Interview mit Admin "Rammstein USA" - Fangruppe von Rammstein

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Auf unser Special „RAMMSTEIN – hinter den Kulissen der Stadion-Tour“ haben wir unzählige positive Rückmeldungen erhalten. Nicht zuletzt von der Facebook-Gruppe Rammstein USA – obwohl die Tour nur in Europa unterwegs ist. Im außerplanmäßigen siebten Teil der Serie wollten wir den hingebungsvollen RAMMSTEIN-Fans eine Stimme geben und haben den Admin der Fan-Gruppe zum Gespräch gebeten.

Was macht für dich den Reiz von RAMMSTEIN aus, warum sind sie für dich die größte Band der Welt?
Auf ihre Weise setzen sie sich für die Menschenrechte, das Streben nach Glück, Akzeptanz, Unabhängigkeit und persönliche Freiheit ein. Politische Freiheit. Künstlerische Freiheit. Soziale Freiheit. Religionsfreiheit. Sexuelle Freiheit.  Vom ersten Tag an, noch bevor RAMMSTEIN RAMMSTEIN war, haben sie unumwunden den lautesten kollektiven Mittelfinger gezeigt und im Grunde genommen zusammen mit den sozial Ausgegrenzten „f*ck you“ gesagt.

Mit welchem Song hat dich RAMMSTEIN erwischt – was war der erste Song, den du gehört hast, der dich zum Fan gemacht hat?
Im November 1997 kam der Soundtrack zu „Mortal Kombat: Annihilation“ heraus, und ich habe ihn mir aus Neugier gekauft, weil ich die meisten Künstler nicht kannte. Damals hatte ich absolut keine Berührungspunkte mit der deutschen Sprache und ich hatte noch nie von RAMMSTEIN gehört. Aber „Engel“ klang einfach so „von einer anderen Welt“, dass ich sofort fasziniert war. Das erste Mal Deutsch zu hören, und das in dieser Ausdrucksweise, hat mich wirklich fasziniert. Als YouTube populär wurde, habe ich ihre Auftritte gesehen und sie in größerem Umfang schätzen gelernt. Für mich ging es immer in erster Linie um die Musik. Ich habe die visuelle Ästhetik nicht gebraucht, um die damalige Sprachbarriere auszugleichen, weil die Sprache interessant genug war, um meine Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten.

Und was ist heute dein Lieblingslied?
„Imagine“ von John Lennon. Ziemlich sicher nicht die Antwort, die du erwartet hast. Wenn du dich auf RAMMSTEIN beziehst, ist mein Favorit „Ich will“.

Du leitest die Facebook-Gruppe „Rammstein USA“. Wie kam es dazu?
„Rammstein USA“ ist derzeit ein Drittel von LIFAD USA, der Gemeinschaft, die RAMMSTEIN, Lindemann und Emigrate in den USA fördert. Das Projekt wurde am 16. November 2010 von dem vormaligen Administrator gegründet, von dem ich die Leitung 2016 übernommen habe. Von Anfang an war unser Ziel, eine qualitativ hochwertige Community für Fans weltweit aufzubauen, die sich darauf fokussiert, diese direkter einzubeziehen, ihnen ein Forum zu bieten, in dem sie sich mit anderen verbinden können, ihnen einzigartige Wettbewerbe und Verlosungen anzubieten und ihnen natürlich Zugang zu nützlichen und vertrauenswürdigen bandbasierten Informationen zu verschaffen. Aber das Wichtigste ist, dass wir die Band konsequent ehren und das höchstmögliche Maß an Integrität in Bezug auf RAMMSTEIN wahren. Es gibt viele LIFAD-Tochter-Fanclubs weltweit, die gemeinsam als großes Netzwerk fungieren. Wir sind nur zufällig eine, die von den Staaten aus operiert.

Was bedeutet dir die Gruppe, welchen Sinn siehst du darin?
Die Fans müssen sich willkommen fühlen und hier ein Gefühl der Sicherheit und Offenheit haben. Dass ihre Leidenschaft für die Band geschätzt wird und sie an etwas teilnehmen können, das Spaß macht, das sie anspricht, ohne Angst zu haben, von anderen erniedrigt zu werden, weil sie unterschiedliche Meinungen haben. Social Media im Allgemeinen können sowohl ein Fluch als auch ein Segen sein. Es kann sehr grausam und unsicher sein. Das ist es, was ich persönlich an dieser Gemeinschaft am meisten liebe, und das hat mich schon vor langer Zeit dazu gebracht, dass ich mich hier immer willkommen gefühlt habe. Was wir absolut nicht tolerieren werden, sind Respektlosigkeiten, weder gegenüber der Band noch gegenüber anderen. Unser Mantra vom ersten Tag an war immer „Für die Band, für die Fans“.

Wir veröffentlichen Artikel, beantworten Fanfragen und interagieren mit ihnen. Es macht immer Spaß, interessante Ideen für Verlosungen zu entwickeln, denn manchmal beziehen wir die Fans mit ein, um herauszufinden, was sie gerne hätten. Wenn es offizielle Ankündigungen oder Materialien gibt, teilen wir das mit. Einige der Veranstaltungen, die wir organisieren, befassen sich mit einem bestimmten Thema, das etwa auf einem Song basiert. Die „Waidmanns Heil Duck Hunt“, die wir letzten November zu unserem achten Jahrestag veranstaltet haben, war ein großer Erfolg bei den Fans in den USA. Größere Veranstaltungen wie diese erfordern viel Planung, Networking, die Ausarbeitung der Regeln, Promotion und dann die Durchführung. Wir haben ein hervorragendes Team, das sich für solche Dinge freiwillig zur Verfügung stellt. Geburtstage von Bandmitgliedern werden gefeiert und manchmal verschenken wir dann Merchandise oder Geschenkgutscheine für den RAMMSTEIN Shop. Die Fans freuen sich auch immer auf Weihnachten, denn wir verteilen auch da mehrere Geschenke. Alles, was wir spendieren, wird nur über offizielle Quellen wie den RAMMSTEIN-Shop, Doktor Dick [Lindemanns Modelabel, A. d. Red.], Konzertveranstalter und so weiter beschafft. Alle signierten Artikel sind garantiert echt, sodass die Fans wissen, dass sie auch wirklich ein Original bekommen. Die Fans in ein Gespräch einzubinden ist Teil der Zielsetzung, und je mehr Fans in einem positiven Umfeld miteinander kommunizieren, desto produktiver wird die Community als Ganzes. Das Wichtigste ist, sicherzustellen, dass die Informationen, die wir veröffentlichen, korrekt und unserer Meinung nach interessant sind, und dass wir sie nicht jede Stunde mit Schrott überfluten. Manchmal arbeiten wir mit anderen LIFAD-Communitys zusammen und unterstützen kleinere oder neuere, die gerade erst anfangen und ermutigen unsere Fangemeinde, auch sie zu unterstützen.

Hast du schon einmal Feedback von der Band oder dem Management über dein Engagement erhalten? Fühlst du dich für deine Arbeit für die Band geschätzt?
Die Dinge, die sie uns erlauben oder die sie uns bitten, für die Fans zu tun, sind positives Feedback genug und sie haben uns in dieser Hinsicht viel Freiheit gegeben. Der Gründungsadministrator und ein paar Fans repräsentierten die Gemeinschaft in der Dokumentation „Rammstein in Amerika“. Das ist das größte Kompliment von allen. Wir haben mit Tills Doktor-Dick-Manager bei einem coolen Gewinnspiel zu Tills Geburtstag zusammengearbeitet, bei dem Till den Gewinner selbst ermittelt hat. Richard und Arnaud haben Gitarren für uns zum Verschenken signiert und wir haben beide Herren 2014 interviewt, kurz bevor Emigrate „Silent So Long“ rausbrachten. Wir werden eine dieser Gitarren hoffentlich irgendwann in diesem Jahr verschenken. Wir haben die Fans für Emigrates Videodreh im vergangenen Jahr in Los Angeles ausgesucht. Danny Wimmer Presents hat sich 2017 mit uns zusammengetan, um ein Hotel- und Ticketpaket für RAMMSTEINs Las-Vegas-Show zu verschenken. Die Gewinner waren ein australisches Paar, das während seines Aufenthaltes in Vegas geheiratet hat, das war wirklich toll. In diesem Sommer hat RAMMSTEIN den LIFAD-Fanclubs weltweit erlaubt, Probenpässe für Gelsenkirchen zu vergeben. Wir haben dafür einen schönen Wettbewerb entwickelt. Die Begeisterung und Dankbarkeit dieser Gewinner zu sehen, als wir sie kontaktiert haben, war einfach fantastisch. Es ist lebensverändernd für diese Fans und das ist das ultimative Feedback für uns. Das definiert wirklich unseren Zweck.

Wie oft und wo hast du RAMMSTEIN live gesehen – und hast du die Band außerhalb der Bühne getroffen?
Das erste Mal war das Chicago Open Air 2016, dann wieder in Chicago (Tinley Park) 2017, gefolgt von der Stadiontour in diesem Sommer in Berlin und Paris. Und ja, ich habe sie getroffen.

Bist du nur für die beiden RAMMSTEIN-Shows nach Europa gekommen?
Das war perfektes Timing mit den Shows, weil ich in Europa Freunde habe, die ich bis dahin noch nie getroffen hatte, aber wegen RAMMSTEIN kenne, also war es sinnvoll, das alles zu verbinden.

Hat sich der Aufwand an Zeit und Geld gelohnt? Was hat dich an der Show am meisten beeindruckt?
Es hat sich absolut gelohnt. Berlin war eine historische Show. Alles an dieser Tour ist für mich beeindruckend, denn es ist nichts, was über Nacht hastig zusammengeschmissen wurde, und dass alles perfekt ineinandergreift, ist ein großes Unterfangen. Aber andererseits ist alles, was RAMMSTEIN tut, so gut geplant. Das muss es sein, wenn man mit einer Produktion dieser Größenordnung arbeitet. Es gibt keinen Raum für Fehler. Paris fühlte sich persönlicher an, weil der Veranstaltungsort kleiner ist. Es ist wichtig, dass sich die Fans mit der Band verbunden fühlen, egal wie weit voneinander entfernt sie sich im Veranstaltungsort befinden, und das kann in einem Stadion schwierig sein.

Wenn du dich entscheiden müsstest: Mit welchem der sechs Musiker von RAMMSTEIN würdest du gerne ein Bier trinken – und warum ausgerechnet mit ihm?
Till. Ich bete ihn absolut an. Er hat diese ruhige, witzige, intelligente Art und er scheint leicht zurechtzukommen. Er ist bodenständig und wirklich ein netter Kerl. Ich könnte ihm stundenlang zuhören. Till ist die Art von Person, die die größte Berühmtheit im Raum sein könnte, aber wenn man nicht wüsste, wer er ist, würde man nie diesen Eindruck von ihm bekommen, weil er einem leicht das Gefühl vermitteln könnte, dass man wichtiger ist als er. Er hat einfach diese Qualitäten an sich, die ich bei jedem Menschen bewundere.

Alle RAMMSTEIN-Texte sind in deutscher Sprache verfasst. Stört dich das als Amerikaner nicht, der es gewohnt ist, alle Texte zu verstehen?
Überhaupt nicht. Es gehört für mich zum Reiz ihrer Musik, dass die Texte nicht auf Englisch sind. Diese Sprache würde ohnehin nicht zu ihrem Musikstil passen. Ich kann die englischen Versionen von „Engel“ oder „Du Hast“ nicht hören, weil es für mich einfach nicht richtig klingt. Musik im Allgemeinen kann so langweilig, so repetitiv und vorhersehbar sein. Sogar konservativ. Und ich rede nur von Liedern auf Englisch. Die Etymologie der deutschen Sprache ist für mich noch neu, weil ich in der High School keinen Kontakt zu ihr hatte. Ich hätte erst an der Universität Deutsch studieren können, als ich RAMMSTEIN entdeckt hatte, aber das habe ich nicht gemacht. Den Fans scheint egal zu sein, dass die Texte auf Deutsch sind. Übersetzungen, auch wenn sie nicht zu 100 % korrekt sind, sind leicht zu finden, sodass Fans eine ziemlich gute Vorstellung von der Thematik haben.

Welchen Unterschied macht es für dich, ob du den Text eines Songs direkt verstehst oder ob er auf Deutsch gesungen wird? Macht es die Songs spannender, reizt es dich, sie zu übersetzen?
RAMMSTEIN haben mal gesagt, dass Pyro und die ganze Show nötig seien, weil die meisten Fans die Texte nicht verstehen würden – also müsse es eine andere Art der Unterhaltung geben, um die Aufmerksamkeit des Publikums aufrecht zu halten. Ich glaube nicht, dass das auf viele Fans zutrifft, besonders in Zeiten des Internets und der Fülle an Wissen, die fast jedem zur Verfügung steht. Übersetzungen sind jetzt leicht zugänglich. Es ist jedoch ein bisschen wie ein zweischneidiges Schwert. Deutsch lässt sich nicht immer gut ins Englische übersetzen, sodass es natürlich ein Nachteil ist, wenn man nicht Deutsch spricht, da einige der Bedeutungen verloren gehen können.

Ich recherchiere die Übersetzungen, damit ich so viel von der Bedeutung des Songs wie möglich erfahren kann. Das ist der Punkt, an dem einige Fans die Band völlig falsch verstehen. Sie hören nur die Musik, Tills Stimme und wie männlich sie ist, aber da hört ihr Interesse auf. Dinge wie die Bezüge auf die klassische deutsche Literatur und Kultur könnten ihnen dabei komplett entgehen.  An diesem Punkt ist RAMMSTEIN einfach nur Unterhaltung. RAMMSTEIN hat aber so viel mehr zu bieten als das und es gibt eine Fülle von textlichen Inhalten, wenn man die Kunst von RAMMSTEIN voll und ganz genießen will. Die beiden Begriffe sind völlig unterschiedlich. Wenn Fans RAMMSTEIN als Kunst schätzen, erfordert dies Respekt vor der Integrität, die sie als wahre Künstler haben.

Wahre Künstler verankern Bedeutung in ihrer Arbeit und ihre Anhänger sollten ein echtes Interesse daran haben, diesen Wunsch zu unterstützen. Es liegt an der Fangemeinde, RAMMSTEIN eine Plattform zum Sprechen zu geben, und die bekommen sie auch. Bloße Unterhaltung verkauft uns eine Fantasie, die schnell vergessen wird. Sie verlangt nichts von uns. Kunst hingegen fordert uns auf, Entscheidungen zu treffen, das Leben zu untersuchen und echten Gefühlen ausgesetzt zu sein. Sie zieht Emotionen und Reaktionen aus uns heraus und hält uns einen Spiegel vor, der den Realismus und den menschlichen Zustand darstellt. Kein anderer Künstler kommuniziert das so effektiv wie RAMMSTEIN.

Im Allgemeinen sind Amerikaner es gewohnt, dass Rockstars aus Amerika kommen. Wie fühlt es sich an, eine deutsche Band zu feiern?
Man ist vorsichtig stolz. Ich sage das, weil man von Amerikanern, wenn man hier bei mir „Deutschland“ oder „Deutsch“ oder „RAMMSTEIN“ gegenüber bestimmten Leuten erwähnt, die keine Fans sind, mit Argwohn betrachtet werden könnte. Sie könnten sich von dir zurückziehen, die Wand seitwärts hochkriechen und dich beschuldigen, ein Nazi zu sein. Entweder das oder sie wollen dich bekehren, weil sie es nicht besser wissen. Es ist ein perfekter Spiegel der Intoleranz und Unwissenheit, die in einigen Teilen Amerikas existiert. Wenn du nicht dort wohnst, wo es viel Vielfalt gibt, werden dich Menschen, die dich nicht kennen, härter verurteilen. Es gibt gute Gründe, bestimmte Dinge privat zu halten. Das ist nur meine persönliche Erfahrung und spiegelt in keiner Weise wider, was andere erleben. Den Fanclub hat es nicht ohne Risiken und Vorfälle gegeben, was auch der Grund für den Rücktritt des Gründungsadministrators war.

Man macht jedoch auch interessante Erfahrungen. Die Leute haben versucht, das Nummernschild von meinem Auto zu stehlen, weil „FEUER“ draufsteht und sie glauben, dass es etwas anderes bedeutet. Ein Nachbar fragte mich, ob er vor mir salutieren müsse, als er es sah, also erklärte ich höflich, was es bedeutete. Wir erhalten manchmal Hass-E-Mails und Nachrichten, aber das geht einfach mit der Gegend einher. Ich bin sicher, dass andere Fanclubs ähnliche Dinge erlebt haben.

Innerhalb einer Stunde nach der Veröffentlichung des Trailers für „Deutschland“ war unser Posteingang voll von Nachrichten von Radiosendern und anderen Medien, die wissen wollten, was da los ist. Ich habe mich einfach zurückgelehnt und gegrinst. Es war wirklich ziemlich amüsant, aber in gewisser Weise auch sehr befriedigend zu sehen, wie sich diese Jungs bildlich gesehen gewunden haben und Annahmen getroffen haben, bevor sie das komplette Video gesehen haben. Das war brillant.

Deshalb sage ich, dass ich vorsichtig stolz darauf bin, ein Fan zu sein. Menschen werden jeden Tag wegen ihres Glaubens verfolgt und weil sie das tun, was sie glücklich macht. Damit schließt sich der Kreis zu dem, was die Anziehungskraft von RAMMSTEIN für mich ausmacht: Sie haben mir einen Weg gegeben, wie ich akzeptieren kann, wer ich als Individuum bin, und ein Gefühl der persönlichen Freiheit, das keine Zustimmung von jemand anderem erfordert. RAMMSTEIN ist eine ganz andere Welt, in die die Fans jederzeit entfliehen können. Ich habe die coolsten, bodenständigsten Menschen getroffen, die durch RAMMSTEIN zu meinen besten Freunden geworden sind.

Wie erklärst du dir generell den Erfolg von RAMMSTEIN auf internationaler Ebene? Was macht RAMMSTEIN besonders, wenn man die Texte nicht direkt versteht?
Sie haben weltweit sprachliche, kulturelle, stereotype und künstlerische Barrieren überwunden.  Es gibt etwas unbestreitbar Mächtiges in ihrer Kunst, das Bände zu dem sozialen Underdog in uns spricht. Wir wollen alle nur friedlich existieren, so, wie wir es für uns individuell und aus unserem eigenen freien Willen heraus als natürlich erachten – und solange die Freiheit und das Glück anderer nicht beeinträchtigt wird. RAMMSTEIN hat Menschen aus aller Welt dazu inspiriert, Deutsch zu lernen, nach Deutschland zu gehen, sich sogar dort niederzulassen und die Kultur und Geschichte zu entdecken. So viele Fans zu sehen, die motiviert waren, diese Dinge zu tun, war beeindruckend und ziemlich befriedigend. Für sie geht es nicht nur um die Musik, es geht wirklich um etwas viel Größeres als die Band. Das ist eine inhärente Qualität, die RAMMSTEIN besitzt und die nicht übersehen werden sollte.

Das neue Album ist umstritten – ich persönlich bin nicht überzeugt. Was hältst du davon? Könntest du in deiner Funktion überhaupt zugeben, wenn du etwas von RAMMSTEIN nicht gut findest?
Es gibt vier Songs auf dem neuen Album, die mir wirklich gefallen, aber ich bin kein Fan des Albums als Ganzes und ich habe kein Problem damit, das zuzugeben. So war es auch bei „Rosenrot“ für mich. Ich mag Teile davon, aber nicht alles. Ich schätze die Vielseitigkeit von „Diamant“, dass es das Talent von RAMMSTEIN zeigt, einen Song zu produzieren, der nicht wie alles andere klingt, was sie zuvor gemacht haben. Niemand sollte sich verpflichtet fühlen, alles zu mögen, was sein Lieblingskünstler veröffentlicht, da das eine Frage der persönlichen Meinung ist. Diskussionen wären sonst ziemlich langweilig, also sollen sich die Fans auch wohl dabei fühlen, wenn sie etwas nicht mögen. Das ist es, was wir ihnen gegenüber betonen. Sie können sich gerne darüber streiten, ob eine Platte überproduziert oder zu poppig klingt oder nicht.

RAMMSTEIN haben auf ihrer Stadiontournee (abgesehen von „Links 2 3 4“) erstmals auf der Bühne klar politisch Stellung bezogen: In Deutschland hat Till seine Kollegen in den „Flüchtlingsbooten“ mit einem Schild willkommen geheißen, in Polen haben sie die Regenbogenfahne geschwenkt und in Russland haben sich Paul und Richard geküsst. Hat dich das überrascht – und was hältst du davon?
Es hat mich überhaupt nicht überrascht. Als wir die Fotos und Artikel geteilt haben, habe ich aber schon ein paar negative Fanreaktionen erwartet, und es gab auch welche. Da habe ich mich schon gefragt, wie viel von RAMMSTEIN diese Fans wirklich verstanden haben. Wissen sie überhaupt, woher diese Band kommt? Haben sie keine Ahnung, was „Mann gegen Mann“ bedeutet? Die Fans nahmen keinen Anstoß am simulierten Analverkehr während der Live-Auftritte, zogen aber bei einer Regenbogenflagge und dem Kuss die Grenze? Lesen die Leute keine Interviews und sehen sich keine der „Making-of“-Videos an?

Menschen protestieren gegen Menschen, die einander lieben, wo es so viel Hass und Spaltung in dieser Welt gibt. Sie protestieren, wenn andere das Glück und eine tragfähige Zukunft für ihre Kinder suchen. Sie verweigern anderen genau die Freiheiten, die sie für sich selbst bedingungslos fordern.  An diesem Punkt ist es kein politisches Problem mehr. Es ist eine Menschenrechtsfrage.

Als das Video zu „Deutschland“ veröffentlicht wurde, haben wir auf die historischen Ereignisse aufmerksam gemacht, auf die verwiesen wurde. Es war interessant zu sehen, wie die Fans diesen kontinuierlichen Dialog natürlich in mehreren Diskussionsfäden weiterentwickelten, insbesondere in Bezug auf den Holocaust, der ja im Mittelpunkt steht.

Wir haben absichtlich dieses Gespräch mit den Fans begonnen, da es sich auf das Video bezog, in der Hoffnung, dass sie weitermachen und diesen Dialog auf eine ganz neue Ebene bringen würden. Ich denke, etwa jeder 20. Europäer weiß wenig bis gar nichts über den Holocaust. Insofern ist „Deutschland“ ebenso ein Bildungsinstrument wie ein brillantes Musikvideo. Stell‘ dir vor, wie viele Millionen Mal es bisher angeschaut wurde und wie viele Menschen dieses Video in den sozialen Medien geteilt haben. Bei RAMMSTEIN passiert nichts zufällig. Das ist alles Teil des Plans. Ich liebe die deutsche Kultur der Präzision.

Gerade in Deutschland gibt es viele RAMMSTEIN-Fans, die den unpolitischen Charakter der Band zu schätzen wussten, vielleicht auch, weil sie selbst auch gegen diese Toleranz sind. Wie ist das in Amerika? Welchem politischen Spektrum würdest du die Fans wahrscheinlich aus deinen Erfahrungen zuordnen?
Es gibt Leute, die argumentieren würden, dass man Musik und Politik nicht mischen sollte. Dass Musiker „auf ihrer eigenen Spur bleiben sollten“, wie man heute so sagt.  Ich sage, das ist Blödsinn. Das ist für Amerikaner, die noch nie unter Diktatur und Faschismus überleben mussten, leicht gesagt.

Fans, die an diesem Punkt der Bandkarriere plötzlich von RAMMSTEIN überrascht sind, haben nicht aufgepasst. Lies zwischen den Zeilen. Amerika steht an einem sehr kritischen Scheideweg in seiner noch sehr jungen Geschichte, und wir haben die Möglichkeit, mit ihm etwas ganz Besonderes zu machen. Deutschland hat sich klugerweise dafür entschieden, Beispiele seiner Geschichte, wo und wie es alles verschissen hat, zu einer Botschaft an die Welt zu machen. Deutschland ist das abschreckende Beispiel, von dem der Rest der Welt lernen sollte. Aber leider wird das unter den Teppich gekehrt. Die nächste Generation wird noch weiter von dieser Geschichte entfernt sein, als wir es jetzt sind.

Das mag für manche töricht klingen, und es gibt Fans und Kritiker, die anderer Meinung sind, aber ich glaube, dass „Deutschland“ eines der kritischsten Werke ist, sowohl textlich als auch visuell, das es je in der Musikindustrie gab. Die Geschichte entfernt sich immer weiter vom Holocaust; die Welt beginnt zu vergessen. „Nie wieder“ ist ein gängiger Refrain unter denjenigen geworden, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, zu lernen, was die Geschichte uns lehren muss.  Wer hat die Stimme und die Kraft, die Aufmerksamkeit der Welt auf diese Lektionen zu lenken, in der Hoffnung, ein kontinuierliches Bewusstsein zu fördern?  Es braucht eine Stimme, die nicht nur das Olympiastadion in Berlin, sondern auch die Stadien auf der ganzen Welt packen kann. Das ist es, was es braucht. Es braucht eine Stimme, die Millionen von Aufrufen auf YouTube bekommen kann. Das ist es, was es braucht. Es braucht jemanden, der vor 80 000 Menschen aufstehen kann, und sie werden zuhören und bewegt sein. Das ist es, was es braucht. Es braucht jemanden, der andere zum Handeln motivieren und Ergebnisse erzielen kann. Das ist es, was es braucht. Die Botschaft ist leicht zu vermitteln und leicht zu verstehen. Es geht darum, die Leute dazu zu bringen, zuzuhören und etwas zu tun – das ist der schwierige Teil! Als ich diesen Sommer in Deutschland war, um RAMMSTEIN zu sehen, habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, das Konzentrationslager Sachsenhausen, die Berliner Mauer und den Checkpoint Charlie zu besuchen. KFC und McDonalds gegenüber dem Checkpoint Charlie haben unmissverständlich klargemacht, dass der Kalte Krieg vorbei ist und wir gewonnen haben. Aber von jeder dieser Gedenkstätten bin ich als eine andere Person weggegangen. Demütig. Mit gebrochenem Herzen. Zu Hause im Mittleren Westen der USA auf der Couch alte Dokumentarfilme aus dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg zu sehen, ist nichts im Vergleich zu einem realen Spaziergang durch einen Todesgraben, wo Zehntausende systematisch ermordet wurden. Familien wurden auseinandergerissen, Menschen, die in Westdeutschland arbeiteten, hatten plötzlich keinen Job mehr, weil eine Mauer buchstäblich über Nacht hochgezogen wurde und ihr ganzes Leben der ständigen Überwachung und Kontrolle geopfert wurde. Es gibt absolut keinen Vergleich. Wir Amerikaner haben keine Ahnung, wie frei wir wirklich sind, weil wir diese Freiheit nie verloren haben. Noch nicht.

Ich konnte es emotional nicht ertragen, im Krematorium des Lagers zu sein und die Statue zu sehen, die dort zu Ehren derer gebaut wurde, die gelitten und gestorben waren. Ich kann immer noch den Keller der Krankenstation riechen. Tod. Verfall. Unvorstellbares Leiden. Das lässt dein Blut in den Adern gefrieren. Das ist etwas, das jeder Mensch sehen sollte, wenn er es nicht schon getan hat. Daran zu denken, dass das nicht überall gelehrt wird, ist der traurigste Teil von allem. Es gibt zwei Bücher, die ich gerade lese. „Stasiland: Stories from Behind the Wall“ ist ein preisgekröntes Buch von Anna Funder, das persönliche Erfahrungen von Ostdeutschen mit der Stasi erzählt und wie das Leben im Osten nach dem Krieg, nach dem Mauerbau und auch nach dem Mauerfall aussah. Das andere ist von Dr. Rainer Hildebrandt mit dem Titel „It Happened at the Wall“, das ich während meines Aufenthaltes in Berlin gekauft habe. Es setzt Dinge in eine bestimmte Perspektive, die für Amerikaner schwer zu verstehen ist, weil wir nie unter diesen Bedingungen gelebt haben. Wir sind automatisch in die Freiheit hineingeboren. Was davon hat mit RAMMSTEIN zu tun? Alles. Absolut alles. Findet mehr über die Berliner Mauer und über diese Band heraus und was sie antreibt. Es gibt RAMMSTEIN, weil die Mauer fiel, aber auch, weil die Mauer gebaut wurde. Es ist ein bisschen verzwickt, nicht wahr?

Wenn man also in Bezug auf Musik und Politik argumentiert, dass die beiden nicht gemischt werden sollten, vergiss nicht die sechs Musiker aus dem Osten, die hinter der Mauer gelebt haben. Sie sind so gut geeignet wie nur wenige andere Menschen, wenn nicht sogar „überqualifiziert“, um in ihrer Kunst so politisch zu sein, wie sie es verdammt noch mal wollen. Wenn sich die mit einer Stimme nicht für diejenigen ohne Stimme einsetzen, wer dann? Stell‘ dir vor, Richard würde ein Buch über sein Leben schreiben, mit näheren Details zu seiner Verhaftung durch die Stasi 1989. Die Fans würden ein viel klareres Bild und einen tieferen Respekt dafür bekommen, wer er ist – nicht nur als Musiker, sondern als jemand, der im Osten geboren und aufgewachsen ist.

Die Fans kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen, religiösen Überzeugungen und Lebensstilen. Gleiches gilt für die Politik, deshalb ist das Spektrum breit. In den meisten Fällen respektieren die Fans die Ansichten der anderen, aber wir tendieren in unserer Gruppe dazu, nicht über Politik zu diskutieren oder die Fans in dieser Beziehung zu ermutigen. Sie wollen nur die Musik und die Band genießen. Sie genießen die Gesellschaft anderer Fans. Es ist einfach schön, eine Nachricht von jemandem zu erhalten, der sagt, dass er seinen zukünftigen Mann oder seine zukünftige Frau wegen RAMMSTEIN kennengelernt hat. Oder dass Oliver sie inspiriert hat, Bass zu lernen, oder dass sie bei einem Meet & Greet andere Fans getroffen haben und seitdem gute Freunde geworden sind. Vor kurzem schrieb uns ein Fan, dass sie die Band diesen Sommer kennenlernen durfte, und sie nutzte die Gelegenheit, Paul einen Dankesbrief zu geben, und in diesem Brief erklärte sie, wie sie mehrmals Selbstmordversuche unternommen hatte, aber RAMMSTEINs Musik einen so tiefen Einfluss auf sie hatte und es ihr Leben veränderte. Momente wie diese sind ein Beweis dafür, wie kraftvoll Musik wirklich ist und welche Veränderungen durch Musik erreicht werden können.

Was wünschst du dir als Fan? Was willst du noch mit deiner Fangruppe erreichen?
Dass RAMMSTEIN bald in den Ruhestand gehen, dass sie aufhören, während sie an der Weltspitze sind. Eine weitere Sache, die ich mir wünsche, ist, dass sie alle Texte auf Englisch als offizielle Übersetzungen veröffentlichen.

Mit dem Fanclub hat meine Antwort mehr mit Fans weltweit im Allgemeinen zu tun als nur mit denen hier in den USA. Ich hoffe, dass die Fangemeinde zu dem von mir bereits erwähnten „kontinuierlichen Bewusstsein“ wird. Dass RAMMSTEIN mit der Zeit nicht in Vergessenheit gerät und dass die Fans den nachfolgenden Generationen von den sechs Musikern aus der DDR erzählen, woher sie kommen, wie sie aufgewachsen sind und warum sie etwas Besonderes sind. Fünfundzwanzig Jahre in der Zukunft, fünfzig Jahre … dass ihre Kunst immer noch relevant sein wird. Abhängig von bestimmten politischen Landschaften kann RAMMSTEIN in Zukunft viel relevanter sein als heute.

Und was macht RAMMSTEIN-Fans so besonders, was haben sie alle gemeinsam?
Vielleicht gibt es eine Bindung an die Band, die von etwas anderem als nur der Musik so aufgebaut wurde, dass jeder Fan diese Frage für sich beantworten könnte. Wir fühlen uns von RAMMSTEIN angezogen, weil sie in der Lage waren, die musikalische Landschaft auf eine Weise zu infiltrieren und zu verändern, wie es noch kein anderer Künstler je zuvor getan hat.

Nochmals vielen Dank für deine Zeit. Die letzten Worte gehören dir:
Danke für dein Interesse!

 

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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