Im zweiten Teil unserer Serie “MetAI” sprachen wir mit HOUR OF PENANCE: Die italienische Death-Metal-Band hat für ihr kommendes Album “Devotion” ein KI-Cover verwendet und dafür in den Sozialen Medien einen Shitstorm geerntet. Paolo Pieri und Giulio Moschini erklären, wieso das Werk der künstlichen Intelligenz perfekt zu dem Album passt, wie viel Arbeit in den Bild steckt und warum sie den Begriff des “Künstlers” generell für zu hoch gehängt empfinden.
Ihr habt KI-Kunst verwendet – warum habt ihr euch für KI und gegen eine Zusammenarbeit mit einem Künstler entschieden?
Paolo: Das ist eigentlich ganz einfach. Wir haben uns für ein KI-generiertes Kunstwerk entschieden, weil wir sehr gern mit neuen Werkzeugen experimentieren, wir sind technikbegeistert – mein täglicher Job umfasst KI-Training und LLM [Large Language Model] – und wir haben viel Zeit damit verbracht, zu lernen, wie man KI richtig einsetzt, um ein Ergebnis zu erzielen, das sowohl dem Konzept als auch der Atmosphäre von „Devotion“ entspricht. Wir haben dieses neue Tool getestet und erforscht und fanden es faszinierend, wie eine Software unendlich viele Möglichkeiten bieten kann, um aus Eingabeaufforderungen verrückte Bilder zu erzeugen, die fast genau dem entsprechen, was man sich vorgestellt hat. Das Experimentieren und das Beschreiten neuer Wege ist der Kern der Metal-Musik. Wir haben acht Alben und unzählige T-Shirt-Designs von Künstlern realisiert, wir wollten einfach einmal etwas anderes ausprobieren. Die Leute vergessen, dass viele Metalfans wütend auf Emperor waren, als diese „In the Nightside Eclipse“ herausbrachten, weil sie Keyboards im Black Metal einsetzten. Damals war das Blasphemie, weil es „synthetisch“ war. Heute gilt das Album als ein Meisterwerk, das seiner Zeit voraus war. Die traurige Realität in einigen Teilen der extremen Metalszene ist, dass eine vermeintlich antikonformistische Szene in Wirklichkeit sehr bigott ist, voller rückwärtsgewandter Vorurteile und lieber in einer idealisierten Vision einer Vergangenheit verharrt, die es nicht gab, als ihren Geist für neue Möglichkeiten zu öffnen.
KI-Kunst kostet praktisch nichts. Inwieweit hat das bei eurer Entscheidung für das KI-Cover eine Rolle gespielt?
Paolo: Es hat überhaupt keine Rolle gespielt. Die Kosten für das Artwork werden sowieso vom Label übernommen, sodass wir hier nicht sparen müssen, wie ein paar sehr scharfsinnige Hater in den sozialen Medien behauptet haben. Wir haben mit Agonia Records darüber gesprochen, um zu sehen, ob sie offen für diese Entscheidung sind, und sie waren einverstanden – obwohl sie sich der Kontroverse, die dadurch entstehen könnte, absolut bewusst waren.
Was das Bild selbst betrifft, wo seht ihr die Vorteile von KI-Kunst gegenüber „echter“ Kunst? Was kann KI, was ein Mensch nicht kann?
Paolo: Generative KI ist eine neue Technologie. Im Moment kann sie nur das tun, wozu sie programmiert wurde, nämlich Bilder erzeugen … einige davon großartig, andere schlecht. Es handelt sich nicht um Kunst, sondern um ein Werkzeug, das benutzerdefinierte Bilder erzeugt und sich noch in einem frühen Stadium der Entwicklung befindet. Gleichzeitig ist nicht alles Kunst, nur weil es ein Mensch geschaffen hat. Menschen produzieren eine riesige Menge an minderwertigen Inhalten, und sie als Kunst zu bezeichnen, macht sie nicht besser – das gilt für alle Gebiete des kreativen Schaffens.
Ich finde, euer Cover zeigt deutlich ein Merkmal von KI: Es sieht unglaublich detailliert aus, aber bei näherer Betrachtung ergibt keines der Details wirklich Sinn. Habt ihr das Bild „trotzdem“ oder „deswegen“ genommen? Warum ist es das perfekte Cover für euer Album?
Paolo: Wir haben es genau deshalb ausgewählt, weil es so aussieht … seltsam, deformiert und beunruhigend, wie das Nebenprodukt einer halluzinierenden KI. Die KI ist durchaus in der Lage, saubere Bilder zu erstellen, siehe etwa das Deicide-Cover. Aber bei diesem Album gefiel uns ein chaotischeres Ergebnis. Wir denken, dass es das perfekte Cover für „Devotion“ ist, weil es das Hauptkonzept des Albums repräsentiert. Die Massen beten falsche, deformierte Gottheiten an, die sich nicht um ihre Untertanen kümmern. Sie repräsentieren unsere Regierungen, die immer nur für wenige arbeiten und allen anderen kaum genug zum Überleben lassen. Und doch schenken wir ihnen weiterhin unsere Verehrung.
Wie seid ihr bei der Erstellung des Bildes vorgegangen? Welches KI-Tool habt ihr verwendet und wie viel Arbeit war nötig, bis das Bild so aussah, wie es aussieht – habt ihr es überarbeitet oder habt ihr es so genommen, wie es von der KI generiert wurde?
Paolo: Wir haben Midjourney mit einem unbegrenzten Abo-Plan benutzt, um zu lernen, wie man es richtig benutzt. Wir haben viel Zeit damit verbracht, zu experimentieren, um zu sehen, was es leisten kann, was möglich ist und was nicht, was unserem Geschmack entsprach. Dann haben wir experimentiert, um den perfekten Prompt für das Hauptkonzept des Albums zu finden. Es war uns wichtig, dass der Prompt zu den Texten und ihren Themen passt, und nachdem wir den Prompt mit einigen Parametern verfeinert hatten, erhielten wir ein Ergebnis, das genau so aussah, wie wir es uns vorgestellt hatten. Wir haben dann die Variationsfunktion verwendet, um ähnliche Bilder zu erzeugen, bis wir mit dem Endergebnis zufrieden waren. Danach war nicht mehr viel Arbeit nötig: Farbkorrektur, Farbtöne, etwas Zuschneiden, aber das war es auch schon. Es hat uns auf jeden Fall mehr Zeit gekostet, als jemandem eine E-Mail zu schreiben, der die Arbeit erledigt und vom Label bezahlt wird.
KI-Cover sorgen im Internet derzeit für Shitstorms – habt ihr damit gerechnet?
Paolo: Wir haben ein gewisses Maß an Kontroverse erwartet, aber was wir nicht erwartet haben, war ein organisiertes Social-Media-Kommando, das direkt von einigen „Künstlern“ angeführt wird. Wenn man sich all die Kommentare auf unserer Seite, der Pestilence-Seite und der Deicide-Seite anschaut, stößt man immer auf die gleichen Leute. Deicide haben die Kommentare inzwischen übrigens moderiert – wir werden das nicht tun. Es steht den Leuten frei, der Welt zu zeigen, ob sie schlau sind oder nicht. Es ist eine sehr lautstarke Minderheit, die sich HOUR OF PENANCE nie angehört hat und sich auch nicht dafür interessiert. Sie sind nur auf unsere Seite gekommen, um diesen Shitstorm gegen KI zu starten, aber 99% von ihnen haben noch nie einen Patch von uns gekauft. Bestenfalls haben sie unsere Musik aus dem Internet gestohlen und werden das auch weiterhin tun. Es ist sehr peinlich für sie, weil man an ihren Kommentaren deutlich sehen kann, dass sie keine Ahnung haben, wovon sie reden. Sie verstehen nicht, wie generative KI funktioniert und plappern alle die gleichen Argumente nach, die man auf einigen Künstlerseiten findet, indem sie deren kitschige „NO AI“-Banner erneut posten. Stell dir vor, wir würden ein „NO MP3, NO STREAMING“-Banner auf unserer Seite posten: Du würdest uns für rückständige Idioten halten. KI ist bereits jetzt viel smarter als viele dieser konformistischen Hasser.
Ein häufiger Vorwurf lautet, dass KI-Kunst nur ein generisches Wegwerfprodukt ist – was sagt ihr dazu, oder zu dem Vorwurf, dass ihr eure Musik, die mit Herz und Seele gemacht wurde, mit einer emotionslosen KI-Visualisierung versehen habt?
Paolo: Das ist ein weiteres Missverständnis, all dieses Gerede über die Bedeutung von Emotionen und abstrakten Ideen, die in einer echten, intelligenten Diskussion zu nichts führen, während wir viel wichtigere Fakten vergessen: Emotionen sind nicht universell, die Welt ist sehr persönlich, und jeder empfindet Emotionen bei sehr unterschiedlichen Dingen. Selbst wenn wir davon ausgehen, dass wir gute Musik schreiben, wird nicht jeder von dieser Musik emotional berührt werden. Es gibt keinen universellen Wert in einem kreativen Produkt. Wir geben unser Bestes, wir drücken unsere Gefühle aus, und vielleicht wird jemand emotional auf diesen Beitrag reagieren – vielleicht auch nicht. Van Gogh starb arm, weil niemand seine Bilder kaufen wollte, und viele echte Künstler haben das gleiche traurige Schicksal erlitten. Wir müssen akzeptieren, dass wir nichts Besonderes sind. So wie wir akzeptiert haben, dass die Erde nicht der Mittelpunkt des Universums ist, müssen wir akzeptieren, dass wir als Menschen nicht gebraucht werden. Wir müssen akzeptieren, dass eine KI vielleicht eines Tages besser Musik oder Gedichte schreiben oder Kunst schaffen kann, ohne Emotionen zu empfinden. Emotionen sind neurologische Reaktionen auf äußere Reize, sie sind nicht dazu da, uns das Gefühl zu geben, etwas Besonderes zu sein, eine unersetzliche Ausnahme im Universum zu sein.
Selbst in der Vergangenheit war nicht jedes Kunstwerk künstlerisch wertvoll und schon früher wurde vieles einfach am Computer zusammengebastelt – man denke nur an „Dance Of Death“ von Iron Maiden. Findet ihr, dass KI-Kunst ungerecht behandelt wird?
Paolo: Ja, das ist einfach ein Trend. Weißt du, das Internet lebt von Trends, damit die Leute das Gefühl haben, auf der richtigen Seite zu stehen und dass ihr Leben aufgrund einer Meinung einen gewissen Wert hat. Das alles ist ein Opiat, das die Leute davon abhalten soll, die Realität so zu sehen, wie sie ist. Ich kann Dutzende großartiger Alben mit furchtbaren Artworks nennen, aber die Leute haben sich nie darum gekümmert, bevor die sozialen Medien zu dieser gefährlichen Echokammer wurden, in der sich jeder berufen fühlt, eine Meinung über Dinge zu haben, von denen er nichts versteht. Es kostet nicht viel Mühe, eine Meinung zu haben, aber man kann sich dadurch als Teil einer Herde fühlen. Und dann gibt es da noch diese andere Lüge von den „alten Zeiten“, in denen wir CDs nur wegen des Covers gekauft haben. Wir waren dabei, die meisten Leute, die heute meckern, waren es nicht. Wir waren aufgeregt, neue Musik zu hören, und sie gefiel uns, ob das Cover nun gut war oder nicht. Wir hatten Zeitschriften mit Rezensionen, die uns geholfen haben, herauszufinden, was wir kaufen sollten – wenn es verfügbar war – und wir haben es einfach gekauft. Ich erinnere mich, dass die Leute damals darüber sprachen, wie hässlich das Pestilence-Cover für „Consuming Impulse“ war. Aber heute ist es „Kult“. Es wurde Kult, weil die Musik wirklich großartig war, nicht andersherum. Es ist einfach der Fetisch für eine bessere Vergangenheit, den manche Leute brauchen, um den Dingen einen Sinn zu geben.
Auch die Frage des Urheberrechts ist interessant: Im Moment sind sich die Juristen einig, dass an KI-Kunst de facto niemand ein Urheberrecht hat, weil sie von einer Maschine geschaffen wird und diese keinen Urheberrechtsinhaber sein kann. Im Endeffekt könnte also jeder euer Cover auf T-Shirts drucken, ohne sich strafbar zu machen – und eine andere Band könnte es auch als Cover verwenden. Habt ihr das bedacht?
Paolo: Technisch gesehen hat man mit einem Abo-Plan eine Art Urheberrecht, aber das Gesetz ist in der EU noch nicht klar, das ist noch Neuland. Aber sagen wir mal so: Hast du eine Ahnung, wie viele gefälschte T-Shirts, Aufnäher, Accessoires und sogar CDs im Internet erhältlich sind? Glaubst du, dass wir wirklich eine internationale Klage gegen einen Typen aus einem Entwicklungsland einreichen können, weil er ein lizenziertes Kunstwerk von uns gestohlen hat? Machen wir uns nichts vor: Das Thema Urheberrecht ist für eine extreme Metalband wie uns kein Thema.
Künstler kritisieren, dass ihre Kunst zum Trainieren der KI verwendet wurde und dass sie jetzt ausgebootet werden. Das kann man bis zu einem gewissen Grad nicht leugnen, weil es eine technische Tatsache ist. Was denkst du darüber?
Paolo: Ich denke, einige Künstler sind sehr egozentrische Egomanen und müssen verstehen, dass sie nicht der Mittelpunkt der Welt sind, nur weil sie einige Zeit damit verbracht haben, malen zu lernen, so wie ich mich nicht für unersetzlich halte, weil ich Gitarre spielen und Musik oder Texte schreiben kann. Es stimmt, dass generative KI offene Datenbanken verwendet, aber wir sollten die Fakten klarstellen: Midjourney ist eine Closed-Source-KI, was bedeutet, dass niemand außerhalb des Unternehmens weiß, wie das LLM funktioniert, wie es die Datenbanken nutzt, ebenso wenig kennen wir seinen Algorithmus oder sein neuronales Netzwerk. Wir wissen aus technischer Sicht gar nichts. Wenn ich also von einem arroganten Schaf lese, dass KI „von den Künstlern stiehlt“, weil er das auf einer Seite eines anderen uninformierten Schafs gelesen hat, ist das einfach nur traurig. Man denke nur daran, wie riesig die Datenbank mit nicht urheberrechtlich geschützten Inhalten ist, von prähistorischer Kunst bis zu Monet könnte alles dabei sein. Wir sprechen hier von Milliarden von Bildern und echter Kunst. Und du denkst, das Herzstück der generativen Fähigkeiten von Midjourney ist es, von irgendeinem Künstler auf Facebook zu stehlen, der ein paar Bilder für eine Metal-Band gemacht hat, die ein paar tausend Einheiten verkauft? Erkennst du, wie lächerlich, arrogant und egozentrisch das ist? Und schließlich, weißt du, wie wir das in Ordnung bringen können, damit wir alle auf derselben Seite stehen? Die sollten jedes Mal $0,0001 bekommen, wenn Midjourney ihre Inhalte nutzt (wenn sie überhaupt genutzt werden), so wie wir es von Spotify bekommen … damit sie sich am Ende des Jahres auch eine halbe Pizza leisten können.
Giulio: Es ist mit Sicherheit ein heikles Thema. Das Problem liegt jedoch nicht nur in den KI-Methoden, mit denen das Web gescrapt wird, um an die Inhalte zu kommen, sondern auch darin, wie digitale Inhalte seit dem Aufkommen von Suchmaschinen und sozialen Medien online verarbeitet werden. Ich glaube nicht, dass irgendjemand jemals die Geschäftsbedingungen von Facebook gelesen hat – um nur ein Beispiel zu nennen. In dem Moment, in dem man sich anmeldet und anfängt, Fotos von seinem Hund oder andere Bilder hochzuladen – ob nun eigene oder Bilder von Künstlern -, kann das besagte Bild, das sich nun auf dem Server befindet, verwendet werden. Es gibt eine Website namens https://haveibeentrained.com/, auf der man überprüfen kann, ob ein Bild von einem Dienst zum Trainieren von KI verwendet wurde. Ironischerweise gibt es dort sogar Bilder unseres früheren Albumcovers mit unserem Logo darauf. Im Moment ist es leider unmöglich, das zu verhindern … es sei denn, man löscht den gesamten Inhalt und fängt von vorne an. Ich habe mir viele Videos angeschaut und selbst dokumentiert, wie dieser Scraping-Prozess funktioniert. Die gesammelten Daten werden anonymisiert und aggregiert, und dann erstellt die KI durch eine Million verschiedener statistischer Muster ein neues Bild, weshalb unser Albumcover so „abstrakt“ aussieht, wenn man sich auf die Details konzentriert. Es ist unmöglich, daraus auf den Stil eines bestimmten Künstlers zu schließen.
Du hast es gerade erwähnt – ich sehe das auch vergleichbar mit der Debatte um Streaming, wo große Konzerne eine Menge Geld machen, während die Künstler keinen fairen Anteil bekommen. Ich denke, Musiker und Maler sitzen jetzt im selben Boot …
Paolo: Ich glaube, wir haben das Problem auf den Punkt gebracht. Die CD-Verkäufe sind im Vergleich zum Jahr 2000 um 90 bis 95 % zurückgegangen. Die meisten Leute streamen entweder von illegalen Uploads oder von offiziellen Streams, an denen wir so gut wie nichts verdienen. Wir sind zwar nicht glücklich darüber, dass die digitale Revolution die Verkaufszahlen in den Keller gerissen hat, aber wir haben uns entschieden, uns auf Sammelobjekte und Merchandise zu fokussieren, weil das das einzige ist, was noch seine Nische hat … wenn auch eine viel kleinere. Aber wir jammern nicht jeden Tag in den sozialen Medien darüber, dass die digitale Musik, das Internet oder was auch immer uns die Chance genommen hat, mit unserer Musik unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Wir haben das schon vor Jahren akzeptiert, wir machen es immer noch mit Leidenschaft und wir geben unser Bestes, weil wir es lieben, Death Metal zu spielen. Es ist okay, wenn wir nicht davon leben können. Das sind dumme „First World Problems“. Wenn wir reich werden wollten, würden wir nicht Death Metal spielen. Und noch mal: Wenn Van Gogh arm gestorben ist, finde ich es nicht schlimm, wenn wir wie alle anderen einen geregelten Job haben müssen, um über die Runden zu kommen. Dieses ganze Gerede über Künstlersolidarität … wo waren all diese Vorkämpfer, als die digitale Revolution die Musiker betraf? Wahrscheinlich haben sie gerade ein Verbrechen begangen, indem sie illegal Musik heruntergeladen haben.
Was glaubst du, was als Nächstes passieren wird – wird sich die KI-Kunst aufgrund der verbesserten Technologie und der niedrigen Kosten gegenüber der handgemachten Kunst durchsetzen?
Paolo: Zu viel ist unbekannt. Ich denke, sie werden nebeneinander existieren, aber die KI wird wahrscheinlich einen immer größeren Anteil des Marktes einnehmen. KI ist ein Werkzeug, und wie jedes Werkzeug hat es seinen Nutzen. Sie wird den Designern helfen, die sie nutzen wollen, zum Beispiel kann man damit einfach ein Bild erstellen, anstatt ein Stock-Foto für digitale Kunst zu verwenden. Aber es wird immer jemanden geben, der handgemachte Kunst von einem Künstler will, der ihm wirklich gefällt. Es wird vor allem Kunst von geringer Qualität betreffen und eine Verbesserung erzwingen, um mit der KI mithalten zu können.
Giulio: Ich glaube nicht, dass KI die Kunst auslöschen wird. Es wird immer Menschen geben, die Kunst um ihrer selbst willen schaffen, weil sie lieben, was sie tun, weil sie sich dadurch besser fühlen. Genauso wie wir uns besser fühlen, wenn wir unsere Musik spielen. Ich denke, man kann KI mit der Einführung von Digitalkameras in unserer Gesellschaft vergleichen: Jeder kann heute mit einem Telefon oder einer Digitalkamera ein Foto machen, aber professionelle Fotografen gibt es immer noch und sie leben noch.
Noch vor Bildern war es möglich, mit LLMs Texte zu generieren. Wenn ihr offen für KI-Bilder sind – wie sieht es dann mit KI-Texten aus? Würdet ihr KI nutzen, um Textideen zu sammeln oder sogar ganze Texte zu schreiben … oder wo zieht ihr die Grenze?
Paolo: Natürlich, ich habe bereits ausprobiert, was dabei herauskommt, wenn ich einen LLM bitte, Texte im Stil von HOUR OF PENANCE zu schreiben. Das Ergebnis war nicht allzu schlecht, aber da der Datenpool sehr begrenzt ist (wir haben nur etwa 80 Songs), war es nicht sehr interessant und dem Originalmaterial sehr ähnlich. LLM benötigt eine große Menge an Daten, um richtig zu arbeiten. Wenn man es bittet, generisch einige Death-Metal-Texte zu schreiben, sind die Ergebnisse interessanter. Ich habe aus zwei Gründen aber nicht das Bedürfnis, KI zum Schreiben von Texten einzusetzen: Erstens schreibe ich zuerst die Gesangslinien und dann die Texte. Ich mag es nicht, andersherum zu arbeiten, es wäre also eher lästig als hilfreich. Zweitens macht es mir Spaß, Texte zu schreiben und meine Ideen auszudrücken. Ich bin aber nicht dagegen – es steht jedem frei, das zu tun, was er will. Ich habe nicht das Bedürfnis, zu allem Stellung zu beziehen.
Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem es nicht mehr undenkbar ist, dass KI bald Metal macht, der auf all der Musik im Internet basiert – also auch auf eurer, wenn man so will. Wie würdet ihr darüber denken?
Paolo: Die Technologie ist da, um zu bleiben. Wir können Zeit und Mühe darauf verschwenden, den Ozean mit einem Eimer zu leeren oder einfach das tun, was uns gefällt. Falls oder wenn wir nicht mehr gebraucht werden, werden wir Spaß daran haben, unsere Songs in einer Garage zu spielen, so wie wir vor über 25 Jahren angefangen haben. Wir könnten eine Coverband gründen und klassischen Metal spielen. Ich verstehe nicht, warum die Menschen in ihrem Leben so viel Anerkennung von irgendwelchen Fremden brauchen, um das zu tun, was sie tun wollen. Das ist zu einer Krankheit geworden.
Glaubt ihr, es gibt einen Markt für KI-Musik im Allgemeinen, aber speziell im Metal? Würdet ihr euch das mal anhören?
Paolo: Ich habe mir schon einige KI-generierte Musik angehört, aber sie ist noch weit von der Qualität von LLM und bildgenerierender KI entfernt. Der Hauptgrund dafür ist, dass sie kommerziell nicht sehr nützlich ist, und da KI enorme Investitionen erfordert, interessieren sich die großen Unternehmen nicht sehr dafür. LLM kann auf tausende von Arten eingesetzt werden: Smartphone-Assistenten, Kundendienst, virtuelle Liebhaber … die endlosen Möglichkeiten sind definitiv beängstigend. Aber KI-Musik ist eher eine technische Herausforderung für Forscher und Geeks als etwas mit echtem kommerziellen Wert. Aber ich bin sicher, dass die Zeit der KI-Musik kommen wird, und wer weiß, vielleicht wird sie gut sein und mit menschlichen Musikern koexistieren.
Lasst uns das Gedankenspiel fortsetzen: Würdest du als Musiker in Erwägung ziehen, mit KI Musik zu machen, zum Beispiel Riff-Variationen oder eine Melodie zu entwerfen?
Paolo: Ich bin nicht ideologisch dagegen, es ist nur so, dass das Schreiben von Musik eine persönliche Herausforderung für mich ist. Ich mag es, sie zu verbessern, an ihr zu arbeiten, darüber nachzudenken, was ich besser machen und was ich ändern könnte. Eine KI damit zu beauftragen, würde mir den Spaß an der Sache nehmen. Aber ich habe keine Angst davor. Ich würde immer noch Musik schreiben, genau wie damals, als ich vor 25 Jahren in meinem Zimmer angefangen habe, MIDI zu schreiben und sich niemand für das interessiert hat, was ich gemacht habe. Ich lebe nicht dafür, Musik zu verkaufen, als wäre sie eine Dose Bohnen.
Am Ende dieses interessanten Gesprächs wollen wir philosophisch werden – was ist für euch Kunst? Kann eine KI wirklich „Kunst“ schaffen – oder braucht es dazu einen – menschlichen – Künstler?
Paolo: Nun, das ist eine sehr komplexe Frage, und wir müssen mit den Grundlagen anfangen. Was ist Kunst? Ist jede menschliche Schöpfung mit der Absicht, ein Kunstwerk zu schaffen, wirklich Kunst? Die Tragödie der westlichen postmodernen Gesellschaft besteht darin, dass die Menschen nicht verstehen, dass die Welt grausam ist, und dass dumme Phrasen wie „jeder ist einzigartig“, „jeder ist ein Künstler“ und so weiter nur dazu dienen, die wirklichen Probleme wie Ungleichheit, globale Erwärmung und Krieg zu überdecken. Wir sind ein Haufen von Säugetieren, im Durchschnitt etwas intelligenter als Primaten, die sich um dumme Dinge wie Geld und Macht streiten. Wenn man etwas schafft, ist man noch lange kein Künstler, und man ist kein Künstler, weil man sich dafür hält. Ich würde mich nie als Künstler bezeichnen, ich finde das extrem arrogant. Ich finde es sogar seltsam, von anderen Leuten auf einer Website oder in einer Zeitschrift als Künstler bezeichnet zu werden. Ich bin nur jemand, der viel Zeit damit verbracht hat, seine Fähigkeiten zu verbessern, weil ich eine Leidenschaft für Musik habe. Das meiste, was die Leute im Zusammenhang mit unserer Diskussion als echte „Kunst“ bezeichnen, ist einfach nicht so gut. Es ist abgekupfert, unoriginell. 90 % der Kunstwerke sehen gleich aus. Jetzt ist es ein Trend, organische außerirdische Wesen mit grellen Farben auf dem Artwork zu haben oder den Stil von Old-School-Death-Metal-Artworks zu kopieren. Ich finde das unoriginell, aber ich habe nicht das Bedürfnis, eine Band zu beschimpfen, wenn sie es mag. Wenn die Musik gut ist, ist das in Ordnung. Andere Bands haben einfach ein Gemälde genommen und es auf ihr Cover gesetzt. Niemand hat je gesagt „DU HAST KUNST VON HIERONYMOUS BOSCH GEKLAUT“. Nur sehr wenige Menschen können Kunst schaffen. Beethoven, Dostojewskij, Caravaggio, Schostakowitsch, Van Gogh, Tarkowski, sogar Messi ist auf seine Art ein Künstler. Der Rest von uns sind ganz normale Menschen, die versuchen, ihr Bestes zu geben – einige mit mehr Aufwand, während andere es vorziehen, mehr Zeit in den sozialen Medien zu verbringen und einfach „Art“ zu ihrem Nickname hinzuzufügen.
Vielen Dank für eure Antworten – die letzten Worte gehören euch:
Giulio: Vielen Dank, dass du uns die Gelegenheit gibst, unsere Ansichten zu diesem Thema mitzuteilen. Vielleicht kann dieses Interview unsere Sichtweise zu diesem Thema verdeutlichen und Menschen, die sich empört fühlen, dabei helfen, tiefer in die Materie einzutauchen und sich vielleicht darüber zu informieren, wie KI funktioniert, statt voreilige Schlüsse zu ziehen.
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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