ONCE HUMAN haben die letzten fünf Jahre seit „Evolution“ genutzt, um ihre eigene musikalische Evolution noch weiter voranzutreiben: Mit „Scar Weaver“ definiert sich die Combo aus Los Angeles neu und greif nach dem Modern-Metal-Genrethron. Mit Sängerin Lauren Hart sprechen wir über ihre eigene musikalische Verbesserung, der Ehrlichkeit und der Akzeptanz sich selbst gegenüber und das Ausbrechen aus gewohnten Konventionen.
Hi Lauren! Seit dem letzten Album „Evolution“ sind ganze fünf Jahre vergangen. Warum hat es so lange gedauert, „Scar Weaver“ zu veröffentlichen?
Die Pause hat begonnen, als ich für zwei Jahre mit Kamelot auf Tour ging, außerdem war Logan [Mader] mit Machine Head auf der „Burn My Eyes“-Reunion-Tour unterwegs. Am Ende der Tour ging die Pandemie los. Als er zurückkam, hatte Max [Karon] schon zehn komplette Instrumentierungen für das Album geschrieben. Ich habe dann angefangen, an den Vocals zu arbeiten, wegen der Pandemie wurde die Deadline aber mehrfach nach hinten verschoben. Normalerweise richten sich Bands bei der Veröffentlichung nach ihren Tourneeplänen, aber zu diesem Zeitpunkt gab es keine. Daher kommt also diese große Lücke.
Was macht ihr deiner Meinung nach auf „Scar Weaver“ anders oder besser als auf euren vorherigen Alben? Ich denke, eure Musik ist progressiver und anspruchsvoller, und du hast deinen Gesang merklich verbessert.
Die größte Veränderung ist, dass Max dieses Mal die Instrumentalstücke geschrieben hat, da er die Songs bereits fertig hatte, als Logan von seiner Machine-Head-Reunion-Tour zurückkam. Logan liebte die Songs. Im Gegensatz zum ersten Album, für das Logan und ich die Musik geschrieben haben, wurde „Evolution“ hauptsächlich von Max geschrieben, Logan hat den zweitgrößten Anteil und ich habe auch ein wenig an der Musik mitgeschrieben.
Die anderen Veränderungen beziehen sich natürlich auf meinen Gesang. Ich glaube, dass ich in den zwei Jahren, in denen ich mit Kamelot auf Tour war, meinen Klargesang wirklich verbessern konnte. Ich habe gelernt, mich nicht mehr mit anderen Sängerinnen zu vergleichen, als ich meine eigene Stimme entdeckt und akzeptiert habe. Als die Akzeptanz erstmal da war, konnte das Vertrauen wachsen. Und damit auch das Vertrauen, mutig zu sein und Risiken einzugehen. Ich denke, das ist der Punkt, an dem ich bei „Scar Weaver“ angekommen bin.
„Das Schreiben der Lyrics war für mich ein großer Selbstheilungsprozess“
Musstet ihr eure Arbeitsweise für das Songwriting und die Aufnahmen aufgrund der Pandemie anpassen?
Es war sehr ähnlich wie immer. Logan hatte ein Studio in einem Haus, und da wir alle in Vegas waren, dadurch war es einfach, aufzunehmen. Max hat alle Instrumentalparts allein geschrieben und sie dann Dillon [Trollope] geschickt, der seine Drum-Midi aufgenommen hat, dann haben sie mir das Demo geschickt, um die Vocals zu schreiben. Ich habe mich auch eingeschlossen und die Gesangsspuren allein geschrieben. Die Pandemie hat es mir da schwer gemacht, da ich ein Mensch bin, der am besten mit Deadlines arbeitet. Wenn ich extra Zeit bekomme, dann nehme ich mir diese auch. Wegen den Terminverschiebungen und habe ich ständig irgendetwas geändert und versucht, Dinge besser zu machen. Manchmal habe ich mich mit Max zusammengesetzt und ihn dazu gebracht, manche Parts musikalisch umzuschreiben, wenn ich das Gefühl hatte, dass es hier etwas anderes braucht.
Moderner, brutaler Metal ist manchmal recht kompliziert und anspruchsvoll zu hören. Eure Musik ist auch anspruchsvoll und fordernd, ONCE HUMAN sind aber dennoch sehr zugänglich. Ist es euch beim Songwriting wichtig, fordernde Musik zu machen, die zugleich aber leicht verdaulich ist?
Max schreibt auf eine sehr unkonventionelle Weise. Er lässt sich beim Songwriting von seinen eigenen Gefühlen und Emotionen leiten. Es ist sehr komplex und fremdartig, aber auch fesselnd und emotional. Ich schreibe auch nur das, was ich fühle und wozu mich die Musik zwingt. Ich weiß, dass viele Songs mit einer Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Struktur einfacher zu hören sind… Aber um ehrlich zu sein, würde ich beim nächsten Album von dieser Struktur gerne komplett weggehen.
In „Cold Arrival“ verarbeitest du den Verlust eines guten Freundes. Wie bist du mit diesem traurigen Ereignis umgegangen und wie hat es dich als Menschen beeinflusst oder verändert?
Es passierte sehr plötzlich und er war sehr jung. Er war ein toller Mensch. Ich habe es nicht gut verkraftet, aber ich hatte nicht erwartet, dass es mich so hart treffen würde. Das ist meine erste Erfahrung damit, jemanden zu verlieren. Ich habe meine Großeltern verloren, aber ich denke, darauf war ich vorbereitet. Aber das kam so plötzlich, dass es mich richtig betroffen hat. Das Schreiben der Lyrics für ihn war für mich ein großer Selbstheilungsprozess.
Sind auf dem Album noch mehr persönliche Lyrics und Themen?
Ja, der Titeltrack dreht sich um den Umgang mit meinen eigenen Ängsten und katastrophalen Gedanken. Ich lasse diese nichtexistenten Ängste real werden, indem ich ihnen so viel meiner Energie gebe. „Sew the flesh on my fears“… Ihnen Leben einhauchen, wenn du so willst. „Only In Death“ ist auch sehr persönlich, aber da könnt ihr den Text lesen, um zu sehen, warum!
„Ehrlich, direkt und offen gegenüber mir selbst und den Menschen zu sein ist mir unheimlich wichtig“
„Erasure“ handelt vom Thema der Blutdiamanten. Wie bist du darauf aufmerksam geworden und warum war es dir wichtig, das zu behandeln?
Ich habe den Begriff der Blutdiamanten oft gehört, der fällt immer wieder. Ich wusste aber nie, was er wirklich bedeutet. Beim Schreiben gehe ich ganz tief in Themen hinein, an die ich mich normalerweise nicht rantraue. „Eye Of Chaos“ habe ich auch auf diese Weise geschrieben… Ich zwinge mich regelrecht dazu, Dinge anzusehen oder zu lesen, die in der Welt passieren, von denen ich wünschte, ich könnte sie ungesehen machen oder aus meinem Gehirn löschen. Der Hintergrund der Blutdiamanten hat mich absolut entsetzt und ich kann nicht fassen, dass es in manchen Teilen der Welt noch immer so zugeht. Das schlimmste daran ist, dass diese Diamanten Liebe symbolisieren, wenn sie verschenkt werden. Dabei werden sie durch Folter, Schmerz und umgeben von Tod ausgegraben…
Ist es dir im Allgemeinen auch wichtig, mit deiner Reichweite schwierige Themen zu behandeln?
Ich denke, es ist mir wichtig, ehrlich zu sein und aus dem Herzen heraus zu schreiben. Die Frage bringt mich zu „Dark Matter“ von unserem letzten Album „Evolution“. Die erste Zeile ist “I’ve taken for granted the reach of my voice” – “Ich habe die Reichweite meiner Stimme für selbstverständlich gehalten”. Ich wollte wirklich an jeden Song so herangehen, als wäre es mein letzter. Das größte Geschenk in meinem Leben ist, dass die Menschen tatsächlich meine Kunst lesen… Und das will ich nie für selbstverständlich nehmen. Ehrlich, direkt und offen gegenüber mir selbst und ihnen zu sein ist mir unheimlich wichtig. Auf diese Weise kannst du mit den Menschen wirklich eine Verbindung herstellen.
Auf allen euren Alben habt ihr euer Logo verändert. Warum?
Ich glaube, wir suchen immer noch nach dem „Einen“. Das erste war oft nicht gut sichtbar und ging auf Tourankündigungen zu sehr unter. Es war einfach nicht gut genug erkennbar. Mir gefällt, dass unser Symbol jetzt ins Logo eingearbeitet ist.
Bei „Deadlock“ ist Robb Flynn als Gastsänger dabei. Wie kam es dazu und wie war es, mit ihm zu arbeiten?
Wir dachten an Robb, als Max uns die Instrumentalparts geschickt hat und ich dachte, ein Gastbeitrag von ihm wäre großartig. Bis dahin hatte er aber noch nie als Gastmusiker irgendwo mitgemacht. Wir haben also auch nicht geglaubt, dass er das machen würde. Aber er hat den Song gehört und ihn geliebt! Das ist eines der Dinge, die mir so viel Hoffnung wiedergegeben haben. Ich bin mir nicht sicher, dass er die Zeit dafür gehabt hätte, wenn die Pandemie nicht gewesen wäre. Das hat mir gezeigt, dass Gutes auch in den dunkelsten Zeiten entstehen kann. Robb hat einen fantastischen Refrain geschrieben, der sich sofort festsetzt! In den Strophen ging es zwischen uns hin und her. Wir haben beide unsere eigenen Zeilen geschrieben und es ist verrückt, wie gut sie zusammengepasst haben.
„Etwas Haptisches von deinen Lieblingsbands hat immer noch etwas sehr Sentimentales“
2019 habt ihr die Single „Sledgehammer“ veröffentlicht und ich habe öfter gelesen, dass Leute erstaunt sind, dass der Song nicht auf dem Album ist. Warum habt ihr euch dagegen entschieden, ihn auf „Scar Weaver“ mitzunehmen?
„Sledgehammer“ wurde drei Jahre vor dem Album veröffentlicht, verrückt! Es war eigentlich geplant, dass der Track Teil des nächsten Albums sein sollte. Aber durch die Zeit, die wir während der Pandemie mit dem Album verbracht haben, hat sich emotional und auch das Songwriting betreffend so viel verändert. Es hat sich angefühlt, als komme der Song aus einer ganz andern Zeit mit einer anderen Atmosphäre als das, was wir schlussendlich während der Pandemie geschrieben haben.
Streaming und der digitale Vertrieb nehmen eine immer wichtigere Stellung ein, vor allem in modernen Metal-Genres. Ist deiner Meinung nach die digitale Vermarktung jetzt der wichtigste Vertriebskanal und was hältst du von physischen Medien wie CD und LP?
Ja, die Verkäufe sind immer noch wichtig. Metalfans scheinen es noch immer zu lieben, CDs und Vinyls zu besitzen. Etwas Haptisches von deinen Lieblingsbands hat immer noch etwas sehr Sentimentales. Das liebe ich an der Metal-Community.
Vorab habt ihr vier Singles veröffentlicht, das ist fast das halbe Album. Ist „Scar Weaver“ so aufgebaut, dass es als Album von Anfang bis Ende gehört wird, oder sind einzelne Tracks, zum Beispiel in Spotify-Playlisten, wichtiger?
Ich wollte zu jedem Lied ein Video machen! Es kommt mir so vor, als würden wir viele Fans über die Videos erreichen. Manchmal hören die Leute die Songs gar nicht, bis es dazu ein Video gibt. Außerdem haben wir mehrere Videos gedreht, weil wir durch die Pandemie mehr Zeit hatten. Ich habe auch gehört, dass es heutzutage mehr um den einzelnen Song als das gesamte Album geht, aber ich bin mir da nicht so sicher. Ich glaube, Metalheads wissen die Reise, ein ganzes, gutes Album zu hören, wirklich zu schätzen. Ich weiß, dass ich das tue!
Wie entscheidet ihr, welche Songs ihr als Singles veröffentlicht? Nehmt ihr Tracks, die das am besten repräsentieren oder eher spezielle Tracks mit Besonderheiten wie „Deadlock“? Durch den Namen Robb Flynn generiert der Track sicher zusätzliche Aufmerksamkeit.
Es ist wirklich schwer, sich da zu entscheiden. Wir reden innerhalb der Band darüber und zeigen die Songs unseren Freunden, um deren Reaktionen zu sehen. Meine eigenen Favoriten können sich mit meiner Stimmung ändern, es ist also schön, Meinungen von außerhalb zu bekommen. Natürlich hätte ich es nie für möglich gehalten, ein Musikvideo mit Robb Flynn zu drehen. Das werde ich für immer schätzen!
Im Moment ist eine moderne Welle von Bands sehr stark vertreten, Bands wie Gojira, Jinjer, Infected Rain, The Agonist und natürlich ONCE HUMAN werden immer populärer. Ist diese moderne progressive Mischung aus Melodic Death/Core/Djent/Groove Metal die Zukunft des Heavy Metal?
Ich denke, das verändert sich ständig. Schwer zu sagen, was die Zukunft bringen wird, aber ich genießen die Reise.
Kommen wir zum Abschluss zu unserem traditionellen Brainstorming. Was fällt dir zu folgenden Begriffen zuerst ein…
Aktuelles Lieblingsalbum: Schwer, da einen Favoriten zu benennen, so viele Bands sind momentan heiß!
Impfung: Fasst diese Zeiten in einem Wort zusammen.
Natur: In der Natur zu wandern ist Teil meines perfekten Tages.
Etwas, das jeden Tag besser macht: Jemand Lustiges.
Die beste Art zu entspannen: Eine Wandung oder Zeit mit Tieren zu verbringen.
ONCE HUMAN in zehn Jahren: Once Young Human.
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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