Interview mit Frank Boeijen von The Gathering

Beinahe 25 Jahre sind THE GATHERING mittlerweile fester Bestandteil der (progressiven) Rock- und Metalszene. Wie nur wenige Bands haben sich die Niederländer immer wieder neu erfunden und mit jedem Stilwechsel begeisterte Hörer hinzugewonnen. Im Interview erzählt Keyboarder Frank Boeijen über den Enstehungsprozess des neuen Albums „Disclosure“, welches nicht weniger als das bislang persönlichste der Band geworden ist.


Hy Frank, vielen Dank, dass Du Dir Zeit nimmst, das Interview zu beantworten. Seid Ihr, ein paar Wochen vor der Veröffentlichung von „Disclosure“, sehr mit Promotion beschäftigt?
Ja, da haben wir natürlich einiges zu tun, zumal wir es ja über unser eigenes Label Psychonaut herausbringen. Da bleibt einiges an uns hängen.

Beim letzten Interview hat uns Hans erzählt, dass die Idee hinter „Souvernirs“ war, einen härteren Sound zu kreiieren, was in letzter Konsequenz aber nicht hingehauen hat. Gab es diesmal einen ähnlichen Plan?
Nein, nicht wirklich. Wir wollten das Album so natürlich wie nur eben möglich, ohne Druck von außen. Es wurde schnell klar, dass die Lieder in eine eher realitätsfremde Richtung gingen, mit Raum zum Experimentieren und als Reise in unsere eigene emotionale Welt.

Ich denke, der Sound ist seit 2006 nicht härter geworden, sondern wurde hinsichtlich seiner Atmosphäre und Organität perfektioniert. Würdest Du dem zustimmen?
Ja, dieser Meinung bin ich auch. Wir waren ja nie die „härteste“ Band in der Rock- / Metalszene. Das war natürlich auch nie unser Ziel. Wir haben uns aber mit der Zeit immer weiter verbessert, atmosphärische Landschaften zu erschaffen und träumerische Songs zu schreiben. Das ist für uns der natürliche Weg, man könnte sagen, dass es in unseren Genen liegt.

Ist die „Versuch und Irrtum“-Methode immer noch die bevorzugte beim Songwriting?
Ja und nein. Wir nehmen so viele Teile wie nur möglich live auf. Damit bekommt die Musik einen natürlichen Bezugspunkt. Wir verwerfen andererseits auch immer wieder Ideen. Manchmal muss man einfach wieder ganz von vorne anfangen, dann stellt man plötzlich fest, dass die Dinge besser funktionieren, wenn man sie neu bedenkt. Aber auch anders herum: Wir stellen fest, dass die erste Idee die beste war.


Das Infoblatt spricht von der „persönlichsten Klanglandschaft, die die Band jemals erschuf, sowohl im Bezug auf die Musik als auch auf die Texte. Was bedeutet das für Euch und was erwartet Ihr für einen Eindruck auf den Hörer?
Aus textlicher Sicht ist es ein sehr persönliches Album, die Texte stammen alle von Silje, unserer Sängerin. Alle Texte fußen auf tatsächlichen Begebenheiten und berichten von Situationen, die Silje beispielsweise in Bezug auf Beziehungen erlebt hat. Die Texte sind alle ehrlich und aufrichtig und ich denke, die Hörer können sich vor allem deshalb damit identifizieren, weil sie von Themen handeln, die uns alle irgendwann einmal betreffen.

Wann wurde Euch als Band dies alles klar?
Ab dem Moment, ab dem wir mit Silje zusammen an den Liedern gearbeitet haben. Diesmal war es im Vergleich zum Vorgänger „The Westpole“ viel intensiver.

Für den Hörer ist die Reise durch „Disclosure“ eine riesige Reise. War es das (oder: ist es das) auch für Euch so?
Nun, wir haben das Album geschrieben, also ist es schwer zu sagen bzw. zu beurteilen, ob dies auch für uns zutrifft. Wenn Du ein Album schreibst und fast zwei Jahre daran arbeitest, hast Du dieses „Entdecker“-Feeling nicht so. Ich denke, wenn ich in ein oder zwei Jahren das Album wieder höre, kommt dieses Gefühl zurück.

Hast Du ein Lieblingslied auf dem Album oder denkst Du, es funktioniert nur als Ganzes?
Ich habe immer meine Favortien. Ich denke „I Can See Four Miles“ ist einer davon, denn hier passt einfach alles zusammen. Man könnte sogar sagen, dass es das ganze Album repräsentiert. Ich mag auch „Paralyzed“ sehr, denn es hat sehr charakteristische Sounds und ist sehr experimentell.

Hat sich Eure Arbeitsweise geändert, seit Silje zur Band kam?
Nun, sie lebt in Norwegen, in Bergen. Aufgrund der räumlichen Distanz müssen wir sehr genau und konzentriert arbeiten, aber heutzutage geht es aufgrund des Internets und Billigflügen auch so ganz gut, es gibt also noch genug Möglichkeiten, zusammen Musik zu schreiben ;)

In der Rezension schrieb ich, dass alle Instrumente sehr homogen zusammenarbeiten, keines drängt sich in den Vordergrund. Ist das ein Resultat Eurer Erfahrung als Musiker oder des Songwritings?
Wir waren als Musiker nie geil auf große Virtuosität. Wir mögen es, die Dinge simpel zu halten, aber eben auch interessant. Manchmal ist der einfachste Weg auch der beste. Es gibt genügend Bands, die 10.000 Töne pro Minute zocken und darauf voll abgehen…wir sind keine solche Band.

Da sind einige sehr lange Songs auf dem Album, aber sie sind keine Sekunde langweilig. Brauchen diese Songs die meiste Entwicklungszeit?
Vielen Dank! Um ehrlich zu sehen: diese Songs sind am schnellsten fertig. Dies liegt daran, dass gerade diese sich sehr natürlich entwickeln. Wir denken nicht an Songlängen oder typische Strukturen, wir spielen einfach. Das hat auf diesem Album ganz gut geklappt, denke ich. Wir wollten natürlich nichts langweilig und bei langen Sonbgs besteht diese Möglichkeit. Aber ich denke, wir haben mit der Zeit gelernt, so etwas zu vermeiden, auch wenn wir uns mit diesem Problem nicht beschäftigen.

Einige Worte zum Artwork. Das Bild ist sehr schön, aber auch irgendwie befremdlich. Es ist schwierig zu erkennen, was damit ausgedrückt werden soll, kannst Du mir helfen ;)
Wir kennen Carlos Vergara Rivera aus Chile schon eine ganze Weile. Als wir uns mit dem Artwork beschäftigten, fragten wir eben ihn, ob er was für uns machen könnte. Ich denke, er hat das phantastisch hinbekommen. Das Mädchen, umgeben von ihrer eigenen mystischen Natur, lebt in einer mechanisch-materiellen Welt. Sie muss mit all den beschissenen Dingen der Welt klarkommen, aber sie kann dies tun, indem sie kreativ bleibt und auf ihr Inneres hört. Nun, irgendwie so ;) Ich denke einfach, dass das Artwork unsere Gefühle bezüglich des Albums am besten repräsentiert, also sind wir sehr zufreiden damit.

THE GATHERING spielt schon lange keinen „richtigen Metal“ mehr. Interessierst Du Dich denn noch für diese Art Musik oder was bevorzugst Du?
Ich höre tatsächlich nicht mehr viel Metal…ich habe ein paar Crossover-Bands entdeckt, beispielsweise: Crystal Castles, Sleigh Bellz und Blod Red Shoes. Sie verknüpfen sehr experimentell elektronische und alternative Klänge mit hartem Stoff. Ich mag auch viel elektronische Musik an sich, etwas Justice, Royksopp, Portishead und besonders gerne alles vom Tri-Angle-Label. Aber die „normalen“ Bands mag ich durchaus auch noch, zuletzt habe ich viel von Choir Of Young Believers gehört, sie sind aus Dänemark und einfach großartig. Und natürlich alle Bands, die sich vor Experimenten nicht fürchten. Es gibt heutzutage noch viele großartige Bands, manchmal muss man einfach etwas genauer suchen.

Welche Pläne habt Ihr, das Album auch live zu promoten? Wird es eine Europatour geben?
Ein paar Shows in den Niederlanden sind schon fix, eine Europatour bisher aber noch nicht.


Ok, lass uns zum Schluss noch etwas off-topic diskutieren. Die Niederlande gelten gemeinhin als liberaler Staat. Was denkst Du über die Massaker bei der Batman-Premiere oder in dem Sikh-Tempel im selbsternannten Land der Freien?
Ich bin nicht ganz sicher, wo Du die Verbindung zwischen den Niederlanden als liberaler Staat und den Massakern siehst. Wir hatten auch schon ein paar Amokläufe hier bei uns, also denke ich mal, dass es überall passiert. Seit Erfindung der Handfeuerwaffen ist das Töten einfach zu leicht geworden…

Interessierst Du Dich für die olmpischen Spielen?
Ne, nicht wirklich…aber die Eröffnungs- und Schlussfeier fand ich klasse, eine Menge der großartigen Ikonen aus Großbritannien sind da schließlich aufgetreten!

Gut, ganz zum Schluss das traditionelle Metal1-Wortspiel. Deine ersten Gedanken zu den folgenden Begriffen:
Der arabische Frühling, ein Jahr danach: Ich hoffe, die Leute kommen zukünftig gut klar dort.
Occupy: ich finde es gut, wenn Leute ihr Missfallen zum Ausdruck bringen, das sollte heutzutage häufiger geschehen
Curiosity: Großartig! Die NASA hats wieder geschafft! Jetzt müssen sie nur noch herausfinden, dass dieses Wasser dort unsere einzelligen Vorfahren enthält ;)
Euro-Krise: Geld…pass gut auf, was Du davon kaufst
Metal1.info: habe ich noch nie von gehört…klingt aber ganz cool!!

Dann noch mal vielen Dank für das Beantworten der Fragen, die letzten Worte sind Dein.
Bleibt locker!

Publiziert am von Jan Müller

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