Interview mit Lou Koller von Sick Of It All

SICK OF IT ALL zählen zurecht zur Speerspitze des New Yorker Hardcores. Mit ihrem mittlerweile 13. Album „Based On A True Story“ beweisen die US-Amerikaner, dass man sie noch lange nicht abschreiben darf. Mit Sänger Lou Koller sprachen wir über die neue Scheibe, den Wandel der Hardcore-Szene und darüber, warum SICK OF IT ALL nicht Oasis sind.

Tag Lou. Wie steht die Kunst?
Alles bestens, danke dir!

Du hast es ja gerade noch geschafft, rechtzeitig zurück in die Staaten zu kommen, bevor so viele Flüge gestrichen wurden.
Ja, Mann – da haben wir ordentlich Glück gehabt! Am vergangenen Dienstag sind wir zurückgeflogen, also gerade noch rechtzeitig. Das ist doch echt für den Arsch.

Wie hat dir eure Großbritannien-Tour mit AFI gefallen?
Ja, es war großartig! Wir bekamen ausschließlich positive Rückmeldungen von den Besuchern und vor allem unsere Headliner-Shows waren ein echter Erfolg. Einzig die Venues waren allesamt ziemlich klein – und beschissen heiß, sowas habe ich wirklich noch nie erlebt.

Und wie haben euch die Engländer empfangen? Viele Bands beschweren sich ja gerne über das englische Publikum.
Mit den Besuchern hatten wir eigentlich keine Probleme. Es ist uns aber aufgefallen, dass es viele verdammt junge Besucher gab – höchsten 13 oder 14 Jahre alt. Die sind höllisch abgegangen und es sah so aus, als wären sie wirklich Teil der ganzen Sache. Ansonsten lassen sich aber keine Unterschiede feststellen, denn die Leute, die zu unseren Shows kommen, sind überall die gleichen.

Bisher seid ihr nur für das With Full Force im Juli bestätigt. Sehen wir euch dieses Jahr nochmal in Deutschland?
Klar, auf jeden Fall! Uns gefällt es bei euch immer wieder, deshalb wollen wir unbedingt nochmal zurückkommen. Genau Pläne gibt es bisher allerdings noch nicht, da müsst ihr euch noch ein wenig gedulden.

Ihr habt erst kürzlich eure Südamerika-Tour auf das nächste Jahr verschoben. Was war der Grund dafür?
Sie wurde einfach auf einen ungeschickten Zeitpunkt gelegt. In dieser Zeit bekommt meine Frau nämlich unser erstes Kind und da ist es nur logisch, dass ich währenddessen nicht auf Tour sein will. In Südamerika wären wir für zwei Wochen gewesen – ich will aber nicht mal vier Tage von Zu hause fort sein, also haben wir die Tour auf 2011 verschoben. Ich hoffe, unsere Fans verstehen das.

„Based On A True Story“, euer neues Album, ist wieder ein Glanzstück des New Yorker Hardcores. Hattet ihr dieses Mal eine andere Herangehensweise ans Album oder blieb alles beim Alten?
Nun, wir haben alles genau so gemacht, wie mit „Death To Tyrants“. Wir haben uns Zeit für das Songwriting genommen – viel mehr übrigens als in der Vergangenheit – und uns innerhalb der Band oft über die derzeitigen Vorgänge unterhalten. Außerdem haben wir wieder mit Tue Madsen gearbeitet, der uns auch extrem geholfen hat. Das Geheimnis liegt daran, sich die Zeit zu nehmen. Wenn ich auf die vergangenen Veröffentlichungen zurück blicke, habe ich immer das Gefühl, dass ein paar ziemlich gute Songs auf einem Album sind – der Rest aber viel besser sein könnte. Das wollten wir dieses Mal vermeiden, weswegen wir wirklich nur unsere besten Songs aufs Album genommen haben.

War Tue Madsen wieder eure erste Wahl als Produzent?
Ja, definitiv. Wir wussten schon kurz nach der Fertigstellung von „Death To Tyrants“, dass wir mit dem nächsten Release unbedingt wieder zu ihm gehen wollten. Wenn du mich jetzt fragen würdest, mit welchem Produzenten ich irgendwann in meinem Leben noch zusammenarbeiten möchte – ich würde dir sagen, dass ich den richtigen schon in Tue gefunden habe. (lacht) Er selbst sagte auch, dass er gerne wieder mit uns arbeiten würde.

Allerdings seid ihr dieses Mal nach Dänemark geflogen und habt ihn nicht wieder in die Atomic Studios nach Brooklyn geholt.
Es hat ihm bei uns in Brooklyn zwar gefallen, aber er wollte die neue Scheibe gerne in einem Studio aufnehmen und mixen, mit dem er vertrauter ist. Das Resultat hat wohl bestätigt, dass das eine gute Entscheidung war.

Tue hat die Drums für das neue Heaven Shall Burn-Album in seinem trocken gelegten Swimming Pool aufgenommen. Habt ihr auch mal was Anderes ausprobiert?
(Lacht) Ja, davon habe ich schon gehört! Wir haben mal darüber geredet, ein paar Sachen bei ihm aufzunehmen, entschieden uns dann aber für ein Studio in Kopenhagen!!!!! Er war ziemlich froh darüber, dass wir schon alle Songs komplett fertiggestellt hatten, als wir mit ihm ins Studio gingen. Das hat die Arbeit allgemein ziemlich erleichtert. Vielleicht mussten hier und da mal ein paar Gesangslinien überarbeitet werden, aber ansonsten hat alles gepasst. Aber leider nichts im Swimmingpool (lacht).

Der Song „Death Or Jail“ erzählt von Freunden von euch, die im Gefängnis oder Sarg endeten und aus dem gleichen Umfeld stammen, wie ihr selbst. Was ist der Grund dafür, weswegen es euch nicht genau so erging?
Ich weiß nicht… Es ist wirklich schwer, das zu sagen. Ich will jetzt nicht übertrieben kitschig klingen, aber ich glaube, das verdanken wir der Tatsache, dass wir irgendwie zum Hardcore gekommen sind. Damit hatten wir etwas anderes zu tun, als nur rumzuhängen und in Ärger zu geraten. Irgendwann haben wir die Band gestartet und wurden dadurch vollkommen erfüllt. Das war unser Glück.

Bei „Lifeline“ geht es darum, die Wut und Leidenschaft aufrecht zu erhalten, um sie als Werkzeug für die Erhaltung der eigenen Individualität zu benutzen. Ist es das, was dich zu Lou Koller macht?
Einen Teil meiner Persönlichkeit macht das aus, ganz klar. Ich bin jemand, der sich in der Szene, mit der Musik und der Einstellung noch immer zu 100% identifizieren kann – und bin glücklich darüber. Wenn ein Metalhead, Punk oder was auch immer auf einmal seine Haare abschneidet, einen Anzug anzieht und Anwalt wird, ist das aber genau so okay. Jeder muss tun, was er für richtig hält und solange man sich damit wohl fühlt, ist es in Ordnung. Für mich ist es wichtig, für die Musik zu leben die ich liebe und fühle mich wohl damit, kein fester Bestandteil der Gesellschaft zu sein.

Immerhin liefert sie dir auch genügend Material, über das du dich auskotzen kannst. Fällt es dir mit den Jahren schwerer, derartige Aggressionen auf die Bühne zu bringen?
Ich glaube nicht, dass es ein Problem ist oder jemals werden wird, Aggressionen aufrecht zu erhalten. All die Wut und Aggressionen sind ein fester Teil meiner Persönlichkeit und glücklicherweise komme ich so gut damit klar, dass ich sogar mit ihnen arbeiten kann, indem ich Musik mache. Wenn ich mal nicht mehr wütend über etwas sein kann und mich darüber auskotzen möchte, ist es vorbei. Wir schreiben Musik, zu der man aufstehen muss, die einen bewegt und aggressiv machen soll. Das ist keine Musik, die man sich mit einem Stängel in seinem Appartment anhören kann – man muss rausgehauen, direkt vor die Bühne und die Sau rauslassen.

Ihr wurdet mit dem Tribut-Album „Our Impact Will Be Felt – A Tribute To Sick Of It All“ geehrt. Wann hast du zum ersten Mal von der Idee gehört und was waren deine ersten Gedanken dazu?
Um ehrlich zu sein, war das sogar unsere Idee – aber es war eigentlich nur als eine Art Witz gedacht. Mein Bruder Pete rief rein aus Spaß Igor von Sepultura an und sagte ihm, dass wir ein Tribute-Album machen wollen. Igor meinte sofort: „Wir wollen „Scratch The Surface“ machen!“ Dadurch ziemlich überrascht riefen wir ein paar andere Leute an und fragten, ob sie nicht mitmachen wollten. Das sprach sich ziemlich schnell herum und bald bekamen wir die ersten Anrufe von Bands, die Teil dieses Tribute-Albums werden wollten.

Wenn man sich die Tracklist der Scheibe mal anschaut, habt ihr ohnehin eine beachtliche Menge unterschiedlicher Bands zusammen bekommen.
Das ist etwas, das uns verdammt stolz macht! Pennywise, Rise Against, Sepultura, Napalm Death, Hatebreed und all die anderen Bands irgendwo beeinflusst zu haben, konnten wir gar nicht recht glauben. Deswegen war es großartig, dass sie alle so bereitwillig mitgemacht haben, ja, sogar richtig heiß darauf waren.

Wie siehst du denn Einfluss von SICK OF IT ALL in die Hardcore-Szene und -Musik denn generell?
Das ist schwer zu sagen, weißt du. Bands, von denen ich das niemals erwartet hätte, haben uns gesagt, dass sie durch uns inspiriert wurden, wir einer ihrer Haupteinflüsse seien und wir sie überhaupt erst zur Musik gebracht haben. Uns als „Die Pforte zum Hardcore“ zu bezeichnen, war wohl eines der größten Komplimente, das wir bisher bekommen haben.

Und das mag nicht mal übertrieben sein. Allerdings hat sich seit den 80er Jahren, als ihr SICK OF IT ALL aus dem Boden gestampft hat, einiges geändert.
Ich denke, das ist einer der Gründe, warum wir versuchen, die Werte aufrecht zu erhalten, die bei uns wichtig waren, als wir in die Szene gekommen sind. Die Leute sind viel offener und respektvoller miteinander umgegangen. Das geht heute leider mehr und mehr verloren und manche Bands nutzen das sogar aus. Wut und Aggression sind zwei einfache und leicht heraufzubeschwörende Emotionen, weswegen viele Bands auf der Bühne stehen und ins Publikum brüllen, dass sich jetzt alle verprügeln sollen. Wenn die Menge dadurch aufgeheizt wird und einzelne Leute meinen, dieser Aufforderung nachkommen zu müssen, ist das sehr schade und ziemlich bescheuert. Das ist einfach nicht gut für die Szene.

Ihr schafft es dabei, auf dem schmalen Grad zwischen einer aggressionsgeladenen Show und dem respektvollen Umgang miteinander zu gehen.
Leider nicht immer, aber da hast du schon recht. Es ist nicht so, dass wir den Leuten vorschreiben, wie sie sich in der Menge zu benehmen haben. Ein paar coole Pits sind eine gute Sache – solange der respektvolle Umgang untereinander gewährleistet und bewahrt wird.

Ein respektvoller Umgang ist auch innerhalb der Band wichtig – vor allem, wenn man seit mehr als 20 Jahre Seite an Seite mit seinem Bruder in ihr spielt. Gab es jemals größere Probleme zwischen euch beiden?
Wir lieben es, zusammen in einer Band zu spielen – wir sind nicht Oasis. (lacht) Wir haben nichts davon, uns die ganze Zeit über zu streiten oder an den Hals zu gehen. Wir hängen eigentlich nur miteinander ab. Vielleicht hilft es uns, dass wir SICK OF IT ALL nicht als Beruf sehen und dadurch an alles entspannter herangehen können.

Viel zu entspannt waren eurer Meinung nach George W. Bush und Dick Cheney, als sie aus ihren Ämtern geschieden sind. Was wäre die gerechte Strafe für die beiden, die sich zahlreicher Verbrechen schuldig gemacht haben?
Die gerechte Strafe für die zwei wüsste ich schon, aber das kann ich hier nicht sagen… Viel wichtiger finde ich es nämlich auch, dass sie den ganzen Scheiss, den sie verbrochen haben, erklären und dafür gerade stehen. Als sie vor der Untersuchungskommission aussagen mussten, wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen – keiner hat erfahren, was sie überhaupt von sich gegeben haben. Im Nachhinein hieß es, dass sie aber nur ein paar wenige Fragen beantworten sollten, aber nicht mussten. Bush gab kaum Antworten und Cheney tat es ihm gleich – aber das war dem Ausschuss egal. Das ist doch suspekt. Sie sollten definitiv vor den obersten Gerichtshof gebracht werden, sich den vielen offenen Fragen stellen und letztendlich auch dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Aber das wird wohl niemals passieren…

Was hältst du denn im Gegenzug von Barack Obama?
Er gibt vielen Menschen Hoffnung und allein das ist schon eine gute Sache. Die eine Hälfte der Bevölkerung glaubt wirklich daran, dass er etwas verändern möchte und kann. Die andere Hälfte hält ihn für das kleinere von zwei Übeln.

Immerhin hat er ja das Gesundheitssystem durchgeboxt. Etwas bewegt sich also auf jeden Fall.
Natürlich. Aber auch hier gibt es wieder Leute, die nur das Negative an ihm sehen wollen und ihn attackieren, weil er die Offshore-Ölförderung an unseren Küsten wieder mehr in den Fokus gerückt hat. Ich denke einfach, dass er diesen Einschnitt in seiner Umweltpolitik machen musste, um die Änderungen im Gesundheitswesen durch den Kongress zu bekommen.

Also hast du ihn gewählt?
Ja, das habe ich.

Anfang des Jahres gab es in der New York Times eine Karikatur, die Obamas Art der Aufgabenbewältigung und vor allem auch die Vielzahl der vor ihm liegenden Herausforderungen treffend darstellte. Meinst du, der Mann hat sich einfach übernommen?
Das ist wieder eine ziemlich schwere Frage. Er kann das sicherlich nicht innerhalb von vier Jahren in den Griff bekommen. Die amerikanische Wirtschaft ist im Arsch und geht immer weiter den Bach runter. Das lässt sich nicht mal eben so korrigieren. Es ist aber immer wieder lustig zu sehen, wie die Republikaner ihn angreifen. Für all seine – durchaus korrekten – Entscheidungen finden sie absurde und nahezu lächerliche Gegenargumente.

Peter Steele von Type O Negative und Carnivore ist am vergangenen Mittwoch an einem Herzinfarkt gestorben. Er war bekanntermaßen immer eng mit der New Yorker Szene verbunden.
Er war ein großer Einfluss für viele New Yorker-Bands und die Musikszene allgemein. Ich habe ihn zwei Mal getroffen und war von seiner Persönlichkeit begeistert. Carnivore mochte ich zwar nie wirklich, Type O Negative dafür aber umso mehr. Obwohl es keine große Überraschung war, dass er vor seiner Zeit starb, ist es trotzdem verdammt schade.

Damit wären wir schon fast am Ende. Es fehlt nur noch unser obligatorisches Brainstorming. Was kommt dir in den Sinn, wenn du die folgenden Begriffe hörst:

Facebook: Habe ich nicht
Lindsay Lohan: (lacht) Kokain
CIA: Unheimlich
Schule: Langweilig
Metal1.info: Was?

Lou, ich danke dir vielmals für deine Zeit. Machs gut!
Ich danke dir. Bis bald!

Geschrieben am von Metal1.info

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