Interview mit Patrice Roques von Stille Volk

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Folk-Musik wird üblicherweise mit genügsamen, simplen Kompositionen in Verbindung gebracht. Auf ihrem aktuellen Album „Milharis“ geht die französische Pagan-Folk-Formation STILLE VOLK allerdings einen anderen Weg und scheut demnach nicht vor opulenten Arrangements zurück. Warum Multi-Instrumentalist Patrice Roques die neuen Songs dennoch nicht für überladen hält, was es mit den mythologischen Hintergründen der Platte auf sich hat und weshalb die vermeintliche grammatikalische Ungenauigkeit im Bandnamen durchaus gewollt ist, erfahrt ihr unter anderem im folgenden Interview.

Es haben euch sicherlich schon viele darauf angesprochen, dass euer deutscher Bandname STILLE VOLK grammatikalisch etwas ungenau ist. Habt ihr schon mal in Betracht gezogen, euch umzubenennen – und sei es bloß, um nicht mehr danach gefragt zu werden?
Wir wussten von Anfang an, dass es grammatikalisch ungenau war, weil der Deutschlehrer an meiner Mittelschule mich darauf hinwies.
Dabei muss allerdings erwähnt werden, dass „Stille Volk“ ein richtiger Name ist: Es ist der Name eines Volkes von Troglodytenelfen aus der deutschen Mythologie, den wir in Dubois‘ „Enzyklopädie der Elfen“ gefunden hatten. Es gibt da also kein Grammatikproblem.

Ihr spielt grundsätzlich Folk-Musik, allerdings gibt es innerhalb des Genres unterschiedliche Herangehensweisen, wie etwa Empyrium, Tenhi und Sangre De Muerdago zeigen. Was ist deiner Ansicht nach das Besondere an STILLE VOLK, das euch von anderen Folk-Bands abhebt?
Du hast völlig Recht, Folk ist wie Metal, sehr abwechslungsreich mit verschiedenen Subgenres: Ob Autopsy oder Dokken, Anal Cunt oder Bon Jovi, beide gehören jeweils zum Genre der Metal-Musik, sind aber aufgrund ihrer Eigenschaften sehr unterschiedlich. (lacht)
Ich denke, wir haben unseren eigenen Stil aus verschiedenen Gründen: Erstens kommen wir in der Band alle aus dem Extreme Metal, nämlich Death Metal und Black Metal, was es uns ermöglicht, uns mit den Folkinstrumenten auf originelle Weise auseinanderzusetzen. Dann bringt die Besonderheit unserer okzitanischen Kultur, aus den Pyrenäen, zwangsläufig eine Originalität in unsere Musik: Wir haben nicht versucht, norwegische und schwedische Bands zu kopieren, und wir haben von Anfang an schon im Jahr 1994 nach Originalität gesucht (jedenfalls hat vor unseren Anfängen im Jahr 1994 niemand heidnische Musik gespielt!). Schließlich haben wir versucht, originelle heidnische Konzepte aus unserer eigenen Kultur, aber auch aus verschiedenen anderen Kulturen wie etwa dem Pan-Archetyp auf „Le Satyre Cornu“ zu entwickeln.

Zuvor habt ihr eure Alben größtenteils über Holy Records herausgebracht, mit eurem neuen Album „Milharis“ seid ihr nun vollends zu Prophecy gewechselt. Was hat euch dazu bewogen?
Es stellte sich heraus, dass unser Vertrag mit Holy Records abgelaufen war und dass „Pèira Negra“ unser letztes Album mit ihnen war. Seit 2014 waren wir also ohne Vertrag und ohne Plattenfirma.
Das war alles mehr oder weniger vorbei, als wir 2016 am Hellfest spielten. Wie sich herausstellte, war Martin von Prophecy Productions auch für Empyrium und The Vision Bleak da und er sah uns vor fast 10.000 Menschen auf der Bühne stehen, ein Konzert, das perfekt für uns war.
Also haben wir einen Termin mit Philippe von Holy Records und Martin vereinbart und uns mündlich auf eine zukünftige Zusammenarbeit zwischen STILLE VOLK und Prophecy Productions geeinigt, eine Zusammenarbeit, die uns sofort verführte, weil sie uns völlige Freiheit über alles gab: Kunst, Planung…

In euren frühen Jahren habt ihr recht schnell neue Alben veröffentlicht, inzwischen liegen bei euch schon mal fünf Jahre zwischen zwei Platten. Was sind die Gründe für diese längeren Intervalle zwischen den Veröffentlichungen?
Ganz einfach, weil wir jetzt alle einen Job und Kinder haben und außerdem nehmen wir unsere Musik zu Hause auf, was uns erlaubt, die neuen Songs zu verfeinern und wirklich professionelle Demos zu machen, bevor wir die vollendeten Songs aufnehmen.
In dieser schnelllebigen Welt nehmen wir uns einfach immer mehr Zeit!

Inwiefern habt ihr euch deiner Ansicht nach seit eurer letzten Veröffentlichung als Musiker weiterentwickelt?
Seit unseren Anfängen machen wir unser Ding mehr oder weniger auf die gleiche Weise. Aber im Laufe der Zeit wurden wir wahrscheinlich besser darin, die Songs zu arrangieren, sie kraftvoller oder emotionaler zu machen, und vor allem wissen wir, wie man die richtigen Instrumente zur richtigen Zeit benutzt und die Songs nicht allzu sehr überfüllt.

Wenn du auf eure Diskographie zurückblickst, welches eurer Alben war deiner Ansicht nach das bedeutsamste für eure Entwicklung als Band?
Wie es bei vielen Bands der Fall ist, denke ich, dass das Album, das die meisten Emotionen in mir auslöst, das erste Album „Hantaoma“ ist, das 1997 veröffentlicht wurde: Es enthält viele Unvollkommenheiten, eine gewisse Naivität, aber wir waren jung und zu der Zeit hatten nur wenige Bands die Möglichkeit, Platten zu veröffentlichen. Wir waren musikalische UFOs, die bei einem Metal-Label, Holy Records, unter Vertrag standen. Darüber hinaus gibt es viele Erinnerungen, die mit dieser Aufnahme verbunden sind, insbesondere die Fotos, die unter extremen Bedingungen, aber in fantastischen Landschaften aufgenommen wurden, und die Aufnahmen: Wir beschlossen, dieses Album in den Pyrenäen in einem Studio aufzunehmen, das in einer Scheune mitten im Wald eingerichtet wurde. Wir wussten, dass der Toningenieur und das Setting uns nur inspirieren konnten. Wir übernachteten in einem Wohnwagen neben diesem Studio bei kaltem Wetter, wir waren dort die einzigen Camper! Die Aufnahmesessions waren fantastisch, der Toningenieur war immer motiviert, all unsere abenteuerlichsten Wünsche zu erfüllen, wie etwa jenen, um drei Uhr morgens mit den Kabelmessgeräten rauszugehen, um die Geräusche des Waldes aufzunehmen, die in „Esprits Des Bois“ zu hören sind. Alle Sounds auf dieser Disc sind garantiert 100% natürlich!

Sehr vereinzelt setzt ihr auch harte Metal-Elemente ein. Was bewegt euch dazu, genau in diesen Abschnitten wie etwa auf „Parmi Les Monts Oubliés“ den Härtegrad anzuheben?
In der Tat kann man hier von einer lebendigen Hommage an Bathory sprechen. (lacht) Es hängt tatsächlich alles von der Stimmung des Songs ab: Wir wissen mittlerweile instinktiv, welche Emotionen in einem Track enthalten sein sollten, und wir haben die Erfahrung und das Know-How, diese unterschiedlichen Stimmungen aufzunehmen.

In euren Songs passiert meist recht viel, obwohl im Folk eher genügsame Kompositionen üblich sind. Müsst ihr euch manchmal etwas zügeln, um die Songs nicht zu überladen werden zu lassen?
Du hast völlig Recht. Wir spielen viele Instrumente (ich habe ein Dutzend zu Hause) und können schnell mal in die Falle tappen, die Instrumente zu überladen einzusetzen, was wir in der Vergangenheit oft getan haben.
Aber seit „Maudat“ begannen wir, unsere Songs zu vereinfachen, um die Stimmungen zu variieren, sodass jedes neue Instrument etwas Neues bringt, um die Songs viel effektiver zu machen.
Es hängt eigentlich davon ab, welchen Ton wir in jedem Album zum Ausdruck bringen wollen. „Nueit De Sabbat“ war im Gegensatz zu „Maudat“ viel mehr mit Instrumenten gefüllt, weil wir eine orgiastische Atmosphäre im wahrsten Sinne des Wortes wollten.
Deshalb ist „Milharis“ viel raffinierter, weil die Atmosphäre melancholischer und tragischer ist und sich die Frage der Überlastung der Songs gar nicht gestellt hat.

Auf der anderen Seite habt ihr mit „Dans Un Temps Quite N‘A Pas D‘Histoire…“ und „Neige Que Versa Le Ciel Noir…“ zwei minimalistische Zwischenspiele auf eurem neuen Album. Welcher Gedanke steckt hinter diesen beiden Einschüben?
Am Anfang sollten diese beiden Tracks eigentlich das Intro und der Outro sein, aber es erschien uns sehr interessant, sie zu vollwertigen Titeln zu machen, um den Eindruck von Schwere und Tragödie zu erwecken, den sie mit sich bringen: Wir sind hier wirklich in der chimärenhaften Welt von Milharis.

Ich nehme an, dass eure Songs mitunter daher verschieden klingen, da sie unterschiedliche Geschichten erzählen oder Themen behandeln. Wie läuft bei euch der Prozess ab, die Texte mit der Musik in Einklang zu bringen?
Ich denke, das geschieht sehr instinktiv. Ich meinerseits konzentriere mich auf die Spontaneität und den blendenden Charakter von Ideen. Oft werden die Texte vor der Musik geschrieben und wenn wir komponieren, machen wir uns keine Gedanken darüber, welcher Text zu welcher Musik passt. Sobald die Musik komponiert ist, schauen wir uns jedoch die Liste der Texte an, die am besten zur Musik passen könnten.

Auf „Milharis“ besingt ihr die gleichnamige mythologische Figur, die mit den Ursprüngen der Pyrenäen in Verbindung gebracht wird. Wie bist du erstmals mit dieser Sagengestalt in Berührung gekommen?
Sehr einfach: Als ich mich für die Mythologie der Pyrenäen zu interessieren begann (vor der Internet-Ära (lacht)), ging ich in die Bibliothek meiner Stadt und es gab ein kleines Buch namens „Les Légendes des Pyrénées“, in dem dieser Mythos von Milharis und dem ersten Schnee transkribiert wurde!

Könntest du kurz erläutern, was es mit dem Mythos von Milharis auf sich hat?
Tatsächlich ist dieser Mythos einer der Schöpfungsmythen der zentralen Pyrenäen, eine sehr schöne Geschichte, die bis ins 20. Jahrhundert überliefert wurde. Dieser patriarchalische Hirte von 999 oder 909 Jahren (ausgehend von verschiedenen Versionen) ist mit den ursprünglichen Mythen der Pyrenäen verbunden und erinnert an die Ankunft des ersten Schnees auf dem Berg, der zweifellos den Beginn der Christianisierung und damit das Ende des Heidentums symbolisiert. Ich zog diesen Mythos heran und entwickelte ihn weiter, indem ich mir „Milharis“ auch als eine Art „schamanischen Helden“ vorstellte. Ich dachte über die Gedanken dieses Patriarchen nach, über seine Beziehung zur Natur, die Berge, seine Trancen und Beschwörungen, seine Verbindungen zu den Urgöttern der Pyrenäen.
Einige Spezialisten sind der Meinung, dass es sich um einen der letzten Avatare einer ursprünglichen pyrenäischen Kosmogonie handelt, von der nur noch sehr wenige Spuren vorhanden sind.
Dieser Mythos kann auch eine Erklärung für einen Klimawandel sein, der der Berglandwirtschaft ein Ende zu setzen scheint und den Pastoralismus und seine Migrationen einführt, die der Bevölkerung auferlegt wurden, und eine Erklärung für religiöse Veränderungen mit dem Aufkommen des Christentums. Wir wären also noch in der Definition des Mythos als Erklärung der Welt. Die Gesellschaften, die diesen Mythos geschaffen haben, haben die neue Heiligkeit durch die Verwendung der mythologischen Erzählweise sichtbar gemacht.

Der Track „La Mòrt De Milharis“ (zu deutsch „Milharis‘ Tod“) ist in der Mitte des Albums platziert und nicht erst am Ende. Womit setzt ihr euch auf den Folgetracks auseinander, wenn die Hauptfigur der Platte schon auf halbem Wege stirbt?
Die Reihenfolge der Texte ist nicht unbedingt chronologisch, denn wir befinden uns „in einer Zeit ohne Geschichte“. Die Texte wechseln zwischen dem lebenden Charakter, der dann stirbt und in Form eines Mythos zurückkehrt und durch die schamanische Trance in eine andere Dimension entweicht. Es gibt „mehrere“ Milharis, die Figur des Hirten, den mythischen Helden, den magischen Helden. Die Reihenfolge der Texte spiegelt diese verschiedenen Avatare wider.

Auf welche Weise können Mythen für die Menschen deiner Meinung nach auch heute noch von Bedeutung sein?
Zwei Worte: Träumen und verstehen!

Wie sehen eure weiteren Pläne für STILLE VOLK aus? Werdet ihr „Milharis“ vielleicht auch in einem Live-Setting darbieten?
In naher Zukunft spielen wir beim Motocultor Festival am 15. August mit Corvus Corax, Alan Stivell, Eluveitie und der keltischen Oper Excalibur.
Dann werden wir uns auf unsere Nebenprojekte konzentrieren (die Feier von L’homme Sauvage im September und mein okkultes Death-/Black-Projekt namens Aurost).
Für das nächste Konzert planen wir, drei neue Songs zu spielen.

An dieser Stelle würde ich mit dir gerne noch ein kurzes Brainstorming durchgehen. Was fällt dir zu den folgenden Begriffen ein?
Bergsteigen: Nicht für mich!
Klimakrise: Eine menschliche Tragödie, die durch menschliche Dummheit verursacht wurde.
Tradition: Gut und schlecht
Elektronische Musik: Wahrscheinlich sehr gute Sachen, aber mir völlig unbekannt.
Prophecy Fest: Schön und originell an einem großartigen Ort. Ich hoffe, wir können dort bald mal spielen.
Kitsch: Kenn ich nicht. (lacht)

Nochmals danke für dieses Interview. Falls du noch ein paar abschließende Worte an die Leser richten möchtest, kannst du das hier gerne tun:
Vielen Dank für das Gespräch. Wie ich bereits sagte, hat uns Deutschland seit unserer Gründung immer besonders willkommen geheißen. Ich hoffe, es wird so bleiben!

Publiziert am von Stephan Rajchl

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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