Als Taucherparadies erlangten die Malediven Berühmtheit. Gitarrist SHAHYD LEGACY erklärt im neunten Teil unserer Reihe „Metallisierte Welt – Auf den Spuren einer Subkultur„, warum die Situation auf der Inselgruppe im Indischen Ozean für die dortigen Metalheads trotzdem alles andere als paradiesisch ist.
Die Metal Archives listen lediglich sieben aktive Metalbands von den Malediven, von denen drei dich als eines ihrer Mitglieder zählen. Kennst du noch mehr?
Ja, es gab einmal mehr als die sieben. Die meisten wurden aber wieder aufgelöst, weil Metalmusik bei uns eine Art Tabu ist. Wir können mit den Bands nichts verdienen, das macht es noch schwieriger. Die sieben, die du erwähnst, waren die größten und diejenigen, die dazu beigetragen haben, dass es bei uns überhaupt einen Aufstieg für den Metal gab. Ich würde sagen, diese hier sind die wichtigsten: Leviathan, Dittorhead, Tormenta, Serenity Dies, Phormentera, Bloodvile, Stygian Shoes, Grotesque, Nothnegal und Sacred Legacy. Einige davon sind immer noch aktiv.
Wann und wie bist du selbst mit Metal in Kontakt gekommen?
Ich habe in der Schulzeit angefangen, Metal zu hören. Einer meiner engsten Freunde und Schulkameraden hat mich mit Bands wie Metallica, Megadeth, Slayer und Sepultura bekannt gemacht. Aber eines Tages zeigte er mir etwas, das mich einfach umgehauen hat: Es war eine Kassette mit Aufnahmen des berühmten schwedischen Gitarrenvirtuosen Yngwie Malmsteen. In dem Moment habe ich beschlossen, dass ich lernen wollte, wie man wie er die Gitarre spielt. Ich wollte einer der besten Gitarristen der Malediven werden. Der Freund selbst hat dann angefangen, mir das Gitarrespielen beizubringen. Noch heute ist die Arbeit von Yngwie Malmsteen der größte Einfluss in meiner Musik.
https://soundcloud.com/sacredlegacy/shahyd-legacy-theory-of-a-lost-soul
Wen würdest du noch zu deinen Einflüssen zählen?
Das meiste in meinem Gitarrenspiel kommt von Yngwie, darüber hinaus aber auch Joe Satriani, Steve Vai, Andy James, Jeff Loomis, Marty Friedman, Frank Gambale und Andy Timons. Die wichtigsten Bands sind für mich die eben schon genannten Metallica, Megadeth, Slayer und Sepultura, darüber hinaus aber auch Testament, Dream Theater, Dragonforce, Nevermore, Blind Guardian, Arch Enemy, Bloodshot Dawn, Shade Empire, Fleshgod Apocalypse und so viele mehr. Was du wahrscheinlich nicht weißt, ist, dass ich ein riesiger Fan von japanischer Anime-Musik bin. Mein erstes Soloalbum war eine Kombination von Anime- und Computerspielmusik. Daher zähle auch diese beiden Genres zu meinen Einflüssen.
Ich stelle es mir ziemlich kompliziert vor, bei euch in einer Band zu spielen, wenn man für jede Probe und jedes Konzert mit einem Schiff fahren muss. Wie löst ihr das Problem?
Wir Metalbands spielen leider gar nicht so viel auf den Inseln, weil es da kaum Einwohner gibt. Der Großteil der Szene ist in der Hauptstadt, Malé. Aber das Reisen ist eigentlich gar nicht so das Problem, es gibt sehr viele Flugzeuge und Wasserflugzeuge. Die meisten Shows, die wir spielen können, werden von Firmen gesponsert, die dann auch die Anreisekosten übernehmen. Es ist aber schwierig, für mehr als zwei Bands gleichzeitig zu spielen. Wir machen es trotzdem, weil es uns die Gelegenheit gibt, unser Talent zu zeigen. So können wir unterschiedliche Genres erkunden und verschiedene Stile lernen. Die Musiker der Hauptstadt spielen oft in vielen verschiedenen Bands. Geld verdienen können wir aber fast nur über kommerzielle Gigs.
Wie häufig könnt ihr denn live auftreten?
Leider nicht regelmäßig. Es gibt ja keine Metalshows. Wenn du einigermaßen regelmäßig spielen willst, musst du es bei kommerziellen Auftritten machen. Das geht dann am besten bei den Ressorts und Hotels – oft gibt es dort fast jeden Abend Live-Musik, der Bedarf an Musikern ist groß. Viele unserer Szene-Bands verdienen so ihr Geld, indem sie dort für die Touristen auftreten.
Ist es für euch schwierig, an das nötige Equipment zu kommen?
Wir haben tatsächlich einige sehr gute Musikgeschäfte hier. Besonders was Verstärker oder Soundeffekte angeht, kann man hier alles kaufen, was du für ein Konzert auf den Malediven brauchst. Wenn du aber eine bestimmte Gitarre haben willst, musst du online suchen und bei Ebay oder anderen Seiten kaufen. Es gibt hier ja nur wenige Musiker, dementsprechend lohnt es sich nicht, viele verschiedene Instrumente vorrätig zu haben. Aber diesbezüglich beobachte ich einen langsamen Wandel: Es kommen ein paar neue Bands aus der nächsten Generation und die brauchen immer auch Instrumente.
Neben der kleinen Szene ist auf den Malediven auch die politische Landschaft nicht ganz einfach für die Metalfans. Das kleine Inselreich wurde seit Beginn der 2000er Jahre immer wieder von Unruhen erschüttert. 2004 wurde sogar der Ausnahmezustand ausgerufen, nachdem es massive Proteste gegen den damaligen Präsidenten Gayoom gegeben hatte, der das Land von 1978 bis 2008 regierte. Die neue Verfassung von 2008 ist stark vom politischen Islam geprägt und machte die Zugehörigkeit zum Islam zur Voraussetzung für die Staatsbürgerschaft. Diese Vorgänge blieben nicht ohne Auswirkung auf die Szene, wie SHAHYD erklärt. (A. d. Red.)
Trotz dieser ganzen Krisen scheint es bei euch aber immer noch eine Metalszene zu geben, oder?
Ja, aber sie ist nicht mehr so stark wie sie es von 2007 bis 2011 war. Damals habe ich viele Metalheads gesehen, die Metalshows wie das Rockstorm oder das Breakout Festival, die es hier damals in kleineren und auch größeren Locations gab, besucht haben. Leider ist es vor allem die politische Situation, die der Szene geschadet hat. Die meisten Bands wurden deshalb aufgelöst. Sie sind wieder in ihren Alltag zurückgekehrt und haben sich aus den Augen verloren. Nur ganz wenige Bands sind jetzt noch aktiv und versuchen, die Szene zusammenzuhalten beziehungsweise wieder aufzubauen, was verloren ging. Ich bin einer davon und glaube daran, dass wir auch auf den Malediven eine starke Metalszene haben und der ganzen Welt zeigen können, dass es auch im tropischen Paradies viele Bands mit einzigartigem Talent gibt.
Also überdauerte die Blütezeit des Metal auf den Malediven die neue Verfassung zunächst?
Nun, der Einfluss dieser Extremisten auf uns war zunächst nicht sehr groß. Aber dann haben sie sich gegen alles, was sie für ein Tabu halten oder was in unserer Religion als Sünde angesehen wird, zusammengeschlossen – nicht zuletzt mit dem Ziel, Metal-Musiker davon abzuhalten, Konzerte auf den Malediven zu geben. Aber einige der Shows werden mit der Hilfe und Unterstützung der maledivischen Regierung veranstaltet, insofern hatten die Extremisten keine andere Wahl als es schweigend hinzunehmen.
Wie ist denn ganz allgemein die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber Metal?
Es war von Anfang an schwierig, hier Metal zu spielen. Metalbands sind schon immer tabuisiert worden und werden von der Öffentlichkeit weitestgehend ignoriert. Es gibt keine Metalradios, keine TV-Shows und nur ein Musikmagazin, das MISC heißt. Unsere Gesellschaft bevorzugt Popkünstler, die nur singen können, weil es Autotune gibt [eine Software, die es ermöglicht, die Tonhöhe eingesungener Passagen nachträglich zu korrigieren, A.d.Red.]. Echte Kompositionsarbeit, wie wir sie versuchen, wird nicht geschätzt. Ab und an gibt es auch mal größere Konzerte, aber insgesamt fühlt man sich als Außenseiter. Ich habe daraus meine Konsequenzen gezogen und versuche, im Ausland bekannter zu werden. Das ist der einzige Weg für uns, Menschen zu erreichen und zu zeigen, was wir können. Ich bin auf diese Weise schon auf einigen internationalen Seiten gefeatured worden.
Würdest du sagen, Metal zu spielen ist bei euch eine Art Rebellion?
Die Menschen hier sehen Heavy Metal definitiv als einen rebellischen Akt. Viele nennen es auch einfach nur Krach, aber ich sehe in meiner Musik vor allem positive Emotionen. Der Heavy Metal ist nicht einfach nur eine Form von Musik. Er hat sich entwickelt und ist eines der kreativsten und breitesten Musikgenres, das man spielen kann.
Setzt du die politische und soziale Situation deines Landes auch in den Texten um?
Noch nicht seit Langem. Die meisten meiner Texte drehten sich um Fantasy, Mythen und das Übernatürliche. Erst unlängst aber haben wir begonnen, auch den Zustand unserer Gesellschaft in die Texte einfließen zu lassen. Früher war es aber auch noch nicht so schlimm … die Lage hier hat sich in den letzten Jahren wirklich verschlechtert. Deshalb adressieren wir das jetzt auch, obwohl ich bezweifele, dass das etwas ändern wird.
Welchen Anteil an der aktuellen Lage würdest du der Religion zuschreiben?
Ich muss leider sagen, dass sehr viel von dem Druck, der auf uns ausgeübt wird, von religiöser Seite kommt. Manchmal gibt es auch Proteste vor unseren Konzerten, oder Menschen versuchen, uns vom Spielen abzuhalten. Die meisten Islam-Gelehrten sagen, dass Musik verboten ist. Ich habe mal versucht, herauszufinden, warum das so sein soll, oder ob wir bestraft werden können, wenn wir trotzdem spielen. Damals ging ich noch auf eine Schule für Arabisch, wo es viel um Religion ging, und keiner meiner Lehrer dort hatte mir gesagt, dass Musikspielen oder Musikhören bestraft wird. Ich habe zwar keine direkte Antwort gefunden, aber es scheint eine Grenze zu geben: Solange wir keine zu extreme Musik machen, dürfte es gut ausgehen. Was wir jetzt machen, geht gerade noch durch, härter sollten wir aber vermutlich nicht werden. So wie unsere Gesellschaft es hier sieht, passen Heavy Metal und Islam gar nicht zusammen.
Liegt das auch daran, dass Metal eine „westliche“ Musik ist?
Bis zu einem gewissen Grad ist Metal klassische westliche Musik, alleine schon wegen der Länder, aus denen die Musikrichtung kommt. Andererseits gibt es bei uns auch nicht viel ursprüngliche Folklore. Das bisschen traditionelle Musik von den Malediven stammt angeblich sogar aus dem Afrikanischen, wie zumindest manche sagen. Das wichtigste Instrument ist auf jeden Fall das Boduberu [eine Art Holztrommel, A.d.Red.].
Ich habe in deiner Musik auch keinen direkten Folk-Einfluss feststellen können. Könntest du dir vorstellen, damit zu arbeiten?
Ich habe tatsächlich noch fast gar nicht damit experimentiert, Folk-Einflüsse einzubinden. Jetzt gerade habe ich aber angefangen, mit dem Gesangsstil von den Malediven, Raivaru, zu experimentieren. Ich kombiniere ihn mit Doom Metal und nenne es “Raa Metal”. Ihr könnt euch ein paar erste Tracks davon auf meinem Soundcloud-Kanal anhören. Es ist noch etwas limitiert, aber ich arbeite daran, diese Idee weiterzuentwickeln. Ich habe übrigens auch schon von Fans die Anregung bekommen, doch mehr mit traditioneller Musik zu machen. Vermutlich kommt das also in naher Zukunft. Aber um ganz ehrlich zu sein: Ich mag die Folk-Musik von hier nicht sonderlich. Aber das Boduberu ist ganz cool, da lässt sich sicher was mit anfangen.
https://soundcloud.com/sacredlegacy/mystic-wonders-fragments
Was möchtest du denn generell in deiner musikalischen Karriere noch erreichen?
Ich möchte ein bekannter und respektierter Musiker sein – sowohl hier auf den Malediven, als auch international. Dazu gehört, dass ich so viele gute Alben veröffentliche, wie ich kann. Ich möchte um die Welt touren und meinen Beitrag zur Metalszene leisten. Ein Traum wäre natürlich, große Konzerte zu spielen, wie Wacken, Download, Metal Fest und andere. Ich möchte meine musikalische Karriere als Legende beenden! (lacht)
Vielen Dank für Zeit und Antworten. Zum Abschluss ein kurzes Brainstorming:
Beste Band aller Zeiten: Megadeth
Deutschland: Das beste Land, in dem ich bisher war – Danke!
Religionsfreiheit: Würde uns helfen, uns musikalisch zu entwickeln.
Bester Newcomer der letzten Jahre: Bloodshot Dawn
Ich danke dir für deine Zeit, Shahyd! Alles Gute für die Zukunft.
Danke, dass ich hier dabei sein durfte!