Auf ihrem vierten Album “Fyra” haben sich die schwedisch-deutschen SUFFOCATE FOR FUCK SAKE vier Menschen und ihre Suchterkrankung portraitiert. Warum in dem Werk trotz des düsteren Themas auch Hoffnung steckt, wie man ein so persönliches Thema richtig anfasst und wie das Album der international besetzten Band in der Pandemie entstanden ist, berichten Daniel, Tommy und Sebastian im Interview.
Danke, dass ihr euch Zeit für dieses Interview genommen habt. Alles OK bei euch?
Daniel: Vielen Dank für dein Interesse! Und um die Frage zu beantworten, die Definition steht natürlich im Schatten der Pandemie … aber ja, ich würde sagen, es ist OK! Ich schätze, dass zumindest wir Schweden in der Band nicht die gleichen Konsequenzen in Form von Lockdowns und Einschränkungen erlebt haben wie der Rest der Welt, aber ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass wir von der Situation nicht erschöpft sind. Besonders als international besetzte Band.
Schweden ist in der Pandemiebekämpfung lange einen Sonderweg gegangen, auf den die ganze Welt geschaut hat. Wie ist die Situation bei euch?
Daniel: Es ist schwierig, das kollektive Pandemiegefühl, das gesellschaftliche Mitfiebern auf den Punkt zu bringen. Alles ist einfach weitergegangen wie immer, aber gar nicht wie immer. Es liegt fast so etwas wie eine filmische, Lars-von-Trier-artige Tonalität über deinem Alltag. Man ist hin- und hergerissen zwischen dem, was die Gesellschaft von einem erwartet und wozu sie dich ermutigt. Was in neun von zehn Fällen widersprüchlich ist. Aber ich glaube, dass unser Weg die Moral und die Zuversicht im Kollektiv gestärkt hat. Auch das Verantwortungsbewusstsein der Menschen als Individuen hat zugenommen und zwar weltweit, glaube ich.
Wie ist bei euch die Situation von Künstlern und Selbstständigen? Bekommen Künstler bei euch ausreichend Nothilfen ausgezahlt, und betrifft euch das als wohl „nur“ nebenberufliche Musiker auch?
Daniel: Für die meisten Bandmitglieder ist Musik eine Leidenschaft, ein kreativer Ausdruck. Keiner von uns ist finanziell davon betroffen, wie Corona die Musikindustrie verändert hat, also ist alles, was jetzt folgt, eine Art „Hörensagen“ …
Aber Kultur ist in in unserer Gesellschaft leider immer der Kanarienvogel in der Kohlengrube. Die Debatte war heftig und die Unterstützung hat wahrscheinlich nicht ausgereicht, damit hauptberufliche Künstler wie gewohnt weiterleben können. Und es leiden ja nicht nur die Künstler darunter, sondern eine ganze Branche, die auf ihnen aufgebaut ist. Die Frage ist, ob man die Verantwortung ganz auf den Staat abwälzen sollte? Bitte versteht mich nicht falsch, Kultur spielt eine größere Rolle in der Gesellschaft, als der Staat oft erkennt. Kultur ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält und unsere Meinungsfreiheit verteidigt und inspiriert. Der Staat muss die Unterstützung leisten, die das kulturelle Leben braucht, um das zu überleben. Das ist keine Frage. Aber man kann auch gut verstehen, dass ein Staat in einer solchen Situation dem Leben der Bürger und anderen Kernaufgaben Vorrang vor einem blühenden kulturellen Leben einräumen muss. Ich glaube, dass die Gesellschaft als Konsument der Kultur eine große Verantwortung hat, sie auf andere Weise als bisher zu unterstützen, damit sie gedeihen kann. Ich meine, zu was für einer Gesellschaft würden wir zurückkehren, wenn es keine Kultur gäbe? Wäre das eine Gesellschaft, die es wert wäre, dafür zu kämpfen, dass wir dorthin zurückkommen? Aus meiner Sicht nicht.
Für euer neues Album könnt ihr so schnell wohl keine Tour spielen, dafür erscheint momentan sehr viel Musik. Glaubst du, das ist ein Nachteil, siehst du die Gefahr, dass das Album „untergeht“?
Daniel: Mit unserer Art zu arbeiten, unserem Storytelling und mit unserer Geschichte als Band mache ich mir keine Sorgen. Allein die Tatsache, dass es uns schon seit fast 20 Jahren gibt und kaum jemand weiß, wie wir aussehen oder wer wir überhaupt sind. Irgendwo glaube ich, dass wir so stark daran glauben, dass die Geschichte, die wir durch die Musik vermitteln wollen, so stark ist, dass sie einen Live-Act, ein Album, eine Generation und sogar SUFFOCATE FOR FUCK SAKE selbst überleben wird. Wir machen Musik, weil wir etwas ausdrücken wollen und nicht, um in Erinnerung zu bleiben. Solange das das Ziel unserer Kreativität ist, werden wir uns wahrscheinlich keine Sorgen machen, dass das Album vergessen wird.
„Fyra“ ist euer viertes Album, aber auch vierteiliges Konzeptalbum – was war zuerst da, das Bewusstsein um das Jubiläum oder die Idee zu dem Albumkonzept?
Daniel: Dass zwei unserer Mitglieder seit über zehn Jahren mit kreativem und konzeptionellem Marketing arbeiten, könnte diese Frage beantworten? (lacht) Nein, aber was zuerst kam, war wie immer das Albumkonzept. Die Geschichte steht immer im Vordergrund. „Fyra“ kam als Bonus. Leeres Tor. Leichtes Ziel – leichter Sieg, etc.
Auf „Fyra“ werden vier Personen – Mikael, Mia, Adam und Martina – portraitiert, anhand von eigenen Texten und Sample-Ausschnitten aus einem Podcast. Ihr dankt diesen Personen im Booklet, ich gehe also davon aus, dass es sie wirklich gibt. Wie seid ihr an diese Menschen herangetreten, wie habt ihr sie überzeugt, dass es eine gute Idee ist, über ihr Schicksal ein Metal-Album zu machen?
Tommy: Wir haben diesen Podcast “ Beroendepodden“ entdeckt, als Mikael, der ein alter Freund von mir ist, in dem Podcast mit seiner Geschichte auftauchte. Wir haben dann die anderen über den Podcast kontaktiert und sie mussten überhaupt nicht überzeugt werden. Sie fanden es einfach gut, dass ihre Geschichte verbreitet wurde, damit sie anderen helfen kann, und sei es nur einer Person.
Hattet ihr über das eher passive Podcast-Hören hinaus Kontakt zu den vier, habt ihr das Konzept mit ihnen abgestimmt?
Tommy: Nun, mit Mikael waren wir in Kontakt und nachdem wir seine Geschichte gehört hatten, war das Konzept geboren. Dann haben wir die anderen Geschichten gefunden, die in das Konzept passen und haben alles mit Annelie und Thomas vom Podcast „Beroendepodden“ koordiniert.
Hattet ihr noch andere Kandidaten, die nicht wollten, dass ihre Stimmen auf einem Album zu hören sind, oder waren die vier eure erste Wahl?
Tommy: Nein. Sie waren alle die erste Wahl. Die einzige Regel, die wir bei der Suche nach den richtigen Geschichten hatten, war, dass es vier verschiedene Arten von Sucht zeigen sollte.
Thematisch ist das ein sehr forderndes, ernstes Konzept – wie seid ihr generell auf die Thematik gekommen, was hat euch daran fasziniert?
Daniel: Jeder hat wahrscheinlich in irgendeiner Weise eine unfreiwillige Beziehung zum Thema Sucht – ob nun als Süchtiger, als Angehöriger, Verwandter, Freund, etc. Sucht hat viele Opfer, das geht weit über die direkt Betroffenen hinaus. Hinzu kommt die Zwiespältigkeit der Angelegenheit. Die meisten Menschen erleben in vielen Bereichen des Lebens einen inneren Kampf, der ihnen aber nicht gefährlich wird. Wir stehen jeden Tag ab dem Aufwachen vor Entscheidungen und Aufgaben. Der Weg steckt also in gewisser Weise in jedem von uns, während die Natur polar entgegengesetzt ist. Es ist ein schmaler Grat … So wie das Gute in jedem Menschen steckt, so lauern auch die Schattenseiten.
Was wollt ihr, weitergedacht, mit dem Album ausdrücken oder mitteilen, mit welcher Intention widmet man sich einem solchen Themenfeld?
Daniel: Die Perspektive der Süchtigen in ihrem Kampf zu wählen, mag in vielen Plattformen ein Tabu gewesen sein. Die Gesellschaft neigt dazu, das Thema mit Scham zu belegen, während sie gleichzeitig indirekt dazu beiträgt. Es ist ein Kampf, und zwar ein innerer Kampf für jeden Betroffenen. Natürlich rechtfertigt oder entschuldigt nichts schädliches Verhalten, aber wir wollten ihre Geschichten beleuchten, um Transparenz zu vermitteln und den Blick auf das Thema zu öffnen. Eine Form von Verständnis aufbringen und zum Dialog beitragen, um konstruktive Standpunkte für den Zuhörer zu finden. Vor allem aber vermitteln, dass es möglich ist, das durchzustehen … dass man nicht alleine ist, egal auf welcher Seite der Sucht man steht: Auf der Außenseite, nach innen schauend, oder auf der Innenseite, mit dem Blick nach draußen.
Siehst du „Fyra“ insgesamt eher als positives oder als negatives Album?
Daniel: Man kann kaum sagen, dass die Platte einen positiven Ton oder Spirit hat, eher, dass sie von zwiespältiger Natur ist, so wie alles andere im Leben auch. Aber ich würde sagen, dass es, wie alle unsere Kreationen – mit Ausnahme von „In My Blood“ -, eine Odyssee ist, die hoffnungsvoll endet. Wir beginnen in der Dunkelheit und steuern auf das Licht zu? (lacht)
Wie seid ihr das Ganze dann Musikalisch angegangen – habt ihr die Songs zu den jeweiligen Text-Parts geschrieben, oder komplett entkoppelt davon, und erst später eingepasst?
Daniel: Unser kreativer Prozess lässt sich wohl wirklich in drei Stufen einteilen. Zunächst einmal schütteln wir eine Menge Songfragmente heraus, die wir dann wie ein großes Puzzle zusammensetzen, wobei einige Teile herausstechen und einige wegfallen. Bei diesem Puzzle zeigt sich meist eine Richtung, an die wir dann ein Thema und einen Klang anpassen. Der zweite Schritt im Prozess besteht darin, die Geschichte zu finden und in die Songs zu integrieren, Texte zu schreiben, alles aufzunehmen und die „richtigen“ Songs fertigzustellen. Schließlich komponieren wir die ganze Atmosphäre, um die Tonalität des gesamten Albums zusammenzunähen. Man kann also sagen, dass die Musik zuerst kommt, aber dass die Geschichte in den Schreibprozess integriert wird.
In eurem Genre hätte sich auch niemand über ein Album mit 20-30 Minuten Gesamtspielzeit gewundert – man denke an die Werke von Touché Amoré und Konsorten. Ist ein 80-Minuten-Album in Zeiten, in denen die Aufmerksamkeit vieler Leute kaum noch für einen ganzen Song reicht, nicht komplett verrückt?
Daniel: (lacht) Ein ganzer Song? Manchmal kann ich mich kaum auf mehr als vier Takte konzentrieren! Nein, Spaß beiseite … wie ich bereits erwähnt habe, basiert unser Ansatz darauf, dass wir eine starke Geschichte erzählen wollen, anstatt zu versuchen, den einen perfekten Song zu schreiben, und das ist genau die Art und Weise, wie wir uns als Band entschieden haben, den kreativen Prozess anzugehen! Aber … ja … ich persönlich bin genauso rastlos wie alle anderen, wenn es um neue Eindrücke und Quellen der Inspiration geht. Wir sind so unglaublich dankbar für jeden, der uns tatsächlich 80 Minuten seiner Zeit schenkt!
Ich habe irgendwann angefangen, die Kapitel separat zu hören. Ist das aus künstlerischer Sicht ein Frevel? Anders gefragt: Wie zusammengehörig sind die vier Parts untereinander, und wie zwingend ist die Reihenfolge Mikael, Mia, Adam und Martina? Siehst du das Album tatsächlich als 80-Minuten-Opus oder eher als vier Parts à 20 Minuten?
Daniel: Das liegt wahrscheinlich im Auge des Betrachters. Ich sehe es aber als ein Opus in vier Sätzen. Aber ich denke, jeder Teil hat seinen eigenen Charakter und sie hätten auch gut als vier EPs veröffentlicht werden können, statt als ein Album. Ich habe ja die These, dass wir unterbewusst einfach gerne Intros und Outros schreiben … und so hatten wir die Möglichkeit, das gleich viermal auf einer Platte zu tun!
Ihr habt zu den vier „Lastern“ der Protagonisten sogar eigene „Logos“ kreiert, die verknüpft das Motiv auf dem Cover ergeben – wie wichtig sind euch solche Details, und was gibt das dem Album aus eurer Sicht?
Daniel: Ich weiß nicht … für den Hörer ist es vielleicht nicht so wichtig, wie es für uns immer ist. Aber das entspringt der gleichen Quelle der Kreativität wie der musikalische Teil des Prozesses. Wenn wir Dinge sehen, die hinzugefügt werden können, um der Botschaft einen intensiveren Eindruck zu geben – warum es nicht tun? Aber um die Logos als Beispiel zu nehmen: Ikonografie hat eine starke Symbolkraft, und was wir visuell veranschaulichen wollen, ist, dass sie miteinander verbunden sind. Ihre Wege haben ihre eigene Vergangenheit, aber alle haben die gleichen Ziele und vor allem den gleichen Kampf. Es ist fast wie eine verschlungene multidimensionale Reise.
Ein solches Gesamtkunstwerk, bei dem vom Layout über die Songs bis zum Textwerk alles ineinandergreift, ist ein beachtliches Stück Arbeit. Gab es auch Phasen, in denen euch das Projekt über den Kopf zu wachsen drohte und euch eingeschüchtert hat – und wie erleichtert und erschöpft seid ihr jetzt, wo es draußen ist?
Sebastian: Um ehrlich zu sein, war das rückblickend ein Kinderspiel im Vergleich zu unseren vorherigen Alben. Vor allem der musikalische Aspekt davon. Wir haben eine Geschichte als lichtscheue Geschöpfe, die nicht von der Bühne angezogen wurden. Ich meine … unsere erste Probe für eine Live-Show (und auch unsere ersten Live-Shows überhaupt) haben wir zwei Jahre vor der Corona gemacht. Davor war SUFFOCATE FOR FUCK SAKE eine reine Studioband. Die Injektion, als SUFFOCATE FOR FUCK SAKE „die Welt kennengelernt“ zu haben, hat uns wahrscheinlich die Muse für dieses Album finden lassen. Aber natürlich hat es sich schwer und kaum greifbar angefühlt, das tut es immer. Wenn man jetzt die Kommentare und Posts von Leuten liest, die das neue Album wirklich mögen, ist das eine unglaubliche Motivation, an neuem Material zu arbeiten.
Wie geht es jetzt weiter? Macht ihr jetzt erstmal kreative Pause, geh es direkt weiter mit den Arbeiten am nächsten Album oder plant ihr anderweitige Aktivitäten, etwa eine Streamshow oder dergleichen?
Sebastian: Es fliegen eine Menge Ideen herum. Wir hatten ein paar Live-Shows für dieses Jahr bestätigt, aber aufgrund der anhaltenden Pandemie wurden alle wieder verschoben … einige davon sollten bereits 2020 stattfinden. Ich würde sagen, wir sind schon wieder in einer Art kreativem Prozess. Wir sprechen bereits über verschiedene Dinge und neue Inspirationen, die vielleicht in einer neuen Veröffentlichung enden könnten, aber es ist noch ein langer Weg bis dahin. Wir denken auch an andere Aktivitäten wie die erwähnten Streaming-Konzerte, aber da wir alle so weit voneinander entfernt wohnen, ist das für uns nicht so einfach zu realisieren.
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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