Interview mit Dylan Neal von Thief

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Die musikalischen Welten, die THIEF in sich vereint, könnten unterschiedlicher nicht sein: Auf der einen Seite steht eine geradezu überwältigende Vielfalt modernster, elektronischer Musik, auf der anderen ein schier unermesslicher Fundus an zeitlosen, liturgischen Chorgesängen – ein Kontrast wie Tag und Nacht. Gerade durch diese vermeintlich gegensätzliche Mischung ist es Mastermind Dylan Neal gelungen, mit „Map Of Lost Keys“ eines der einzigartigsten und beeindruckendsten Alben des Jahres vorzulegen. Inwiefern sich Neals Zusammenarbeit mit den Avantgarde-Black-Metallern Botanist auch in THIEF widerspiegelt, was es mit dem religiösen Aspekt seines Schaffens auf sich hat und inwieweit Live-Shows im Electronic-Genre bloßes Knöpfedrücken sind, ist unter anderem im folgenden Interview nachzulesen.

Hallo! Es freut mich, dass du die Zeit gefunden hast, uns ein paar Fragen zu beantworten. Wie geht es dir momentan?
Hi! Mir geht es gut. Ich bin zufrieden, aber brutal auf Schlafentzug. Ich sitze in diesem Moment hinten in einem Van und mache mich auf den Weg von Tennessee nach Virginia für die US-Tour mit Silence In The Snow.

Im Gegensatz zu deiner Musik wirkt der Bandname THIEF eher profan. Welcher Gedanke steckt hinter dieser Namenswahl?
Weißt du, es gibt keinen genauen Grund für die Wahl des Namens. Es ist nur eine Verschmelzung von verschiedenen Dingen, wirklich. Zuerst mochte ich einfach den Klang des Wortes und das Gefühl, das es vermittelt: THIEF. Dann gibt es da noch dieses Zitat, bei dem ich mich nicht erinnern kann, woher es stammt, aber es lautet: „Ein Dieb im Himmel hat nichts zu gewinnen“, was bei mir wirklich ankam und ich konnte es nicht aus meinem Kopf bekommen. Jedes Mal, wenn ich versuchte, mir ein paar Ideen für Namen aufzuschreiben, kam ich immer wieder auf THIEF zurück. Und dann machte es natürlich noch mehr Sinn, weil ich ja all diese alten Vinyls und so für Samples benutze…

In den Songs von THIEF vermischst du kirchliche und elektronische Musik. Was fasziniert dich an diesen beiden Musikrichtungen, sodass du auf die Idee kannst, sie miteinander zu kombinieren?
Ich habe elektronische Musik schon immer geliebt. Nicht so sehr die tanzbaren Genres, sondern Dinge wie Aphex Twin oder elektronische Musik aus der mittleren Schaffensphase von Ulver. Diese Musik hat wirklich einen sich ständig erweiternden Horizont und ich denke, weil ich so lange solches Zeug gehört habe, ist das irgendwann Teil meiner DNA geworden. Was die religiöse Musik betrifft, die kann manchmal einfach eine solche Tiefe haben. Es kann tief bewegend sein, auch wenn man keine Ahnung davon (oder Interesse daran) hat, worüber gesungen wird. Ich weiß nicht genau, wann es passierte, dass ich die Idee hatte, diese beiden Genres zu vermischen, aber ich denke, es war etwa 2012 und es brauchte viele gescheiterte Experimente, bis ich in der Lage war, den Sound zu formen, den ich mit der ersten Veröffentlichung im Jahr 2016 erreichen wollte.

Deine Musik ist sehr kontrastreich und unkonventionell. Würdest du sagen, dass das bisherige Feedback dazu im Allgemeinen gut ausgefallen ist oder haben sich viele damit schwergetan, sich damit anzufreunden?
Ausgehend von dem, was ich gelesen bzw. gehört habe, ist es ziemlich gut angekommen, was cool ist. Ich sehe es auch oft, nachdem ich eine Show gespielt habe. Ich höre mir die Support-Bands an und schaue mir die Menge an und denke mir: „Oh Mann, ich glaube nicht, dass das hier gut aufgenommen wird“ und zu meiner Überraschung kommen die Leute dann danach zu mir und sagen, wie sehr sie das Set genossen haben oder wie bewegt sie von der Vorstellung waren. Dafür lohnen sich die langen Anfahrten.

Zuvor hast du bereits bei der Post-Black-Metal-Band Botanist das Hackbrett gespielt. Stilistisch und instrumental gibt es da auf den ersten Blick nur wenige Gemeinsamkeiten. Würdest du dennoch sagen, dass es gewisse Parallelen zwischen deiner Arbeit mit Botanist und THIEF gibt?
Ja, ganz sicher. Obwohl Botanist und THIEF stilistisch gegensätzlich sind, sind beide Projekte sehr verwandte Geister, da beide ein starkes Bedürfnis teilen, zu experimentieren und einen eigenen, einzigartigen Stil zu finden. Ich denke weder Otrebor noch ich sind daran interessiert, Kunst zu schaffen, die einfach eine Kopie der Musik ist, die wir lieben. Das wäre definitiv eine sicherere Wette in Bezug auf den Erfolg, aber auch viel weniger zufriedenstellend. Botanist hat auch eine Art spirituellen Aspekt: Die Natur ist größer als wir alle und wir sind machtlos ihr gegenüber.

Ein beträchtlicher Anteil deiner Musik hat einen religiösen Hintergrund. Würdest du dich selbst als gläubigen Menschen bezeichnen?
Nein, ich schließe mich keiner jüdisch-christlichen Religion an, wenn du das meinst. Es ist ironisch, ich weiß, dass ich einen Großteil ihrer devotionalen Musik in meiner eigenen verwende, aber das ist irgendwie gerade das, was mich an dem ganzen Prozess reizt. Ich stehle von ihnen und mache es mir zu eigen.

Religiöse Leute sind mitunter ziemlich empfindlich, wenn es um den Umgang mit ihrem Glauben geht. Denkst du, dass manche deshalb an deiner Musik Anstoß nehmen könnten?
Ja, darüber habe ich schon nachgedacht. Ich habe es noch nicht persönlich erlebt, aber ich bin sicher, dass es passieren wird. Diese Art von Sensibilität erscheint mir so dumm. Wenn du in deinem praktizierten Glauben verfestigt bist, was spielt es für eine Rolle, was ich sage? Warum löst jemand, der „ich stimme dem nicht zu“ sagt, solche Angst bei ihnen aus?

Auf deinem aktuellen, zweiten Album „Map Of Lost Keys“ setzt du ein breites Spektrum an elektronischen Sounds ein. Gibt es manchmal Momente, in denen du dich von all den Möglichkeiten elektronischer Musik erschlagen fühlst?
Oh Mann, ja, das ist definitiv ein Problem für mich. Ich nutze alles Nötige, um eine Idee herauszubekommen, aber ich versuche, mich so weit wie möglich einzuschränken, damit ich mich nicht zu sehr in den Details verirre. Es ist wichtig für mich, einen Rahmen zu haben, in dem ich arbeiten kann. Man kann sich in der Welt der Synthesizer und Hardware und Produktion wirklich verlieren und mehr Zeit damit verbringen, sich alles anzueignen und zu lernen, als tatsächlich damit Musik zu machen. Für „Map Of Lost Keys“ erlaubte ich mir, neue Ausrüstung zu kaufen, um neue, chaotische Kreativität in den Schreibprozess einzubringen, um die Dinge für mich frisch zu halten und den Umgang mit neuen Werkzeugen zu lernen. Ich habe mir auch ein paar Synthesizer, die ich mir nicht leisten kann, von Freunden geliehen. Das war in Wahrheit eine tolle Idee, denn ich hatte nur eine Woche oder so mit einem bestimmten Gerät, also musste ich einfach loslegen und hatte nicht allzu viel Zeit für Perfektionismus.

Inwieweit war der Entstehungsprozess des neuen Albums für dich mit einem Lernprozess verbunden?
Es ist in jeder Hinsicht ein großer Lernprozess für mich. Wenn nicht, glaube ich nicht, dass das Album sehr interessant oder zumindest anders wäre als sein Vorgänger. Ich lerne immer mehr über Produktion und stimme meine Ohren feiner darauf ab, um meine Fähigkeiten beim Mixing zu verbessern. Dann ist da noch der innere Prozess – über mich selbst zu lernen, wo meine toten Winkel sind, meine Ängste, wo ich drücken oder ziehen muss… solche Dinge. Im absoluten Sinne spielt es nicht einmal eine Rolle für die Musik – es geht um die Beziehung zu ihr und als welche Art von Werkzeug sie für dich funktioniert.

Wie bereits erwähnt unterscheiden sich die Songs sehr stark voneinander – manche klingen eher nach Trip Hop, andere nach Ambient oder Noise. Hast du dich diesbezüglich nach den jeweiligen Texten gerichtet oder gab es andere Anhaltspunkte dafür, welche Tracks wie klingen sollten?
Ich habe die Songs in die Reihenfolge gebracht, die sich für mich energetisch richtig anfühlte. Eine Eröffnung, eine Steigerung, ein Höhepunkt und dann ein blühendes Ende. Der Fokus der Texte verschiebt sich oft, sodass sich der Sound in Verbindung damit ändert.

In deinen Songs sind immer wieder kirchliche (Chor-)Gesänge zu hören. Handelt es sich dabei um Samples oder wurden sie speziell für das Album aufgenommen?
Ungefähr 85 % der Chorgesänge wurden gesampelt und der Rest aufgenommen bzw. arrangiert. Ich „grabe“ dafür oft nach alten Vinyls. Ein großer Spaß.

So wie es unzählige Variationen elektronischer Musik gibt, gibt es auch Unmengen an kirchlichen Gesangsstücken. Wie bist du an die Auswahl herangegangen, welche davon auf „Map Of Lost Keys“ zum Einsatz kommen würden?
Ich habe nicht wirklich eine Methode oder einen Auswahlprozess, außer eine Vinyl-Platte oder so anzuhören und zu warten, bis mich etwas daran packt.

Soweit ich weiß, sind die Texte von traditionellen Klageliedern und Hymnen inspiriert. Auf welche Weise äußert sich dieser Einfluss?
Was die Texte betrifft, das hat man schon einmal zu mir gesagt und ich bin mir nicht ganz sicher, wo diese „Tatsache“ herkommt, denn sie ist eigentlich nicht wahr. Es gibt ein paar Tracks, deren Texte auf alten Hymnen basieren („Vesper“ und „Hung From A Tree“ zum Beispiel), aber es ist nichts, was ich oft mache. Meine Texte sind in der Regel persönlich.

Die drei Songs „Desert Djinn“, „Holy Regicide“ und „ With Love, From Nihil“ werden von einer Sprecherstimme als besonders persönlich angekündigt. Was hat es damit auf sich?
(Lacht) Ich denke, diese Ankündigung bezieht sich mehr auf die drei folgenden Textzeilen: “the clouds rumble, the wind blows softly, and my soul pines for a meeting with god” – das habe ich offenkundig nicht selbst geschrieben, aber ich denke, es sagt in gewisser Weise viel für den Stil von THIEF aus.

Für die Veröffentlichung von „Map Of Lost Keys“ hast du mit Prophecy Productions zusammengearbeitet – einem Label, das nicht unbedingt für elektronische Musik bekannt ist. Warum war es aus deiner Sicht dennoch die perfekte Wahl für THIEF?
Ja, obwohl man Prophecy überhaupt nicht für elektronische Musik kennt (womöglich sind wir sogar die Ersten?), sind sie dafür bekannt, experimentelle Musik voranzutreiben, und ich denke, das ist einer der Gründe, aus denen wir so gut zu ihnen passen. Sie haben sofort verstanden, was ich mache und waren begeistert von dem Projekt und der Zusammenarbeit mit uns, was wirklich alles ist, worum ich bitten kann!

Viele Metal-Fans sind skeptisch gegenüber Electronic-Musikern und tun deren Live-Shows als simples Knöpfedrücken ab. Wie würdest dagegen argumentieren?
(Lacht) Nun, in gewisser Weise liegen sie da nicht ganz falsch, aber im gleichen Sinne könnte man sagen: „Metal ist nur Saitenzupfen“. Nun, wenn eine Band nur auf Play drückt und herumsteht, sicher, das macht keinen Spaß, aber ich glaube nicht, dass die meisten Elektronikmusiker das wirklich tun. Es ist schwer, darüber als Ganzes zu sprechen, weil es so viele Künstler gibt, aber ich glaube nicht, dass man Bands wie Autechre oder Author And Punisher live sehen und behaupten kann, dass die nur Knöpfe drücken. Sie sind quasi die Spawn Of Possession der elektronischen Musik, nur anstatt ultra-technische Riffs zu spielen, steuern sie ein Raumschiff durch ein dichtes Asteroidenfeld. Am Ende dreht sich aber alles ums Gefühl, oder? Gefällt dir der Sound? Fühlst du dabei etwas? Gut. Alles andere ist optional. Für THIEF arbeite ich mit einer Live-Band, um eine lebhaftere, mitreißendere Stimmung zu erzeugen.

Gerade bist du mit Silence In The Snow, die sich stilistisch deutlich von THIEF unterscheiden, auf Tour. Wie kam es zu diesem gemeinsamen Konzerttrip?
Ich musste schon früh akzeptieren, dass ich wahrscheinlich keine Bands finden würde, die THIEF ähnlich sind und mit denen ich auf Tour gehen könnte (lacht). Die Shows laufen gut, denke ich, weil sie auch dunkel und stimmungsvoll klingen und die Atmosphäre hilft, uns miteinander zu verbinden. Ich finde es auch toll, wenn Bands, die nicht genau das gleiche Genre spielen, zusammen auf Tour gehen. Das macht die Show umso interessanter. Um ehrlich zu sein, vier Metal-Bands in Folge zu sehen, oder auch generell vier gleiche Bands, egal welchen Genres, würde mich ermüden.

Bei Metal1.info beenden wir unsere Interviews üblicherweise mit einem kurzen Brainstorming. Was fällt dir zu den folgenden Begriffen ein?
Batushka: Sie sind cool. Ich denke, sie sind aus dem gleichen Holz geschnitzt wie THIEF. Diese ganze Spaltung, die ihnen passiert ist, ist aber ein Jammer.
Dubstep: Kein Fan von modernem Dubstep. Ich mag die Dubstep-Vorgänger wie Burial und Kode9. Einige Vertreter des modernen Dubsteps haben jedoch eine echt starke Produktion, das muss ich ihnen lassen.
Religiöser Extremismus: Abscheulicher, engstirniger, angstbasierter, ignoranter Unsinn. Nun, mystischer Extremismus…
Black Metal: Bester Metal!
Rhythmus vs. Melodie: Beide sind nicht essenziell. Ich nehme an, ich fühle mich vorrangig zu Melodie hingezogen. Mein Schlagzeuger Robert hat mal ein gutes Argument vorgebracht, wonach Rhythmus tatsächlich Melodie beinhaltet.
Veganismus: Sehr respektabel, aber ich habe nicht die Willenskraft, auf Fleisch zu verzichten. Ich hatte letzte Woche dreimal an zwei Tagen BBQ, als ich durch Texas fuhr. Fleisch ist eines meiner letzten Laster, ganz sicher.

Danke nochmal für deine Zeit. Wenn du noch ein paar letzte Worte an die Leser richten möchtest, kannst du das an dieser Stelle gerne tun:
Sei innovativ! Der einzige Koan, der zählt, bist du.

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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