Dark-Jazz-Fans könnten den Niederländer Jason Köhnen von seinen ehemaligen Bands The Kilimanjaro Darkjazz Ensemble und The Mount Fuji Doomjazz Corporation her kennen. Gemeinsam mit dem Russen Dimitry El-Demerdashi (Ex-Phurpa) widmet er sich mit MANSUR nun spirituelleren Klängen. Im Interview berichtet Köhnen, wie es dazu kam, was man sieht, wenn man mit geschlossenen Augen in die Sonne blickt und was Marc Aurel mit alledem zu tun hat.
Geht es dir trotz der Corona-Situation gut?
Ja, ich lebe in einer Realität, in der ich keine Angst vor dem Sterben habe und jeden Tag genieße, an dem ich am Leben bin, deshalb konsumiere ich die ständigen Angstbombardements der Regierungen nicht. Ich bleibe gesund und hoffe, dass ich bald meine Freiheiten zurückbekomme.
Deine neue Band heißt MANSUR – kannst du uns mehr darüber erzählen?
MANSUR ist ein Projekt, das ich mit Dmitry und Martina teile, es sind neue Expeditionen in geheimnisvolle unbekannte Welten. Unser Ziel ist es, eine Art musikalisches Gefäß für die Zuhörer zu sein, um in neue Welten zu verschwinden.
Du betreibst MANSUR zusammen mit Dimitry El-Demerdashi, ehemals Mitglied von Phurpa. Woher kennt ihr euch, wie ist die Idee für das gemeinsame Projekt entstanden?
Wir haben uns 2018 kennengelernt, sind zusammen aufgetreten und haben eine Art musikalische Verbindung entwickelt. Ich bewundere Dmitrys Spielstil und seine musikalische Denkweise sehr. Vielleicht weil wir so unterschiedlich sind, ist da ein gegenseitiger musikalischer Respekt in der Art, wie wir kooperieren und Kunst schaffen. Unsere Kommunikation und Zusammenarbeit ist sehr flüssig, wir brauchen kaum Worte, um uns gegenseitig Dinge zu erklären. Es ist großartig, diese natürliche Art der Zusammenarbeit zu haben. Das ist sehr befreiend.
Als Sängerin ist Martina Horváth zu hören – wie kam sie in die Gruppe und ist sie auch fester Teil der Band oder nur Session-Musikerin?
Martina ist ein vollwertiges Mitglied der Band. Ihr Gesang auf „Temple“ ist so einzigartig und passt so gut zur Musik, dass sie keine andere Wahl hatte, als in der Band zu bleiben. (lacht)
Soweit ich weiß, kommst du eigentlich aus dem Jazz – würdest du sagen, dass MANSUR auch eine Jazz-Komponente enthält, und worin macht sich diese am ehesten bemerkbar?
Ursprünglich komme ich aus dem Metal, aber ich bin von so vielen Genres beeinflusst worden, dass es schwer ist, ein bestimmtes Genre herauszuheben. Aber um auf deine Frage einzugehen: Ich nehme an, dass es einige Jazz-Elemente gibt, auf jeden Fall in Bezug auf den freien Geist des Jazz: Experimentierfreude und Spirit. ich hoffe, dass irgendwo in unserer Musik ein bisschen von Coltranes und Pharoah Sanders‘ Geist herumschwirrt, das wäre ziemlich schön.
Wie kam es zu dieser persönlichen musikalischen Veränderung, wie bist du zu dieser Art von mystischer, spirituell angehauchter Musik gekommen? Was inspiriert dich in dieser Hinsicht – sei es aus dem Bereich der Musik oder aus einem spirituellen Bereich?
Ich denke, wenn man im Leben am Tiefpunkt angelangt ist, passiert diese „Spiritualität“ oder wie auch immer man den Wiederaufbau seiner Fundamente nennen möchte, von selbst. Sie kommt und findet dich, und du kannst sie entweder in dich hineinlassen und dich auf deiner persönlichen Reise leiten lassen oder nicht. Für mich persönlich gab es bestimmte Lehren, die mir geholfen haben, aber am Ende führen sie im Grunde alle zur gleichen Quelle zurück. Nimm den Weg, der am besten zu dir passt, würde ich sagen.
Früher mit The Kilimanjaro Darkjazz Ensemble und The Mount Fuji Doomjazz Corporation habt ihr viel improvisiert – spielt das auch beim Songwriting mit MANSUR eine Rolle, oder komponiert ihr hier festgeschriebene Songs?
Dmitry und ich haben keine in Stein gemeißelte Art zu komponieren, es läuft in beide Richtungen. Ich schicke Dmitry meistens festgehaltene Ideen, mit denen er arbeiten kann, während er mir Improvisationen schicken kann. Das ist es, was die MANSUR-Songs wirklich interessant hält. Wir werden mit MANSUR dieses Jahr noch ein Live/Improvisations-Album herausbringen – es heißt „Minotaurus“. Man wird den Unterschied hören, wenn die Kompositionen nicht festgeschrieben sind, wie bei „Temple“ und „Karma“ – das bringt einen anderen, dunkleren Vibe hinein.
Wie lief die Zusammenarbeit – vom kreativen Teil bis zur Aufnahme – ab: rein digital oder habt ihr euch dafür getroffen?
Alles läuft über das Internet. Ich meine, wir leben in Russland, Ungarn und den Niederlanden – das sind nicht gerade die nächstgelegenen Länder, um für einen schnellen Jam in den Proberaum zu kommen. Aber der Kontakt über das Netz funktioniert sehr gut. Außerdem hat man so sein eigenes Tempo, um an dem Projekt zu arbeiten. Es ist sehr flexibel.
Wie würdest du die Situation beschreiben, für diese Musik komponiert wurde?
Ich komponiere Musik von einem Ort, den es nicht gibt. Das mag schräg klingen, aber der Ort, von dem ich meine Kompositionen hole – dieses unbekannte Reich – ist der Ort, an den ich den Hörer auf dieser musikalischen Reise führen will. Ich versuche das, was ich in dieser unbekannten Welt sehe und erfahre, in eine bestimmte Komposition zu übersetzen: Die Musik ist das Medium, um die Phantasie des Hörers anzuregen, sodass er mit uns an diesen Ort reist. Es ist ein magischer Ort, ich mag es, dort zu sein.
Die erste EP hieß „Temple“, jetzt geht es mit „Karma“ weiter – hat MANSUR mit Musik und Texten ein konkretes Konzept, das sich möglicherweise mit Buddhismus/Hinduismus beschäftigt – und wenn ja: woher kommt eure Faszination für diese Themen? In euren früheren Bands war davon, zumindest musikalisch, nichts zu hören?
Ich mag es nicht, das Konzept der „Spiritualität“ in die Musik als solches einzubetten. Es ist da, ja, aber wir sind alle in irgendeiner Form spirituell, also haben diese beiden Alben sicherlich „spirituelle“ Bezüge, aber die Verweise auf die Lehren sind sehr allgemein. Ich denke, ich habe mich in den letzten Jahren einfach viel mehr mit ihnen beschäftigt, und sie sind ein integraler Bestandteil des Starts und der Entwicklung des Projekts geworden.
Wie würdest du das Album in einem Satz beschreiben?
Transzendental.
Das ist ein gutes Stichwort: Auch visuell wirkt das ganze Layout sehr orientalisch. Kritisch gedacht: Wie „orientalisch“ darf eine westliche Band sein, ohne in den Verdacht der kulturellen Aneignung zu geraten, ohne affektiert zu wirken?
Da muss ich widersprechen. Ich sehe nichts Orientalisches in dem Artwork. Vielleicht das Logo und die Typografie des Namens MANSUR, aber das ist die Schriftart, die von Pharoah Sanders auf mehreren seiner Alben verwendet wurde, also ist es in gewisser Weise eine Hommage an ihn als Musiker und seine musikalische Philosophie. „Karma“ trägt das Bild von Marcus Aurelius, er war ein römischer Kaiser. Die meisten Titel auf „Karma“ sind in lateinischer Sprache. Das ist also ziemlich westlich orientiert.
Was die kulturelle Aneignung angeht, finde ich das einen der uninteressantesten Begriffe unserer heutigen Zeit. Es ist ein wahnhaftes Konzept. Ich stamme aus den Niederlanden und aus Indonesien und bin in Spanien aufgewachsen, ich bin also ein Bastardkind der Welt. Kulturelle Aneignung ist ein rein spaltender Begriff. Früher hieß es „multikulturell“, ein Begriff, der Einheit bedeutete, aber irgendwie und irgendwann wurde er zu „kulturelle Aneignung“, um uns voneinander zu trennen. Ich spiele dieses Spiel nicht mit. Leute, die den Begriff besetzen oder sich daran stören, sollten sich fragen, woran sie sich stören.
Wo wir gerade vom Cover reden: Die EP hatte ein sehr helles Cover-Artwork, das des Albums ist sehr düster. Hat das einen bestimmten Grund?
Das Artwork von “Temple” zeigt, was man sieht, wenn man mit geschlossenen Augen in die helle Sonne schaut: Eine Ansammlung von hellen Farben auf der Netzhaut. Das soll das Bild repräsentieren. Das Symbol repräsentiert die Tagundnachtgleichen, den Apis-Stier, die Minoer, Phönizier oder irgendeine vergangene verlorene Zivilisation, es repräsentiert diese spezielle Welt, in die du auf unserer musikalischen Reise kommst. Es repräsentiert die Verehrung der Sonne. Die rote Farbe repräsentiert das Blut aus dem Menstruationszyklus der göttlichen Frau, aus ihrem „Tempel“.
Das „Karma“-Artwork steht für das gebrochene Bild von Marcus Aurelius. Es repräsentiert Mut, Stärke, Integrität, das Akzeptieren des Todes, das Akzeptieren der eigenen Fehler und das Streben nach innerem Wachstum. Was man dem Universum gibt, bekommt man auch vom Universum zurück. Das Blau repräsentiert die Ruhe, die schützende Führung des Männlichen.
Eine letzte provokante Frage: Die Metalszene wird derzeit von diversen Bands „überrannt“, die sich in irgendeiner Form atmosphärischen, archaischen und spirituellen Klängen verschrieben haben – angeführt von Bands wie Wardruna, die auf altnordischen Instrumenten musizieren, Heilung oder – wenn auch auf einem anderen Level – Phurpa. Kennst Du diese Bands, diese Entwicklung, und dann: Siehst du darin auch eine Chance für MANSUR, was eure Popularität oder den kommerziellen Erfolg angeht?
Ich kann nicht für andere Bands sprechen, es interessiert mich nicht wirklich, was die Beweggründe anderer Leute sind, Musik zu machen. Ich persönlich unterstütze jede Form von Transzendentalismus in der Musik, es bedeutet, dass die Leute mehr in Kontakt mit dem Metaphysischen kommen, das ist großartig, es kann zu persönlichem Wachstum führen. In Bezug darauf, dass es kommerziell oder populär wird, kümmert es mich auch nicht wirklich: Wenn die Musik gut ist und die Leute sie mögen und die Band sich gut verkauft … gut für sie! Sie haben wahrscheinlich eine Familie und müssen die Miete bezahlen. Ich habe nichts gegen Erfolg, solange ich meiner Kunst treu bleibe. Was andere Leute tun, ist ihre Sache, ich bin nicht hier, um über andere zu urteilen.
Vielen Dank für das Interview. Lass uns mit unserem traditionellen Brainstorming abschließen:
Black Metal: „De Mysteriis Dom Sathanas“ … ein Meisterwerk.
Karma: Sei gut zum Universum, das Universum wird gut zu dir sein.
Jeff Bezos: Antithese eines tugendhaften Mannes.
Ihr Lieblings-Jazz-Metal-Act: Shining
MANSUR in zehn Jahren: MANSUR
Nochmal danke für deine Zeit. Die letzten Worte gehören dir:
Danke! Seit gut zu euch selbst und macht das das Beste aus eurem Leben. Ihr habt nur eine Chance.
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.