Interview mit Rider G Omega von Obsidian Kingdom

Bereits mit ihrem Debüt „Mantiis“ und den mit dessen Re-Release über Season Of Mist einhergehenden Konzerten im Vorprogramm von Sólstafir wussten OBSIDIAN KINGDOM aus Barcelona zu begeistern. Nun melden sich die Katalanen mit „A Year With No Summer“ wenn auch stilistisch gewandelt, so doch nicht minder beeindruckend zurück. Sänger und Gitarrist Rider G Omega über düstere Dystopien, Rolltreppen als Beat-Grundlage und die Vorzüge eines Jahres ohne Sommer.

obsidian kingdom logoEuer Debüt „Mantiis – An Agony In Fourteen Bites“ wurde 2014 bei Season Of Mist veröffentlicht, erschien aber eigentlich schon 2012. Wie stehst du heute zu dem Album, würdest du es nochmal genau in dieser Form veröffentlichen?
Ich würde nicht ein Detail daran ändern – aber natürlich haben wir bei dem Entstehungsprozess viel gelernt. Wie wichtig es beispielsweise ist, einen Produzenten zu haben. Oder wie die Musikindustrie funktioniert. Oder die Freuden des Tourlebens. Aber was „Mantiis“ angeht: Nein, da würden wir heute nichts anders machen. Natürlich könnten wir es heute fetter klingen lassen, oder wir könnten eine bombastischere Werbekampagne fahren, als es uns damals möglich war. Aber es ist, wie es ist, und wir haben damals unser Bestmögliches getan. Wir sind auch heute noch sehr zufrieden mit dem Album und es ist nicht verwunderlich, dass die Presse sich in den Reviews zu unserem neuen Album ständig auf das Debüt bezieht. Ich glaube immer noch, dass es ein schönes und relevantes Stück Kunst ist und dass die Songs sich ziemlich gut gehalten haben. Aber alles, was wir aus dem Album gelernt haben, haben wir in „A Year With No Summer“ einfließen lassen.

Obsidian_Kingdom-01-Sergio_Albert_AvilesEuer neues Album heißt „A Year With No Summer“. Keine schöne Vorstellung, oder?
Nun ja, vielleicht aber auch schon! Sommer ist natürlich in erster Linie mit Licht und Überfluss assoziiert, aber warum ist er so stark mit dem Gefühl von Glück verknüpft? Der Winter ist die Zeit für Schlaf und Reflexion, Ruhe und innere Einkehr – und trotzdem ist der Begriff weitgehend negativ konnotiert. Was sagt das über unsere Kultur?
Der Punkt ist aber eigentlich: Was passiert, wenn sich etwas in unserem Leben plötzlich ändert, etwas absolut unaufhaltsames, eine der Säulen unserer Realität? Wie würde sich das anfühlen? Was würdest du tun? Der Sommer ist das perfekte Beispiel: Etwas, worauf du immer zählen kannst, das Versprechen des sich ewig erneuernden Kreislaufs. Eine kleine Veränderung in diesem Ablauf signalisiert unserem primitiven Nervensystem sofort den nahenden Tod. Aber warum sind wir einer Veränderung so abgeneigt?
Es funktioniert aber auch wortwörtlich genommen: Ist ein Jahr ohne Sommer möglich? Können wir uns das vorstellen? Und wer wäre schuld? Der Klimawandel, das Militärprogramm des Pentagon zur Wetterkontrolle oder schlichte Prozesse konstanter Entropie, die das Universum beherrschen? Vielleicht könnte es am Ende passieren. Was würdest du dann machen?

In unserem letzten Interview hast du im Hinblick auf das kommende Album gesagt, ihr würdet diesmal „weniger introspektive Themen wie City Spleens, Dystopien der nahen Zukunft oder Verschwörungstheorien“ behandeln, aber „die Dunkelheit, die Philosophie, die Aggression und die Vielseitigkeit“ beibehalten. Wie siehst du das heute?
In Anbetracht dessen, was „A Year With No Summer“ geworden ist, würde ich sagen, das ist eine ziemlich treffende Einschätzung, findest du nicht?

Worum geht es dann konkret auf dem Album?
„A Year With No Summer“ beschreibt einen Paradigmenwechsel, ein graues Gebiet, in dem sich die langen Schatten von Traumata und Verzweiflung abzeichnen, vor einem wundersamen, schrecklichen Panorama, voller Intensität und Möglichkeiten. Die verwendete Symbolik ist tiefschürfend und erfordert eine emotionale Antwort vom Rezipienten. Es geht um Stimmungen, die Zukunft der Zivilisation und die Mysterien abseits der Realität – aber sie haben für jeden, der unter ihren Zauber gerät, eine andere, einzigartige Bedeutung. Das konzeptuelle Gerüst von „‚A Year With No Summer“ fußt auf den Themen, die uns als Künstler derzeit am meisten berühren: Die technologische Revolution und ihr Einfluss auf die menschliche Psyche; die Entwicklung des eigenen Charakters in einer Unterhaltungsgesellschaft, der Verfall sozialer und politischer Strukturen und dessen Auswirkungen auf menschliche Interaktion und auf welche Weise die Struktur unserer Städte unbewusst das Kollektiv formt.

Wo ist der Link zum Albumcover versteckt?
Obsidian Kingdom - A Year With No Summer 02Der funktioniert auf einem sehr abstrakten Level: Das brutale Rot, das von unten eine ruhige, blaue Landschaft hinaufkriecht, die bedrohlichen Bildfehler, die die Information auf einem übergroßen Bildschirm fressen, das Gefühl von angespannter Ruhe, die durch das Überlagern verschiedener Schichten entsteht und die Reizüberflutung, die aus dem Zusammenspiel verschiedenster Layer resultiert zeichnen zusammen eine  trostlose und monotone Szenerie.
Aber da sind auch viele interessante Motive, die man interpretieren kann: Der flüchtige Geist gegen das neblig-verwaschene Weiß, für immer im Übergang zu einem unerreichbaren Horizont begriffen. Die grauen Wolken, die Wasser über einer Salzwüste versprechen – und das Auftauchen eines unpassenden, aber sehr eleganten Anzugs.Ich kann gar nicht aufhören, das Bild anzuschauen.

Wenn du das Album in einem Satz zusammenfassen solltest, wie würde dieser lauten?
Ein stachliger Cocktail aus City-Spleen, Verschwörungs-Paranoia und persönlichen Traumata; blau wie das abgestandene Wasser im Pool eines aufgelassenen Ferienresorts und schwer wie die Stille nach der nächsten atomaren Katastrophe.

Obsidian Kingdom 03Wo siehst du die Hautpunterschiede zwischen „A Year With No Summer“ und seinem Vorgänger, „Mantiis“?
Zunächst haben wir herausgefunden, dass die Methoden, die wir beim Schreiben von „Mantiis“ angewendet hatten außerhalb des Ein-Song-Album-Konzeptes nicht funktionieren würden. Also mussten wir neu lernen, wie man ein kompaktes Album und unabhängige Songs schreibt. In diesem Prozess des Wiedererlernens haben wir uns zwangsläufig auf die Musik zurückbesonnen, mit der wir am vertrautesten sind: Die verehrten Töne unserer frühen Teenager-Jahre, voll groovender Basslinien, krachender Power-Akkorde und sexy Chören – Grunge, Old School Black Metal, Alternative Rock und Post-Punk. Weiterhin fühlen sich die Themen, die wir jetzt als Band behandeln, viel urbaner, zeitgemäßer und dystopisch an, was uns die großartige Gelegenheit bot, unsere Vorliebe für elektronische Musik und Avantgarde einzubringen. So basieren beispielsweise die meisten Beats, die wir für das Album produziert haben, auf Samples von Sounds, die wir direkt aus unserem Stadtbild heraus aufgenommen haben – wie Smartphones, Rolltreppen und Druckmaschinen. Wenn „Mantiis“ eine kleine Horrorgeschichte war, ist „A Year With No Summer“ ein gar nicht mal so futuristischer, dystopischer Albtraum.

Obsidian_Kingdom-07-Sergio_Albert_AvilesIch persönlich finde „A Year With No Summer“ tatsächlich konsistenter, dafür weniger überraschend als seinen Vorgänger. Was denkst du über diese Einschätzung?
Ich stimme dir zu, dass es konsistenter klingt – aber was das weniger überraschend angeht, wäre ich mir nicht so sicher – ganz im Gegenteil: Ich denke, niemand hätte diesen plötzlichen Stilwechsel erwartet. Vielleicht sind die Dynamiken der Songs bisweilen sehr geschliffen – und das ist eine bewusste künstlerische Entscheidung – aber wir finden, dass das Album alles in allem spannend und unberechenbar ist. Vielleicht haben wir diesmal das Feuerwerk im Keller gelassen, dafür haben wir uns auf die Intensität und die durch den Drone-Charakter gestützte Atmosphäre konzentriert. In diesem Sinne ist „A Year With No Summer“ viel feindseliger als es „Mantiis“ war und, obwohl das im Widerspruch zu seinem poppigeren Ansatz zu stehen scheint, alles andere als leicht verdaulich.

Zumindest ist das Album ruhiger als „Mantiis“. Ist dieser Wandel absichtlich herbeigeführt, oder eine bewusst herbeigeführte Entwicklung?
Die Gewalt, die wir zum Ausdruck bringen, ist diesmal eher introvertierter Natur – nicht wild und roh, sondern eher durchdringend, tief drinnen: Ein erstickendes Gefühl von Unwohlsein, erzeugt von einer Synthie-verseuchten Atmosphäre, einem Pop-Song mit nicht sonderlich netter Message, oder einer einzelnen Note, die viel zu lange erklingt. Nichtsdestoweniger und trotz der dunklen Vorzeichen auf eine bevorstehende, neue Ära, ist der poetische Anspruch des Albums bisweilen gefühlvoll, ja, sogar naiv – das hat einen neuerlichen Wechsel unserer musikalischen Farbpalette erforderlich gemacht: Klargesang, sattes Magenta und Dur-Akkorde sind der helle Schein in einer ansonsten katastrophalen nuklearen Explosion. Das war nicht in Gänze so beabsichtigt, aber die Vocals, beispielsweise, wurden größtenteils einfach so gesungen, wie sie ganz natürlich herauskamen, und obwohl wir verschiedenes ausprobiert haben, haben Growls und Schreie sich diesmal einfach nicht als zum textlichen Inhalt passend angefühlt.

PrintWie viel gebt ihr auf die Meinung der Presse zu eurer Kunst?
Extrem viel! Drei unserer Bandmitglieder waren oder sind immer noch musikjournalistisch tätig – wir haben ein echtes Faible für dieses spezielle literarische Genre! Am Ende des Tages sind Musikjournalisten auch nur Musikliebhaber, deren Leidenschaft sie so weit getrieben hat, dass sie ihre Gefühle für Kunst öffentlich ausdrücken. Und wenn es um Musik geht, ist Leidenschaft alles! Natürlich hilft einem auch Wissen und Erfahrung, aber das ist eigentlich sekundär und kommt mit der Zeit. Wir lesen jede einzelne Zeile, die über uns veröffentlicht wird. Einfach, weil das bedeutet, dass wir eine Reaktion provoziert haben. Und wir sind sehr neugierig, wie die Leute auf unsere Arbeit reagieren! Ich finde auch, dass Trend-Setter und frei denkende Pioniere im kulturellen Bereich viel dazu beitragen, die Gesellschaft zu formen – und das ist exakt, was gute Musikmagazine meiner Ansicht nach sein sollten. Deshalb sind wir immer auf der Suche nach neuen Informationsquellen!

Was sind eure nächsten Pläne – steht schon eine Tour in Aussicht?
Momentan sind mir sehr beschäftigt damit, das neue Album bei ein paar ausgewählten Shows vorzustellen, auszuprobieren, wie die neuen Songs live funktionieren. Gleiches gilt für unsere neue Lightshow. Wenn da alles gut läuft, werden wir im Herbst wieder auf Tour gehen und eine wirklich interessante Europatour in Angriff nehmen – natürlich auch mit Terminen in Deutschland! Das war wirklich der Wahnsinn, als wir mit Sólstafir bei euch waren. Ich kann es gar nicht erwarten, das zu wiederholen. Wir sehen uns!

Besten Dank für Zeit und Antworten! Zum Abschluss ein Brainstorming:
Unabhängigkeit Kataloniens:
Kleinere Firmen sind leichter zu leiten.
Dein Lieblingsalbum 2016 bisher:
Das ist leicht: Blackstar von David Bowie.
Europa: Ein schöner Traum. Der sein unausweichliches Ende findet.
Sommer: Nein.
Hillary Clinton: Sie wusste nicht einmal, wer Run The Jewels sind [ein US-amerikanisches Hip-Hop-Duo, A. d. Red.]. Sanders wäre uns lieber.
OBSIDIAN KINGDOM in zehn Jahren: Oh, du wirst auch dann noch von uns hören. Bis dahin alles Gute!

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