Interview mit Kim Ljung & Noralf Ronthi von Seigmen

Satte 18 Jahre mussten sich Fans der norwegischen Rock-Koryphäe SEIGMEN gedulten. Nun steht mit „Enola“ wie aus dem Nichts ein neues Meisterwerk in den Regalen. Sänger und Songwriter Kim Ljung und Schlagzeuger Noralf Ronthi über den Entstehungsprozess des Albums, die langen 18 Jahre davor und Pläne für die Zukunft.

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Euer neues Album ist wirklich großartig geworden – dafür mussten sich die Fans aber auch 18 Jahre gedulden. Warum war diese lange Pause nach eurem letzten Studioalbum „Radiowaves“ nötig?
Noralf: Nach zehn Jahren war es einfach Zeit für einen Wechsel. Die Auflösung von SEIGMEN 1999 war aus damaliger Sicht notwendig. Ich glaube, wir alle haben diese Veränderung gebraucht. Wie du vielleicht weißt, sind Kim, Alex und Ich mit Erik Ljunggren dann ja in die USA gezogen, um mit unserem neuen Projekt Zeromancer einen Neustart zu wagen.
Kim: Ja, diese 18 Jahre waren ziemlich verrückt: Sieben Alben mit Zeromancer und vier Alben mit meiner anderen Band, Ljungblut. Dazu kamen viele Shows mit SEIGMEN, zwei große DVD-Produktionen und ein Live-Album. Mein Credo ist ja, dass man im Jahr mindestens eine wichtige Veröffentlichung braucht – nur dann bleibst du im kreativen Fluss. Wir haben einfach etwas Abstand von SEIGMEN benötigt. Aber als wir dann wussten, dass wir neues Material schreiben wollen, war unsen wir tödlich effizient: Wir wussten exakt, was wir tun mussten und haben das Album schneller als je zuvor eingespielt.
Noralf: Wir haben uns 2005 für eine SEIGMEN-Reunion entschieden, wegen unserer hingebungsvollen Fans. Aber Zeromancer waren auch nach fünf oder sechs Alben noch live aktiv – das war sicher einer der Gründe. Ein anderer war: Es hat sich einfach zu einem früheren Zeitpunkt nicht richtig angefühlt.

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In der Zwischenzeit habt ihr verschiedene Shows gespielt, das „Rockefeller“-Live-Album aufgenommen und einige Singles veröffentlicht. Was hat euch davon abgehalten, stattdessen lieber ein Studioalbum aufzunehmen?
Kim: Als der Songwriter kann ich das ganz ehrlich beantworten: Ich war einfach nicht dafür bereit. Ich habe es als unmögliche Aufgabe angesehen. Was es dann einfacher gemacht hat, war die Veröffentlichung von „Over Skyene Skinner Alltid Solen” mit Ljungblut – mein erstes Album mit norwegischen Texten seit „Metropolis“. Ich dachte davor wirklich, dass ich das nicht mehr könnte, ich hatte das Gefühl, jedes mögliche Wort schon verwendet zu haben … dass mein Wortschatz erschöpft sei.

Wann wurde euch dann bewusst, dass es doch noch ein neues SEIGMEN-Album geben muss und was hat diese Entscheidung beeinflusst?
Noralf: 2012 kam die Frage auf, ob wir für die Sommerfestivals, die wir spielen würden, neues Material schreiben sollten. Ich war dafür, es zu probieren. Los ging es mit einem Riff von Sverre, das aus den „Total“-Sessions von 1994 übergeblieben war. Dann habe ich damit etwas herumgespielt und pötzlich war alles da – die Worte, die Melodien, die Atmosphäre … der Sound von SEIGMEN.
Kim: Tief drinnen wusste ich, wie viel diese Band vielen Leuten bedeutet. Ich denke darüber nicht oft nach, mich überwältigt das immer. Aber zu spüren, dass unsere Fans warten, war einer der stärksten Gründe, zurückzukommen – obwohl sie sich nicht einmal mehr zu fragen getraut haben. Ich wusste, sie würden unglaublich überrascht sein. Insofern ist die Veröffentlichung von „Enola“ unser Geschenk an sie – sie verdienen es so sehr! Sie waren all die Jahre da. Auf der Bühne zu stehen und in ihre glänzenden Augen zu sehen, ist für uns ein unvergleichlicher Lohn.
Noralf: Kims Texte sind sicher auch ein Faktor: Als er wieder SEIGMEN-Texte schrieb, hat er einfach weiter gemacht und es kam zur Wiederauferstehung. Unsere Fans wollten uns einfach unbedingt zurück.

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Wie ist „Enola“ dann entstanden?
Kim: Es ist richtiggehend explodiert: Als ich erst gesehen habe, dass es funktioniert, habe ich sieben oder acht Songs innerhalb weniger Wochen geschrieben. Ich habe in meinem Studio daheim Demos aufgenommen, ich war wie elektrifiziert. Alles verknüpfte sich von alleine, die Ideen sprudelten nur so aus mir heraus. Als wäre alles schon da drin gewesen und hätte nur darauf gewartet, herauszubrechen. Die Jungs fanden das Material toll, wir nahmen die Songs ins Studio und es wurde perfekt. Wir waren alle begeistert – wir waren alle auf der gleichen Seite, synchron wie nie zuvor. Wir haben uns den Arsch abgearbeitet, so zu sagen. Dann haben wir angefangen, drei der Songs live zu spielen und es war einfach beeindruckend zu sehen, wie gut sie sich in das Set einfügen.
Die ersten Aufnahmen haben wir dann 2012 in den Athletic Sound Studios hier in Norwegen gemacht – an dem Ort, wo wir unsere allerersten Alben eingespielt haben. Es war magisch! Dann haben wir eine Pause gemacht, während der Noralf, Alex und ich zurück zu Zeromancer gewechselt sind und das „Bye-Bye Borderline“-Album gemacht haben. Als wir uns wieder getroffen haben, dachte ich mir: Lasst uns die letzten Songs die wir für ein Album brauchen, so machen wie früher. Ich hab den Jungs dann einen Haufen Riffs auf einer Akustik-Gitarre vorgespielt – also bei den Basics angefangen. Natürlich gab es schon Texte, aber nichts war ansatzweise fertig. Notizbuch-Zeug eben. Und auch diese Songs wurden wirklich cool: „Deus”, „Til Verdens End” and „I Mitt Hus“.
Noralf: Es war ziemlich lustig, mal wieder zusammen an Ideen zu arbeiten und sie beim Spielen zu entwickeln – aber es war auch schwierig. Himmel und Hölle gleichzeitig, quasi. Einige Ideen stammten noch aus den frühen 90ern und viel hat sich erst während der Proben entwickelt.

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„Enola“ klingt wie die Quintessenz eures bisherigen Schaffens. Würdet ihr diese Aussage unterschreiben und war es für euch komplett natürlich, nach 18 Jahren genau dort weiterzumachen, wo ihr aufgehört hattet? Viele Bands ändern ihren Stil in viel kürzerer Zeit…
Noralf: „Enola“ klingt definitiv nach SEIGMEN. Mit allen Elementen von SEIGMEN aus den 90ern verschmelzen Klänge und Rhythmen, die sich entwickeln, wann immer wir als Einheit zusammenkommen. So entwickelt sich der Sound der Band ganz natürlich. Dann müssen wir die verschiedenen Klänge sortieren und organisieren, um Songs daraus zu machen. Ich glaube, wir denken nicht über einen speziellen Stil nach, wir wissen einfach, was sich für uns richtig anhört, wenn wir es hören. Wirklich nicht leicht zu erklären …
Kim: Es ist einfach SEIGMEN. Ich denke, es stecken Verweise auf alle Alben, bis zurück zu „Pluto“ und „Ameneon“ in „Enola“. Es war nicht überlegt, aber wir wollten wirklich ein waschechtes SEIGMEN-Album. Wir arbeiten alle mit dem gleichen Equipment, das wir immer schon hatten; natürlich mit ein paar Upgrades, aber ansonsten wirklich. Das gleiche Zeug. Wir mögen die gleiche Musik, wie wir damals mochten. Natürlich hat uns auch neuere Musik beeinflusst, aber viele der Inspirationen stammen aus unseren Teenager-Jahren. Das ist einfach eine Zeit, die du nie vergisst.

„Enola“ ist ein Mädchenname, der vor allem in Verbindung mit der Enola Gay, dem B-29-Bomber, der die Hiroshima-Bombe abgeworfen hat, bekannt wurde. Was ist die Bedeutung dieses Names für euch, als Titel eures Albums?
Kim: Ich habe ein Faible für ausgefallene Namen, Worte, Begriffe. Ich liebe es, mit Buchstaben und Worten herumzujonglieren, etwas ausgefallenes zu kreieren. „Enola“ fiel mir ein, als ich eines Tages im Bus saß. Es stecken viele Links darin: „Enola“ heißt rückwärts gelesen „alone“. Wir beenden jede unserer Shows mit dem Song „Hjernen Er Alene”. Das Wort „alene“ – also „alone“, allein – ist das letzte gesungene Wort. Eno ist Brian Eno, mein liebster Ambient-Komponist – „Pearl“, „Ambient“ und „Apollo“ sind Meisterwerke. LA ist meine Lieblingsstadt. Dann steckt Neo darin. Mein Sohn. Der Eine. Und natürlich, Enola Gay. Ich habe eine Schwäche für den Zweiten Weltkrieg … ich war in Hiroshima und habe die Trauer in diesem gewaltigen grünen Park des Gedenkensgespürt.

Seigmen - EnolaDas Artwork des Albums vermittelt einen starken Team-Spirit – wollt ihr damit die wiedergewonnene Stärke nach der Reunion zum Ausdruck bringen?
Noralf: SEIGMEN ist eine starke Einheit. Eine Familie mit einer starken weiteren Verwandschaft, unserer Fanbase. Das Coverphoto von Bjørn Opsahl verbildlicht diese Einheit sehr stark.
Kim: Das Photo zeigt einfach unser Ritual bevor wir die Bühne betreten. Wir machen dann jedes Mal diese Stern-Formation. Bjørn war seit 1992 in unserem Umfeld und hat uns Photographiert. Er ist einer von Norwegens bekanntesten Photographen – und er hat uns das unzählige Male machen sehen. Es war seine Idee, daraus das Cover des Albums zu machen. Es ist aber auch das Cover des Buches, das er gerade erst veröffentlicht – eine Band-Biographie, die zwei großartige Autoren verfasst haben. Alle dafür Photos hat Bjørn Opsahl gemacht … das Buch ist wirklich großartig geworden. Darauf bin ich wirklich stolz – es erzählt unsere Story auf eine einzigartige und sehr persönlichen Art und Weise.

Jetzt, wo ihr wieder voll dabei seid – ist absehbar, ob wir auf das nächste SEIGMEN-Album wieder 18 Jahre warten müssen?
Kim: Ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung. Ich bin derzeit sehr kreativ, aber das Timing muss perfekt sein. Alles muss stimmen, damit so etwas nochmal passiert.

Das „Rockefeller“-Live-Album ist ein beeindruckendes Zeugnis der Energie, die ihr live entfesselt. Darf man darauf hoffen, das auch mal außerhalb Norwegens erleben zu dürfen?
Kim: Ich bin mir nicht sicher. Ich habe das Gefühl, dass SEIGMEN ein norwegisches Ding ist – wenn du uns live erleben willst, musst du wohl herkommen. Unser Land kennenlernen, unsere Kultur, unsere unglaubliche Landschaft.

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Vielen Dank für das Interview – zum Abschluss ein kurzes Brainstorming:

Rammstein
Noralf: Roskilde 1997.
Kim: Haha, witzig, Noralf … das war 1998, dass sie da gespielt haben. Wir waren da!

Sommer
Noralf: Festivals.
Kim: Eine Insel direkt vor Tønsberg, wo wir leben. Wir haben dort eine nette alte Hütte, in der wir viel Zeit verbringen. Sehr friedlich. Norwegische Sommer. Die Besten.

Fußball
Noralf: Bayern München
Kim: Noralf … du hast keine Ahnung. There’s only one United; Man United! Ich fahre am Freitag sogar nach Manchester, um mir ein Spiel anzuschauen.

Euer Lieblingsalbum aus 2014:
Noralf: Sandra Kolstad.
Kim: Mir fällt keines ein. Insofern nenne ich hier das großartige „Still Smiling“ von Teho Teardo und Blixa Bargeld. Ich hab das Album letztes Jahr entdeckt, das muss gelten.

Euer Lieblingssong von „Enola“:
Noralf:
Kim: Ich mag sie alle. Aber ich würde „Hvit Stjerne Hvit Støy“ nennen, wenn ich mich auf einen festlegen müsste.

SEIGMEN in zehn Jahren:
Noralf: Ja.
Kim: Nein.

Vielen Dank für eure Zeit – die letzten Worte an unsere Leser gehören euch:
Noralf: Fordert uns!
Kim: Passt auf euch auf! Bewirkt etwas. Spielt Musik. Macht Musik.

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