Teil 14 unseres Specials „Metallisierte Welt – Auf den Spuren einer Subkultur“ führt uns in die Hauptstadt von Nepal, nach Kathmandu. Sunil Dev Pant von der Death-Metal-Band UGRAKARMA sprach mit uns über Vorurteile, das dortige Kastenwesen und Metal in dem ehemaligen Königreich im Himalaya-Gebirge.
Metal Archives listet nur 18 Bands, die aus Nepal kommen. Wieviel Aktivität hat die Szene deines Heimatlandes wirklich zu bieten?
Es gibt einige Metal-Bands in Nepal, die aktiv sind, live spielen und aufnehmen. Mit Stand Mai 2016 gibt es zum Beispiel einige aktive Death-Metal-Bands, unter anderem UGRAKARMA, Binaash, Kaal, Narsamhaar, Aakrosh, Antyesti und Undefined Human. Es gibt definitiv deutlich mehr als 18 Metal-Bands in Nepal. Metal Archives ist dahingehend leider unvollständig, obwohl es eine exzellente Quelle für Information ist. Hier in der Hauptstadt gibt es eigentlich jede Woche einen Metal-Gig. Andere Städte wie Pokhara oder Hetauda haben auch häufiger Metal-Konzerte zu bieten. Und einige der Bands haben sogar Demos, EPs und Alben aufgenommen und veröffentlicht.
Habt ihr in Nepal viele Möglichkeiten Songs aufzunehmen, als Band zu üben oder Shows zu spielen?
Es gibt heutzutage deutlich mehr Optionen für Bands als in den 90ern, als wir angefangen haben. Es war extrem schwer, einen Proberaum zu bekommen, wegen der Lärmbelästigung. Ein Studio für Aufnahmen zu finden, war damals nahezu unmöglich, meist schlicht wegen der technischen Unzulänglichkeiten. All das hat sich heute verändert und es gibt eine Menge Übungsräume, Veranstaltungsorte und Aufnahmestudios.
Unterstützen die Leute die Lokalen Bands durch CD- und Merchandise-Käufe?
Es sind nur wenige Leute, die hier überhaupt noch Metal-Musik kaufen. Die meisten laden die Musik einfach aus dem Internet herunter. Die CD ist hier in Kathmandu beinahe hinfällig geworden – mp3 ist jetzt das bevorzugte Format.
Wie steht es generell um die Verfügbarkeit von CDs, Shirts und dergleichen?
Es gibt einige Orte in der Stadt, die Metal-Shirts und anderes Merchandise verkaufen. Shirts von berühmten Metal-Bands kannst du überall in der Stadt kaufen. Gelegentlich sieht man auch seltenes Material: Manchmal tauchen Bootlegs auf, die man sonst nirgendwo finden kann. (lacht)
Du selbst spielst seit 1999 in einer Band. Was denkt deine Familie darüber, dass du schon so lange Zeit ein Metalhead bist?
Jeder hat eingesehen, dass Metal ein Teil meines Lebens ist, den ich niemals aufgeben werde. Insofern haben sie es akzeptiert. Sie haben aber auch wirklich keine andere Wahl. (lacht)
Wie steht es um die Reaktionen von Leuten in deiner Umgebung oder Nachbarschaft, wenn sie von deinen musikalischen Vorlieben erfahren? Musst du als Metalhead die Gesellschaft oder religiöse Fanatiker fürchten?
Ja, es gibt hier eine Menge religiöser Fanatiker. Nicht alle sind gewalttätig, aber trotzdem Fanatiker. Wenn diese tief religiösen Personen zu unseren Shows kommen und verstehen würden, worüber wir singen, dann würde das sicherlich zu eim Skandal führen. Vielleicht würde es sogar organisierte und gewalttätige Angriffe auf uns geben. Aber wir zählen nicht zum Mainstream, somit bleiben wir weitgehend unbemerkt.
Nepal hat bis heute ein Kastensystem. Welcher Kaste gehörst du an und wie wirkt sich das auf deinen Alltag aus?
In städtischen Regionen gibt es eigentlich keinerlei Kasten-Diskriminierung. Dennoch ist es in vielen Dörfern und kleinen Städten Nepals als Struktur der Gesellschaft akzeptiert – starr und regungslos. Das gesamte Kastensystem, obwohl es für altertümliche Gesellschaften nutzvoll war, wurde zum jetzigen Zeitpunkt von Religion übernommen und wird dem Individuum auch gegen seinen Willen aufgezwungen.
Ich wurde in einer Brahmin-Familie (Kaste der Priester, Lehrer und Beschützer des heiligen Lernens, Anm. d. Red.) geboren und habe Freunde aus vielen verschiedenen Kasten und Rassen. Für mich bedeutet das Aussehen einer Person oder ihr Nachname nicht wirklich viel. Ich glaube nicht, dass Einzelpersonen ausschließlich aufgrund ihrer Abstammung definiert werden sollten. Von welchen Eltern man geboren wurde, die Rasse oder Kaste ist kein überzeugender Faktor dafür, wie eine Person als Mensch ist.
Auch wenn Kinder, Frauen, Mitglieder niedriger Kasten, kastenlose Personen oder Minderheiten unter dem Schutz der Verfassung Nepals stehen – die Diskriminierung und Ausbeutung dieser Gruppen passiert immer noch. Wie stehst du zu diesem Problem?
Böse Dinge passieren, wenn Menschen in Gruppen zusammenkommen. solche Vorkommnisse sind nicht einzigartig für Nepal und diese Probleme werden niemals irgendwo auf der Welt verschwinden. Diskriminierung ist ebenfalls kein rein nepalesisches Problem. Es ist überall ein Problem der Massen. Jedes Mal, wenn Menschen als große Gruppe auftreten, sei es im Namen einer Religion, einer Nation oder Rasse, werden andere Menschen leiden. Das war seit der antiken Geschichte immer der Fall und wird sich voraussichtlich nicht ändern.
Ich habe gelesen, dass die nepalesische Staatsbürgerschaft nur vom Vater weitergegeben werden kann. Vom Vater nicht anerkannte Kinder sind also staatenlos. Ist das wahr?
Das hat sich seit der Einführung der neuen Verfassung im letzten Jahr geändert. Die Staatsbürgerschaft kann man jetzt auch über die Mutter erhalten, aber es ist immer noch nicht ganz einfach, diesen Weg zu gehen. Die Staatsbürgerschaft über den Vater zu bekommen ist immer noch am einfachsten, da Nepal eine patriarchalische Gesellschaft ist.
Wie ist die Beziehung des Staates zu eurer Musik? Gibt es generell eine strikte Zensur im Bezug auf Musik, Internet, Filme, TV, Radio oder Zeitungen?
Nein, Nepal hat keine strikte Zensur, wenn es um Reden und Äußerungen geht. Es existieren einige Zensur-Regeln, die sich auf Nacktheit in den Medien beziehen. Aber im Großen und Ganzen schränken die Gesetzte in Nepal die freie Rede aber nicht ein. Obwohl Blasphemie vom Großteil der Bevölkerung nicht akzeptiert wird, hatten wir bisher keine Probleme mit der Regierung.
Ungefähr 80 Prozent der Bevölkerung Nepals sind Hindus. Inwiefern beeinflusst dich das als Musiker? Gibt es Vorurteile gebenüber Metalheads?
Es gibt Vorurteile, die sich auf das, was wir sagen, unser Aussehen, das Auftreten und Denken beziehen. Aber das sind alles Gründe, mit dem, was wir tun, weiterzumachen. Allerdings gibt es hier keine institutionalisierten Probleme wie Verbote oder Festnahmen. Gründe dafür sind möglicherweise, dass die meisten Leute hier vom Metal gar nicht viel mitbekommen.
Deine Band UGRAKARMA wurde erstmals 1999 gegründet und löste sich 2002 auf. Im Jahr 2012 fand die Wiedervereinigung statt. Was war der Grund für diese lange Pause?
Auswanderung. Unser Schlagzeuger und ich zogen ungefähr 2002 in die USA. Somit war die Band für fast zehn Jahre inaktiv. Nachdem ich 2012 zurück nach Nepal gekommen bin, haben wir wieder angefangen zusammen zu spielen und haben schließlich 2015 die EP „Mountain Grinders“ veröffentlicht.
Was bedeutet euer Bandname UGRAKARMA? Die finnischen Band Impaled Nazarene hat 1993 ein Album dieses Namens veröffentlicht.
Ugra bedeutet „extrem“ oder „gewalttätig“ und Karma bedeutet „Handlung“ oder „Tat“. Also bedeutet UGRAKARMA extreme Handlung oder Gewalttat. Der Begriff wird in verschiedenen historischen und religiösen Texten Südasiens erwähnt.
Gibt es eventuell Einflüsse traditioneller nepalesischer Musik, die UGRAKARMA inspirieren oder in eurer Musik gehört werden können?
Nein, es gibt keinen bewussten Einfluss traditioneller Musik auf die Band.
Hat deine Heimat Nepal UGRAKARMA trotzdem geprägt?
Natürlich hat es das. Wir sind ein Produkt des genetischen Materials unserer Eltern, genauso wie der Kultur und Umgebung des Himalayas. Es wäre nicht korrekt, anzunehmen, dass unser Heimatland keinen Einfluss auf uns hatte. Nicht nur musikalisch, sondern in nahezu jedem Aspekt unseres Lebens. Trotzdem sind wir als Band nicht nationalistisch, politisch oder religiös. Unsere musikalischen Einflüsse kommen von Bands aus der ganzen Welt. Unsere Musik und Texte sind eine Mischung aus allem, was wir in unseren Leben erfahren und erlebt haben. Manche unserer Songs handeln von einzigartigen nepalesischen Dingen wie den Bergen („Annapurna The Serial Killer“), rituellen Tieropfern („108 Decapitations“) und nihilistischer Ideologie, während andere von „allgemeineren“ Themen wie Tod, Gore, Nihilismus, Blasphemie und dergleichen erzählen.
Und was sind deine persönlichen Einflüsse und Lieblingsbands aus der Metal-Welt? Gibt es Musiker, die du als Idol bezeichnen würdest?
Ich bete niemanden wie einen Helden an, somit habe ich auch kein wirkliches Idol. Tatsächlich habe ich starke nihilistische Tendenzen. Aber ich wurde von frühen Alben von Bands wie Slayer, Sodom, Macabre, Sepultura, Sarcofago, Rigor Mortis, Von, Cannibal Corpse, Assuck, Unleashed, Suffocation, Sinister, Cranium und so weiter beeinflusst.
Gibt es andere Metal-Bands aus Nepal, die du uns empfehlen würdest?
Meine absolute Lieblingsband aus Nepal ist Binaash. Sie spielen eine aggressive Sorte Death Metal, die alte und neue Einflüsse kombiniert.
Vielen Dank für deine Zeit und Antworten. Zum Abschluss ein Brainstorming:
Amon Amarth: Eine schlechte, nicht repräsentative Kommerzband aus einem Land, das uns schon wahrlich großartige Death-Metal-Musik gegeben hat. Besonders in den frühen Jahren des Death Metal.
China: Über die letzten Jahrtausende die reichste und mächtigste Nation auf der Erde. Und auf dem Weg dahin, genau das innerhalb unserer Lebenszeiten wieder zu werden.
Wacken: Ausverkauf.
Angela Merkel: Ob man es nun gut findet oder nicht: Sie ist eine Kämpferin und ist bereit für das, was sie glaubt, einzustehen – trotz starken Widerspruchs.
Dein Lieblingsalbum: Morbid Visions/Bestial Devastation von Sepultura.
Vielen Dank für das Interview. Die letzten Worte gehören dir!
Lasst das Feuer des Death Metal für immer weiterbrennen!