Interview mit Clayton Cushman von The Flight Of Sleipnir

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Auf „Eventide“ haben THE FLIGHT OF SLEIPNIR ihre markante Mischung aus Doom, Black Metal, Post-Rock und Folk zwar nicht merklich verändert, aus ihr jedoch ihre bis dato vielleicht konsistentesten Songs herausgeholt. Wir haben Gitarrist und Bassist Clayton Cushman zum Release einige Fragen gestellt – ein Gespräch über nächtliche Ausgänge zum Sterneschauen, das Interesse des modernen Menschen an nordischer Mythologie und unliebsame Meinungsverschiedenheiten in Sachen Tontechnik.

In den USA scheint die Pandemie langsam wieder unter Kontrolle gebracht zu werden. Wie seid ihr unter diesen Umständen bislang zurechtgekommen?
Was ich am meisten vermisse, ist Live-Musik, also hoffe ich, dass ich bald wieder daran teilhaben kann. Ich habe keine Angst vor der Wissenschaft, also habe ich mich impfen lassen – ich bin also bereit dafür. Es ist wirklich schade, dass wir als Land nicht an einem Strang gezogen haben, um es ein für alle Mal zu beenden, aber so etwas können wir in den USA anscheinend nicht mehr tun.

Hat sich die Pandemie auch auf den Entstehungsprozess oder das Songmaterial eurer neuen Platte „Eventide“ ausgewirkt?
Eigentlich nicht – das Material für dieses Album wurde bereits Ende 2017 begonnen, und wir hatten das Album bis 2019 fertig. Die Pandemie hat nur die Veröffentlichung verzögert.

In eurer Anfangszeit habt ihr ziemlich schnell neues Material veröffentlicht. Inzwischen nehmt ihr euch hingegen ein paar Jahre Zeit, um neue Alben herauszubringen. Was hat sich verändert?
Das ist eine schwer zu beantwortende Frage – ich denke, es waren einfach die Umstände, es gab einige Spannungen in der Band während des letzten Albums (Justin Siegler ist nicht mehr bei TFOS), verschiedene Lebensbelastungen, eine sich verändernde Welt, berufliche Anforderungen, die Liste geht noch weiter…

Wie hast du die Reaktionen auf eure neue Platte wahrgenommen?
Ich habe ein paar positive Kritiken gelesen, was immer ermutigend ist. Wer freut sich nicht über Bestätigung? Ich verfolge das aber nicht so sehr, ich bin mehr auf die nächsten Vorhaben konzentriert…

Die Beschreibung seitens eures Labels und das Artwork suggerieren, dass die Mysterien der Nacht das Grundthema eures neuen Albums „Eventide“ bilden. Die Songtitel deuten aber auf verschiedene Songinhalte hin. Worum geht es also im Allgemeinen?
Das Album hat kein Thema, aber die Songs verbindet ein Element der Dunkelheit, des Endes, des Todes und des Opferns – also schien der Titel für diese besondere Sammlung von Songs zu passen.

Welche Erinnerungen und Eindrücke verbindest du mit der Nacht?
Als ich jung war, bin ich immer nach draußen gegangen – egal bei welchem Wetter – und habe einfach in den Himmel gestarrt, wenn er klar war – und die Sterne und alles andere beobachtet. Das mache ich auch heute noch von Zeit zu Zeit. Es gibt eine Perspektive, die deutlich wird, wenn man erkennt, wie weit alles entfernt ist.

Das Artwork von „Eventide“ sieht um einiges subtiler aus als die eurer früheren Platten. War das eine bewusste Entscheidung im Hinblick auf das Textkonzept?
Ich bin mir nicht so sicher, ob ich das mit Autorität beantworten kann, da David der Meister über die Kunst in der Band ist – aber das Artwork im Inneren der Hülle ist extrem detailliert und aufwendig. Ich bin mir ziemlich sicher, dass das die ursprüngliche Idee war, aber David wollte in eine andere Richtung gehen und wir waren uns alle einig, dass es passt. Die Kargheit passte zu dem, was wir alle zu der Zeit fühlten.

Eure Musik hat im Allgemeinen eine ziemlich archaische Ästhetik, obwohl ihr mit allerlei modernen Stilmitteln arbeitet. Spielt dieser Kontrast aus Altertümlichem und Zeitgenössischem auch in eurem Alltag eine Rolle?
Ich bin ein ziemlich moderner Typ – ich glaube, dass es wichtig ist, die Vergangenheit zu verstehen, um zu versuchen, Verbesserungen vorzunehmen oder sich vorwärts zu bewegen, aber diese Philosophie hat auch Schwächen. Ich lehne Autorität ab – die alte Tradition ist davon durchdrungen, also gibt es da für mich einen Konflikt. Ich betrachte die nordische Mythologie als Gleichnis. Die alte Lebensweise stirbt mit jeder Generation.

Ich habe den Eindruck, dass eure Black-Metal-Einflüsse auf dem neuen Album etwas stärker zur Geltung kommen. Wie haben sich die Songs in diese Richtung entwickelt?
Ja, der Geist der Misanthropie ist auf dieser Platte ein bisschen präsenter. Wir alle haben umfangreiche Black-Metal-Sammlungen, also taucht es von Zeit zu Zeit in dem auf, was wir machen. Wir haben das nicht diskutiert, aber wir haben es alle gespürt, denke ich.

An sich habt ihr euren gewohnten Stil aus meiner Sicht aber beibehalten. Würdest du sagen, dass ihr mitunter trotzdem noch experimentiert?
In der Tat – die nächste Platte, an der wir gerade arbeiten, hat einen experimentelleren Geist. Wir finden immer noch Möglichkeiten für neue Instrumente oder Sounds, wenn wir können. Wir versuchen, ehrlich gesagt, nicht zu sehr darüber nachzudenken, was wir tun, denn wenn man damit anfängt, aus welchen Gründen auch immer – finanziell, persönlich, egoistisch, was auch immer – beginnt es, die Kunst zu verwässern.

Nachdem ihr mit „V.“ ein Album über ein größeres Metal-Label herausgebracht habt, seid ihr seit dem Release von „Skadi“ wieder bei einem Underground-Label. Habt ihr mit dem Metal-„Mainstream“ endgültig abgeschlossen?
Weißt du, ich glaube nicht, dass wir jemals im Metal-Mainstream waren. Der Mainstream wird durch Marketing und Hype aufrechterhalten – zwei Dinge, die uns nicht interessieren. Wir sind wirklich dankbar für jeden Fan, den wir haben, und die Arbeit mit Underground-Labels ist besser, weil sie sich in der Regel für die Musik interessieren und mehr in das investieren, was die Band macht.

„V.“ war produktionstechnisch ja nicht unbedingt optimal. Wie denkst du rückblickend über euren Sound auf dieser Veröffentlichung?
Ich hasse es, über die Produktion zu sprechen, selbst als „Tontechniker“ – denn es ist, als würde man über den Lack eines Autos sprechen. Es ist so subjektiv und doch so einfach, eine Meinung zu äußern, aber zu welchem Zweck? Soll ich ein Album remixen, um jemanden im Internet zufriedenzustellen, der meint, meine Drum-Overheads seien phasenverschoben? (Das sind sie und es ist mir egal…) Was geschehen ist, ist geschehen! Ich vertrete den Punkrock-Ansatz, dass sich jeder mit seinen Äußerungen über meine Produktionsentscheidungen verpissen kann.

Das Mastering hat diesmal Greg Chandler übernommen. Warum habt ihr diese Aufgabe diesmal jemandem außerhalb der Band und insbesondere ihm übertragen?
Wir alle mögen Esoteric und wir haben mit Greg schon bei einigen anderen Projekten zusammengearbeitet. Nico (Eisenwald) hat ihn empfohlen und wir vertrauen Nico und Greg, das klappt alles super.

Ihr habt angekündigt, dass ihr einige Konzerte mit Dread Sovereign in Europa spielen werdet. Wie kam es dazu, dass ihr euch dazu entschieden habt, gemeinsam auf Tour zu gehen?
Eisenwald hat uns geholfen, mit Doomstar daran zu arbeiten – wir versuchen schon seit über einem Jahrzehnt, nach Europa zu kommen, um dort zu spielen, und wir hoffen, dass diese Tour zustande kommt – wir sind alle optimistisch. Das Paket von TFOS und Dread Sovereign kommt von der Booking-Agentur – wir werden wohl gut zusammenarbeiten und es sollte eine großartige Reihe von Shows werden.

Habt ihr darüber hinaus noch weitere Pläne für die nahe Zukunft von THE FLIGHT OF SLEIPNIR?
Wir haben fünf oder sechs Songs fast fertig aufgenommen für unsere nächste Veröffentlichung – die eine kleine Abweichung von unserem Sound auf „Eventide“ darstellt. Ich werde wahrscheinlich diesen Sommer mit dem Mixing fertig werden und wir werden sehen, wohin es von dort aus geht!

Zum Abschluss noch ein kurzes Brainstorming. Was denkst du über die folgenden Schlagworte?
Nachtleben: Verzweifelte Kerle mit Autos.
Kreative Durststrecke: Der Mensch ist nicht dafür gemacht, die ganze Zeit zu arbeiten.
DIY: Das Zeichen für wahre Motivation.
Streaming-Konzerte: Kann toll sein. Kann schrecklich sein.
Neuheidentum: Wir kommen aus dem Schlamm, unabhängig von Vorstellungen.
Innovation: Richtiger Ort, richtige Zeit, richtige Leute.

Nochmals danke für deine Zeit. Die letzten Worte möchte ich gern dir überlassen:
Wir danken euch für euer Interesse an uns und schätzen alles, was ihr tut. Denkt für euch selbst!

 

Publiziert am von Stephan Rajchl

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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