausgewiesen, auf Betreiben religiöser Organisationen. Ich glaube, das gleiche ist den Polen Batushka vor einiger Zeit passiert, aber da bin ich mir nicht sicher. Ich erinnere mich auch an Proteste gegen Shows von Cradle Of Filth hier in Sibirien, aber das war einfach nur eine lächerliche Aktion.
Sind solche Aktionen gegen (Black) Metal in Russland heute häufiger als früher, und wenn ja, worin liegt deines Erachtens nach die Ursache dafür?
Das sind keine Proteste gegen Black Metal im Speziellen – ich glaube nicht, dass diese Leute zwischen verschiedenen Metal-Richtungen differenzieren. Es geht eher um eine große Show für die orthodoxe Gesellschaft, dass die Kirche und ihre Anhänger konkret etwas tun und gegen die „blutigen Satanisten“ aus Europa protestieren, die zu uns kommen, um den ehrwürdigen Geist der heiligen Kirche zu zerstören. Der Grund dafür ist ein ganz einfacher, denke ich: Die Masse ist dumm genug, diese Art von Dingen zu glauben. Aber du kannst wohl auch nichts anderes von den Leuten erwarten, die während dieses kirchlichen Propagandafeldzuges der Regierung auf die Welt gekommen und aufgewachsen sind.
Wäre Systemkritik in Russland dieser Tage überhaupt möglich?
Mit unserer vorigen Band, Deafknife, haben wir viel über Widerstand gegen das Regime und all solche Themen geschrieben – aber als ULTAR werden wir wohl nicht mehr über solche Themen schreiben. Es gibt einfach andere Sachen, denen man eher Songs widmen sollte, als ein paar Leute, die unser Land von Moskau aus regieren – einer Stadt, die näher an Europa liegt als an Krasnojarsk. Bei ULTAR geht es textlich darum, sich selbst im Leben zu finden, um die Kämpfe und Erfolge, die Höhen und Tiefen im Leben. Aber ich denke, würden wir heute einen Song schreiben, der der Regierung Vorwürfe macht oder sie kritisiert, würden wir hier definitiv Probleme bekommen.
Was bedeutet für euch das Metal-Zeichen, die Devilhorns?
Für uns ist es ein Zeichen, das alle eint, die sich irgendwie den dunklen Künsten verbunden fühlen.
Und wie bist du selbst mit Metal in Kontakt gekommen, was fasziniert dich an dieser Art von Musik?
Die harte Musik ist jetzt schon viele Jahre lang Teil unseres Lebens und ich würde sagen, sie war es, die uns alle zusammengeführt und verbunden hat. Die Zeiten ändern sich, wir werden erwachsen und älter, aber auch nach all diesen Jahren scheint die Seele dieser Musik noch in uns zu stecken – daran wird sich wohl auch bis zu unserem Todestag nichts mehr ändern. Metal ist etwas, das wir lieben, etwas, womit wir nostalgische Gefühle verbinden, das uns nie verlassen und nie im Stich lassen wird.
Vielen Dank für deine Zeit und Antworten! Zum Abschluss ein Brainstorming:
Metal: Kunst
Putin: Ganz ehrlich, dazu habe ich nichts zu sagen.
Deine Lieblingsband: Windir
Eisbären: Habe ich einmal gesehen. Im Zoo.
Sibirien: Kalt, aber schön.
ULTAR in zehn Jahren: Spielen Live-Shows überall auf der Welt.
Die letzten Worte gehören dir:
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit! Bleibt wahrhaftig, unterstützt eure lokalen Bands und seid nett zueinander!
Schon gewusst?
Die komplette Serie gibt es auch als Buch!
Komplett überarbeitet, in hochwertiger Hardcover-Ausführung und mit noch mehr Interviews und Informationen auf 180 Seiten!
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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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