Im sechsten Teil unseres Specials sprechen wir mit Martin Koller von Prophecy Productions. Obwohl der Markenkern von Prophecy Productions der künstlerische Anspruch ist – nicht nur auf die Musik, sondern auf das gesamte Produkt bezogen – zeigt sich der Labelgründer überraschend offen gegenüber den neuen Möglichkeiten durch KI.
[Bei den zur Illustration des Artikels genutzten Bildern handelt es sich nach unserem Kenntnisstand nicht um mit KI bearbeitete Bilder, sondern um Cover aktueller Releases aus dem Roster von Prophecy Productions.]
Künstliche Intelligenz ist weltweit ein Thema – sicher auch im Musikbusiness und konkret bei Labels. Arbeitet ihr schon mit KI? Manche Labels lassen ja schon Pressetexte von KI generieren…
Ich nutze KI insbesondere für die Auswertung und Analyse von Daten. Schon beim ersten Versuch hat mich beeindruckt, wie schnell und gut die KI mich dabei unterstützt hat, aus den komplexen Daten die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ansonsten verwende ich KI auch für Übersetzungen, wenn ich etwas schnell benötige. Hier ist die Qualität in der letzten Zeit sehr stark gestiegen. Unsere Anforderungen für gute Pressetexte liegen derzeit aber noch über dem Niveau, das eine KI erreicht.
Besonders brisant ist natürlich die Frage, inwieweit Künstler KI einsetzen. Derzeit ist KI-Musik noch „Zukunftsmusik“ – aber es wäre ja bereits absolut plausibel, dass Künstler etwa für ihre Texte auf KI setzen. Wie stündet ihr dem als Label gegenüber – gibt es da beispielsweise eine klare Policy?
Nein, wir haben dazu keinerlei Richtlinien. Solange das Resultat begeistert, mitreißt und emotional berührt, ist es mir aber auch nicht wichtig, welche technischen Mittel dazu benutzt werden. Ich kann mir aktuell aber noch nicht vorstellen, dass ein reines KI-Produkt bei uns funktionieren könnte. Unsere Künstler haben eine starke Persönlichkeit und einen großen Drang, sich sehr individuell auszudrücken. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass das eines Tages auch per KI funktioniert.
Ich sehe die KI als ein Werkzeug. Es kann dabei behilflich sein, bestimmte Ziele schneller und einfacher zu erreichen. Das passiert bereits mit der digitalen Bildbearbeitung wie Photoshop oder den Möglichkeiten im digitalen Musikstudio. Wenn KI auf solche Art bewusst eingesetzt wird, bleibe ich sehr entspannt. Aber natürlich kann jedes technische Hilfsmittel auch schlecht eingesetzt werden. In ein paar Jahren werden wir uns wahrscheinlich allesamt über die eine oder andere Art amüsieren, welche schrägen Trends durch KI entstehen. Zum Beispiel habe ich in den 1990er-Jahren das „Corel Draw“-Design mit teilweise kuriosen 3D-Effekten erlebt. Auch heute gibt es noch immer Produktionen, die durch Schlagzeug-Trigger, Quantisierung und ein Übermaß an Nachbearbeitung arg künstlich wirken. Damit kann ich persönlich nicht viel anfangen. Ich bevorzuge auch in der Musik die Ecken und Kanten, das Authentische und eine Ästhetik des Unvollendeten. Letztlich macht die Unvollkommenheit doch die Essenz des Menschen aus. Unsere inhärenten Fehler unterscheiden uns von den Maschinen und machen das Leben und die Kunst erst spannend.
Ein ganz großes Thema sind gerade KI-generierte Bilder. Generell, vielleicht sogar leicht philosophisch angehaucht: Kann ein Bild, das ohne Künstler erschaffen wurde, Kunst sein?
Das ist eine gute Frage. Beim heutigen Stand der Dinge würde ich mit „eher nein“ antworten – ich kann es aber auch nicht völlig ausschließen.
Einige Bands arbeiten bereits mit KI-Bildern als Cover-Artwork. Würdet ihr bei Prophecy dergleichen als Cover akzeptieren und veröffentlichen, oder wie ist dahingehend eure Devise?
Wir geben den Musikern grundsätzlich ein Budget und mischen uns dann so gut wie gar nicht in deren kreativen Prozess ein. Für mich besteht meine kreative Arbeit darin, die geeigneten Künstler für Prophecy Productions auszusuchen und sie mit den nötigen Mitteln auszustatten, um spannende Kunst zu kreieren. Wie diese Mittel dann im Detail verwendet werden, ist mir nicht so wichtig. Hauptsache das Resultat stimmt und die Fans finden sich emotional wieder. Die Wahl, ob KI zum Einsatz kommt oder nicht, liegt also letztlich bei den Künstlern. Solange ein Cover genau das darstellt, was visuell ausgedrückt werden soll und sofern mir das Ergebnis keine schlaflosen Nächte bereitet, akzeptiere ich es – ganz egal, wie es zustande kommt.
Aus rechtlicher Sicht ist die Frage um das Copyright interessant: KI-Bilder gelten als Zufallsprodukt ohne menschlichen Urheber – da das Urheberrecht aber an eine Person geknüpft ist, sind sie wohl als Allgemeingut zu betrachten. KI-generierte Cover-Artworks könnten also von jeder anderen Band ebenso genutzt werden – und jeder Shirts mit dem Motiv bedrucken dürfte … oder?
Ich habe mich bezüglich der rechtlichen Seite bisher zu wenig im Detail beschäftigt. Ich kenne lediglich die Branchendiskussionen im Hinblick auf den Status von KI-generierter Musik. Ich denke aber, dass derzeit noch die meisten KI-generierten Grafiken von einem Menschen weiterbearbeitet werden. Damit wäre die Frage beantworten, denn somit ist wieder ein „menschliches“ Urheberrecht vorhanden.
Auf der anderen Seite bietet KI natürlich Möglichkeiten und Optionen, die vorher nicht da waren – Artworks oder sogar Visualizer und Musikvideos quasi zum Nulltarif. Ist das aus Sicht des Unternehmers nicht auch verlockend?
Auf der einen Seite ja, auf der anderen Seite wird es bestimmt auch negative Effekte geben, etwa durch eine ungeheure Menge an teilweise generischen Inhalten. Das lässt sich aktuell schon bei KI-generierten Videos mit der immer gleichen Ästhetik feststellen. Es läuft immer so … ich kann mich gut an die Anfangstage von Prophecy Productions erinnern: Da kamen pro Tag ungefähr 13 Briefe, drei Faxe und fünf Anrufe rein – heute treffen täglich hunderte E-Mails ein. Um das Authentische, Schöne und Wahrhaftige stärker zu fördern, investiere ich seit zehn Jahren sehr viel in das Prophecy Fest. Beim aktuellen Stand der Dinge können Maschinen noch nicht die Musiker auf der Bühne ersetzen – wobei natürlich Samples und andere Einspielungen auch jetzt schon vom Band kommen können.
Ich finde die harsche Kritik vieler Fans, Bands sollten gefälligst Künstler bezahlen, statt KI zu nutzen, etwas vermessen, wenn man bedenkt, wie wenige Menschen für Musik noch Musiker bezahlen und stattdessen selbst Großkonzerne wie Spotify unterstützen. Ist KI-Art nur eine logische Konsequenz daraus, dass Geld im Kreislauf fehlt?
So würde ich das nicht sagen. Es ist noch immer genügend Geld im Markt. Das wird aber – beispielsweise durch Spotify – nun noch ungerechter verteilt.
Auch ohne KI war längst nicht jedes Coverartwork ein Meisterwerk und gerade mit Computertechnologie ohne KI wurde schon viel Schlimmes und Liebloses verbrochen. Wird die Debatte um KI-Cover vielleicht einfach zu hoch gehängt?
Dem stimme ich zu. „Autotune-Vocals“ fallen mir als weiteres Negativbeispiel ein. Auch das kann unter Umständen gut passen, aber in vielen Fällen wirkt es bloß generisch.
Ein Argument der Künstler ist, dass die KI auf Basis der Bilder im Internet trainiert wurde – also die Kunst der Künstler unentgeltlich „nutzt“. Aber schlussendlich haben ja auch die Künstler ihren Stil durch die Betrachtung von anderen Kunstwerken entwickelt. Wie stehst du zu dieser These?
Ich fühle mich bei dem Thema etwas gespalten. Ich kann beide Argumentationen nachvollziehen. Doch ich sehe auch die Gefahr, dass Kunstwerke noch seelenloser und einfallsloser werden, falls sie nur noch durch Maschinen erschaffen werden. Hierzu gibt es bereits Klagen, sodass am Ende wohl Gerichte die Frage klären werden. Vielleicht braucht es auch Ergänzungen im Urheberrecht. Wir werden es sehen.
Gerade, wenn man Musik nur noch streamt, ist das Cover ja eigentlich egal. Wie erklärst du dir, dass sich trotz der enorm hohen Prozentzahl derer, die Musik nur noch digital konsumieren, nun so viele Fans über KI-Cover aufregen?
Um ehrlich zu sein, habe ich noch nicht registriert, dass sich viele über KI-Cover aufregen. Warum auch? Das Ergebnis sollte doch wichtiger sein als die Methode. Es arbeiten jetzt schon viele visuelle Künstler nur noch am Computer und nehmen weder Zeichenstift noch Pinsel in die Hand.
Unbestreitbar bietet KI ja auch neue Möglichkeiten – etwa für unabhängige Bands, Musikvideos zu finanzieren, oder sich die Kosten für ein Cover zu sparen. Ist das nicht auch ein die Kulturszene belebender Aspekt?
Ich bin da gespalten. Einerseits ja, auf der anderen Seite liegen die Hürden jetzt schon so niedrig, dass sich professionell klingende Alben mit einem sehr niedrigen Budget aufnehmen lassen. Ob die quantitative Vermehrung aber für eine qualitative Verbesserung sorgt, ist zumindest zweifelhaft.
Ich bin aber sehr auf die ersten Künstler gespannt, die KI gezielt und bewusst einsetzen, um etwas Neues zu erschaffen, was ohne diese technischen Möglichkeiten so nicht möglich wäre. Vielleicht entsteht eine ganz neue Richtung? Ich könnte mir beispielsweise durchaus ein Arcturus-Album vorstellen, bei dem KI bewusst als ein konzeptionelles Element eingesetzt wird, wie ein Alien. Ebenso wird es bestimmt auch viele Künstler geben, für die ein KI-Einsatz absolut undenkbar wäre – schon aus rein prinzipiellen Gründen.
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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