Interview mit Luiz Felipe Netto von Piah Mater

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Opeth-Kopien gibt es in der großen, weiten Welt des Progressive Death Metal wie Sand am Meer – einige fahren damit ganz gut, von anderen sollte man lieber die Finger lassen, manche orientieren sich mit Absicht an der Musik der Schweden und wieder andere tun es völlig unbewusst. Kaum einer Band gelingt es jedoch, so dicht zu Opeth aufzuschließen wie PIAH MATER mit ihrem zweiten Album „The Wandering Daughter“. Woher die vielen musikalischen Parallelen zu Alben wie „Blackwater Park“ kommen, was es mit den kryptischen Texten auf sich hat und warum Morbid Angels „Altars Of Madness“ bis heute unerreicht bleibt, erfahrt ihr im Interview mit Mastermind Luiz Felipe Netto.

Mit PIAH MATER spielt ihr progressiven Death Metal. Was genau hat euch dazu angespornt, selbst Musik dieser Stilrichtung zu kreieren?
Ich denke, es ist eine sehr weitreichende Bandbreite, mit der man arbeiten kann. Ein Großteil meiner Interessen im Bereich Musik kann leicht in diese Art von Klang integriert werden, ohne gezwungen oder unpassend zu wirken. Die schweren, dissonanten Riffs, die melodischen Passagen, die Akustikgitarren, etc…. Alles passt in den Schmelztiegel dieser Band.

Meiner Meinung nach hört man bei eurer Musik einige Parallelen zu Opeth und Ne Obliviscaris heraus. Würdest du mir da zustimmen oder siehst du das anders?
Ich habe Ne Obliviscaris nie wirklich gehört, um ehrlich zu sein. Aber ich bin mir bewusst, dass das ein Name ist, der oft herumgeworfen wird, wenn Medien ihre Leser über unseren Sound informieren wollen. Was Opeth betrifft, denke ich, dass die Vergleiche eher darauf zurückzuführen sind, dass unser beider Bands mehrere gemeinsame Einflüsse haben (die Prog-Rock-Acts aus den 70ern und die extremen Metal-Bands aus den frühen 90ern) und diese Einflüsse auf ähnliche Weise zum Ausdruck bringen (mithilfe von Kompositionen, in denen sich die verschiedenen Genres überlappen und die über zehn Minuten lange Songs bilden). Meiner Meinung nach ist vor allem diese Achse der Einflüsse für die Ähnlichkeit zwischen den beiden Bands verantwortlich und nicht dass wir den Opeth-Sound so sehr „anbeten“ – obwohl es eine Band ist, die wir von ganzem Herzen lieben – aber das ist nicht das, was wir uns für das Konzept hinter PIAH MATER vorgestellt haben.

Welche anderen Bands und Musiker haben euch als Künstler beeinflusst?
Ich wurde vor allem von brasilianischen Bands wie Angra, Shaman und Tuatha De Dannan auf die harte Seite der Musik gelockt. Das waren große Einflüsse für mich, als sie in den frühen 2000er Jahren in der Szene auftauchten. Als ich „Temple Of Shadows“ und „Ritual“ (inzwischen Klassikeralben) hörte, wusste ich, dass ich dieses Leben für mich selbst wollte. Seitdem hat sich natürlich vieles geändert. Der persönliche Geschmack soll während des gesamten Erwachsenenlebens geprägt werden. Aber ich sehe diese Platten bis heute nach wie vor als das höchste Qualitätsniveau. Auf Dream Theater zu stoßen, war für mich eine große Sache. Ich verbrachte im Grunde genommen ein ganzes Jahr damit, fast ausschließlich ihre Sachen zu hören, während ich ihre Diskographie durchstöberte, erstaunt über das Niveau der Musikalität, das sie gezeigt haben, aber auch begeistert von der einzigartigen Atmosphäre, die sie um ihre Alben herum geschaffen haben – etwas, das in ihren letzten Veröffentlichungen eher gefehlt hat. Einige Zeit später ließen mich auch Bands wie Porcupine Tree und Pain Of Salvation das, was ich dachte, über Musik zu wissen, überdenken. Dann kamen die düsteren Sachen. Bands wie Katatonia, Enslaved, Opeth und Ihsahn (den ich als meinen persönlichen Mentor betrachte, obwohl er das nicht weiß) gaben mir sozusagen einen Rahmen und dadurch fand ich den besten Weg, wie ich mich als Musiker ausdrücken konnte. Sprechen wir noch über das Hier und Jetzt, ich bin im Moment absolut fasziniert von Steely Dan – einer jüngsten Entdeckung von mir, obwohl es sich dabei um einen der erfolgreichsten musikalischen Acts des 20. Jahrhunderts handelt. Ihr „Aja“-Album schiebt sich langsam in meine Liste der besten Alben, die je veröffentlicht wurden.

Stört es dich, wenn man eure Musik mit der von anderen Bands vergleicht oder nimmst du solche Verweise meist als Kompliment?
Es ist in der Regel offensichtlich, ob ein Vergleich als Kompliment gemeint ist oder ob er herabwürdigend und dazu gedacht ist, unsere Arbeit zu diskreditieren. So oder so, ich versuche immer, diese Dinge nicht persönlich zu nehmen oder zu erlauben, dass mich das auf einer persönlichen Ebene stört.

Wie wichtig ist es dir, mit deiner Musik etwas Einzigartiges zu schaffen?
Stil ist etwas, das Zeit braucht, um sich zu konsolidieren. Wenn man darüber nachdenkt, braucht eine Band in der Regel drei oder vier Alben, bis sie herausfindet, was es ist, was sie von allen anderen unterscheidet. Diesen kreativen Funken zu finden, erfordert Geduld. Und die Wahrheit ist, dass es mit der Zeit nur noch schwieriger wird, denn mit jedem Jahr werden die Möglichkeiten dessen, was neu erfunden werden kann, nur noch weniger und diese Wände umschließen dich als Künstler immer mehr. Es ist nicht einfach, harte Musik im Jahr 2018 neu zu erfinden. Deshalb sieht man immer mehr neue Bands, die sich nur für das, was sie kennen, interessieren und nicht bereit sind, zu weit von dieser Linie abzuweichen. Im Nachhinein denke ich, dass wir uns mehr darum bemühen hätten sollen, sicherzustellen, dass wir uns genug von diesen anderen Künstlern distanzieren, die du (und viele andere in der Vergangenheit) in Bezug auf uns erwähnt hast, insbesondere Opeth. Das ist etwas, worauf wir bei zukünftigen Veröffentlichungen sicherlich mehr achten werden. Obwohl es immer schwieriger wird, in der Moderne „völlig einzigartig“ zu sein, empfinde ich es als notwendig, immer auf dieses Ziel hinzuarbeiten, auch wenn der Preis dafür jener ist, dass man die Erwartungen der Öffentlichkeit enttäuscht.

Obwohl ihr noch eine recht junge Band seid, macht ihr bereits in sämtlichen Aspekten einen äußerst professionellen Eindruck. Wie habt ihr es geschafft, so früh schon die typischen Anfängerfehler zu umgehen?
Danke, dass du das sagst. Aber in Wirklichkeit haben wir viele der sogenannten Anfängerfehler gemacht. Ich kenne keine Band, die das nicht getan hat. Aber es ist beruhigend, zu wissen, dass es bei uns nicht so offensichtlich ist. Vielleicht liegt das daran, dass unser Motto in dieser Band immer darin bestand, „wie die Band zu handeln, die wir werden wollen“, und das beinhaltet eine professionelle Sichtweise darauf, wie wir uns der Welt präsentieren. So wussten wir zum Beispiel vom ersten Tag an, dass wir kein Material herausbringen würden, nur um unsere Social-Media-Kanäle damit befüllen zu können. Wir wussten, dass es uns Zeit kosten würde, Musik zu veröffentlichen, aber wenn wir es tun, dann zu unseren eigenen Bedingungen und nur dann, wenn wir das Gefühl haben, dass die Aufnahmen die Songs vor ihrer besten Seite zeigen. Und ich könnte noch mehr erzählen, aber um es kurz zu machen, wir wussten, dass wir nicht einfach nur eine kleine Band sein würden, sondern eine, die wahrscheinlich für lange, lange Zeit klein bleiben würde. Und trotz allem mussten wir groß denken. Andernfalls wäre es überhaupt nicht sinnvoll, das alles zu machen. Aber wie gesagt, Fehler werden immer Teil des Prozesses sein. Das Wichtigste ist, etwas von ihnen zu lernen.

Habt ihr schon vor PIAH MATER Erfahrungen als Musiker gesammelt?
Igor und ich gründeten die Band als Teenager, und obwohl wir schon vorher mit anderen Leuten gespielt hatten, war nichts davon so ernst und auch kein so großer Bestandteil unserer Persönlichkeiten, wie es PIAH MATER werden sollte.

Wie genau läuft bei euch das Songwriting ab? Womit fangt ihr an?
Normalerweise beginnt es mit einem Riff und von da machen wir weiter. Wohin es uns auch führt. Eine Sache, die wir nicht tun, ist, Musikstücke zusammenzusetzen, die separat geschrieben wurden, als ob man damit ein Puzzle bildet, das absichtlich kompliziert sein soll. Was man in den Aufnahmen hört, ist ein Produkt einer Idee, die zur nächsten geführt hat und so weiter, bis wir das Gefühl hatten, dass wir die Geschichte erzählt haben, die wir erzählen mussten.

Mit „The Wandering Daughter“ habt ihr zuletzt eure zweite Platte veröffentlicht. Inwiefern findest du, dass ihr euch gegenüber eurem Debüt „Memories Of Inexistence“ weiterentwickelt habt?
Die Erfahrung, ein erstes Album zu schreiben, zu produzieren und aufzunehmen, lehrt einen ein oder zwei Dinge über das Handwerk des Musizierens. „Memories Of Inexistence“ gab uns die Möglichkeit, jeden Fehler aus dem Buch zu machen und dann unseren Weg zu finden. Ich bin stolz darauf, was schließlich dabei herauskam, aber ich sehe die Mängel. Bei „The Wandering Daughter“ war der Prozess etwas vertrauter, aber es gab viele Aspekte, die für uns neu waren. Die Drums wurden live aufgenommen, der Bass und die Keyboards ausgelagert und insgesamt waren diesmal mehr als ein Dutzend Leute an der Produktion beteiligt. Viel mehr als die drei Leute, die dabei waren, als „Memories Of Inexistence“ in meinem kleinen Heimstudio realisiert wurde. Das waren sehr unterschiedliche Erfahrungen an sich und beide lehrten uns wichtige Lektionen über uns als Musiker.

Die Texte erscheinen mir etwas kryptisch. Worum geht es inhaltlich auf eurem neuen Album? Gibt es da einen roten Faden, der sich durch das Album zieht?
„Kryptisch“ ist das richtige Wort. Die Art von Texten, die ich am liebsten schreibe, dreht sich in der Regel um die Beschreibung von unheimlichen Landschaften und dunklen Gefühlen, meist basierend auf persönlichen Erfahrungen. Aber ich tendiere dazu, dies auf eine Weise zu tun, die es nicht zu offensichtlich macht. Ich bin kein Fan davon, zu viel preiszugeben. Es muss immer ein Geheimnis geben. Also forme ich den Text so, dass er ein Spiegel ist, der das widerspiegelt, was auf ihn projiziert wird. Jeder hat beim Lesen eine andere Perspektive, abhängig von den eigenen Erfahrungen in der Vergangenheit und den Kreuzen, die jeder zu tragen hat. Was das Konzept betrifft, so ist „The Wandering Daughter“ ein Album, das sich in der Außenwelt abspielt. In der grünen und feuchten Wildnis. Es geht um Selbsterkenntnis. Es geht darum, seinen Platz in der Natur zu finden. Über die Genesung nach einem verheerenden Verlust. Und auf der Makroebene um das richtige Gleichgewicht zwischen Fortschritt und Bewahrung zu finden. Alles in allem ist es ein von der Natur inspiriertes Album.

Würdest du sagen, dass es auf eurem neuen Album einen Track gibt, den man als Höhepunkt oder Klimax der Platte betrachten könnte?
Für mich fühlt sich der abschließende Track „The Meek’s Inheritance“ wie der Höhepunkt des Albums an und es ist wahrscheinlich der Song, mit dem ich im Moment am zufriedensten bin. Das Album wurde übrigens beinahe nach diesem Song benannt, so wichtig ist seine Bedeutung im Kontext des Storytellings.

Welcher Song auf „The Wandering Daughter“ ist deiner Meinung nach am schwierigsten zu spielen?
Es hängt vom jeweiligen Instrument ab. Aber im Allgemeinen, wenn ich ein Lied wählen müsste, wäre es wahrscheinlich „Sprung From Weakness“.

Das Album scheint überaus positive Bewertungen bekommen zu haben. Hast du überhaupt schon eine negative Kritik über euch gelesen?
Ja, wir sind sehr dankbar für das positive Feedback, das wir von den Leuten erhalten haben, die es gehört haben. Einen „Daumen hoch“ von Publikationen wie dem Decibel Magazine und dem Metal Hammer zu erhalten, ist für uns wirklich eine Ehre. Aber darüber hinaus ist die Wärme, die wir von den Menschen bekommen, die zu uns kommen und sich die Zeit nehmen, über ihre Eindrücke von dem Album zu schreiben, sehr erfreulich. Diese menschliche Verbindung ist für uns persönlich von großem Wert. Was schlechte Bewertungen betrifft, die wird es immer geben. Wir neigen dazu, das Konstruktive zu verinnerlichen und alles andere abzuschütteln. Aber insgesamt war es recht lohnend, sich das alles durchzulesen. Wir sind immer noch ein Haufen Neuankömmlinge in diesem Bereich und indem wir von den Leuten bewertet werden, können wir oft Dinge über uns selbst erfahren, an die wir vorher nicht gedacht haben. Aber ich glaube, dass es mit der Zeit ermüdend wird und ich werde irgendwann einfach aufgeben müssen, zu versuchen, zu entschlüsseln, was die Leute von mir wollen oder erwarten. Wir werden sehen.

Ihr steht mittlerweile bei code666 unter Vertrag. Wie kam es, dass ihr gerade bei diesem Label gelandet seid?
Die lange Tradition von code, im Laufe der Jahre mit hoch angesehenen Bands zusammenzuarbeiten, hat uns veranlasst, ihnen eine E-Mail zu schreiben, in der wir eine Zusammenarbeit vorschlugen. Zum Glück für uns waren sie interessiert und wir bekamen weniger als zehn Minuten später eine positive Antwort. Ein paar Wochen der Detailklärung vergingen und, siehe da, im Mai 2018 waren wir eine Band mit Vertrag.

Was ist deiner Meinung nach der beste Aspekt an eurer Zusammenarbeit mit code666?
Wir sind eine Band mit Sitz in Brasilien und nach allem, was wir wissen, lebt ein beträchtlicher Teil der an unserer Musik interessierten Menschen in Europa. Code überbrückt gewissermaßen diese Kluft. Es ist ein italienisches Label mit vielen Kontakten in der Region und seine Aufgabe war es, die Musik so vielen Menschen wie möglich in ihrer Nähe zugänglich zu machen. In Anbetracht der Tatsache, dass wir das, was von einigen in der heutigen Zeit als „totes Format“ angesehen wird – das wäre die physische CD – anbieten, denke ich, dass sie gute Arbeit geleistet haben, um uns etwas Aufmerksamkeit zu verschaffen. Wir sind jetzt definitiv nicht mehr so klein wie früher.

Wie sieht es bei euch mit Live-Shows aus? Habt ihr diesbezüglich etwas geplant?
Für die nahe Zukunft gibt es diesbezüglich leider keine Pläne. Aber alles kann sich ändern, wenn wir den richtigen Anruf bekommen.

Zum Abschluss würde ich nun noch gerne unser traditionelles Metal1.info-Brainstorming durchgehen. Was fällt dir zu den folgenden Begriffen ein?
Bestes Opeth-Album: Watershed
Präsident Bolsonaro: In Brasilien ist Winter.
Brutal Death Metal: Wenn Brutalität die Musikalität überschattet, was bringt das dann? Außerdem kann man nicht brutaler werden als „Altars Of Madness“ und das ist 30 Jahre her. Bands, die das nur übertreffen wollen, um noch brutaler zu sein, sind wie ein Hund, der seinen eigenen Schwanz jagt.
Musikalisches Highlight aus 2018: Zehn Tage in der wunderschönen Landschaft Schwedens zu verbringen und Musik für eine zukünftige und noch geheime Veröffentlichung zu schreiben.
PIAH MATER in fünf Jahren: Nur die Zeit wird es zeigen. Hoffentlich haben wir mindestens zwei weitere Alben in unsere Diskographie aufgenommen.

An dieser Stelle nochmals ein großes Dankeschön für deine Antworten. Die letzten Worte würde ich gern dir überlassen:
Vielen Dank für die Gelegenheit und vielen Dank an die Leser für das Interesse! Ich hoffe, bald mal mit euch zu sprechen.

Publiziert am von Stephan Rajchl

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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