Interview mit Niklas Kvarforth von Shining

Niklas Kvarforth ist einer der schwierigsten Charaktere in der Black-Metal-Szene: Seit knapp zwei Jahrzehnten wandelt der Schwede mit SHINING auf dem schmalen Pfad zwischen Genie und Wahnsinn und hat sich in dieser Zeit mit Drogen- und Gewaltexzessen einen höchst zweifelhaften Ruf erarbeitet. Warum er derzeit hart daran arbeitet, sich von diesem Stigma zu befreien, erzählt der Ausnahmemusiker im Interview ebenso offen, wie er von den lange überfälligen Veränderungen in seinem Lebenswandel und den totalitären Strukturen in seiner Band berichtet.

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Vielen Dank für deine Zeit – wie geht es dir?
Ich hab ein paar harte Tage hinter mir, gelinde gesagt, aber abgesehen davon gehen die Dinge in die richtige Richtung, würde ich sagen. Im letzten Jahr oder so habe ich mich wirklich bemüht, mich nicht so zu ruinieren wie in der Vergangenheit, als die Kacke jeden Tag am Dampfen war, sozusagen. Jetzt bin ich ein bisschen älter und hoffentlich auch ein klein bisschen vernünftiger – und es ist wirklich nötig, dass ich manche Dinge etwas ruhiger angehe als früher. Ganz ehrlich: Es fühlt sich aber auch gut an, die Dinge jetzt etwas klarer zu sehen, als ich es gewohnt war.

Ester SegarraWie wichtig ist deine persönliche Verfassung für dein neues Album gewesen?
Natürlich basiert alles, was ich mit SHINING tue, auf Gefühlen der düsteren Art. Ich denke, ohne diese Erfahrungen, die ich in meinem noch kurzen, aber intensiven Leben gemacht habe, wäre nichts von dem, was ich bis heute gemacht habe, möglich gewesen. Allerdings haben sich in letzter Zeit – und das ist das Paradoxe – als ich bestimmte „selbstzerstörerische“ Hobbys aufgegeben und meine Energie stattdessen in physisches und mentales Training gelegt habe, meine Fähigkeiten als Komponist weiterentwickelt: Es ist, als würde mein Werk umso schrecklicher und bösartiger klingen, je besser ich mich fühle.

„IX – Everyone, Everything, Everywhere, Endsist ein sehr deprimierender Titel, das Album selbst klingt aber weniger aggressiv als viele deiner früheren Werke. Woran liegt das?
Wie gesagt, mein tägliches Leben ist jetzt definitiv ausbalancierter als früher, was mir einerseits in Sachen Produktivität, andererseits auch, was die Business-Aspekte angeht, sehr geholfen hat, aber davon abgesehen empfinde ich persönlich das neue Album als eines der bösartigeren, fieseren Kunstwerke, die ich bis jetzt erschaffen habe. Es hat eine sehr sinistre Grundstimmung, die bisher nur andeutungsweise vorhanden war. Vielleicht resultiert das einfach aus den Problemen, die uns in den letzten Jahren gehemmt haben und jetzt ist es herausgeplatzt und hat sich, sobald ich an dem Material gearbeitet habe, darin manifestiert. Auch der melancholische Aspekt in meiner Musik und nicht zuletzt auch in den Texten ist mit aller Macht zurück: Diese Elemente, die diese Band einmal zu dem gemacht haben, was sie heute ist, anstatt nur im Hintergrund herumzulungern, bekommt man jetzt direkt ins Gesicht geschleudert – darauf bin ich extrem stolz.

Die Songs sind in der Tat wieder filigraner und komplexer geworden. Bist du einfach als Komponist erfahrener geworden oder hast du gezielt darauf hingearbeitet?
Dass die Songs heute „komplexer“ klingen oder wie du es auch nennen magst, liegt wohl einfach daran, dass ich als Musiker wie auch Künstler im Allgemeinen wachse. Diesmal hat zudem Euge zum Songwriting beigetragen, was nicht zwangsläufig eine Veränderung zur Folge hat, sondern eher zu einer Verstärkung dessen, was ich schon mit den früheren Alben erreichen wollte, geführt hat.

Ich setze mich nie hin und versuche etwas zu erschaffen, das den lächerlichen Ideen anderer Leute folgt. Ich folge einfach dem, was da in mir lauert und lasse mich von dieser Dunkelheit führen. Ich denke, jeder Künstler, egal in welchem Genre oder in welcher Kunstrichtung, darf ausschließlich seinem Herzen folgen. In dem Moment, in dem du anfängst, darauf zu hören, was dein Label von dir haben will, oder noch schlimmer, was deine Fans von dir erwarten, verlierst du den Bezug zu dem, was du tust und solltest sofort dein gescheitertes Unterfangen direkt aufgeben. Ich bin aber nicht der Typ, der bei dem ersten Ärger aufgibt und deshalb werde ich mit dem, was ich tue, weitermachen, bis der Tag kommt, an dem ich das Gefühl habe, dass alles gesagt ist.
Ester Segarra
Mit dem Namen SHINING verbinden viele Leute Selbstverstümmelung, Drogen und Black Metal – fühlst du dich als Komponist und Künstler manchmal verkannt?
Das ist tatsächlich eine der größten Hürden, die wir zu überwinden versuchen – aber das ist leichter gesagt als getan. Schau, all die Gerüchte – sowohl wahre als auch falsche – wurden über die Jahre zu einem Laster für uns: Es gibt immer noch Booker, die wegen all der Dinge, die vielleicht passiert sind oder auch nicht, keinen Gedanken daran verschwenden, uns zu buchen.
Man muss verstehen, dass es sicherlich einige Dinge gab, die auf der Bühne passiert sind und die die Leute als „zu weit gegangen“ beurteilen würden, die aber immer aus der Situation, dem Eifer des Gefechtes heraus passiert sind – so etwas ist bisweilen einfach unvermeidlich, wenn man sich anschaut, wie sich die Leute während unserer Konzerte verhalten. Wenn es zu weit geht, muss es jemanden geben, der die Dinge wieder gerade rückt: Ich werde keinen besoffenen Idioten einen Moment ruinieren lassen, für den andere Leute gutes Geld bezahlt haben.

Um es kurz zu machen: Wir versuchen gerade, zumindest ein paar Aspekte des falschen Bildes, das die Leute von SHINING haben, zu ändern, um die Band weiter voranzubringen. Versteh mich nicht falsch, ich bin stolz und dankbar dafür, was wir bereits erreicht haben, aber es gibt eben immer das Bestreben, größer zu werden und der einzige Weg, der für uns zu diesem Ziel führt, ist, mit jeder Show, die wir spielen, zu beweisen, dass wir nicht nur ein Haufen Psychopaten sind, die Ärger suchen. Nein, wir sind da, um denen, die sich die Show anschauen, eine schreckliche und doch schöne Erfahrung zu vermitteln.

Wir haben kein Interesse an Leuten, die nur kommen, um etwas anzuschauen, wovon sie hoffen, dass es unter der Überschrift „Wie zur Hölle können Leute dafür Geld ausgeben?“ in der Lokalzeitung landet.

Eine Sache muss ich dem allem trotzdem hinzufügen: Ja, bei einer Band wie SHINING besteht eine gewisse Gefahr, das will ich gar nicht leugnen. Aber was erwarten die Leute, wenn sie Interesse daran haben, eine Band wie SHINING zu erleben? Wir sind nicht deine typische Band, die sich mit Nieten behängt, die Gesichter anmalt und versucht, beim Posen böse dreinzuschauen. Wir sind mehr. Unsere Dunkelheit ist omnipräsent und, das vor allem, echt. Ich glaube, dass es vor allem das ist, was die Leute wirklich verschreckt und all die Gerüchte im Internet gedeihen lässt.

Shining-IX-Everyone-Everything-Everywhere-Ends-coverNicht nur die Musik, sondern auch der Stil eurer Cover hat sich verändert: Waren eure Cover früher düster und oft naturalistisch, zeigt „IX“ nun ein expressionistisches Gemälde. Wer hat das Bild gemalt und warum ist es das perfekte Artwork für das Album?
Während der Studio-Session habe ich mir Nächte mit den Arbeiten am Artwork und dergleichen um die Ohren geschlagen, kommende Touren geplant und was nicht alles. Es gab da ein echt gruseliges Bild, das ich als Cover haben wollte. Ich schrieb dem Künstler, Daniele Serra, und fragte ihn, ob wir es nutzen dürfen, aber er hatte es bereits an jemand anderen verkauft. Wie auch immer, er bot mir dann zu meiner Überraschung an, ein komplett neues Bild, basierend auf dem Konzept und den Themen des Albums, zu erschaffen. Was du jetzt als Cover siehst, ist im Endeffekt direkt sein erster Entwurf. Ich weiß, dass viele Leute es schlecht finden, dass ich so ein Bild genommen habe anstelle eines Bildes, das zu unseren früheren Alben passt. Aber am Ende des Tages bin ich es, der jede einzelne Note der Musik schreibt, jedes einzelne Wort der Texte – deshalb bin ich der Einzige, der beurteilen kann, wie ein SHINING-Cover aussehen oder nicht aussehen soll. Allen, die wie ich an dieser Art zeitgenössischer Kunst interessiert sind, empfehle ich, Danieles andere Arbeiten auf seiner Homepage anzusehen.

Wie eigentlich immer hast du auch dieses Mal neue Musiker in der Band. Sind diese Lineup-Wechsel eher ein unvermeidliches Unglück, eine Chance, oder eine Notwendigkeit?
Das aktuelle Lineup hält jetzt tatsächlich seit fast drei Jahren und der einzige Unterschied zu der Zeit, als wir „Redefining Darkness” aufgenommen haben, ist, dass wir den Schlagzeuger gewechselt haben. Weißt du, ich fände es großartig, wenn wir Stabilität in die Band bekommen würden. Aber wenn man bedenkt, mit welchen Kräften wir arbeiten, ist es fast unvermeidlich, dass der eine oder andere nach einer gewissen Zeit ausgetauscht werden muss. Wie auch immer – ich glaube seltsamerweise, dass dieses Lineup noch ein paar Jahre oder länger Bestand haben wird. Oder sagen wir: Ich hoffe es.

Ester SegarraDie einzige Konstante ist Peter Huss, der seit „V – Halmstad“ in der Band ist. Was macht ihn so besonders, dass du ihn schon so lange tolerierst – oder ist er andersherum der einzige, der dich längere Zeit aushält?
Wir hatten genau über dieses Thema erst kürzlich während eines Fluges eine lange Diskussion. Er meinte, er weiß, wie er sich von mir distanzieren kann, sei es auf Tour oder daheim, und dass das der einzige Grund ist, warum er es so lange in der Band ausgehalten hat. Aber um diese Antwort etwas weiter auszuführen: Ich würde sagen, dass ich vielleicht nicht der einfachste Kerl bin, mit dem man zusammenarbeiten kann. Ich fordere nicht nur 110%ige Hingabe von jedem jederzeit, sondern ich bin auch ziemlich jähzornig, was in der Vergangenheit zu disziplinarischen Maßnahmen gegenüber denen in meinem Umfeld geführt hat, die diese Regeln brechen. Ich verstehe, dass es nicht einfach ist, ständig herumkommandiert zu werden und nichts außer Beschwerden und noch mehr Beschwerden über die eigenen Fähigkeiten und Leistungen zu hören. Aber dann muss man sich auch wieder vor Augen führen: Ohne diese Eigenschaften wäre SHINING wohl nicht so weit gekommen.

Es gibt zu dem Album auch eine Limited Edition mit einigen Bonus-Tracks. Wie stehst du dazu? Ich könnte mir vorstellen, dass SHINING eine Band ist, der ein Album als in sich geschlossene Einheit wichtig ist.
Ich bin ganz generell gegen die Verwendung von Bonus-Tracks. Genauso wie ich dagegen bin, dass Firmen DVDs oder Blurays mit Bonus-Material auffüllen. Und zwar aus genau dem Grund, den du nennst: Ein Album soll für sich selbst stehen. Ich finde, wenn man dann etwas dazupackt, das nicht dabei sein sollte, wird alles … komisch. Andererseits sind diese Bonus-Stücke nur in der Boxset-Edition und beim Vinyl dabei, insofern richten sie auch wenig Schaden an. Abgesehen davon glaube ich, dass viele unserer Fans sich über die Geste freuen. Trotzdem würde ich mir wünschen, dass sie sich auch die normale CD-Edition kaufen, damit sie genau die Erfahrung machen können, die ich ihnen vermitteln wollte.

Es ist hinreichend bekannt, dass sich CDs heute nicht mehr so gut verkaufen. Glaubst du, die Idee von solchen limitierten Boxsets ist gut genug, das zu ändern, oder ist es eher ein aussichtsloser Versuch, physische Datenträger attraktiver zu machen?
Ja, es ist kein Geheimnis, dass die Verkaufszahlen nicht nur bei CDs, sondern bei allen physischen Formaten seit Jahren sinken. Ich verstehe auch das Marketing-Konzept hinter diesen Editionen und so weiter, mit dem versucht werden soll, die Verkaufszahlen wieder etwas zu heben und den Fans im Gegenzug etwas „Besonderes“ neben der normalen CD zu bieten. Ich würde nicht sagen, dass dieser Ansatz verzweifelt ist, da man schon auch sehen muss, dass es sehr aufwändig und teuer ist, solche Boxsets und unzählige verschiedene Vinyl-Ausgaben zu produzieren. Ich denke, das Problem ist eigentlich weniger, welche Entscheidungen ein Label trifft, sondern eher, dass den jungen Leuten, die Geld für Musik ausgeben, viel zu viel Schund zur Auswahl gestellt wird und sie deshalb weder die Energie noch die Möglichkeit haben, die wenigen Juwelen zu finden, die in diesem enormen Misthaufen versteckt sind. Aber scheiß‘ drauf, das ist ein Thema, über das man ewig reden kann und ich hab das Interesse daran verloren, insofern: Lass‘ uns weitermachen, okay?

Ester SegarraGerne! Vor einigen Jahren hast du noch viele Gastbeiträge bei anderen, auch unbekannteren Bands beigesteuert. Warum hast du dieses Engagement in letzter Zeit zurückgefahren?
Ein Grund dafür ist, dass ich einfach keine Zeit mehr für solche Sachen habe. SHINING beherrscht mein Leben und ist am Ende des Tages auch das, was Essen auf den Tisch bringt. Und weißt du, alles, was ich tue, muss ich von ganzem Herzen tun. Wenn ich also nicht genug Zeit habe, es richtig zu machen, muss ich einfach nein sagen. Ich habe in den letzten Jahren auch noch ein paar Projekte gemacht, aber du hast das schon richtig erkannt, es ist nicht mehr so viel wie vor ein paar Jahren. Wenn mir etwas sehr Interessantes angeboten wird, versuche ich natürlich, mir die Zeit dafür zu nehmen, aber bis auf ein paar Ausnahmen kamen da, wenn ich ehrlich bin, auch keine sonderlich interessanten Anfragen rein in letzter Zeit.

Um SKITLIV, dein Projekt mit Maniac, ist es auch still geworden. Gibt es die Band noch, und wenn ja: Gibt es Pläne für ein neues Album?
Es wird definitiv ein neues Album geben! Aber derzeit ist Maniac, glaube ich, mit anderen Dingen beschäftigt, denen er Priorität einräumen muss – daher die Funkstille. Aber ja, ich kann dir versichern, dass wir ein neues Album machen und vielleicht sogar ein paar Shows spielen werden.

Wo wir gerade über Live-Shows sprechen: Was dürfen sich die Fans von eurer Tour im Herbst erwarten?
Ich verspreche euch neue, dunklere SHINING, wie du sie noch nie zuvor gesehen hast.

Zum Abschluss des Interviews das traditionelle Metal1.info-Brainstorming:
Enola: Nichts
Ebola: Nichts
Dein Lieblingsalbum 2014: „Planet Satan” (von Mysticum, Anm. d. Red.)
Diabolicum: Wir haben vor ein paar Jahren ein Album aufgenommen, ich hoffe, es kommt bald heraus.
Politik: Was auch immer.
Festivals: Schrecklich.

Vielen Dank für deine Zeit – die letzten Worte gehören dir. Gibt es noch etwas, das du unseren Lesern mitteilen möchtest?
Auf jeden Fall, ja! Lauft in den nächstgelegenen Plattenladen und kauft euch eine verdammte CD unseres neuen Albums! Und wenn ihr schon mal da seid, kauft euch die neue DHG gleich mit. Und dann kommt zu einer der Shows, die wir im Herbst bei euch spielen werden!

Shining-admat-DE-2015

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