Interview mit András Nagy von Sear Bliss

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Mit „Heavenly Down“zelebrieren SEAR BLISS auf allen Ebenen eine Rückbesinnung auf ihr Frühwerk. Wie es dazu gekommen ist, was SEAR BLISS aus seiner Sicht damals besser gemacht haben als auf den letzten Alben und warum das nächste Album vielleicht nicht wieder sechs Jahre auf sich warten lassen wird, berichtet Bandkopf András Nagy.

SEAR BLISS haben 2023 ihr 30-jähriges Bestehen gefeiert – Gratulation hierzu. Wenn du an die Anfangsjahre zurückdenkst … hättest du dir jemals träumen lassen, dass die Band drei Jahrzehnte deines Lebens bestimmen würde?
Danke sehr! Nun, um ehrlich zu sein, war ich ziemlich zuversichtlich, dass die Band lange Bestand haben würde, denn ich war so enthusiastisch, weil ich schon in einem sehr frühen Alter ein Metal-Head wurde. Mit zehn Jahren wusste ich schon, dass ich eine Band gründen und Metal spielen wollte. Ich habe um eine Gitarre gebettelt, und meine Eltern haben mir eine gekauft, und ich habe angefangen, sie zu spielen. Ich war besessen von Metal und träumte davon, vor Publikum zu spielen. Also, ja, meine Motivation war sehr stark. Trotzdem ist es kaum zu glauben, dass ich ein Dreiviertel meines Lebens mit SEAR BLISS verbracht habe.

Gab es einen besonderen Höhepunkt, einen Moment, den du nie vergessen wirst?
Oh ja, da gibt es viele, aber aus irgendeinem Grund stammen sie meist aus den Anfangsjahren. Wahrscheinlich wegen des Jugendfiebers, aber auch, weil die Mitte der 1990er-Jahre ohnehin magische Zeiten waren. Ich werde nie den Moment vergessen, als ich zum ersten Mal unser erstes Album in der Hand hielt. Die Dinge geschahen so unerwartet. „Phantoms“ wurde ein ziemlicher Erfolg, und kurz darauf gingen wir mit Marduk auf Tour. Da ich erst 18 Jahre alt war, war das mehr, als ich mir je erhofft hatte. Ich werde diese Erinnerungen für den Rest meines Lebens in Ehren halten.

Gab es andererseits auch einen Tiefpunkt, eine negative Einzelerfahrung oder eine Phase, in der du dir nicht sicher warst, ob die Band weiter bestehen würde?
Die Existenz der Band stand nie infrage, aber es gab durchaus auch schwierige Zeiten. Zum Beispiel ist die Band direkt nach der oben erwähnten Europatournee auseinander gefallen. Das war eine große Enttäuschung, und es war wie das jähe Ende eines schönen Traums. Es war nicht einfach, von da an weiterzumachen. Außerdem hatten wir auch schwierige Zeiten rund um die Alben „Grand Destiny“ und „Eternal Recurrence“.

Mit „Heavenly Down“ ist nun das neunte Studioalbum erschienen. In euren Anfangsjahren habt ihr alle ein bis zwei Jahre ein Album veröffentlicht – in letzter Zeit sind die Intervalle immer länger geworden: „Eternal Recurrence“ hat fünf Jahre gedauert, „Letters From The Edge“ und jetzt das neue Album jeweils sechs Jahre. Was hat diese längere Entstehungszeit dieses Mal verursacht?
Da wir älter werden, haben wir immer mehr Verpflichtungen neben der Band. Wir sind keine Teenager mehr. Es ist ganz natürlich, dass es länger dauert, Alben zu schreiben und zu veröffentlichen. Dazu kommt, dass zwei meiner Söhne nach „Letters From The Edge“ geboren wurden. Selbst in dieser arbeitsintensiven Zeit wurde fast ein ganzes Album geschrieben. Doch dann verließ unser damaliger Gitarrist, der einer der Hauptsongwriter war, plötzlich die Band. Wir mussten fast wieder bei null anfangen. Es ist also kein Wunder, dass es so lange gedauert hat. Vor „Eternal Recurrence“ und auch vor „Letters …“ mussten wir die Band neu organisieren. Diese Tendenz wollen wir allerdings nicht fortsetzen, also wird es hoffentlich nicht wieder sechs Jahre dauern, bis ein neues Album fertig ist.

Was auf den ersten Blick auffällt, ist ein gewisser „Retro-Trend“: Die Cover der letzten beiden Alben waren sehr modern, während das neue eine sehr deutliche Reminiszenz an euer Debütalbum „Phantoms“ ist. Was verbindet diese beiden Alben, warum war es dir wichtig, dass dieses Album auf euer erstes verweist?
Der Hauptgrund für den offensichtlichen Bezug ist die Ähnlichkeit zwischen den beiden Alben in Bezug auf Atmosphäre und Stimmung. Drei Jahrzehnte sind vergangen, und es war an der Zeit, zurückzublicken und noch einmal zu sehen, wo wir angefangen haben. In gewisser Weise hat sich der Kreis geschlossen. Die letzten beiden Alben hatten moderne Cover, weil die Musik mehr oder weniger modern und experimenteller war. Es hätte keinen Sinn gemacht, für sie ein altmodisches Artwork zu verwenden. Umgekehrt wäre „Heavenly Down“ mit einem modernen Artwork seltsam geworden. Es lag also auf der Hand, Kris [Verwimp, Artworkkünstler – A.d.Red.] zu bitten, das Artwork wieder zu gestalten, mit einigen Verweisen auf unsere Vergangenheit.

Wie hat er reagiert, als ihr ihn um ein „Remake“ des „Phantoms“-Covers gebeten habt?
Er war sehr aufgeregt und enthusiastisch. Ich habe ihm die Demoversionen der einzelnen Songs geschickt, und er hat das Artwork gemacht, während er sie sich angehört hat. Ich finde, er hat die Atmosphäre des Albums wirklich gut eingefangen. Außerdem liebe ich die Farben und die geheimnisvolle Szenerie. Er hat wirklich wieder einen großartigen Job gemacht. Es ist wichtig, dass er unsere Musik mag und fühlt. Er war ein Teil unserer Geschichte und hat immer atemberaubende Kunstwerke gemacht.

SEAR BLISS 2024 (Pressebild)

Du hast es eben schon angesprochen: Die letzten beiden Alben waren eher progressiv, das neue klingt auch musikalisch wieder mehr nach eurem Frühwerk. Wann im Entstehungsprozess hat diese Rückbesinnung auf die Vergangenheit stattgefunden?
Ich sage dir, was tatsächlich passiert ist. Wir haben uns dieses Mal nicht von den negativen Dingen beeinflussen lassen. Wir haben sie ausgeschlossen. Genau wie in der Vergangenheit, bei unseren frühen Veröffentlichungen. Deshalb hört man auch so viele Ähnlichkeiten. Es war also nicht wirklich beabsichtigt. Wir haben es erst später gemerkt, dass wir ähnlich arbeiten wie in den Anfangstagen. Bei den letzten beiden Platten hatten wir so viele Probleme, sowohl innerhalb der Band als auch auf persönlicher Ebene. Das ist der Grund, warum es schwieriger ist, diese Alben zu hören. Diesmal, vor allem nach dem Weggang unseres Gitarristen, sind Energien entstanden, und wir haben die negativen Einflüsse in positive umgewandelt.

Aber habt ihr gezielt in diese Richtung gearbeitet – zum Beispiel in Bezug auf den Sound oder auch das Cover?
Ursprünglich war die Musik von SEAR BLISS ziemlich heroisch und erhebend. Irgendwie haben wir das im Laufe der Jahre verloren, und jetzt sind wir einfach zu der ursprünglichen Formel zurückgekehrt. Dieses Album ist auf eine sehr ähnliche Weise entstanden wie zum Beispiel „Phantoms“. Wir sind in den Proberaum gegangen und haben die Songs zusammengefügt, wie eine richtige Band. Es war wichtig, den Old School Spirit beizubehalten. Wir sind auch in ein professionelles Studio gegangen und haben dort fast alles aufgenommen, wie man das früher gemacht hat. Das kostet viel mehr Zeit und Geld, aber deshalb klingt das Album auch so kraftvoll und echt. Das Gleiche gilt für das Artwork. Wir wollten keine Computergrafiken oder KI. Viele Bands machen das nicht und versuchen stattdessen, alles zu vereinfachen.

Das Album ist fast in der gleichen Besetzung entstanden wie euer letztes, vor dem es einen großen Besetzungswechsel gab – außer dir ist niemand mehr aus der Zeit davor übrig. Was ist eigentlich 2013 passiert, das zu diesem radikalen Besetzungswechsel geführt hat?
Das weiß ich gar nicht mehr so genau. Wir hatten im Laufe der Jahre so viele Besetzungswechsel. Um 2013 herum habe ich beschlossen, eine Pause einzulegen, weil die Band nicht so funktionierte, wie ich es wollte. Man muss sich für die Band engagieren, sonst hat es keinen Sinn. Also habe ich damals beschlossen, mich lieber auf mein Soloprojekt Arkhē zu konzentrieren und damit ein Album aufzunehmen. Es war gut, frei zu sein. Jetzt scheinen wir ein stabiles Line-up zu haben, und ich hoffe, dass es so bleibt, denn wir haben noch nie zwei Alben in der gleichen Besetzung gemacht.

Die „neuen“ Mitglieder waren während der eher avantgardistischen Phase der Band hinzugekommen. Waren sie alle glücklich darüber, dass ihr zu einem traditionelleren Ansatz zurückgekehrt seid?
Nicht alle von ihnen waren neu, als sie dazukamen. Unser Posaunist zum Beispiel war vor der Auflösung der Band etwa zehn Jahre lang dabei und kam 2013 zurück. Einer der Gitarristen war auch schon vorher in der Band. Da wir nun mehr als Band arbeiteten, gefiel ihnen auch dieser traditionellere Ansatz. Wir sind alle der Meinung, dass wir jetzt auf dem richtigen Weg sind. Eigentlich hatten wir noch nie zuvor eine so gute Chemie in der Band.

SEAR BLISS auf dem Dark Easter Metal Meeting 2019; © Afra Gethöffer-Grütz/Metal1.info

Wie geht es für euch jetzt weiter, werdet ihr auf Tournee gehen? Und werden wir weitere sechs Jahre (oder länger) auf das nächste Album warten müssen?
Im Moment sind wir mitten in der Festival-Saison. Letzte Woche hatten wir eine tolle Show in Budapest, und in ein paar Tagen geht es nach Deutschland, um beim In Flammen Open Air zu spielen. Nach den Sommer-Shows werden wir im Oktober auf Tour gehen, um das neue Album zu promoten. Das wird sicher lustig werden. Ich hoffe, ihr müsst nicht wieder sechs Jahre auf ein neues Album warten. Das wäre zu viel, denn wir sind schon ziemlich alt. (lacht)

Vielen Dank für deine Zeit – lass uns das Interview mit einem Brainstorming abschließen:
Fußball-Europameisterschaft:
Wir sind enttäuscht, dass Ungarn bereits aus der Meisterschaft ausgeschieden ist. Wir hatten gehofft, dass sie noch ein bisschen länger bleiben. Ich nehme an, ihr habt jetzt ähnliche Gefühle mit eurem Team.
Darkthrone: Ich liebe sie wirklich sehr. Das neue Album ist fantastisch, ich höre es mir regelmäßig an. Fenriz ist der Beste.
Hammerheart Records: Sie machen einen tollen Job mit „Heavenly Down“. Ihr Support ist großartig. Wir sind mehr als zufrieden mit ihnen.
Künstliche Intelligenz: Ein Schritt weiter in Richtung Weltuntergang.
SEAR BLISS in zehn Jahren: Wir haben noch viel vor! Ich glaube, dass wir auf dem richtigen Weg sind und ich hoffe, dass wir noch stärker werden. Wir haben noch viel zu erzählen.

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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