Interview mit Mihály von The Moon And The Nightspirit

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Bislang stand das ungarische Pagan-Folk-Duo THE MOON AND THE NIGHTSPIRIT stets für atmosphärische, urtümlich anmutende Musik. Auf „Aether“ haben nunmehr allerdings vermehrt zeitgenössische Einflüsse Einzug in die Kunst der Band gehalten, was bei so manchem Fan wohl für hochgezogene Augenbrauen gesorgt hat, den Stil der Band jedoch auf überraschend stimmige Weise bereichert hat. Anlässlich der Veröffentlichung von „Aether“ haben wir Multi-Instrumentalist Mihály einige Fragen gestellt – ein Gespräch über die Metal-Wurzeln der beiden Musiker, das Musikhören als spirituellen Akt und die Verbindung von Alt und Neu.

Aktuell ist die Musikbranche wegen des Coronavirus größtenteils zum Erliegen gekommen. Inwiefern wurdet ihr in Bezug auf THE MOON AND THE NIGHTSPIRIT von der Pandemie und den dagegen ergriffenen Maßnahmen betroffen?
Eigentlich war es für uns gar nicht so tragisch. Dieser „Hausarrest“ war in der Tat ziemlich drakonisch, aber da wir ohnehin nicht vorhatten, in dieser Album-Entstehungsphase unser Zuhause zu verlassen, war er nicht unerträglich. Wir arbeiten in unserem eigenen Aufnahmestudio und für diese Zeit haben wir keine Live-Shows gebucht.

Wie wird sich dieser Stillstand der Musikbranche deiner Meinung nach langfristig auswirken?
Ich denke, dass diese Pandemie die Buchungsagenturen und Konzertveranstalter am meisten getroffen hat. Es wird sicher schwer für sie sein, sich zu erholen, aber ich denke, irgendwann wird sich alles wieder normalisieren, oder zumindest hoffe ich das. Was die Bands betrifft, die ständig unterwegs sind und Live-Gigs spielen, so muss diese Situation wohl ein echter Alptraum sein, nehme ich an. Die meisten Bands sind finanziell von Konzerten und dem Verkauf von Merchandise-Artikeln abhängig, es ist also nicht einfach. Diese ganze Situation behindert jedoch nicht die Kreativität, und so freue ich mich auf einen Boom außergewöhnlich kreativer Veröffentlichungen in naher Zukunft, jetzt, da die Bands etwas mehr Zeit haben, ihre musikalischen Ideen zu manifestieren.

Viele Bands haben wegen der Pandemie die Release-Termine ihrer Alben verschoben. Warum habt ihr eure neue Platte „Aether“ dennoch wie geplant herausgebracht?
Für uns war es eine zweijährige Songwriting-Periode, und das Veröffentlichungsdatum war schon lange festgelegt. Wir und unser Label Prophecy wollten das Erscheinungsdatum nicht verschieben. Obwohl wir recht häufig Live-Shows spielen, sind wir keine ständig tourende Band. Dass wir nicht in der Lage waren, eine Album-Release-Tournee zu machen, war also kein Faktor, der uns dazu veranlasst hätte, das bereits besprochene Veröffentlichungsdatum zu ändern. Ganz zu schweigen davon, dass „Aether“ meiner Meinung nach ein Album sein könnte, das perfekt dazu geeignet ist, in diesen hektischen und chaotischen Zeiten der Spaltung und Angst gehört zu werden. Für einige könnte es eine Zeit der Selbstreflexion, der inneren Beobachtung oder Meditation sein. „Aether“ könnte eine gute Hintergrundmusik dafür sein.

„Aether“ macht mit seinem Artwork und teilweise auch mit seiner Musik einen etwas moderneren Eindruck als eure bisherigen Releases. Habt ihr das bewusst so geplant und, falls ja, aus welchem Grund?
Von den moosbewachsenen, uralten Wäldern wagten wir uns diesmal in den sternenübersäten Kosmos und die himmlischen Weiten. Dieses Konzept spiegelt sich sowohl in dem Artwork als auch in der Musik wider. Es war eine bewusste Entscheidung, unseren musikalischen Ansatz geringfügig zu ändern oder, genauer gesagt, neu anzupassen, um diesem neuen Konzept gerecht zu werden. Wir haben diesmal mehr Keyboards und Piano verwendet, um eine kosmischere und epischere Atmosphäre zu schaffen. Anstatt auf diesem Album eine Violine zu verwenden, werden alle Streichermelodien auf einer mongolischen Pferdekopfgeige gespielt, was den Liedern eine uralte und doch sphärische und ätherischere Aura verleiht. Ich denke, es gibt ein gesundes Gleichgewicht zwischen dem Antiken und dem Modernen auf „Aether“. Das war jedenfalls unser Hauptziel.

Ich kann mir vorstellen, dass sich manche eurer Fans, die von euch eher urtümliche Bildsprache und Klangbilder gewöhnt sind, an diesem moderneren Ausdruck stören könnten. Wie denkst du darüber – müssen „alt“ und „neu“ immer im Widerspruch zueinander stehen?
Ja, es besteht die Möglichkeit, dass es einige Fans geben wird, denen dieser etwas neue Ansatz nicht gefällt. Aus unserer Sicht sind dies jedoch keine großen Veränderungen und die Wurzel und der Ursprung unserer musikalischen Ideologie sind die gleichen geblieben. Wir waren nie eine „mittelalterliche Folkloreband“, die alte, ethnische Lieder spielte und haben immer versucht, etwas Anderes und Progressives zu machen. Diejenigen, die unsere musikalische Reise von Anfang an verfolgt haben, wissen dies bereits. Wir leben in einer modernen Welt und das beeinflusst uns sicherlich in der einen oder anderen Weise. Musikalisch gesehen versuchen wir nicht, eine längst vergangene Ära wieder aufleben zu lassen, sondern diese alten Flammen zu erwecken und neu zu entfachen, um eine neue goldene Welt zu schaffen, die auf dem spirituellen Erbe der alten basiert.

Ihr setzt auf „Aether“ zum Teil sogar E-Gitarren ein, was für eure Musik ziemlich untypisch ist. Was hat euch dazu bewogen?
Wir kommen beide aus dem Metal-Bereich. Wir haben beide in Metal-Bands gespielt, bevor wir THE MOON AND THE NIGHTSPIRIT gegründet haben. Der Einsatz der E-Gitarre war uns daher nicht fremd. Wir haben sie in zwei Liedern von „Aether“ verwendet. Obwohl sie nicht im Vordergrund steht, bereichert sie den Klang und fügt der Atmosphäre eine gewisse Räumlichkeit hinzu.

Obwohl eure Stücke insofern abermals sehr reichhaltig klingen, als ihr darin zahlreiche Instrumente einsetzt, ohne eines davon in den Vordergrund zu stellen, erscheinen manche der Songs doch ein wenig reduzierter mit einfacheren Melodien („Kaputlan Kapukon Át“, „Logos“). Was hat es damit auf sich?
Vielleicht hast du Recht, wir haben einige der Melodien vereinfacht und in einigen Liedern einen geradlinigeren und direkteren Ansatz gewählt.

War der Entstehungsprozess des Albums für euch – insbesondere im Hinblick auf die kleinen stilistischen Neuerungen – auch ein Lernprozess?
Auf jeden Fall. Ein neues Album ist immer das Ergebnis eines Lernprozesses. Es dauerte drei Jahre, bis das Album fertig war, wir haben uns überhaupt nicht beeilt. Wir überarbeiteten die Lieder von Zeit zu Zeit, hörten immer mit „unbedarften Ohren“ zu und änderten hier und da kleinere oder größere Dinge. Wir wussten von Anfang an, welche Art von Atmosphäre wir schaffen wollten, und wir experimentierten mit vielen neuen Dingen, Instrumenten und Ansätzen, um dies zu erreichen. Mit „Aether“ haben wir viele neue aufregende und innovative Elemente in unsere Musikwelt eingeführt.

„Aether“ hat meiner Wahrnehmung nach eine ähnliche sphärische Ausstrahlung wie „Metanoia“ und scheint auch inhaltlich einen ähnlichen Weg zu gehen. Inwieweit ist das aus deiner Sicht zutreffend?
Textlich sind alle Lieder auf „Aether“ der Verwirklichung, Offenbarung und Ermächtigung des grenzenlosen inneren Kosmos, der großen, unendlichen Quelle, gewidmet. Sie sind Meditationen, um unsere Verbindung zu unserem eigenen höheren Selbst zu entwirren und zu stärken. Es ist in der Tat eine Fortsetzung der Texte und des Konzepts von „Metanoia“, nun aus einer höheren, kosmischen und offeneren Perspektive.

Eure älteren Alben klingen hingegen etwas erdiger und greifbarer. Wie denkst du im Rückblick über eure Frühwerke?
All die früheren Alben waren wichtige Wegpunkte auf unserer musikalischen Reise, um hierher zu gelangen, wo wir jetzt sind. Wir selbst haben uns durch diese Reise sehr verändert und alle diese Alben sind Manifestationen unserer tatsächlichen, sich ständig wandelnden und weiterentwickelnden Denkweise und unseres spirituellen Wachstums. Wir lassen uns immer noch von der gleichen Quelle inspirieren. Was sich geändert hat, ist unser Blickpunkt und unsere Beobachtung der von uns erfahrenen Welt von Materie und Geist.

Soweit ich es richtig verstanden habe, geht es auf „Aether“ um spirituelle Themen wie die Essenz der Seele und deren Verbindung zur Welt als Ganzes. Kannst du uns etwas mehr darüber erzählen?
In den Texten geht es im Allgemeinen um unsere Verbindung mit den höheren Ebenen der Existenz, der geistigen Welt. Es geht um die Suche nach der kosmischen Einheit von allem, um die Rückkehr zum Urquell der gesamten Schöpfung, um die Initiation in das große Unbekannte, um das Erwachen des höheren Selbst.

Euer Schaffen hat generell eine ausgeprägte transzendente Komponente. Denkst du, dass nicht-spirituelle Hörer eure Musik dadurch womöglich nicht so eindringlich erleben wie eure spirituellen Fans?
Ich denke, man muss nicht spirituell „gebildet“ sein, um unsere Musik hören und verstehen zu können. Musik zu hören und in eine musikalische Welt einzutauchen, ist an sich schon ein spiritueller Akt, eine Art Meditation.

Ich habe auch den Eindruck, dass die neuen Songs vermehrt instrumental sind, zugleich aber auch deine Stimme öfter zu hören ist. Was hat euch zu dieser kleinen Neuausrichtung inspiriert?
Es war unsere Absicht, ein Album mit oszillierenden Kräften zu schreiben, das die ganze Zeit wie eine Welle die Formen wechselt und dennoch eine gemeinsame Grundlage behält. Diese Dualität von Ebbe und Flut, Verstecken und Enthüllen ist ein neuer Aspekt in unserer Musik, ein notwendiger Schritt, um unserer musikalischen Welt mehr Vielseitigkeit zu verleihen. Mit der Einführung und der signifikanten Präsenz des männlichen Gesangs wurde unsere Musik kraftvoller und dadurch wurde eine erweiterte und dynamische Atmosphäre geschaffen. Die weiblichen und männlichen Kräfte sind nun gleichermaßen präsent, verflechten sich miteinander, erzeugen einen Strudel von Polaritäten und verschmelzen zu einer neu gefundenen Einheit und Ganzheit.

In den Pressetexten steht auch, dass der maskuline Aspekt eurer Musik nun stärker zu Tage tritt und daher den femininen Part ausgleicht. Ist damit schlicht gemeint, dass du nun öfter am Mikro stehst oder steckt noch mehr dahinter?
Wie oben geschrieben, war dies ein notwendiger Schritt, etwas, das wir als neues Element einführen wollten. Die Zerbrechlichkeit und Reinheit der weiblichen Stimme steht nun im Gleichgewicht mit der Kraft und Stärke der männlichen Stimme. Eine Einheit der Dualitäten.

Welche Bedeutung haben das Männliche und das Weibliche für dich in der heutigen Zeit, in der diese Dichotomie zunehmend aufgebrochen und alte Geschlechterrollen überdacht werden?
Wir folgen in diesem Sinne den „alten“ Traditionen, haben aber kein Problem mit anderen Ansätzen. Alle sollten an das glauben, woran sie glauben wollen. Jedes Volk hat seine eigene, einzigartige Wahrheit und hat das Recht, sich so auszudrücken, wie es will, und sich mit den Ideen und Weltanschauungen zu identifizieren, die es für richtig hält. Es macht uns einzigartig und frei, diese vergängliche Welt der Materie zu erleben. Es ist eine wunderbare Sache, solange eine Weltanschauung nicht anderen als eine allgemeine, dogmatische aufgezwungen wird – dann kommen Probleme und Konflikte auf.

Während einige Bands lediglich auf professioneller Ebene zusammenarbeiten, um ihre künstlerischen Ideen zu verwirklichen, verbindet andere auch eine tiefere Verbindung oder Freundschaft. Wie würdet ihr, Ágnes und Mihály, eure Beziehung zueinander in dieser Hinsicht beschreiben?
Ja, wir befinden uns in diesem Sinne in einer einzigartigen Position, da wir nicht nur Partner beim Schaffen von Musik, sondern auch im Leben sind. Es ist eine wunderbare Erfahrung für uns. Wir sind beste Freunde und auch ein Paar, das die gleichen Ideen und Weltanschauungen teilt und den gleichen Weg geht. Wir sind „Zwillingsflammen“, die nach den gleichen Antworten suchen und das macht die Dinge viel einfacher. Wir müssen selten Kompromisse eingehen, wenn es um den musikalischen Weg geht, den wir einschlagen wollen. Wir arbeiten in unserem eigenen Tonstudio, und wir spielen und nehmen alle Instrumente für ein Album selbst auf. Freier Fluss der Kreativität ohne „äußere“ Eingriffe. Nur wir beide, wir schaffen unsere eigene musikalische Welt.

Was habt ihr als Nächstes für THE MOON AND THE NIGHTSPIRIT geplant?
Im Moment bereiten wir alles vor und geben „Aether“ den letzten Schliff. Wenn sich die Weltlage entspannt und sich die Dinge wieder normalisieren, würden wir gerne eine kleine Tournee machen, um die neuen Lieder vorzustellen. Wir werden sehen und hoffen das Beste.

Zum Abschluss würde ich gerne noch ein kurzes Brainstorming mit dir durchgehen. Was fällt dir hierzu ein?
Dead Can Dance: Außergewöhnliche und inspirierende Künstler, Pioniere.
George Floyd: Eine traurige Geschichte, die später für eine Agenda zur weiteren Spaltung der Menschheit verwendet wurde.
Nihilismus: Fluchtweg eines verzweifelten und verwirrten Geistes in einer Welt ohne Hoffnung und Licht.
Neuheidentum: Die alte, wiedergeborene Flamme.
Elektronische Musik: Kunst einer technophilen Epoche.
Klimakrise: Eine andere Art der Panikmache.

An dieser Stelle bedanke ich mich für deine Zeit. Möchtest du den Lesern noch etwas mitteilen?
Vielen Dank für das Gespräch. Lasst euer Licht leuchten!

Publiziert am von Stephan Rajchl

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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