Der französischen Black-Metal-Szene gehören einige der einzigartigsten, experimentellsten Bands der Stilrichtung an – darunter auch ein Trio mit dem Namen NYSS. Anlässlich der Veröffentlichung ihrer zweiten Platte „Dépayser“ haben uns Sänger Lee und Multi-Instrumentalist Þorir einige Fragen beantwortet, die sich unter anderem um die verschiedenartigen, größtenteils nicht im Black Metal angesiedelten Einflüsse der Band, ihren im Vergleich zu ihren Genre-Kollegen stark ausgeprägten Perfektionismus und die Bedeutung handgemachter Kunst drehten.
Ihr setzt die unterschiedlichsten Stilmittel ein, von Black Metal über Post-Rock bis hin zu Ambient und Noise. Gibt es auch Musikrichtungen, die ihr grundsätzlich nicht in euren Sound integrieren würdet?
Þorir: Gute Frage. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir bei NYSS Reggae-Musik in unseren Sound integrieren würden, aber ich würde nie etwas ausschließen. Ich bin ein großer Fan von Afrobeat, also schätze ich, dass alles möglich ist. (lacht)
Lee: Wir schließen nichts aus – aber es gibt immer noch eine strenge Kontrolle über unsere Vision. Wir sind nicht hier, um fade und leere Musik zu produzieren – bei uns muss es immer eine gewisse Tiefe geben. Daher gibt es einige Stile, bei denen es von vornherein unwahrscheinlich ist, dass wir sie integriert werden.
Aufgrund eurer ungewöhnlichen Klangkombinationen ist es gar nicht so leicht, eure Inspirationsquellen herauszuhören. Von welchen Musikern und Bands seht ihr euch bei NYSS beeinflusst?
Þorir: Für mich persönlich haben sich die Haupteinflüsse seit vielen Jahren nicht wirklich verändert. Magma, die französische Jazz-/Zeuhl-Band, steht definitiv an der Spitze des Haufens. Ich habe ihre Musik über eine lange Zeit hinweg studiert und viel über Textur und Emotion im Klang gelernt. Sie besitzen auch eine gewisse Dunkelheit, ohne „böse“ zu klingen, was ich immer noch schön und erfrischend finde. Ihre Musikalität ist zweifellos eine der qualitativ höchsten in der Musikgeschichte, über alle Genres hinweg.
Ein weiterer großer Einfluss ist John Coltrane, der auch Christian Vander von Magma inspirierte, tatsächlich wurde ihm von Elvin Jones das Schlagzeugspielen beigebracht!
Wenn wir gleich bei Jazz bleiben, gibt es ein paar Jungs, die meiner Meinung nach die Spielweise ihres Instruments revolutioniert haben, zum Beispiel Derek Bailey und Peter Brötzmann mit ihrer unorthodoxen Herangehensweise. Dereks Gitarrenspieltechniken waren sehr unkonventionell, was mir half, die Regeln im Bereich des Black Metal ein wenig zu brechen. Und Brötzmann, nun, der Typ ist ein verdammtes Genie.
Ich möchte auch die Bands Swans, Throbbing Gristle, Einstürzende Neubauten, Death, Psychic TV, Death In June, Yes, King Crimson, Fela Kuti, Shellac, Killing Joke, Whitehouse, Sonic Youth und Faith No More erwähnen. Diese Künstler sind mir wichtig, und ich denke, ich höre ihren Einfluss in NYSS, unter der Oberfläche. Natürlich könnte ich endlos über Einflüsse sprechen und so sehr ich Metal liebe und es mein ganzes Leben lang getan habe, es ist kein großer Einfluss, was NYSS betrifft. Black Metal… noch weniger. Ich sehe die Werke von Anselm Kiefer, Béla Tarr und Francis Bacon als so einflussreich wie jede andere Musik an. Musik ist mächtiger, wenn sie von anderen Kunstformen beeinflusst wird, finde ich. Black Metal, der nur von Black Metal beeinflusst wird, kann nur veraltet sein. NYSS verwendet Black Metal als Linse, nicht als Fokus.
Lee: Wie bereits gesagt wurde, sind selbstreferenzierende Einflüsse sinnlos. Wir haben das Rückgrat des Black Metal, aber es ist nur ein Gerüst, auf dem wir andere Einflüsse aufbauen. Für mich spielen philosophische Einflüsse und Schriftsteller eine größere Rolle. Sartre, Camus und Nietzsche zu Charles Bukowski und William Burroughs und der Beat-Generation. Die übergeordnete Philosophie ist existentiell – Entfremdung von der modernen Welt, die Sinnlosigkeit der Suche nach Sinn und eine allgemeine Ermüdung von der Welt und ihren Institutionen – und das Töten der alten Götter. Ich verwende den Begriff „Nihilismus“ nur sehr zurückhaltend, da er viele lästige Konnotationen hat – aber auch er ist Teil unserer Philosophie.
Natürlich kommen einige musikalische Wegweiser ins Spiel – aber überraschend wenige davon sind aus dem Black Metal und wenn, dann sind es intelligentere und dekonstruierte Versionen. Für mich sind die wichtigsten musikalischen Wegweiser Magma, Death In June, King Crimson, Christian Death, Fields Of The Nephilim, die experimentelleren Veröffentlichungen von Mayhem, Ulver, Burzum, Arcturus und Meads Of Asphodel. Aber ganz ehrlich, wenn wir schreiben, denken wir nicht an andere Bands. Wir denken an Themen und Ästhetiken, die uns interessieren. Das Schöne am Black Metal ist, dass das Regelwerk längst zerstört ist.
Viele Black-Metal-Bands halten sich lieber an bereits etablierte Songstrukturen und Instrumente. Würde euch eine solch konventionelle Herangehensweise langweilen?
Þorir: Ohne Zweifel. Ich hasse das Offensichtliche und Nachahmung. Gerade diese Frage erfasst das größte Problem innerhalb einer Szene. Wie Don Van Vliet einmal sagte: „Wenn du eine andere Art Fisch sein willst, musst du die Schule verlassen“. Echte Kunst steht allein und große Dichter sterben in dampfenden Töpfen voller Scheiße.
Lee: Jeder Musikstil, der Angst hat, zu experimentieren und verschiedene Ansätze auszuprobieren, wird am Ende aussterben. Authentische Vision ist das, worauf es ankommt, nicht dass man den Menschen gibt, was sie wollen.
Im Black Metal steht Atmosphäre meist über Komplexität, sodass bei der Aufnahme nicht immer auf Fehlerlosigkeit geachtet wird. Ihr spielt eure Instrumente in meinen Ohren hingegen punktgenau. Warum ist euch dieser Perfektionismus wichtig?
Þorir: Atmosphäre ist bei NYSS immer noch sehr wichtig, aber es ist nur eine weitere Zutat. Wenn ein Thema oder eine Ideologie im Mittelpunkt von Musik und Kunst steht, wird etwas Anderes geopfert, was das vollendete Stück eindimensional und im Wesentlichen langweilig macht. Wenn es um Perfektionismus geht, muss ich zugeben, dass ich einen geradezu zwanghaft analen Charakter habe. Ich möchte als Musiker und Künstler vorankommen, auch als Toningenieur, und das mag etwas versnobt klingen, aber warum soll man nicht versuchen, sein Bestes zu geben? Warum nicht seine ganze Aufmerksamkeit, sein ganzes Denken und seine ganze Liebe in die Kunst stecken? Und warum die Leute nicht hören lassen, was tatsächlich vor sich geht, anstatt über den Mangel an Fokus und Vision mit einer „Rohproduktion“ hinwegzutäuschen. Natürlich, in den frühen Tagen des Black Metal, der zweiten Welle im Speziellen, war die Ideologie Anti-Trend, Anti-Produktion, aber rate mal: Sie konnten ihre Instrumente sehr gut spielen! Ich denke, wenn ich Musik mache… das muss das Beste sein, was ich in diesem Moment zustande bringen kann. Ich höre in der Musik heutzutage vieles, das wie „es wird schon reichen“ klingt.
Lee: In NYSS herrscht ein hohes Maß an Qualitätskontrolle in Bezug auf Musik und Performance – das liegt in der Natur der Band. Bei uns gibt es kein „es wird schon reichen“ – wer das tut, und das garantiere ich, kann sich seine Aufnahmen nie wieder anhören. Es gibt viele Bands, die ich mag, die rohe Lo-Fi-Veröffentlichungen herausgebracht haben, aber sie haben auch immer interessantes Material produziert, auch wenn ihre musikalischen Fähigkeiten zu diesem Zeitpunkt begrenzt waren. Das ist der Schlüssel – mach etwas Interessantes und Spannendes! Versuche nicht nur, Darkthrone zu sein und erwarte nicht, dass jeder dafür deinen Arsch küsst – Darkthrone standen allein. Deshalb waren und sind Darkthrone etwas Besonderes!
Mit François Boyenval habt ihr seit einer Weile auch einen Cellisten in der Band. Hattet ihr aktiv nach jemandem gesucht, der dieses Instrument spielt oder war es insofern umgekehrt, als ihr François ins Boot holen wolltet und dadurch erst auf die Idee gekommen seid, ein Cello in eure Songs einzubauen?
Þorir: François kontaktierte mich als Fan unserer ersten Platte. Wir haben über Musik und Kunst gesprochen, und der Typ kennt seine Kunst! Wir wurden schnell zu guten Freunden. Üblicherweise interessiere ich mich immer für die Leute, die mich kontaktieren, besonders wenn sie auch Musiker sind. Als er mir sagte, dass er Cello spielt und ich es dann hörte, musste es einfach sein. Er musste mitmachen. Seine Vision und Persönlichkeit passen perfekt zu NYSS. Ich gab ihm keine Regeln, Fesseln oder Abschnitte vor, in denen er spielen sollte, er hatte freie Hand. Ich wollte, dass seine Persönlichkeit Teil der Musik ist. Obwohl die Songs bereits fertig waren, allerdings ohne Gesang, als er anfing, seine Parts aufzunehmen, sind die Texturen und Emotionen, die er hinzufügte, kolossal.
Zieht ihr in Betracht, in Zukunft auch noch andere, neue Instrumente in euren Stücken einzusetzen?
Þorir: Oh, definitiv, ich bin dabei, ein paar Instrumente aus großen Metallstücken zu bauen, die in vielerlei Hinsicht verwendet werden können: Schaben, Schlagen, Stimmen. Ich werde vielleicht auch mehr Saxophon hinzufügen und wahrscheinlich werde ich sogar Hauptinstrumente wie die Gitarre ganz fallen lassen. Der Song gibt die Richtung vor. Wir haben keine Regeln.
Lee: Bei NYSS geht es hauptsächlich um Dekonstruktion und einen fast postmodernen Ansatz von Black Metal. Was ist Black Metal? Was ist die Substanz davon? Ist es die Summe seiner Merkmale? Ist das wirklich wichtig? Ist es Einsicht, Dunkelheit und Tiefe, die wichtiger sind als das Medium, durch das sie zum Ausdruck kommen?
Hat sich durch François‘ Beitritt zur Band auch eure Herangehensweise an das Songwriting und die Aufnahmen verändert?
Þorir: Es wird sicherlich einige Elemente verändern, wir sind dabei, mit dem nächsten Album anzufangen und anstatt dass ich das Ganze zuerst erstelle, wird es eher eine gemeinschaftliche Erfahrung sein, was für mich in NYSS aus musikalischer Sicht neu ist. Ich bin sehr gespannt auf die Ergebnisse. Es wird viele Experimente geben, bevor wir eine Vorstellung davon bekommen, in welche Richtung die Musik uns führen soll.
Lee: François‘ Beitrag ist keineswegs zu unterschätzen; er hat unseren Sound grundlegend verändert und erweitert. Ich glaube, er hat beinahe ein cineastisches Element in die Songs eingebracht. Mir persönlich gefällt das sehr gut…
Laut eurem Label habt ihr auf eurem neuen Album „Dépayser“ viel improvisiert und experimentiert. Wie genau lief der Prozess ab, im Zuge dessen ihr die Ergebnisse dieser Experimente zu kohärenten Songs geformt habt?
Þorir: Ich „schreibe“ keine Musik im herkömmlichen Sinne, ich improvisiere nur. Ich weiß nicht, woher ich meine Ideen bekomme, wie Botschaften oder Visionen, es ist gewissermaßen spirituell, schätze ich. Dann baue ich diese Ideen mit Schichten und Texturen auf, bis der Song aufhört, mit mir zu reden. Es ist das Lied, das alles bestimmt, es hat seinen eigenen Weg. Ich fühle mich eher wie ein Bote. Manchmal funktioniert es überhaupt nicht und die Teile wandern in den Müll. Glücklicherweise formen sie sich meistens zu etwas, das ich schön finde.
Als es um die Texte und den Gesang ging, saßen Lee und ich im Studio, er hatte überall Seiten und Papier voller Texte und Prosa und er folgte dem, was der Song verlangte, er kritzelte manisch vor sich hin und sagte „AUFNEHMEN!“ und setzte dann seine Kopfhörer auf. Eine erstaunliche kreative Erfahrung.
Es ist eine reine und ehrliche Aufnahme, die zur richtigen Zeit aufgenommen wurde.
Lee: Der kreative Prozess ist untypisch im Vergleich zu der Art und Weise, wie „normale“ Bands funktionieren. In vielerlei Hinsicht arbeiten wir in Fragmenten, die als Bewusstseinsströme erscheinen und aus dem Unterbewusstsein fließen. Unser größter Fluch ist die Formel; bei uns gibt es keine wegwerfbaren Texte, mit jeder Zeile, jedem Wort quälen wir uns und oft muss es sofort dort und dann eingefangen werden, bevor es im Äther verschwindet. Oft muss man einfach loslassen und sich vom Material zu dem führen lassen, was getan werden muss. Vorurteile müssen abgeworfen werden – man muss das Ego loslassen.
Eure Songs sind ziemlich ausschweifend und unterschiedlich lang – einige dauern sieben Minuten, manche sogar doppelt so lang. Woran erkennt ihr beim Songwriting, dass ein Track fertig ist und nicht weiter verlängert werden sollte?
Þorir: Wie ich bereits erwähnt habe, wird das jeweilige Lied irgendwie empfindsam. Ich sitze nicht im Studio und sage zu mir selbst: „Dieser Song wird 14 Minuten lang sein.“ Ich sehe das als Einschränkung. Ich denke, diese Art von Arbeitsmoral schmälert die Kunst. Ich kenne aber Leute, die das tun und zwar mit guten Ergebnissen. Aber ich habe keine Ahnung, wie lang oder kurz ein Song sein wird. Es ist erledigt, wenn es erledigt ist. Lass es einfach atmen.
Wie schon auf früheren Songs setzt ihr auch auf „Dépayser“ einige Sprach-Samples ein. Woher nehmt ihr diese Spoken-Word-Parts und aus welchem Grund habt ihr sie gewählt?
Þorir: Die gesprochenen Proben stammen von großen Künstlern und Schriftstellern. Menschen, die meine eigenen Vorstellungen von Kunst und Literatur massiv beeinflusst haben. William Burroughs, Charles Bukowski und Francis Bacon sind die Leute, die auf den Alben zu hören sind. Ich weiß, dass NYSS ohne ihre Werke nicht so klingen würde.
Lee: Lyrisch gesehen war dieses Album ein Versuch, die Rohheit und Ermüdung, die Bukowski der Welt gebracht hat, zu kanalisieren. Ich dachte viel über ihn und meine eigenen Probleme nach, als ich die Texte schrieb. Es war für uns wichtig, dass der Mann selbst ein paar posthume Worte auf diesem Album sagte. Und das sagen wir mit höchstem Respekt.
Aus welchem Grund setzt ihr für gewisse Textpassagen solche gesprochenen Tonaufnahmen ein, anstatt sie wie die übrigen Texte zu singen oder zu screamen?
Þorir: Es sind die Worte des jeweiligen Künstlers, und ihre Stimmen sagen es besser als jede andere.
Lee: Die Worte dieser Künstler haben eine Bedeutung, die ich an diesen Stellen, in diesen Liedern, nicht ersetzen kann.
Wie es der Titel bereits suggeriert, besingt ihr auf „Dépayser“ eine Welt der Entfremdung. Worin genau besteht dieses Gefühl der Abschottung, das ihr thematisiert?
Lee: Entfremdung von der modernen Welt ist das zentrale Thema der Platte! Der Haupttrack, der dies hervorhebt, ist „Bitter Tears And Grave Dirt“. Dieser Track malt Szenen von heruntergekommenen Bars und einsamen Menschen, die ihren Schmerz wegtrinken und wegficken, ein Messer auf den Rücken des jeweils anderen gerichtet, weil sie den Schmerz, den Schaden und die Korruption nie loswerden können. Es gibt ein Bedürfnis nach menschlicher Wärme und Verbindung – irgendeiner Verbindung; aber sie ist in dieser leeren, anonym kalten Welt nie erreichbar.
Das Album klingt sehr rau und mechanisch, allerdings nicht Lo-Fi. Welcher Gedanke steckt hinter eurer Entscheidung, die Platte so klingen zu lassen und nicht etwa organischer?
Þorir: Ich schätze, eine Menge davon kommt von meinen Einflüssen, insbesondere von Throbbing Gristle. Ich liebe diesen Puls der (alten) Industrial-Musik. Außerdem spiele ich alle Instrumente außer Cello, sodass es ziemlich schwierig ist, ein Album zu erschaffen, das wie von einem Schlagzeuger, einem Bassisten, drei bis vier Gitarristen, einem Keyboarder und einem Saxophonist aufgenommen klingt, die in einem Keller jammen. Aber das Ergebnis gefällt mir wirklich. Es ist der Klang, der „passiert“ ist.
Das Artwork von „Dépayser“ zeigt eine aufwändig hergestellte Kunstinstallation. Habt ihr dem Künstler bei der Gestaltung freie Hand gelassen oder habt ihr ihm gewisse Vorgaben gegeben?
Þorir: Ich habe das Kunstwerk selbst gemacht. Der Prozess war ziemlich langwierig. Ich sammelte Materialien von verschiedenen Orten, Dinge, die mir ins Auge fielen, wie große Rostflocken aus einem riesigen, alten Ölbehälter und ein antikes Uhrwerk. Ich verbrannte Sackleinen, Hühnerknochen, Pappe und zerschnitt Bierdosen, um verschiedene Teile herzustellen. Es sind auch eine Menge Schlamm und tote Käfer drin.
Die meisten Albumcover werden heutzutage digital kreiert. Würdest du sagen, dass diese Entwicklung auch ihr Gutes hat oder stellt ihr euch bewusst gegen diesen Trend?
Þorir: Ich benutze gelegentlich auch digitale Medien, aber ich bevorzuge etwas Physisches, ich besitze lieber eine Vinylplatte als eine MP3. Aber Trends sind genau das. Sie kommen und gehen. Ich denke, es gibt eine positive und eine negative Seite. Auf der einen Seite sind die Möglichkeiten bei digitalen Medien endlos und mit wenig oder sogar ohne Geld umsetzbar. Aber dann hat die Kunst keinen Wert, es ist eine Datei auf einem Computer. Es wird als Cover benutzt und dann ist es das. Ich weiß aber, dass viel Arbeit in die Erstellung von Bildern mit digitalen Medien investiert wird, es ist keine schnelle Lösung.
In Zeiten von Online-Streaming und sinkender Aufmerksamkeit gegenüber Alben als Gesamtkunstwerk scheinen auch Artworks an Bedeutung zu verlieren. Bedauerst du, dass der große Aufwand und die Überlegungen hinter den Visualisierungen an vielen Hörern vorbeigehen?
Þorir: Ja, absolut! Alles wird verwässert und schnell rausgeschmissen. Ausschneiden, kopieren, einfügen. Mir wäre lieber: Steuerung, Alt, entfernen. Ich meine, fast ALLE neuen Black-Metal-Veröffentlichungen sehen aus wie andere Black-Metal-Veröffentlichungen. Aber das ist es, was die Leute offensichtlich wollen… Das Gleiche, das Vertraute. Das Ankreuzen von Kästchen ist aber nichts für NYSS.
NYSS ist ein reines Studioprojekt, nicht wahr? Gibt es einen bestimmten Grund, aus dem ihr keine Live-Shows spielt?
Þorir: Abgesehen von der Tatsache, dass es physisch unmöglich ist, wenn ich nicht einen Haufen Musiker einstelle und monatelang probe, genieße ich es einfach nicht mehr, live zu spielen. Ich selbst und Lee sind seit 20-25 Jahren in Bands unterwegs, wir sind durch ganz Europa getourt usw. Es ist einfach nicht das richtige Leben für mich. Außerdem ist Live-Spielen immer auch ein Egotrip und das kann ich nicht ausstehen. Ich glaube nicht an Rock ‚n’ Roll. (lacht)
Lee: An diesem Punkt meines Lebens habe ich nicht mehr den Wunsch, wieder auf die Straße zu gehen, aus einem Koffer zu leben, tagelang nach Scheiße zu stinken, auf halbem Weg krank zu werden, mir den Arsch hinten in einem Van abzufrieren, Locations mit beschissenem Sound zu bespielen und von Promotoren abgezockt zu werden. Die Logistik einer NYSS-Show wäre unerschwinglich teuer und unwirtschaftlich. Ich habe kein Interesse an dem narzisstischen Parasitismus, der beim Live-Spielen entsteht, und dieses egoistische Rockstar-Getue kann sich verpissen.
Wir nähern uns dem Ende des Interviews, ich möchte mit dir nur noch ein kurzes Brainstorming durchgehen. Was kommt euch bei den folgenden Begriffen in den Sinn?
Französischer Black Metal: Þorir: Noch nie davon gehört.
Lee: Und?
Hoffnung: Þorir: Nihilismus
Lee: Grausamkeit
Carola Rackete: Þorir: Brazzers?
Lee: Ist mir egal…
Derzeitiges Lieblingsalbum: Þorir: Víg Mihály – Filmzenék Tarr Béla Filmjeihez
Lee: Mgła – Exercises In Futility, Verdunkeln – Einblick in den Qualenfall
Nihilismus: Þorir: Hoffnung
Lee: Unvermeidlich
Avantgarde-Kunst: Þorir: Why You Never Became A Dancer
Lee: Metgumbnerbone
Abermals ein großes Dankeschön für eure Antworten. Die letzten Worte würde ich gern euch überlassen:
Þorir: Danke, Stephan und Metal1!
Lee: Das Vergnügen war ganz unsererseits – danke für die sehr überlegten Fragen…
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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