Interview mit Martin Koller von Prophecy Productions (Teil 1/2)

In unserem Bericht zum PROPHECY-FEST 2024 hatten wir – neben viel Lob – auch Anlass zu Kritik, ob nun an der „Zwei-Klassen-Gesellschaft“ mit Nebenbühne statt dem ehedem ausgerufenen „Headliner-freien Festival“, oder auch ob der augenscheinlich unkritischen Haltung des Labels gegenüber mutmaßlich rechtsextremen Bands.

Im hier vorliegenden Teil 1 gibt Martin spannende Einblicke in die finanzielle Kalkulation hinter einem Festival und erklärt exemplarisch, warum sich auch ein Label wie PROPHECY kaum noch leisten kann, No-Name-Bands unter Vertrag zu nehmen.

In Teil 2 (folgt in Kürze) wird es dann politisch: In einem engagiert geführten Streitgespräch gehen wir alle Vorwürfe gegen PROPHECY PRODUCTIONS en détail durch – diskutieren aber auch ganz allgemeine Fragen zur Meinungs- und Kunstfreiheit.

Das Interview wurden in mehreren Frage-Runden schriftlich geführt.

Wir hatten vor Kurzem eine Kolumne eines Clubbetreibers veröffentlicht, der aufgeschlüsselt hat, warum viele Clubs es sich schlicht nicht mehr leisten können, Underground-Bands eine Bühne zu bieten. Kannst du das aus der Warte des Festival-Veranstalters im Kontext des PROPHECY FESTs nachvollziehen?
Ich habe den Beitrag des Clubbetreibers gelesen und kann seine Perspektive nachvollziehen. Ich selbst habe gemeinsam mit einem Freund in den Jahren 1994 bis 2000 etwa 200 Clubkonzerte im Raum Trier als örtlicher Veranstalter organisiert. Damals war auf jeden Fall sehr viel Idealismus dabei, aber als 17-Jähriger habe ich nicht viel darüber nachgedacht.
PROPHECY PRODUCTIONS bewegen sich generell im Underground. Unsere Szene ist ein Tümpel im Vergleich zum Rest der Musikindustrie. Selbst die größten Fische in unserem Teich, die wir als „groß“ ansehen, sind nur selten in der Lage, allein von der Musik zu leben.

Ihr habt auf dem PROPHECY FEST mittlerweile ein Zwei-Bühnen-Konzept, das vom ursprünglichen Ansatz, dass es keine Headliner geben soll, sondern alle Künstler gleichwertig sind, deutlich abweicht. Hat euch da die Realität eingeholt? Was waren eure Gedanken für und wider die zweite Bühne?
Das PROPHECY FEST war ursprünglich so konzipiert, dass wir alle Künstler „gleichwertig“ auf der Hauptbühne präsentieren wollten. Mittlerweile erfolgte eine Anpassung an die Realität. Obwohl das PROPHECY FEST durch die Kapazität der Höhle in der Besucherzahl begrenzt ist, erreicht unser Budget für Technik und Personal das Niveau von Veranstaltungen mit einem fünffachen der Zuschauer.

Speziell in den Jahren 2016 und 2017 hatten wir einen hohen Anteil an weniger bekannten Künstlern, die wir dennoch hochwertig präsentiert haben. Es kamen ca. 500 Besucher weniger als in den Vorjahren, Dies führte den beiden Jahren jeweils zu einem mittleren fünfstelligen Verlust. Als eine Konsequenz aus dieser Erfahrung wollten wir unser Fest nur noch alle zwei Jahre in Deutschland veranstalten. Im Jahr 2018 starteten wir den Versuch, das PROPHECY FEST im Pausenjahr in den USA zu etablieren. Mit dem Ergebnis waren wir aber nur teilweise zufrieden. Wir haben außerdem die Höhle und das Sauerland vermisst.

IN THE WOODS auf dem PROPHECY FEST 2024

Beim PROPHECY FEST 2019 standen dann zum ersten Mal vor allem auf bekannte Namen auf dem Programm. Es kamen wieder deutlich mehr Besucher und wir konnten die Verluste minimieren. Auf der anderen Seite baten zahlreiche Künstler unseres Labels, immer wieder um einen Auftritt in der Höhle. Aus dieser Zwickmühle entstand während der Planungen für das PROPHECY FEST 2023 die Idee zu einer zweiten Bühne. Ein Auftritt auf der zweiten Bühne kostet pro Band ungefähr ein Zehntel im Vergleich zur Hauptbühne. Dadurch können wir Bands eine Chance geben, die noch keinen großen Namen haben oder selten vor Publikum auftreten.

Meines Erachtens gibt es in bestimmten Genres mit einer starken Underground-Bindung eher ein massives Überangebot an Bands. Viele von denen sind gut, was ich immer dann merke, wenn ich ein paar Stunden im Netz surfe oder auf Plattformen wie Bandcamp verbringe. Dann finden sich pro Stunde schnell zwei bis drei neue Künstler, deren Musik wirklich gut ist.

Die Kosten einer Band auf der Haupt- beziehungsweise Nebenbühne müsstest du bitte noch etwas aufdröseln: Naiv gesprochen sind Bühne und Personal doch bezahlt – wie berechnet ihr die Kosten einer Band auf einer Bühne?
Die Kosten für das Konzert einer Band bestehen auf der Bühne im Wesentlichen aus zwei separaten Posten, den Künstlerkosten und den Produktionskosten. Die Künstlerkosten umfassen Gage des Künstlers selbst, sowie die Kosten für die Reise, Übernachtung, aber auch Verpflegung. Die Produktionskosten umfassen alles andere, was nötig ist, um die Veranstaltung durchzuführen, etwa Miete und Energiekosten, örtliche Genehmigungen, die Sicherheitskosten, Kosten der Brandwache, Sanitätsdienst, die Bühnen- und Technikkosten und die entsprechenden Dienstleister.

Die Spielzeiten sind in der Höhle sehr begrenzt. Wir würden am Freitag gerne deutlich früher anfangen. Das ist aber leider nicht möglich, weil es dafür keine örtliche Genehmigung gibt. Ein konkretes Beispiel: Man hat Produktionskosten von 120.000 € und es gibt 15 mögliche Slots auf der Hauptbühne. Somit kostet jeder dieser Auftritte 8.000 € Produktionskosten. Die Nebenbühne kostet 5.000 € an Personal und Technik zusätzlich und man kann dort beispielsweise sechs Auftritte unterbringen. Das heißt, diese Auftritte haben dann circa 800 € Produktionskosten, also rund 10% der Kosten der Hauptbühne.

Screenshot von https://fest.prophecy.de

Auch die Kosten für die Fans werden immer höher: Ticketpreise für Events aller Art sind stark gestiegen – generell bekommt man eigentlich kaum noch Konzerttickets unter 35 €, kleinere Festivals wie auch das PROPHECY FEST kosten um die 150 € und die ganz großen wie Wacken über 300 €. Auch das ist sicher über die Produktionskosten zu erklären – aber kann das so weitergehen? Irgendwann muss doch der Punkt kommen, an dem die Leute nicht mehr bereit sind, diese Summen zu zahlen, oder nicht?
Ja. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass dieser Punkt bereits erreicht ist. Es gibt zu viele sehr ähnliche Veranstaltungen, speziell in Deutschland, die ein ähnliches Publikum als Ziel haben. Das hatte bereits in diesem Jahr einen Rattenschwanz von Absagen hinter sich hergezogen.

Das gleiche zeichnet sich beim Merchandise auf Tour ab: Kaum noch eine Band verkauft T-Shirts unter 30 €, bei größeren sind es in der Regel 45 € und ich habe schon bis zu 60 € für ein T-Shirt erlebt. Ist das noch über gestiegene Produktionskosten zu rechtfertigen, oder wird da nicht eher massiv querfinanziert?
Ich denke, es ist eine Mischung aus stark gestiegenen Produktionskosten und einer nötigen Querfinanzierung. Die Kosten für Konzerte sind so stark gestiegen und die Gagen decken diese oft nicht ab. Für viele Künstler sind die Einnahmen aus dem Merchandising mittlerweile die wichtigste Einnahmequelle. Wir haben bei PROPHECY PRODUCTIONS sehr moderate Merchandise-Preise. Ein T-Shirt kostet bei uns meist zwischen 15 € und 20 €. Aber ich habe gesehen, dass Künstler, die eigene Produkte auf dem PROPHECY FEST über unseren Stand verkaufen, Preise von 40 € oder mehr für ein T-Shirt vorgeben. Trotz solcher Preise gehen die zu meiner Verwunderung gut weg.

Auch da muss es aber doch einen Punkt geben, an dem man mit einem höheren Preis nicht mehr automatisch mehr Geld einnimmt, weil dafür weniger verkauft wird, oder?
Ich verstehe, worauf Du abzielst. Ich möchte aber nur kurz darauf eingehen, da ich das Problem als nicht so gravierend empfinde. Das Hauptproblem vieler Underground-Künstler sind nicht nur mangelnde Einnahmen, sondern die Schwierigkeiten fangen viel früher an. Es liegt am fehlenden Interesse der Konsumenten. Plattformen wie Youtube oder Spotify bieten einen Gratiszugang zur weltweit verfügbaren Musik. Das kostet die Fans also nur Zeit. Doch die Aufmerksamkeit der potenziellen Fans ist ein sehr knappes Gut. Diese Hürde gilt es für meisten Künstler zuerst zu überwinden.

Tatsächlich spiegelt sich diese Situation auch im weiteren Kontext der Musikindustrie wider: Der verfügbare „Kuchen“ wird nicht größer, während immer mehr Akteure einen Anteil davon beanspruchen wollen. Dies trifft auch auf Festivalorganisatoren und Bands zu, die um die gleichen begrenzten Ressourcen der Fans konkurrieren, nämlich Zeit und Geld. Dieser zunehmende Wettbewerb zwingt viele dazu, entweder ihre Erwartungen zu senken oder, wenn die Realität dies erfordert, sich aus dem Markt zurückzuziehen. Zusätzlich zur direkten Konkurrenz unter aktuellen Künstlern steht jedes neue Werk in direktem Wettbewerb mit der gesamten Geschichte der bereits veröffentlichten Musik, die kontinuierlich wächst. Oft entscheiden sich Fans lieber für bewährte Klassiker als neues, unbekanntes Material zu erkunden.

PARADISE LOST auf dem PROPHECY FEST 2024
Die Routiniers PARADISE LOST auf dem PROPHECY FEST 2024

Live-Erfahrung setzen die Booker größerer Festivals voraus, und viele Labels werden erst auf Bands aufmerksam, diese viel live spielen … bedeutet das Wegbrechen von Underground-Konzerten nicht auf lange Sicht, dass neue Bands fehlen werden?
Aus genau diesem Grund liegt uns die zweite Bühne besonders am Herzen. Dort können wir ohne großes Risiko solche PROPHECY-Künstler auftreten lassen. Speziell junge Bands bekommen eine Bühne geboten, auf der sie sich vor Publikum beweisen können. Wir haben bereits erlebt, wie gut die Mundpropaganda für jene Newcomer funktioniert, die sich dort durchsetzen. Das zeigt sich unmittelbar am Merch-Stand, schlägt sich später in der Presse wieder und zieht im günstigsten Fall auch Einladungen zu weiteren Festivals nach sich. Wer das nötige Talent dazu mitbringt, kann die zweite Bühne als Sprungbrett nutzen. Das ist keine rein quantitative Frage – und es war vermutlich auch nie eine.

Generell ist – zumindest subjektiv – in vielen Bereichen der Szene eine große Stagnation zu beobachten: Seien das nun die großen Festivals, bei denen seit Jahrzehnten die gleichen Namen als Headliner auf den Plakaten stehen, oder aber auch viele Label-Roster, die vornehmlich aus einem alt-eingesessenen Stamm an Bands bestehen – und viele „neue“ Bands entpuppen sich dann „nur“ als Nebenprojekt eines anderen Künstlers aus dem Roster. Fehlt der Mut, auf neue Pferde zu setzen, oder ist auch das eine reine Business-Entscheidung?
Die Anzahl an Underground-Bands mit Plattenvertrag ist eher zu hoch. Es fehlen Käufer, die bereit sind, für solche Produkte noch Geld auszugeben. Die Stagnation ist leider real, ebenso wie eine Überalterung und zunehmende Spießigkeit im Metal. Ich werde auch nicht jünger. Wie viele andere auch, bin ich zu den Hochzeiten des Metal, in den Achtzigern und Neunzigern, aufgewachsen und zum Fan geworden. Heute sind die wenigsten Musiker in dieser Szene noch Teenager. Das liegt auch daran, dass Metal kein großer Teil der aktuellen Jugendkultur mehr ist. Natürlich ist es uns ein Anliegen, junge Talente zu fördern. Es war lange ein wichtiger Teil der DNA von PROPHECY PRODUCTIONS, in zuvor unbekannte Künstler zu investieren. Newcomer sind jedoch vor allem in den letzten Jahren leider oft zu einem Minusgeschäft geworden.

Das ist sogar logisch, wenn man bedenkt, dass die „großen“ Szene-Bands ihre Marke in einer Zeit etabliert haben, als Metal noch nicht so klar ausdefiniert war – und es deutlich weniger Konkurrenz gab. Heutzutage ist es für neue Bands deutlich schwieriger, sich bemerkbar zu machen und eine nachhaltige Präsenz aufzubauen. Viele Bands „auf der Schwelle“ geben nach einigen Jahren auf, weil die Einnahmen nicht ausreichen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten oder eine Familie zu ernähren. Meist sind es die kleineren, künstlerisch orientierten Bands, die weitermachen, selbst wenn sie weniger verkaufen. Die Entwicklungen des Streamings und des Alterns der Szene verstärken diese Entwicklung: Die Fans sind nicht mehr so leicht zu begeistern, was zu weniger Käufen und weniger Mundpropaganda führt. Das höhere persönliche Budget älterer Fans kompensiert nicht unbedingt die Herausforderungen, denen sich neue Bands gegenübersehen.

Lass uns mal einen Release exemplarisch durchkalkulieren – welche Kosten müsst ihr als Label vom Signing bis zum Release einkalkulieren: Und unter welchen Umständen „lohnt sich“ das überhaupt noch?
Ich fange beim Minimum an, denn nach oben gibt es natürlich keine Grenzen. Bei PROPHECY PRODUCTIONS haben wir circa 180 Aufgaben für das Personal, die bei einer Veröffentlichung abzuarbeiten sind. Das reicht von den ersten Planungen bezüglich der Koordinierung der wichtigsten Meilensteine wie Ankündigung der Veröffentlichung und Vorverkaufsstart, der Erstellung einer Werbekampagne, bis zur Koordination mit den Konzertagenturen. Dazu gibt es Aufgaben wie das Abrufen von verschiedenen Förderprogrammen, Pressearbeit und diverse Detailaufgaben, wie das Pitchen bei digitalen Musikdiensten. Wir beraten unsere Künstler intensiv über physische Formate, bei denen wir uns eine herausgehobene Stellung am Markt erarbeitet haben. Bei jeder Veröffentlichung streben wir nach einem Maximum an künstlerischem Profil und versuchen das Umsatzpotential so weit wie möglich zu erreichen.
Unsere Künstler haben einen persönlichen Betreuer, mit dem sie während einer aktiven Kampagne oft täglich in Kontakt stehen. Dazu kommen weltweit mehrere Lager zum Versand der Waren. Da das alles parallel stattfindet, erfordert das ein hohes Maß an Koordination in der Logistik. Das ist seit der Pandemie deutlich schwieriger geworden. Wir sehen schon seit geraumer Zeit einen gegenläufigen Trend zur Globalisierung. Aufwand, Bürokratie und Kosten sind allgemein stark gestiegen.

DYMNA LOTVA auf dem PROPHECY FEST 2024
Die Newcomer DYMNA LOTVA auf dem PROPHECY FEST 2024

Im digitalen Bereich arbeiten wir direkt mit Plattformen wie Spotify zusammen. Ohne einen zwischengeschalteten Vertrieb behalten wir einen direkten Draht zu digitalen Anbietern. Soweit es mir bekannt ist, sind wir weltweit das einzige Metal-Label, das auf einen digitalen Aggregator oder Vertrieb verzichtet. Dies kann jetzt nur ein Ausschnitt der Aufgaben unseres Personals sein. Die Arbeitsbasis unterscheidet sich nicht zwischen einer unbekannten und einer bekannten Band. Die grundsätzlichen Personalkosten belaufen sich auf circa 8.000 € pro Veröffentlichung.

Die Kosten für physische Produkte setzen sich aus den Kosten für Gestaltung, Herstellung- und Logistikkosten zusammen. Diese belaufen sich bei einer Kleinauflage von 1.000 CDs und 500 LPs auf circa 6.000 €. Die Kosten für Werbung haben sich in den letzten Jahren verringert. In Europa, den USA und in Kanada beschäftigen wir festangestellte Promoter, die ein Teil der Personalkosten bilden. Das beläuft sich auf ungefähr 3.000 € bis 5.000 €. Dazu kommen variable Kosten, die vom Umsatz abhängen. Zunächst zahlen wir 19 % Mehrwertsteuer. Zusätzlich gehen circa 8 % für die GEMA und circa 20 % für den Künstler ab. Derzeit sind unsere Verträge meist so gestaltet, dass wir gestaffelt zwischen 15 % und 25 % an die Künstler zahlen. Dazu kommen mitunter Garantien und Vorschüsse. Die werden benötigt, damit den Künstler ein Budget zur Verfügung steht, um überhaupt ein Werk aufnehmen zu können. Diese Zahlen bedeuten, dass wir bei einer Veröffentlichung ca. 30.000 € Umsatz erzielen müssen, um den Break-Even zu erreichen.

Das Ganze ist aber nur eine Momentaufnahme. Vor der Pandemie lag diese Grenze eher bei 20.000 €. Wir haben unser Geschäftsmodell schon mehrfach anpassen müssen, um unternehmerisch erfolgreich zu bleiben. Nur eines ist bei PROPHECY PRODUCTIONS immer konstant geblieben: Ich wähle alle Künstler nach meinem persönlichen Geschmack aus, mein Bauchgefühl ist da sehr wichtig.

Was ich in der Kostenaufstellung vermisse, sind die Kosten der eigentlichen Musik-Produktion – also Studiokosten, Produzentenkosten oder gegebenenfalls auch sonstige Kosten für Equipment. Kommen dafür die Künstler selbst auf, und sei es, mit ihren Anteilen am Gewinn in Form der Vorschüsse und Garantien?
Unsere Verträge sind meist sogenannte “Bandübernahmeverträge”. Das heißt, der Künstler entscheidet eigenverantwortlich. Das gilt für den kreativen Bereich, zum Beispiel, welche Songs werden aufgenommen, Wahl des Studios/Produzenten, Artwork etc., aber insbesondere für den terminlichen Bereich: wann geht es ins Studio, wann auf Tour und wie lange, wann sind wo Promotion-Termine wahrzunehmen und so weiter.

Im Gegensatz zum Bandübernahmevertrag steht der sogenannte „Künstlervertrag“, bei dem das Label kreativ und terminlich federführend ist. Dieses Modell war früher bei Major Labels üblich, wo Künstler fast wie Angestellte behandelt wurden. Sie erhielten eine Art festes Gehalt, mussten jedoch strikte kreative und zeitliche Vorgaben des Labels erfüllen – von der kreativen Gestaltung bis hin zur detaillierten Planung ihrer Zeit für Studioaufnahmen, Touren und Promotion-Aktivitäten etc. Die Kosten der Aufnahme werden dann von uns oft über Vorschüsse und Garantien finanziert. Oft ist es aber auch so, dass die regelmäßigen Ausschüttungen an die Künstler sowieso hoch genug sind, dass keine Vorschüsse mehr benötigt werden – oder dass Künstler ihre eigenen Studios haben, um aufzunehmen.

Viele Künstler haben ein starkes Bewusstsein dafür entwickelt, dass im Markt nicht viel Geld vorhanden ist, und sie daher häufig viel aus eigener Tasche bezahlen. Einige Künstler bieten sogar an, sich an den Herstellungskosten zu beteiligen, um bestimmte Produkteigenschaften oder Sonderanfertigungen zu ermöglichen. Solche Angebote lehnen wir jedoch oft ab, aus dem einfachen Grund, dass wir es nicht verantworten können, von unseren Künstlern zu verlangen, finanzielle Risiken zu tragen, die ihnen nicht zustehen.

EMPYRIUM auf dem PROPHECY FEST 2024
EMPYRIUM auf dem PROPHECY FEST 2024

Hinsichtlich der Kosten gibt es also für euch keine die Unterschiede zwischen einem etablierten Act und einem Underground-Act?
Es mag auf den ersten Blick kurios wirken, aber bei einem etablierten Act sind die Kosten eher niedriger. Wir können in vielen Bereichen Zeit sparen: Die Zusammenarbeit ist bereits eingespielt. Der Künstler bringt Erfahrung mit und hat einen Manager und einen Booking-Agenten – oder zumindest einen von beiden. Bei der Promotion sieht es ähnlich aus. Der Aufwand, um einen Endkunden oder ein Medium davon zu überzeugen, sich auch nur ein wenig mit einem neuen Künstler zu beschäftigen, fällt wesentlich höher aus. Bei einer gut etablierten Band stützen sich oft alle begierig auf das Thema und es ist ein Selbstläufer.

An dieser Stelle muss aber natürlich die Frage kommen: Wo sollen aber dann künftig etablierte Acts herkommen, wenn Labels die Nachwuchsförderung einstellen?
Die Frage suggeriert, dass Labels eine Art Verpflichtung zur Nachwuchsförderung haben. Obwohl das Unterstützen neuer Künstler eine wichtige Rolle in der Musikindustrie spielt, ist es fraglich, ob dies als feste Verpflichtung angesehen werden sollte. Für mich ist Nachwuchsförderung allerdings ein persönliches Anliegen, welches nicht immer vom Erfolg gekrönt ist. Viele unserer Projekte mit Newcomern, die wir intensiv unterstützt haben, haben nicht die erhofften Verkaufszahlen oder Aufmerksamkeit erreicht. Diese Erfahrungen bieten uns wertvolle Einblicke. Es zeigt, wie dynamisch der Markt ist und dass nicht jede Investition in neue Künstler erfolgreich ist. Diese oft schmerzhaften Erkenntnisse sind für uns und die Künstler gleichermaßen lehrreich. Sie ermöglichen es uns, unsere Strategien anzupassen, um langfristig unsere Fähigkeit unsere Kernaufgabe, Künstler effektiv zu unterstützen und Fans zu begeistern, zu erhöhen.
Zudem haben Künstler auch ohne den Katalysator eines Labels heutzutage viele Möglichkeiten, um sich eine Fangemeinde aufzubauen. Es gibt sehr gute Ressourcen, wie Bands das langfristig und geplant organisieren können. An allererster Stelle braucht es nach wie vor ein sehr großes Talent und gute kreative Ideen. Dazu kommt noch eine gute Prise Glück, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Das funktioniert auch ohne Label. Bei erkennbarem Erfolg findet sich ein Partner dann zu einem späteren Zeitpunkt.

Wieso sollten Bands, die es in Eigenregie zu einem gewissen Standing gebracht haben, dann noch bei einem Label unterschreiben? Wer es offensichtlich selbst hinbekommt, Reichweite zu generieren, braucht schlussendlich ja nur noch einen Vertrieb oder eine Booking-Agentur, oder?
Es sprechen generell die verschiedensten Gründe sowohl dafür als auch dagegen. Ich gebe jetzt nur für PROPHECY PRODUCTIONS und sehr parteiisch meine persönliche Sicht der Dinge wieder: Wir bieten ein Label-Umfeld, das Bands, Fans und Medien mit einem geschmackvoll kuratierten Artist-Roster assoziieren. Bei uns arbeiten nur erfahrene Musikliebhaber, die mit viel Leidenschaft für unsere Bands arbeiten. Jede Band hat mindestens einen persönlichen Ansprechpartner. Wir sind darauf spezialisiert, das Potenzial einer Band besonders im physischen Bereich zu optimieren. Dazu arbeiten wir mit den besten Lieferanten für eine breite Palette an Produkten zusammen. Wir haben uns über drei Jahrzehnte in allen Schlüsselmärkten ein eigenes weltweites Vertriebsnetz mit circa 200 Händlern, Großhändlern und Vertrieben aufgebaut, die wir direkt beliefern. Dazu kommen ca. 20.000 Direktkunden in über 100 Ländern, die physische Produkte kaufen. Mit dem PROPHECY FEST haben wir ein eigenes jährliches Fest für unsere Künstler und Fans in der Balver Höhle – eine der schönsten Konzertlokalitäten in Europa. Wir haben uns weltweit als eine anerkannte Marke etabliert, die für hohe Qualität und guten Geschmack steht. Seit der ersten Veröffentlichung im Jahr 1996 gibt es einen sichtbaren roten Faden bei der Ästhetik und Künstlerauswahl. Wir arbeiten professionell und mit Leidenschaft. Dadurch, dass wir die wichtigsten Bereiche des Musikgeschäfts abdecken, können sich die Künstler auf ihre Werke konzentrieren.

TRIPTYKON 2024 auf dem PROPHECY FEST
TRIPTYKON auf dem PROPHECY FEST 2024

Unsere langjährige Erfahrung zeigt, dass gerade das strukturierte und ausdauernde Arbeiten an einem komplexen Projekt wie einem Albumrelease häufig nicht zu den Stärken eines Musikers gehört. Wir behalten gerne den Überblick und halten das Schiff auf Kurs, während wir den Künstlern ermöglichen, sich auf das zu konzentrieren, was sie am besten können – ihre Kunst. Zudem erleben wir oft, dass der Spagat zwischen künstlerischem Selbstverständnis und der Notwendigkeit, wirtschaftlich sinnvolle Entscheidungen für die eigene Karriere zu treffen, für viele Musiker eine Herausforderung darstellt. Die Fälle, in denen Musiker alle Zügel selbst in der Hand halten und dabei auch nennenswert erfolgreich sind, sind selten, auch in einer Zeit, in der die verschiedensten Plattformen Künstlern direkten Zugang zu ihren Fans bieten.

Wir arbeiten für die Künstler sehr transparent, rechnen zuverlässig ab und zahlen pünktlich. PROPHECY PRODUCTIONS sind immer noch zu 100 % ein inhabergeführtes Familienunternehmen, bei dem auch mein Vater und einer meine Söhne mitarbeiten. Wir sind zu 100 % eigenfinanziert, weshalb uns keine Banken, Majorlabel oder Investoren reinreden können. Das gibt mir die Freiheit, PROPHECY PRODUCTIONS genauso zu führen, wie ich es als naiver Heranwachsender damals im Jahr 1994 geplant hatte: zu 100 % nach meinem persönlichen Geschmack und ohne Kompromisse bei der Künstlerauswahl. Gleichzeitig möchten wir Künstler langfristig binden und ihnen einen fast schon familiären Schutzraum bieten, in dem sie in Geborgenheit Musik für ihre Fans machen können.

Wer sich eben nicht selbst verkaufen kann oder will, muss oft tief in die Taschen greifen: Viele Labels bieten heute Newcomern nur noch Pay-to-Sing-Deals an – als „Promokosten“ getarnt wird die ganze Produktion von Tonträgern der Band in Rechnung gestellt, das Investment der Labels geht damit gegen null. Trotzdem wird zumeist vorausgesetzt, dass eine Band das fertige Produkt liefert, also selbst für die Musikproduktion aufkommt. Wie handhabt ihr das, was hältst du von solchen Modellen und auch da wieder die Frage: Geht uns nicht viel Potenzial verloren, wenn die Branche aufhört, in junge Künstler zu investieren?
Ich halte wenig von solchen Modellen. Eine solche Herangehensweise zerstört die Integrität und das Ansehen eines Labels.  Man muss sich das Investieren in neue Künstler aber auch leisten können, da man oft Geld verliert oder erst nach vielen Jahren endlich Geld verdient. Daher geht mein höchster Respekt an alle Kollegen, die noch immer mit viel Liebe und Leidenschaft in die Musik investieren!

Kommen wir zum fertigen Produkt: Normale Jewel-Case-CDs oder die primitivsten Digipaks, teilweise sogar ohne Booklet, kosten zum Release mittlerweile bis zu 25€, bei Platten hat sich der Preis von Standard-LPs über die letzten Jahre auch fast verdoppelt. Und selbst ein Tape kostet bei euch mitunter 20€. Wie ist dieser enorme Preisanstieg zu erklären?
Alle Herstellungs- und Logistikkosten sind seit der Pandemie erheblich gestiegen. Um ein Beispiel zu geben, haben wir für Transporte in unser nordamerikanisches Lager früher im Schnitt 2 Euro pro Kilogramm bezahlt. Mittlerweile sind die Kosten auf bis zu 7 € pro kg gestiegen. Bei einer Doppel-LP mit fast 500 g Gewicht stellt das einen erheblicher Faktor dar. Natürlich schlagen sich die gestiegenen Kosten leider auch in unseren Produktpreisen nieder. Dabei verzichten wir auf Quersubventionen, weshalb unsere regulären CD-Produkte im eigenen Shop in der Regel um die 10 € kosten, während Vinyl stärker im Preis gestiegen ist. Wenn man die Inflation einrechnet, ist Vinyl über die Jahrzehnte recht beständig im Preis geblieben, während CDs deutlich günstiger wurden.

Aber bei keinem Musik-Format sind die Gewinnmargen doch so gut wie beim physischen Tonträger … warum kämpft die Branche hier nicht mit attraktiven Preisen um die verbliebenen Kunden? Sind Preissteigerungen hier wirklich der richtige Weg?
Gerade im Underground werden durch vermeintlich attraktive Preise nicht deutlich mehr Tonträger verkauft. Denn die Anzahl der potenziellen Kunden ist und bleibt sehr klein. Obwohl unsere Kalkulation mit anderen Unternehmen und Branchen verglichen am untersten Ende sind, werden wir oft damit konfrontiert, preislich am oberen Ende der Skala zu liegen. Das liegt aber oft daran, dass die Auflagen im Verhältnis zu den Kosten sehr klein sind. Allein unsere Personalkosten liegen deutlich höher als die eines Hobbylabels, bei dem eine Person aus dem eigenen Wohnzimmer operiert. Wer keinen Gewinn machen und Mitarbeiter bezahlen muss, kann auch niedrigere Preise aufrufen. So haben wir auch angefangen, aber die Zeiten sind vorbei. Das gilt gerade dann, wenn ein Künstler in dem Moment wenig realistische Chance hat, wesentlich mehr zu verkaufen. Wenn eine Band beispielsweise weltweit nur 1.000 Fans hat, bildet das ersteinmal die Grenze der Nachfrage. Natürlich geben wir alles, um das zu steigern, aber einen Nicht-Fan in einen Käufer zu verwandeln dauert oft viele Jahre – und manchmal tritt das leider nie ein.

Bei PROPHECY setzt ihr in dem Sektor auf immer speziellere Produkte – von manchen Alben, etwa der letzten Farsot oder Austere, gibt es gar keine „normale“ CD-Version mehr, sondern Fan-Editionen in Buchform. Was ist da der Gedanke dahinter – verdient man damit pro Einheit wirklich so viel mehr, dass das kompensiert, dass es viele „Gelegenheitskäufer“ abschreckt?
Das sind immer individuelle Analysen. In den genannten Beispielen war es beispielsweise so, dass es keinen Sinn gemacht hätte, zwei CD-Varianten anzubieten. Die Buch-Editionen werden von den Fans sehr geliebt und wir sind sehr stolz auf sie. Wenn man sich auf ein CD-Produkt konzentriert, sind sie zumeist das schönere und bessere Produkt. Wir haben außerdem die Erfahrung gemacht, dass günstige Preise nicht garantiert mehr Absatz bedeuten. Den früheren „Gelegenheitskäufer“, der durch die Plattenläden streift und spontan zuschlägt, hat vermutlich das Streaming beerdigt. Wenn Bands regelmäßig touren, kann ein „Mitnahmeprodukt“ wie eine „normale“ CD aber dennoch Sinn ergeben.

Bei euch im Shop kommen noch Versandkosten von 8,10 € für unversicherten Versand einer CD oder eines Tapes hinzu. Wie ist das zu erklären – und wie wollt ihr bei solchen Zusatzkosten in Zeiten von Gratisversand-Standards bei Großanbietern wie Amazon konkurrenzfähig bleiben?
Wir berechnen die tatsächlichen Versandkosten. Die entstehen keineswegs nur aus den reinen Versandkosten, sondern beinhalten seriös berechnet unter anderem Nebenkosten wie Steuern, Personal, Verpackung und Entsorgung. Übrigens versenden wir aus Österreich, was nicht jeder Kunde weiß, da PROPHECY PRODUCTIONS meist als deutsches Label wahrgenommen wird. Die Versandkosten sind eine Grundsatzfrage der Unternehmensgestaltung. Natürlich lassen sich die Versandkosten subventionieren, wie das fast alle unsere Mitbewerber und speziell „Gratisversender“ wie Amazon machen. Laut mehreren Untersuchungen halten viele Kunden die Versandkosten für wichtiger als die Gesamtkosten aus Produkt und Versand. Wir haben uns bewusst gegen diesen Weg entschieden. Anstatt jedes Produkt ein paar Euro teurer zu machen, um dadurch die Versandkosten zu subventionieren, kostet bei uns jedes Produkt den realen Preis – die meisten neuen CDs liegen wie schon im Jahr 1996 bei 10 €. Das heißt aber auch, sobald mehrere Produkte bestellt werden, sinkt der Gesamtpreis und fällt wesentlich günstiger aus als bei subventionierten Preissystemen. Außerdem sprechen auch Umweltschutzgründe gegen das Erzeugen von impulsiven Kleinbestellungen, worauf zum Beispiel Amazon stark setzt. Dies fördert ein Konsumverhalten, bei dem Kunden anstatt ein bis zwei Sendungen im Monat die gleiche Menge am Tag erhalten. Nichtsdestoweniger lassen wir den Freunden von PROPHECY PRODUCTIONS aber die Freiheit der Wahl. Wir beliefern über 200 verschiedene Onlinehändler und unzählige Plattenläden weltweit, was bedeutet, dass alle unsere Produkte auch bei Händlern verfügbar sind, die eventuell günstigere Versandkosten und Gratisversand anbieten.


In Kürze geht es weiter mit Teil 2 und der Debatte über etwaige rechte Tendenzen bei PROPHECY PRODUCTIONS!

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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