Mit ihrem aktuellen Album „Retrofuture Caveman“ haben METHADONE SKIES einen wunderbar stimmigen Hybrid aus instrumentalem Doom Metal, Stoner, Psychedelic und Post-Rock geschaffen. In unserem Interview zum Album-Release hat Raul Stanciu uns geschildert, weshalb die Metal-Szene seiner Heimat Rumänien bislang noch keine großen Wellenschlagen konnte, wie ein Song von einem mehrminütigen Drone-Part profitieren kann, mit welcher Musikrichtung er selbst nichts anfangen kann und was im Musikunterricht seiner Meinung nach gelehrt werden sollte.
Hallo! Danke, dass du uns ein paar Fragen beantwortest. Wie geht es dir im Moment? Kommt ihr mit der Situation um die Pandemie einigermaßen gut zurecht?
Hallo, vielen Dank für das Interview. Im Moment sind wir damit beschäftigt, für einen Live-Auftritt zu proben, den wir filmen und hoffentlich bis Ende des Monats online stellen werden. Da wir noch kein richtiges Konzert spielen können, ist das im Moment die beste Möglichkeit, das neue Album zu präsentieren. Was die Pandemie-Situation angeht, so versuchen wir jetzt optimistisch zu sein, dass sich die Dinge allmählich wieder normalisieren werden. Wir hatten das Glück, nicht persönlich davon betroffen zu sein, aber auf psychologischer Ebene haben wir im letzten Jahr einige Höhen und Tiefen durchgemacht. Zum Glück haben wir uns mit der Arbeit an dem neuen Album beschäftigt und hatten das Gefühl, ein Ziel zu haben.
Ihr kommt aus Rumänien, wo es nur relativ wenige Rock- und Metal-Musikgruppen gibt, die international Aufmerksamkeit erregen. Was ist aus deiner Sicht der Grund dafür, dass eure Szene nicht so einflussreich ist?
Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Erstens ziehen es nur wenige Bands in Erwägung, ihre Zeit und Ressourcen zu investieren, um an ihren Ideen und ihrem Sound zu feilen. Viele sind damit zufrieden, eine „Wochenendband“ zu sein, die ein paar Mal im Jahr in lokalen Kneipen für Freunde spielt, die ihnen „ihr seid toll“ sagen und das war’s. Auf der anderen Seite gibt es altgediente Acts, die gar nicht erst versuchen, außerhalb des Landes zu spielen, weil sie der Meinung sind, dass es sich nicht lohnt. Sie sind in einem Trott stecken geblieben und sind nicht mehr bereit, sich selbst herauszufordern. Glücklicherweise versuchen die neueren Generationen, da auszubrechen und zu spielen, egal was passiert. Das hilft einem tatsächlich, besser zu performen, denn in anderen Ländern, in denen die lokalen Szenen weiter entwickelt sind, haben die Auftritte ein ganz anderes Niveau. Zum Glück macht unsere Szene in den großen Städten ein Professionalisierungs-Upgrade durch und nähert sich dem an, was in Mittel- oder Westeuropa bereits vorhanden ist. Hoffentlich werden in den nächsten 5-10 Jahren mehr Bands bereit sein, außerhalb Rumäniens zu touren.
Welche Bands würdest du jemandem empfehlen, der sich für Musik aus eurem Land interessiert?
Im Moment glaube ich, dass die interessantesten Bands in der Underground-Szene hier Dordeduh (Progressive Metal/Black Metal), Valerinne (Post-Rock), Fluturi pe Asfalt (Post-Rock/Post-Metal), Pinholes (Alternative Rock/Post-Rock), Alternativ Quartet (Post-Rock), White Walls (Progressive Metal), The Thirteenth Sun (Progressive Metal), Cardinal (Garage Rock/Math Rock), VVVLV (Crust Punk/Sludge Metal) und Cold Brats (Hardcore Punk) sind.
Ihr habt mit „Retrofuture Caveman“ ein neues Album am Start. Wie lief der Release? Bist du trotz der Einschränkungen durch die Pandemie zufrieden?
Da wir keine große Tour-Band sind und kein Label haben, das uns pusht, haben wir nie große Erwartungen. Wir waren aber positiv überrascht von dem Interesse, das uns gleich nach der Veröffentlichung von „Retrofuture Caveman“ entgegengebracht wurde. Unser vorheriges Album „Different Layers Of Fear“ wurde auf mehreren Musikkanälen auf Youtube hochgeladen und half uns, ein größeres Publikum zu erreichen. Es scheint, dass die neue LP die Chance hat, für uns etwas an Schwung zu gewinnen und dafür sind wir dankbar. Außerdem hatten die Leute in letzter Zeit, da keine Konzerte und Festivals in Sicht waren, wahrscheinlich mehr Zeit und Lust, neue Künstler und Bands auszuchecken und die Musik zu kaufen, die ihnen gefällt (uns eingeschlossen).
Der Titel und das Artwork legen nahe, dass das Album ein zeitbezogenes Konzept hat, wobei das Wort „Caveman“ auf einen Ausgangspunkt in grauer Vorzeit hindeutet. Welcher Gedanke steckt dahinter?
Wahrscheinlich hat jeder von uns seine eigene Interpretation dafür. Die Songtitel sind bei uns meist zufällig, da wir keine Texte haben. Für das Artwork haben wir aber mit der Idee der Menschheit in verschiedenen Epochen gespielt. Da ist auch noch Platz, um Lücken zu füllen. Bei der Idee von „Retrofuture Caveman“ geht es für mich um die Mentalität und Zivilisationen im Laufe der Zeit. Man kann so fortschrittlich wie möglich sein oder handeln und irgendwann setzen die urtümlichen Überlebensinstinkte wieder ein. Im vergangenen Jahr haben wir gesehen, wie die Menschen auf verschiedene Probleme oder Gefahren reagieren, und es war oft unheimlich, wie kalt viele angesichts von Bedrohungen wurden.
Da eure Tracks keinen Gesang beinhalten, gibt es auch keine Songtexte, denen man klare Botschaften entnehmen könnte. Gibt es dennoch ein bestimmtes Gefühl oder ein geistiges Bild, das ihr den Leuten mit eurer Musik vermitteln wollt?
Man kann sich durch die Musik einfach vorstellen, was man möchte. Wenn sie deine Gedanken vom Alltag ablenkt, dann haben wir unsere Arbeit getan.
Als erste Single habt ihr „Infected By Friendship“ mitsamt Musikvideo herausgebracht. Ihr selbst habt geschrieben, dass der Song für eure Verhältnisse sehr sanft ist. Warum war es aus eurer Sicht die beste Wahl, um den Leuten vorweg einen Eindruck von dem Album zu vermitteln?
Wir wollten etwas Anderes ausprobieren. Es wäre sicher gewesen, einfach einen kürzeren, härteren Song wie „The Enabler“ zuerst zu veröffentlichen, aber wir haben uns stattdessen alle für „Infected By Friendship“ entschieden. Das Album weicht ein wenig von dem Stoner-Rock-Zeug ab, auf das wir uns bis zu „Different Layers Of Fear“ mehr konzentriert haben. Außerdem denke ich, dass normalerweise der erste Song, den man veröffentlicht, das meiste Interesse bei den Leuten hervorruft.
Im Titel steckt ein gewisser Zwiespalt – normalerweise assoziiert man eine Infektion nicht mit etwas Positivem wie Freundschaft. Was hat es damit auf sich?
Der Titel war eine augenzwinkernde Reaktion auf die Pandemie, die letztes Jahr um die Welt ging. Alle wurden immer frustrierter, gemeiner oder unhöflicher, vor allem im Internet, wo man alles ohne wirkliche Konsequenzen kommentieren kann. Es ist fast so, als bräuchten wir als Nächstes eine Freundschaftspandemie.
Auch die übrigen Songs sind keineswegs durchgehend heavy oder düster, sondern beinhalten auch geradezu ermutigende Passagen. Wie ist es euch gelungen, in so bedrückenden Zeiten derart optimistische Töne hervorzubringen?
Wir behalten nur die Ideen, von denen jeder meint, sie seien interessant oder neuartig. Anfangs hatte ich das Gefühl, dass „Retrofuture Caveman“ die düsterste Platte war, die wir bisher gemacht haben, aber mittlerweile denke ich, dass es die am meisten geeichte ist. Es hat ein bisschen von allem, was wir ausprobiert haben, von softeren, post-rockigen Sachen bis hin zu Doom-Riffs. Vielleicht war es eine unterbewusste Entscheidung, einige optimistisch klingende Akkorde zu spielen.
Eure Songs sind ziemlich lang und komplett instrumental – nicht unbedingt eine Kombination, mit der man es leicht in Playlists schafft oder anderweitig neue Hörer erreicht. Stört es dich nicht, dass ihr dadurch womöglich dauerhaft nur ein Nischenpublikum ansprechen werdet?
Wir haben uns vor einem Jahrzehnt einige Male gefragt, ob wir einen zugänglicheren Sound anstreben wollen oder nicht. Wir haben uns darauf geeinigt, das zu tun, was natürlich kommt und weiter zu jammen. Auf eine seltsame Art und Weise fanden die längeren Songs immer mehr Anklang bei uns und den Leuten, die unsere Musik hören, also war es das. Es ist traurig, auf einen Zug aufzuspringen und die gleichen Songs wie 100 andere Bands zu spielen, besonders auf Underground-Ebene.
Insbesondere der Titeltrack eurer neuen Platte ist mit seiner Laufzeit von 18 Minuten und seinem ausgedehnten Drone-Part sicherlich nicht jedermanns Sache. Wie würdest du jemandem, der solche Klanggebilde kaum als Musik ansieht, erklären, was es damit auf sich hat?
Der Titeltrack endete fast ein Jahr lang bei etwa acht Minuten. Letzten Sommer haben wir ihn geprobt und wir haben einfach das Feedback beibehalten und dann die Schlussakkorde langsamer gespielt. Ich denke, das gab dem Song eine ganz neue Dimension, deshalb haben wir es so gelassen. Ich finde, es ist ein ziemlich fesselndes Stück, aber es fließt schön. Selbst wenn man Drone-Musik nicht interessant findet, wird man vielleicht in diesem Kontext feststellen, dass sie einen überleitenden Zweck hat. Man sollte sich den Song ohne Vorurteile anhören.
Gibt es demgegenüber auch Musikformen, mit denen du selbst gar nichts anfangen kannst?
Ich habe es nie geschafft, mit Trap-Musik etwas anzufangen. Ich mag Old-School-Hip-Hop, aber diese neue Welle von Mumble-Rap, Trap und so, die verstehe ich einfach nicht.
Eure Songs folgen keinem einheitlichen Muster, sondern unterscheiden sich in ihrem Aufbau und ihrer Instrumentierung sehr stark voneinander. Wie geht ihr an euer Songwriting heran – habt ihr immer ein konkretes Ziel vor Augen oder lasst ihr euch eher intuitiv treiben?
Die meiste Zeit jammen wir und behalten bestimmte Ideen, die wir interessant finden. Wir lassen uns einfach treiben, schauen, worauf wir Lust haben, und fangen dann an, die einzelnen Teile zu verfeinern. Wenn wir schon zwei bis drei Tracks in eine bestimmte Richtung haben, dann versuchen wir, ein, zwei Gegenstücke zu finden. Unser Hauptanliegen ist es, das Album dynamisch zu halten, vor allem da die Tracks lang sind.
An der Produktion des Albums sollen auch Mitglieder von Dordeduh beteiligt gewesen sein. Wie kam es dazu und wie hat sich eure Zusammenarbeit gestaltet?
Sie sind gute Freunde von uns. Edmond und Cristian (Sol Faur) waren Tontechniker in einem ehemaligen Mainstream-Rock/Metal-Club in unserer Heimatstadt. Wir haben uns gut verstanden und beschlossen, „Eclectic Electric“ 2013 in ihrem Studio (Consonance) aufzunehmen. Seitdem haben sie an jedem unserer Alben mitgearbeitet, weil sie verstehen, wie wir klingen wollen und wir viel Spaß miteinander haben. Außerdem haben wir Edmond in den letzten Jahren überallhin mitgenommen, wo wir gespielt haben, und unser Schlagzeuger Flavius ist ein Teil von Dordeduhs erweiterter Live-Besetzung geworden und spielt Perkussion.
Der Sound spielt gerade im Post-Rock eine große Rolle. Manche sehen Musik aus dieser Sparte deshalb mitunter als überproduziert an. Wie denkst du darüber?
Ich glaube, dass Post-Rock ein sehr enthusiastisches Kernpublikum hat. Sie wollen einen bestimmten Vibe, einen bestimmten Sound und eine bestimmte Progression, deshalb ist das Genre irgendwie gegen eine Wand gelaufen. Viele Bands verwenden die gleichen Formeln und Produktionstechniken, um sicherzustellen, dass ihre Songs in die richtige Ecke kommen. Es ist schön zu sehen, wenn eine bestimmte Band die Dinge ein wenig aufrüttelt, mit anderen Genres mischt oder andere Wege findet, sich zu präsentieren. Also, ich glaube nicht, dass es insgesamt um Überproduktion geht. Ich denke, es ist eher so, dass viele Leute nach Künstlern suchen, die genau wie bestimmte überproduzierte Bands oder Aufnahmen klingen.
Was habt ihr als Nächstes mit METHADONE SKIES vor?
Nun, wir hoffen, dass wir die Live-Performance, die ich erwähnt habe, bis Ende des Monats online haben werden. Außerdem arbeiten wir an einem weiteren Musikvideo für einen Song des Albums. Die Tournee wird höchstwahrscheinlich auf nächstes Jahr verschoben, leider. Es ist also wahrscheinlich, dass wir im Laufe des Sommers mit der Arbeit an neuer Musik beginnen werden. Wir freuen uns darauf, denn wir wollen soundtechnisch wieder ein bisschen was bewegen, um die Dinge interessant zu halten.
Zum Abschluss noch ein kurzes Brainstorming. Was fällt dir zu den folgenden Begriffen ein?
Zeitreisen: Wäre doch toll. Ich habe eine Menge Science-Fiction-Bücher gelesen und würde gerne sehen, wie sich die Dinge in einer fernen Zukunft entwickeln werden.
Die Stimme als Instrument: Nicht einfach zu realisieren, aber wenn es gelingt, klingt es fantastisch.
Wall Of Sound: Liebe ich, vor allem, wenn eine Band es schafft, sie live zu erzeugen.
Soziale Medien: Erschöpfend und verrückt, aber auch ein bisschen ein Guilty-Pleasure.
Vintage Rock: Der Musikunterricht in Schulen sollte den Kindern einige Stunden widmen, um neben anderen zeitgenössischen Genres auch Vintage-Rock zu hören. Es gab so viele großartige Bands, die auch verschiedene andere Genres beeinflusst haben. Lasst euch trotzdem nicht von der Einstellung „heutzutage gibt es keine gute Musik mehr“ anstecken.
Apokalypse: Bring it on! Nein, ich hoffe, wir schaffen es, am Leben zu bleiben und den Mars sowie andere Planeten zu kolonisieren. Wenn es eine Apokalypse geben wird, dann wird es sicher nicht die biblische sein. Es wird höchstwahrscheinlich etwas weit weniger Episches sein als dort geschildert.
Nochmals danke für das Interview. Gibt es noch etwas, dass du den Leser*innen mitteilen möchtest?
Vielen Dank für das ausführliche Interview und das Interesse an unserer Musik! Wir hoffen, dass euch unser neues Album „Retrofuture Caveman“ gefällt und hoffen, euch bald irgendwo live zu sehen!
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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