Manchmal macht die Technik, was sie will – man kauft sich nach einem verlorengegangenen Interview gutes Equipment, erprobt es einmal erfolgreich und nimmt und eine kleine Änderung vor, und schon geht ein zweites Interview flöten. Nachdem schon ein schönes Interview mit Turisas dran glauben musste, erwischte es nun das Gespräch mit Rich Ward von STUCK MOJO; aus dem, was sich in meinen Hirnwindungen festsetzte, rekonstruierte ich, was ihr nun lesen könnt – Rich Ward plauderte ausgelassen über Selbsterkennung, die ersten Schritte mit der Band und Mädchen mit großen Hintern.
Gerade haben Volbeat ihr Set beendet, da befinde ich mich auch schon im Strom von Menschen, der die Große Freiheit 36 verlassen will – gab es nicht mal ein Video von Metallica, in dem James Hetfield sich durch zahllose Anzugträger zu kämpfen versucht? Genau so fühlte ich mich auch. Nach diesem Kampf und dem zweiten Schrei-Telefonat mit STUCK MOJOs Tourmanger Toby „Toad“ Robinson leitet mich selbiger schließlich in die Katakomben der Großen Freiheit. Rich Ward, seineszeichens Gitarrist und Zweitsänger von STUCK MOJO, schließt gerade ein Interview mit einem anderen Gitarristen ab, sodass es noch einen Moment (inklusive Handschlag mit Lord Nelson, dem ziemlich großen Vocalisten der Band) dauert, bis er mich schließlich empfängt. Schnell wird klar: Rich ist ein Sympathiebolzen ersten Grades – obwohl er vorhin noch eine Dreiviertelstunde lang auf der Bühne das Letzte aus sich rausholte, empfängt er mich bestens gelaunt und bietet mir sogar den bequemen ledernen Sessel anstatt des harten Holzstuhls an.
Nach kurzen technischen Vorbereitungen (schon hier zeigt Rich sich sehr interessiert und erkundigt sich nach dem Grund, warum ich so einen Aufwand betreibe) kann es schließlich losgehen, und es zeigt sich, dass Rich Ward nicht auf den Mund gefallen ist; schon zur ersten Frage, wie ihm denn die Show gefallen habe, gibt er mir mehrminütig Antwort. Es gefiel ihm hervorragend; dies war bereits sein sechster Besuch in Hamburg. „Jedes Mal, wenn wir hier spielen, sehen wir mehr bekannte Gesichter – und jedes Mal ist es schöner, denn immer wenn wir herkommen, sehen wir mehr Freunde wieder. Und das ist eigentlich auch das Beste am Touren: Neue Leute zu treffen, zu sehen, wie andere Menschen die Dinge handhaben – man kann immer etwas dazulernen.“ Auf die Frage hin, wie sie denn mit Volbeat zurechtkommen, sagt er: „Das sind wahrscheinlich die besten und nettesten Kerle, mit denen wir je getourt haben, und ihre Musik ist großartig!“
„Man muss sich selbst erkennen“
Da nach meinen Erfahrungen extrem viele Metalheads eine starke Abneigung gegen Rap und Hiphop haben, frage ich Rich nach diesbezüglichen Erfahrungen auf der Bühne, wenn sich Teile des Publikums wegdrehen oder den Saal verlassen. „Ja, natürlich hatten wir sowas schon“, sagt Rich, relativiert jedoch sogleich: „Aber wie könnten wir so arrogant sein zu verlangen, dass jeder uns zuhört? Wie könnten wir sagen: Hey, wir sind hergekommen um für euch zu spielen, jetzt hört uns gefälligst zu? Die Geschmäcker sind verschieden, und wir können nur jedes letzte Gramm Schweiß geben und hoffen, dass es den Leuten gefällt. Und weißt du, so ist es eigentlich mit allem. Das Problem in dieser Welt ist, dass die Leute sich mit immer sprichwörtlich mit Steinen bewerfen und beschimpfen.“ „Toad“ Robinson ist inzwischen zu uns gestoßen und lauscht dem Interview schweigend, doch Rich bezieht ihn gleich mit ein: „Unser Tourmanager Toad hier zum Beispiel glaubt, dass die Erderwärmung zur hundert Prozent auf das Konto des Menschen geht. Wenn ich jetzt sagen würde, dass ich das nicht glaube, sondern dass auch natürliche Phänomene daran schuld sind, könnte er mit dem Finger auf mich zeigen und sagen: DU bist ein Erderwärmungsverleugner! Und dann würde ICH denken: Woah, ich will nicht, dass mich jemand so nennt – und deshalb in Zukunft die Klappe halten.“ (Immer wieder untermalt Rich seine Aussagen mit ausholenden Gesten und wirkt wirklich interessiert und voll bei der Sache.) „Es gibt übrigens auch einen wichtigen Unterschied zwischen einem Rassisten und einer Person mit Vorurteilen: Der Rassist hält sich aufgrund seiner Hautfarbe oder was auch immer für überlegen – und dieser Unterschied wird oft ignoriert.
Das wichtigste ist, dass man sich selbst erkennt. Weißt du, unser Vocalist ist schwarz, und es gibt einige Leute, die damit vielleicht ein Problem haben, und einige könnten ihn sogar beschimpfen, aber wir würden einfach sagen: Scheiß auf diese Leute, und auch er würde sagen: Scheiß auf diese Leute! Denn er weiß, wer er ist, und er ist sehr selbstsicher. Wenn du solchen Leuten keine Beachtung schenkst, halten sie sehr schnell die Schnauze.“
„Jetzt müssen wir noch mehr Leute zu unseren Gigs kriegen als unsere Freundinnen!“
Auch STUCK MOJO haben mal klein angefangen – Rich hat das nicht vergessen und antwortet auf die Frage, ob er bei der ersten Probe mit der Band (das war immerhin schon 1989) gedacht hätte, dass er jemals um die Welt touren und ein ganzes Genre mitdefinieren würde: „Nein, überhaupt nicht!“, und zählt auf: „Zuerst war unser Ziel: Genug Material für einen Gig zusammenkriegen! Als wir das geschafft hatten: Jetzt müssen wir einen Gig kriegen! Dann war auch das geschafft, und wir dachten: Jetzt müssen wir noch mehr noch mehr Leute zu unseren Gigs bekommen als unsere Freundinnen!“ Rich lacht ungezwungen und scheint, ganz im Gegensatz zu einigen seiner Berufskollegen, richtig Spaß an Interviews zu haben. Zwischendrin bringt ein Roadie drei große Pizzakartons herein. „Und so ging das immer weiter – wir dachten nie um die Ecke, sondern immer nur in ganz kleinen Schritten. Plötzlich waren wir die größte Band in Atlanta und dachten uns: Vielleicht sollten wir uns einen Plattendeal organisieren! Tja, und so lief das.“
Ich hatte erst am vorigen Montag STUCK MOJOs neuestes Album „Southern Born Killers“ gehört – auf diesem Album findet sich mit „For the Cause of Allah“ ein Track, der nur aus Sprachsamples und dramatischer Beat- und Geigenuntermalung besteht. Rich erklärt mir auf meine Frage hin den Ursprung der Sprachsamples: „Das ist ein Telefoninterview mit einem ehemaligen PLO-Terroristen, der auch an terroristischen Überfällen auf Israel teilnahm und all sowas. Ihm war von Kindesbeinen an islamistische Propaganda eingeimpft worden, sodass er wirklich fanatisch war. Dann flog er einmal mit dem Flugzeug und saß dabei zufällig neben einer jüdischen Frau. Die beiden kamen ins Gespräch, und auf einmal erkannte der PLO-Terrorist: Mann, alles, was man mir gesagt hat, war gelogen! Es war alles Propaganda gewesen. Daraufhin stieg er aus der PLO aus begann ein neues Leben. Ich fand das sehr faszinierend, und es passte sehr gut aufs Album.“
„Gangbang, Mädchen mit großen Ärschen und Goldzähne“
Ich spreche Rich ein großes Lob für das Album aus und erzähle ihm, dass mich daran besonders fasziniert hat, dass es stellenweise richtig episch ist – eine Eigenschaft, die ich zuletzt mit irgendetwas in Verbindung bringen würde, das Rap enthält. Er nickt eifrig und sagt auf meine Frage hin, ob das so geplant war: „Ja, absolut! Ich liebe es episch. „The Sky’s Falling“ hat ja diese Weltuntergangsstimmung, und auch bei Open Season ist sehr viel Atmosphäre drin mit dem marschartigen Gitarrenrhythmus. Weißt du, das Ziel der Musik ist es ja, die Botschaft der Texte zu vermitteln, und das ist meine Aufgabe als Songschreiber – du brauchst eine „Landschaft“ um deine Texte herum, um ihnen wirklich Gehör zu verschaffen. Und deshalb ist auch der Hiphop heutzutage so schlecht – die singen nur über Gangbang, Mädchen mit großen Ärschen und Goldzähne.“ Wieder ein offenes Lachen. „Es ist einfach nur leer, und so ist dann auch die Musik. Unser nächstes Album, das Anfang 2009 kommen soll, wir übrigens noch viel epischer ein, viel mehr in die „die Texte rüberbringen“-Richtung gehen.“
Nun mischt sich der Tourmanager Toad Robinson doch mal ein – um uns auf die Zeit aufmerksam zu machen: Wir haben fast schon eine halbe Stunde geschwatzt, und die Bands müssen langsam das Gebäude räumen. Es ist nur noch Zeit für eine Frage, und aufgrund der Aktualität entscheide ich mich für die Gretchenfrage: Wer ist Richs bevorzugter US-Präsidentschaftskandidat? „Ich habe da keinen wirklichen Favoriten. Beide haben ja viel für die USA getan. Obama hat hier viel vor Ort gemacht; McCain ist ein Kriegsheld – er war in Vietnam fünf Jahre in Gefangener und wurde dort gefoltert, aber er ließ sich nicht freikaufen, weil er seine Männer nicht im Stich lassen wollte. Das Problem bei Obama ist, dass man nicht wirklich weiß, was er als Präsident tun wird – bei fast jeder Abstimmung im Senat hat er sich enthalten, daher ist unklar, wie er als Präsident wirklich entscheiden wird, das ist schon etwas gruselig. Aber er wird wahrscheinlich unser neuer Präsident, und für mich ist das okay.“
Damit endet das Interview – Rich bedankt sich herzlich, auch für das Mitbringen des guten Interview-Equipments (welch Ironie, wie sich später noch herausstellen sollte). Zusätzlich versorgt er mich noch mit einer Flasche Wasser und einem Stück Pizza, und auf dem Heimweg stelle ich fest, dass Rich Ward ein unheimlich offener und bodenständiger Musiker ist – und wohl bisher der sympathischste Mensch, den ich interviewen durfte.