Interview mit umbrA und Kar von Nebelkrähe

Nach vier Jahren Wartezeit präsentieren NEBELKRÄHE den Nachfolger zu ihrem Debütalbum „entfremdet“. „Lebensweisen“ ist abermals Black Metal, der erfrischend anders klingt, erreicht qualitativ aber ganz andere Sphären als der Vorgänger. Wir sprachen mit Sänger umbrA und Bassist Kar über Songwriting, Texte und die Philosophie, mit der NEBELKRÄHE generell an ihre Musik herangehen. Dabei bot nicht zuletzt die ungewöhnliche optische Präsentation reichlich Gesprächsstoff.

Hallo umbrA und Kar, danke, dass ihr euch die Zeit für das Interview genommen habt. Am 15. Februar ist es soweit, das zweite NEBELKRÄHE-Album „Lebensweisen“ erscheint. Wie fühlt man sich zu so einem Zeitpunkt, ist Nervosität vorhanden?
umbrA: Eigentlich nur Erleichterung, dass es endlich auf den Weg gebracht ist, dass der lange Schaffensprozess zu Ende gebracht ist.
Kar: … und dass jetzt wieder Raum für Neues entstanden ist.

Das Album ist ja jetzt nicht erst seit gestern fertig, ihr habt euch recht lang auf Labelsuche befunden. Dann kam erst noch die Single „Der Flaneur“, um die Veröffentlichung des Albums finanziell zu unterstützen, kurz danach hat es dann ja aber doch mit einem Labelvertrag geklappt. Woran hatte es am Ende so lange gehapert?
umbrA: Es war vor allem eine Soundfrage. Wir haben das Album in Eigenregie produziert und gemischt und dann bei einem großen Mastering-Studio mastern lassen. Mit dem Ergebnis waren wir aber nicht so zufrieden…
Kar: …die Labels leider auch nicht…
umbrA: Da ist das Album dann erst einmal eine Weile lang liegengeblieben, in der wir nicht wussten, ob wir es so, wie es ist, in Eigenproduktion verlegen sollten, oder doch nochmal Geld reinstecken und die ganze Sache neu aufziehen. Am Ende hat sich dann glücklicherweise Christoph Brandes von den Iguana-Studios der Sache angenommen und uns den Arsch gerettet. Als das Album dann komplett fertig war, gingen wir wieder auf Labelsuche, haben uns aber entschieden, noch den „Flaneur“ herauszubringen, um die Wartezeit ein bisschen zu verkürzen.
Kar: Und um mal wieder ein Lebenszeichen von uns zu geben. Das war auch für uns selbst einmal wirklich wichtig.

Aber ihr hattet von Anfang an gesagt, dass das zweite Album nur über ein Label erscheinen soll?
umbrA: Das war schon irgendwie eine Bedingung, ja.
Kar: Anders wäre es motivationstechnisch nicht mehr machbar gewesen.

Ist der Vertrag jetzt erst einmal ein Experiment, wie es ist, ein Album auf diese Weise zu releasen?
umbrA: Ja. Aber man wird natürlich schon einmal viel ernster genommen und mit Gigs ist es mit einem Label im Rücken als Qualitätssiegel doch einfacher. Ansonsten weiß ich nicht, ob es im digitalen Zeitalter in dieser Independentszene unbedingt notwendig ist, ein Label zu haben. Ich glaube, es geht auch ohne ganz gut. Man muss sich halt sehr viel mehr dahinterklemmen, das mit den Vertriebswegen macht schon noch einen Unterschied; gerade im Black Metal, wo noch viel über Mailorder bestellt wird.
Kar: Bisher kann man den konkreten Promotioneffekt noch nicht beurteilen, einfach, weil das Album noch nicht erschienen ist. Sicherlich ist die Aufmerksamkeit bei Facebook gestiegen, aber da muss man auch sagen, dass wir diese Plattform beim letzten Album noch gar nicht genutzt hatten.

Was macht man dann als Band eigentlich konkret, wenn das Album über ein Jahr einfach nur herumliegt, schreibt man direkt neue Songs? Wie vertreibt man sich die Zeit im Proberaum?
umbrA: Wir haben ein paar ganz gute Konzerte gespielt und haben uns sonst mit Live-Vorbereitung viel Zeit vertrieben. Der kreative Prozess war in dieser Zeit aber eigentlich nicht vorhanden.
Kar: Ich glaube, das lag auch einfach daran, dass etwas noch unvollendet war und man noch gar nicht befreit an etwas Neues herangehen konnte. Deswegen sind wir jetzt auch ziemlich geil auf neue Sachen.

Wie beeinflusst diese lange Wartezeit die eigene Einstellung zum Album? Denkt man sich mit ein wenig Distanz vielleicht auch schon, dass man das ein oder andere hätte besser machen können?
Kar: Nein, das auf keinen Fall, aber ich würde schon sagen, dass NEBELKRÄHE 2013 ganz anders sind als 2012/2011. Wir sind alle älter geworden und ob wir heute das Album noch einmal so schreiben würden, weiß man nicht. Anders machen würden wir es aus heutiger Sicht aber nicht. Es ist einfach ein Zeitzeugnis.

Wie läuft Songwriting bei euch generell? Wie viel bringt ihr schon fertig in den Proberaum mit?
Kar: Die Songs sind, wenn sie in den Proberaum kommen und das erste Mal gespielt werden, eigentlich zu 90% fertig. Wir legen ja schon Wert darauf, dass das Material innovativ und ausgefeilt ist, das geht bei uns nur, indem wir das vorher schon weitgehend fertig machen. Die Texte stehen zu dem Zeitpunkt zumeist auch schon oder werden dann noch einmal genau auf den Song zugeschnitten. Wenn die anderen dann auch noch ihren Stil eingebracht und ihren Senf abgegeben haben, ist das Ganze dann ein echter NEBELKRÄHE-Song.
umbrA: Es sind ja auch nur Kar und Morg, die wirklich viel schreiben. Euphorion macht dann immer so etwas wie „Der Flaneur“, so einen Geniestreich pro Album. Aber Schlagzeug und Gesang halten sich weitestgehend aus dem Songwriting heraus.

Wie fühlt es sich als Sänger an, Songs zu singen, an welchen man musikalisch kaum beteiligt war und deren Texte man nicht geschrieben hat?
umbrA: Wenn man sich mit den Texten identifizieren kann, fühlt sich das ganz gut an, und das ist bei NEBELKRÄHE glücklicherweise auch der Fall. Ich habe ja noch andere Projekte, wo ich dann als Songwriter und auch Texter aktiv bin. NEBELKRÄHE war für mich ursprünglich auch nur ein Experiment, überhaupt mal auf die Bühne zu gehen. Dass ich so stark in die Band hineinwachsen und mich damit identifizieren würde, war da noch gar nicht absehbar. Aber es hat dann einfach gut gepasst und ich kann mir der Situation gut leben.

Kommen wir noch einmal kurz zurück zum Songwriting- und Aufnahmeprozess. Was, würdet ihr im Nachhinein sagen, sind die Vor- und Nachteile daran, alles selber aufzunehmen und den Master dann abzugeben?
umbrA: Im Nachhinein muss man sagen, dass es wohl das Beste und Reibungsloseste gewesen wäre, wenn wir uns direkt auf diese Methode geeinigt hätten. Ich hab mit meinen anderen Projekten immer selber aufgenommen und dann auch abgemischt, wir waren immer überzeugt, dass wir damit besser fahren. Aber bei Chris Brandes hat man jetzt doch gemerkt, dass es eben einen Profi braucht, um aus einem 85%igen Sound einen 100%igen zu machen. Das kann ich nicht leisten und das möchte ich auch nicht. Zudem tut es gut, das Material noch einmal von einem Externen anschauen zu lassen. Das werde ich mit meinem anderen Projekt Atrorum jetzt auch genauso handhaben.

Wart ihr im Studio anwesend, als der Sound fertig gemacht wurde, oder habt ihr Christoph freie Hand gelassen?
umbrA: Ich war zu Beginn anwesend, um die Dateien von meinem auf seinen Rechner zu übertragen. Den Rough Mix haben wir zusammen gemacht, dann hatte Christoph zwei Wochen Zeit, in denen er alleine daran gearbeitet hat und am Ende hatten wir dann mit der kompletten Band einen Listening-Tag.

Wäre es in Zukunft denn theoretisch denkbar, auch mal im Studio aufzunehmen?
umbrA: Nein, eigentlich nicht. Die Aufnahme in Eigenregie hat einfach den Vorteil, dass es entspannter läuft und man die Möglichkeit hat, noch währenddessen etwas am Songgerüst zu ändern, wenn man merkt, dass etwas doch nicht passt. Dieser zusätzliche kreative Prozess würde im Studio wegen des Zeitdrucks wegfallen.

Wenn ihr auf „entfremdet“ zurückschaut, was hat sich musikalisch im Kern geändert und wie ist der Anspruch gewachsen?
Kar: Ich glaube, das Ziel, das wir vor Augen hatten, war beim zweiten Album deutlich klarer. Wir wussten viel eher, wo wir hinwollten, obwohl ich jetzt nicht konkret den Finger drauflegen könnte, was das war. Der Schlagzeug-Produzent vom ersten Album meinte damals, er fände es dilettantisch, aber auf eine Weise, wie er das noch nie gehört hätte. Es war jetzt einfach klarer, wer wir musikalisch sind, das hört man denke ich auch.
umbrA: Es gab beim zweiten Album auch mehr Einflüsse von außen, weil das erste ja ein Konzeptalbum war und so, wie es geplant war, auch schon fertig bestand, als das Band-Line-Up komplettiert wurde. Das musste dann auch genau so auf die Platte übertragen werden. Bei „Lebensweisen“ gibt es jetzt diese ganzen Spielereien mit dem mehrstimmigen Chor oder der Gastsängerin – das sind Dinge, die jetzt plötzlich möglich waren, weil das Konzept offener war.
Kar: Ja, und wir hatten auch erst das Selbstbewusstsein, so etwas einfach mal auszuprobieren, mal zu schauen, wie es wird. Das wird sich in Zukunft sicher auch noch weiter ausprägen. Beim ersten Album mussten wir uns erstmal selbst etwas beweisen.

Wenn du betonst, dass „entfremdet“ ein Konzeptalbum war, inwiefern ist „Lebensweisen“ das nicht oder weniger?
Kar: Ich glaube, man könnte beide Alben sehr einfach in einer Linie sehen, die einfach die Situationen, in welchen wir uns befanden, reflektieren. „entfremdet“ war ein Aufbruch, etwas pubertär, oder eher post-pubertär, mit Anfang 20. Von diesem Aufbruch handelten eigentlich alle Songs, und vom Schmerz, den er hinterlässt. „Lebensweisen“ behandelt die Zeit nach dem großen Zorn und stellt die Frage nach den Alternativen, die sich für das Weiterleben bieten.

Das klingt, als wären die Texte extrem persönlich ausgefallen.
Kar: Jein, also in meinem Fall, und ich denke in Morgs Fall genauso, sind die Texte nicht persönlich in dem Sinne, dass sie sich auf uns als Alltagspersonen beziehen, es sind eher abstrakte Persönlichkeiten, Symbole für Lebensarten, die natürlich große Schnittmengen mit uns selbst haben. Wo die Inspiration dann konkret herkommt, hängt vom jeweiligen Text ab, aber man schaut halt in seinem eigenen Leben, was man verallgemeinern und lyrisch verarbeiten kann.

Eure Texte haben ja durchaus ein gehobenes sprachliches Niveau. Inwiefern passt ihr da bewusst darauf auf, dass dieses sprachliche Niveau zur Musik passt?
Kar: Natürlich sollen die Texte verbal wiedergeben, was die Musik ausdrückt. Absichtlich gehoben schreiben wir auf keinen Fall, das fände ich auch ziemlich affig, aber man muss sich ja auch nicht unter dem Niveau verkaufen, auf dem man sich befindet.

Nachdem ihr da doch relativ viel Arbeit investiert, wie wichtig ist es euch, dass die Hörer das auch entsprechend rezipieren und glaubt ihr, dass das passieren wird?
Kar: Ich glaube schon, dass das passieren wird, weil Leute, die diese Musik hören, denke ich, auch das Gesamtpaket wollen. Wir spielen einfach nichts, wozu man jetzt typischerweise in der ersten Reihe abpogt und die Faust in die Luft reckt… Auch, wenn es schön ist, dass das mittlerweile öfter passiert (lacht). Aber insgesamt denke ich doch, dass die Hörer sich damit auch auseinandersetzen werden.
umbrA: Bei den Reaktionen auf das erste Album war im Prinzip auch schon bei den Hörern die Ansicht vertreten, dass die Texte durchaus herausstechen, etwas Besonderes und ein wichtiger Bestandteil sind. Und wenn ich selbst anspruchsvolle Musik höre, ist es für mich auch ein wahnsinniger Bonus, wenn die Texte tatsächlich etwas aussagen.
Kar: Es ist aber auch nicht schlimm, wenn das nicht rezipiert wird. Letztendlich geht es ja auch darum, dass wir uns für das, was wir aufgenommen haben, so oder so nicht schämen müssen.

Auch optisch, etwa mit dem Artwork, grenzt ihr euch ja vom Standard in der Black-Metal-Szene ab. Inwiefern geschieht das bewusst, vielleicht wiederum, um die Eigenständigkeit von Musik und Texten optisch zu repräsentieren und damit bspw. in einem Mailorder-Katalog deutlicher herauszustechen? Was ist das ganze Konzept hinter dieser Präsentation?
Kar: Ich glaube, dass man das ausweiten und fragen kann, inwiefern wir überhaupt noch Black Metal sind…
umbrA: Ich würde sagen, dass die Intention hinter dieser Präsentation nicht ist, sich besser verkaufen oder positionieren zu können, sondern es besteht einfach der Drang, der Eigenständigkeit von Musik und Texten auch visuell Ausdruck zu verleihen. Die Idee zu dem Artwork entstand in einem Brainstorming der Band mit dem Künstler, Jan Reiser, es folgten lange bandinterne Diskussion, wie es genau auszusehen hat – letztendlich hat er unsere relativ konkreten verbalen Vorgaben dann eben visuell umgesetzt.

Auch eure aktuellen Band-Gruppenfotos heben sich ab. Wie kamen hierfür die Ideen zustande?
Kar: Wir wollten einfach mal was anderes machen, hatten aber keine konkrete Idee, was. Irgendwann haben wir uns dann überlegt, einfach mal einen Profi zu fragen, der überhaupt nicht aus der Szene kommt: Wie rezipiert er Black Metal und wie würde er da etwas umsetzen? Wir haben uns da dann mit einem alten Kumpel von mir zusammengesetzt, der nicht nur das Können, sondern auch Ideen und Zeit hatte – daraus ist das alles dann entstanden.


Es fiel ja nun doch schon etwas häufiger das Wort „anders“: Texte sind anders, Artwork ist anders, Bandfotos sind anders. Ist das nicht schon irgendwo eine sehr bewusste Abgrenzung zum klassischen Black Metal?
Kar: Also anders sein um Willen des anders seins ist denke ich nicht, weshalb man Kunst betreiben sollte. Aber auch, wenn man Musik macht, die einem etwas bedeutet, ist irgendwo nur dann Legimität gegeben, sie zu veröffentlichen, wenn dasselbe nicht schon da ist. Ich glaube, wenn ich Musik spielen würde, die sich durch nichts von allem anderen unterscheidet, dann würde ich sie nicht aufnehmen.
umbrA: Das ist auch ein allgemeiner Tenor in der Band. Ich finde nichts verkehrt oder verwerflich daran, einen vorhandenen Stil weiter zur Perfektion zu treiben, aber ich glaube, die Charaktere bei NEBELKRÄHE sind mit so einem Vorgehen nicht kompatibel. Da ist schon der Wille da, etwas anders zu machen und etwas Neues zu schaffen – auch, wenn es dann vielleicht nicht so ausgereift und rund klingt, wie wenn man den eigenen Stil immer weiter verfeinert. Wir wollen schon experimentieren, das gibt uns allen mehr, als Vorhandenes zu reproduzieren.

Macht es dieser Ansatz nicht viel schwieriger, sich eine Hörerschaft zu erschließen?
Kar: Eine treue Hörerschaft nicht, eine große schon (lacht). Aber die treue Hörerschaft macht auch mehr Spaß.

Es wurde ja schon angesprochen, dass sich mehrere sehr stilfremde Elemente auf dem Album finden. Wie kam es denn dazu? Reflektiert das die Geschmäcker in der Band, also steht jemand bei euch total auf Walzer und Funk? Oder woher kommt es, dass gerade diese Elemente auftauchen? Sie sind ja auch nicht stilprägend für das ganze Album, sondern stehen an ihren Stellen klar abgegrenzt.
Kar: In den meisten Fällen war es eigentlich ein „Hey, geht das?“. Und dann ging es eben oder manchmal auch nicht. Aber wäre es wäre gelogen, zu sagen, dass sich das aus dem Song heraus entwickelt hätte. Beim Walzerteil liegt es am Text: Wenn man den liest, merkt man schnell, dass das Sinn ergibt. Aber beim Rest ging es eher um den Spaß am Ausprobieren – wenn es gut klingt, passt es zu NEBELKRÄHE, wenn nicht, landet es eben nicht auf dem Album.

Wo habt ihr eigentlich die Gastmusiker her, die euch bei solchen Experimenten unterstützen? Wie haben die auf eure Musik reagiert?
umbrA: Ein Gastmusiker, der immer wieder dabei ist, ist Fabian Ziegler, mit dem ich mein Avantgarde-Black-Metal-Projekt Atrorum betreibe. Da er Multiinstrumentalist ist, lag es sehr nahe, ihn für verschiedenste Sachen einzuspannen. Dem ist sowieso nichts fremd. Für die weiblichen Gastvocals zeichnet sich meine Schwester verantwortlich. Die wiederum ist, glaube ich, schon so von uns geschädigt, dass das auch kein großer Schritt mehr war (lacht).

Inwiefern könnt ihr euch, bzw. vor allem du, Kar, bei NEBELKRÄHE musikalisch komplett zu verwirklichen? Braucht es nicht noch andere Ventile, neben Atrorum für umbrA?
Kar: NEBELKRÄHE sind halt fünf Leute, und worauf sich diese fünf Leute einigen können, das ist die Band.
umbrA: Bei dem, was dabei dann rausfällt, muss sich jeder selber überlegen, ob er es für so gut hält, dass er es noch woanders verwirklich möchte. Ich habe grundsätzlich die Erfahrung gemacht, dass es in Bands, die versuchen, musikalisch neue Wege zu beschreiten, sinnvoller ist, wenn die kreativen Köpfe noch andere Ventile haben, weil man dadurch jeweils zielgerichteter arbeiten kann.

Euren Stil charakterisiert ihr auf Facebook als „Innovative Black Metal“. Was steckt denn da dahinter? Im Gegensatz zu einer reinen Stilbeschreibung erhebt ihr damit ja schon einen gewissen qualitativen Anspruch.
umbrA: Es ist immer eine sehr mühsame und schwierige Sache, in einem Subgenre noch eine weiter Untergliederung machen zu wollen. Ich habe auch nie darüber nachgedacht, dass „innovativ sein“ ein Qualitätsmerkmal ist. Ich glaube aber, darum geht es auch gar nicht. Es ist eher der Mut zum Experiment, der damit ausgedrückt werden soll. Im Endeffekt war es wohl einfach der Versuch, über den Genre-Begriff zu vermitteln, dass wir nicht „nur“ traditionellen Black Metal machen, ohne dabei das Wort „Progressiv“ in den Mund zu nehmen. Das ist für meine Begriffe heute so eindeutig geprägt, dass es auf unsere Musik einfach nicht passt. Aber es stimmt, es drückt vielleicht auch ein gewisses Maß an Arroganz aus (lacht).
Kar: Aber im Black Metal muss ein wenig Arroganz ja auch erlaubt sein (lacht).

Live bleibt eure Präsentation ja vergleichsweise klassisch, ihr nutzt nach wie vor Corpsepaint. Denkt ihr, dass das für das aktuelle Album noch zwingend notwendig wäre, oder würde es auch entsprechend wirken, wenn ihr so, wie ihr seid, auf die Bühne kommen würdet?
Kar: Es geht weniger darum, dass wir unbedingt Corpsepaint wollten, sondern eher darum, dass wir nicht kein Corpsepaint wollten. Wir wollen damit keine Tradition wahren, sondern auf der Bühne einfach anders aussehen und als Band dadurch eine gewisse Einheit ausdrücken.
umbrA: Ich tu mich als Frontman, der das ja alles verkaufen muss, mit Corpsepaint auch leichter. Da bekommt die ganze Performance gleich eine Theatralik, die ohne Schminke viel schwerer zu erzeugen wäre.

Gerade du, umbrA, legst auf der Bühne ja ein relativ spezielles Gebaren an den Tag. Ist das einfach die Art und Weise, wie du halt natürlicherweise abgehst und dich wohlfühlst, oder ist das irgendwo auch kalkuliert?
umbrA: Nein, kalkuliert ist da eigentlich gar nichts, das ist mit den Liveauftritten einfach immer weiter gewachsen. Es gibt dann schon den ein oder anderen YouTube-Schnipsel, bei dem man sich denkt „Um Gottes Willen, was machst du da denn wieder“. Natürlich kristallisieren sich gewisse Sachen irgendwann heraus, aber konzipiert ist das gar nicht. Es ist auch von Auftritt zu Auftritt unterschiedlich, wie ich mich auf der Bühne benehme. Da hängt auch viel vom Publikum ab, ob ich überhaupt Lust habe, für die alles herauszuholen oder nicht.

Inwiefern unterscheidet sich ein Nebelkrähe-Song live denn von seiner Albumversion?
Kar: Im Optimalfall möglichst wenig. Schon allein durch das Fehlen der Keyboards und der anderen zusätzlichen Instrumente natürlich aber doch ein wenig.
umbrA: Genau, es ist dann schon so, dass alles ein bisschen weniger vielseitig und vieldimensional ist, aber ich glaube, dass dafür das Abgehmoment der Songs live viel deutlicher im Vordergrund steht. Wir haben auch die Erfahrung gemacht, dass es ziemlich sinnlos ist, vor Black-Metal-Publikum mit ruhigeren oder zu abgefahrenen Songs daherzukommen. Das will man da live einfach nicht sehen.

Wie funktioniert das konkret mit den stilfremden Passagen auf dem neuen Album, fallen die dann weg, oder wie werden die umgesetzt?
umbrA: Das hängt auch immer davon ab, wie viel Aufwand wir für eine Show betreiben wollen. Ich bin grundsätzlich schon in der Lage, meine Piano-Parts auch zu spielen. Was wirklich schwierig umzusetzen ist, ist der letzten Endes sechsstimmige Chor im Walzerteil von „Lebenswaisen“, der live nicht ganz so opulent daherkommt – ansonsten ist das denke ich alles machbar. Zumindest ist es nicht so weit weg von der Albumversion, dass es dem Song schaden würde. Und bevor wir dann doch nur noch ziellos Akkorde schrubben, weil uns irgendein Teil fehlt, spielen wir den Song eben nicht live.

Wenn in der Band alles so extrem bewusst geschieht, habt ihr dann auch schon einmal über umfassendere Konzepte für Liveshows, also bspw. bzgl. Lightshow und Gimmicks nachgedacht?
umbrA: Größere Planungen sind da eigentlich immer an bandinternen Differenzen gescheitert.
Kar: Ich wollte ja schon einmal eine Stripperin, aber das kam bei den anderen nicht so an…
umbrA: Sowas, also solche Konzepte generell, sind allerdings etwas, womit man sich auch wieder auf sehr gefährliches Terrain begibt. Wenn man auf der Bühne dann zu extrovertiert vorgeht, dann ist das für den Zuschauer irgendwann nur noch irritierend. Da muss man schon sparsam dosieren, um sich nicht schnell der Lächerlichkeit preiszugeben. Mir würde jetzt allerdings auch kein Element einfallen, wo ich sage, dass es uns fehlt. Gelegentlich gibt es ja Gastauftritte von Cellistin und Sängerin, das finde ich dann schon immer ganz gut, aber ansonsten gibt es nichts, wo ich dahinterstehen würde.
Kar: Interessant wäre auch hier wieder eher, etwas mit Leuten zu machen, die mit Metal gar nichts zu tun haben. Wir haben 2010 einen Auftritt in einer Kunstgalerie gespielt, was natürlich komplett anders war, als eine normale Liveshow – da wurden wir eher als Event und als Kunst, denn als Band wahrgenommen. So etwas würde ich schon gerne noch ausbauen.

Glaubt ihr, dass ihr euch inzwischen eine eigene Fanbasis erspielt habt, die regelmäßig kommt?
umbrA: Ich hatte bei den letzten Auftritten schon das Gefühl, dass viele Leute in der ersten Reihe aufgetaucht sind, die die Texte kannten, unsere T-Shirts trugen, mir aber nicht persönlich bekannt waren. Also irgendwie muss es wohl eine Fanbasis geben, wie groß die aber ist, wage ich nicht zu schätzen.


Denkt ihr, die beinharten Fans kommen dann doch aus dem traditionellen Black Metal?
umbrA: Weiß ich gar nicht, es gibt inzwischen glaube ich recht viele Leute, die sich nicht mehr als Black Metaller sehen wollen und nur noch an den Szenerändern nach interessanten Schnittstellen mit anderen Genres suchen. Da hat sich, denke ich, auch wieder eine Art Szene gebildet. Gerade in Deutschland gibt es ja von Nocte Obducta bis Farsot auch Bands, die musikalisch auf der Schiene unterwegs sind. Mit Bands dieser Couleur, die also nicht allzu traditionell drauf waren, war es bisher dann auch am schönsten, live zu spielen.

Seid ihr eigentlich inzwischen in einer Position, in der ihr auch Auftritte ablehnt oder zumindest nicht generell an allem Interesse habt?
umbrA: Ja, auf jeden Fall. Gerade in München muss man ab einem gewissen Zeitpunkt aufpassen, dass man nicht jede Jugendzentrumseinweihung mitnimmt. Das muss wirklich nicht sein.

Ihr spielt ja nach wie vor am Bandfamilien-Festival Inzestival, das 2013 auch schon in die vierte Runde geht. Wenn ihr zurückblickt, hat die Idee, Interessierten die Möglichkeit zu geben, sich musikalisch möglichst vielfältig unterhalten zu lassen, funktioniert, oder scheitert es vielleicht doch daran, dass Genre-Fans von vorneherein wenig Interesse an anderen Genres zeigen?
Kar: Also das Bild, das mir vom ersten Inzestival fest in Erinnerung geblieben ist, ist, einen fetten haarigen Metaler mit Blumenkanz um den Hals bei den Benuts auf der Bühne skanken zu sehen (lacht). Aber das hat sich auch so oder ähnlich fortgesetzt.
umbrA: Genau. Die Veranstaltung wächst ja auch von Jahr zu Jahr, was Anzahl der Bands, Bühnen und Hallen angeht. Ich habe schon den Eindruck, dass es ein Stammpublikum gibt, dass genau diese Mischung sehr schätzt. Obwohl Metal eher unterrepräsentiert ist, habe ich nicht das Gefühl, dass sich dadurch jemand abschrecken lässt. Ich glaube eh, dass die Metaler einfach gemerkt haben, dass man zu Ska auch ganz gut Spaß haben kann.

Dann wären wir soweit schon fast wieder am Ende. Was könnt ihr denn schon zur Zukunft von NEBELKRÄHE sagen, abgesehen davon, dass jetzt intensiv neue Songs geschrieben werden? Manche Bands können da ja ganz konkret Zeitpläne vorlegen.
Kar: Wenig. Die Personalsituation ist schwierig, weil ein Teil der Band sich auf unterschiedlich lange Zeit außerhalb Europas aufhalten wird. Aber wir haben Bock, weiter zu machen und weiter unseren Weg zu gehen.
umbrA: Ich denke aber, dass man schon sagen kann, dass relativ viele Songs jetzt schon auf der hohen Kante liegen und das erste Ziel jetzt einfach ist, die fertig auszuarbeiten. Daneben wollen wir natürlich erst einmal das aktuelle Album promoten, aber ich denke doch, dass wir optimistisch sein können, bis Ende des Jahres zu wissen, wie das nächste Album klingen soll.


umbrA, magst du zum Abschluss noch ein paar Worte zu Atrorum sagen? Soweit ich weiß, arbeitet ihr ja aktuell wieder an einem Album.
umbrA: Ja. Atrorum war ja jetzt an die sieben Jahre komplett in der Versenkung verschwunden, eine Zeit, in der Fabi und ich jeweils anderweitig beschäftigt waren, er vor allem mit Ska, ich vor allem mit NEBELKRÄHE. Wir schreiben seit Februar intensiv am neuen Material und haben jetzt zwei komplette Alben fertig, von welchen das erste auch schon fast komplett aufgenommen ist. Das werden wir jetzt noch im Februar mit Christoph Brandes mixen und mastern und uns dann auf Labelsuche begeben. Ich denke, dass man von Atrorum dann im März oder im April erste Soundschnipsel hören wird. Wir überlegen gerade auch, das Ganze auf die Bühne zu bringen. Das ist ein riesiger Aufwand, weil die Songs sehr komplex sind und die Instrumentierung sehr vielseitig ist. Aber wir haben inzwischen genug starke Musiker im Bekanntenkreis, die das im Prinzip möglich machen würden. Trotzdem ist ein riesiger Zeitaufwand und bevor ich da die Live-Möglichkeiten von NEBELKRÄHE beschneide, warte ich lieber mit Atrorum. Erstmal soll das eh nur eine Einzelaktion werden.

Dann danke ich euch beiden sehr für das Interview. Auch ihr bekommt natürlich die traditionellen letzten Worte…
Kar: Habt Spaß mit dem neuen Album und lasst euch nicht einreden, der Black Metal wäre in den 90ern stehengeblieben!

Konzertphotos von: Diana Muschiol

Publiziert am von Marius Mutz

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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