Interview mit Øystein Landsverk von Leprous

Die norwegischen Progmetaller LEPROUS haben mit ihrem aktuellen Werk „Coal“ und dem 2011er-Album „Bilateral“ zwei äußerst eigenständige, aber auch unterschiedliche Scheiben veröffentlicht, die ihresgleichen suchen. Wir sprachen mit Gitarrist Øystein Landsverk ausführlich über die Entwicklung der Band, ihre Zusammenarbeit mit Ihsahn und ihren bevorstehenden Auftritt auf dem Wacken Open Air.

 


Hi! Zunächst einmal möchte ich dir danken, dass du dir Zeit für dieses Interview nimmst. Wie geht es dir heute?
Danke der Nachfrage, mir geht es sehr gut! Ich probe für das Maryland Deathfest mit Ihsahn und bereite mich auf einige Prüfungen vor, die ich im Juli habe.

Euer letztes Album „Bilateral“ hat jede Menge begeisterte Kritiken bekommen. Habt ihr einen gewissen Druck gespürt, die hohen Erwartungen der Presse und der Fans erfüllen zu müssen, als ihr mit den Arbeiten an eurem neuen Album „Coal“ angefangen habt?
Nicht wirklich. Wir waren damals sehr glücklich mit „Bilateral“ und hatten viel Spaß bei den Aufnahmen, aber wir waren bereit für etwas Neues. Man schränkt nur seine eigene Kreativität ein, wenn all das im Hinterkopf hat. Wir versuchen uns davon freizumachen und weiter das zu machen, was wir lieben. Als wir mit der Arbeit an „Coal“ begannen, hatten wir schon seit längerer Zeit kein neues Material mehr geschrieben. Wir schrieben einfach drauflos, ohne irgendwas im Hinterkopf zu haben. Es ging alles ziemlich schnell. „Bilateral“ hingegen entstand über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren, der Prozess war dieses Mal also sehr anders. Aber ich persönlich war bisher nie glücklicher mit einem Album, also ist es vermutlich gut so, wie es jetzt gelaufen ist.

Meiner Meinung klingt euer neues Material weniger chaotisch und heavy, dafür aber ein bisschen düsterer als die Songs auf „Bilateral“ – aber auf eine gute Art und Weise. Wie würdest du es beschreiben?
Ich stimme dir zu. Normalerweise sage ich, dass „Bilaterial“ von lauter Stimmungswechseln gekennzeichnet ist, denn so ist es. Wir hatten so viele Ideen und wir wollten so viele wir konnten in die Songs einfließen lassen. Das Ergebnis ist ein bisschen ziellos – manches auf dem Album funktionierte, anderes nicht. „Coal“ fühlt sich konsistenter an – und ich denke das liegt zum Teil auch am engen Zeitrahmen, den wir zur Verfügung hatten. Die Songs haben einen stärkeren Bezug zueinander und eine bestimmte Stimmung durchzieht sie alle. Wir haben auch einige längere Parts auf diesem Album, was es auf „Bilateral“ niemals gab; zum Beispiel das Ende von „Contaminate Me“ und den Mittelteil von „The Valley“. So etwas hilft, Atmosphäre zu schaffen anstatt einfach zur nächsten Idee zu springen. Ich denke, „Coal“ ist insgesamt atmosphärischer und es ist auf eine bestimmte Art und Weise auch subtiler. Du musst genau hinhören, um alles mitzubekommen.

Hattet ihr ein Konzept davon, wie die neuen Songs klingen sollen, als ihr mit dem Schreiben angefangen habt oder hat sich alles einfach so ergeben?
Das hat sich allmählich während der Arbeit an dem Album ergeben. Wenn du den ersten Song kreierst, setzt dieser in etwa die Stimmung für den Rest. Wir denken dann darüber nach, ob das das ist, was wir wollen, oder ob wir hier und da noch einmal optimieren sollten. Danach wissen wir dann in etwa, wonach jeder von uns stilistisch sucht. Dieses Mal haben wir sogar zwei, drei Songs weggeschmissen, weil sie nicht richtig gepasst haben oder generell Schwachpunkte hatten. Wir haben also definitiv eine Vorstellung davon, was wir wollen. Aber es ist nicht so, dass wir uns Grenzen setzen, bevor wir anfangen. Denn damit würden wir unsere Kreativität ziemlich einschränken. Wir versuchen die Musik frei fließen zu lassen, alles zuzulassen und schauen dann einfach, wo uns das hinführt. Landen wir in einer Sackgasse, entsorgen wir die Idee und versuchen etwas anderes. Es ist besser, restriktiv zu sein, nachdem man die Musik gemacht hat. Das ist eine neue Perspektive und es hilft einem, sehr kritisch mit dem zu sein, was man gerade geschaffen hat. Es ist einfacher, es dann zu verbessern anstatt sich etwas ganz Neues auszudenken.

Eure Musik ist komplex und kann manchmal ziemlich anspruchsvoll sein. Wie beurteilst du Sie selbst: Ist sie eher Nahrung fürs Hirn oder fürs Herz?
Wir alle machen Musik, weil wir es lieben zu spielen, also würde ich sagen, sie ist fürs Herz. Ohne die starke Leidenschaft für das, was wir tun, hätten wir wohl den Berg an Arbeit gar nicht bewältigen können. Die Musikindustrie ist heutzutage keine Goldmine. Anders ist es, wenn es um Musik geht, die man täglich hört. Einiges davon kann für mich „Nahrung fürs Hirn“ sein, weil es einem bestimmten Zweck dient. Wenn ich zum Beispiel an meinem Computer arbeite, darf die Musik, die ich höre, nicht zu interessant sein, denn dann kann ich überhaupt nicht arbeiten. Ich würde letztendlich nur noch auf die Musik hören und könnte mich nicht mehr auf meine Arbeit konzentrieren. In diesem Fall ist Musik für mich „Hirnnahrung“. In jeder anderen Situation würde ich so interessante Musik hören wie möglich und mich an ihr mit ganzem Herzen erfreuen. Ob unsere Musik Nahrung fürs Herz ist, hängt vom „Ohr des Betrachters“ ab, würde ich sagen. Vielleicht verbindet sich der Hörer mit ihr und hört aufmerksam zu, vielleicht ist sie aber auch eher ein oberflächliches Hörerlebnis, das einem anderen Zweck dient. Ich vermute, viele Leute gehen die Sache intellektuell an und zählen die Schläge der schrägen Metren, aber so denken wir nicht. Wir erschaffen etwas, weil es groovt und versuchen das Gefühl von Takten und Schlägen möglichst schnell zu vergessen.

Würdest du mir zustimmen, dass ihr Progmetal für Leute spielt, die keinen Progmetal mögen – wenn du verstehst was ich meine?
Ich weiß genau, was du meinst. Ich denke, Teile unserer Musik können ein großes Publikum ansprechen. Die Mütter meiner Freunde haben mir zum Beispiel gesagt, dass sie sie wirklich mögen. Aber ich denke, es gibt da auch Parts, die sie wohl nicht so sehr mögen würden; das liegt wohl an der Tatsache, dass unsere Musik dynamisch ist und daran, dass wir versuchen, unsere raue Seite mit unserer ruhigen Seite so gut wir können zu verzahnen. Wenn man gut darin ist, diese beiden elegant zu kombinieren, gibt es glaube ich eine Chance, dass die Leute etwas mögen, von dem sie dachten, sie mögen es nicht. Man kann zum Beispiel Leute überzeugen, Spaß an Growls zu haben, wenn es davon nicht zu viel gibt und sie ein bisschen intelligent eingesetzt werden. Ich will damit nicht sagen, dass wir darin Meister sind, aber vielleicht liegt es ein Stück weit daran, dass wir eine breite Masse an Hörern ansprechen.

Bei dem Album-Abschlusstrack „Contaminate Me“ arbeitet ihr wieder mit der Black-Metal-Ikone Ihsahn zusammen, der schon auf dem Track „Thorn“ von „Bilateral“ gesungen hat. Wie kam es zu dieser erneuten Zusammenarbeit? Seid ihr befreundet?
Ja, wir kennen uns schon seit einer langen Zeit und wir arbeiten seit fünf Jahren mit seiner Band zusammen. All unsere Aufnahmen hatte etwas mit Vegard Tveitan und Heidi Solberg Tveitan zu tun, es ist also total normal für uns mit ihnen zu arbeiten. Sie sind beide sehr begabt und wir lieben Vegards Beitrag zu dem Song. Es macht immer Spaß mit jemandem außerhalb der Band zu arbeiten, und es ist ein großer Spaß mit jemandem zu arbeiten, den man gut kennt und der sehr gut ist. Wir wollten den Gesang auf dieser Nummer einfach ein wenig anders gestalten als das, was unser Sänger Einar macht; Vegard kam uns sofort in den Sinn. Er hat seine Sache perfekt gemacht und das Ergebnis ist wirklich gelungen.

Wenn Robert Fripp euch anrufen und sagen würde, dass er gerne als Gast auf eurem nächsten Album spielen würde, was wäre deine Reaktion?
Klar, warum nicht? Er ist ein großartiger Musiker und ich bin mir sicher, dass wir einen Weg finden würden, seinen Beitrag in unseren Ausdruck zu integrieren. Wir würden sicher nicht unser Arrangement um seinen Part bauen, aber ich bin mir sicher, dass er etwas Geniales beitragen würde. Wir lieben es mit anderen Musikern zusammenzuarbeiten, weil sie wie Brunnen voller Kreativität sind. Das ist das großartige an Musik. Wir alle sind Individuen und jeder von uns hat einen eigenen musikalischen Fingerabdruck.

Für den Song „Restless“ von eurem letzten Album „Bilateral“ hab ihr einen Videoclip aufgenommen. Wird es auch ein professionelles Video für einen der neuen Songs geben?
Oh ja! Am 14. Mai haben wir unser zweites Video veröffentlicht. Es ist auf Facebook, Twitter und allen anderen Werbekanälen, also schaut es euch an! Wir haben das Video für den vierten Song von „Coal“ gedreht, der „The Cloak“ heißt. Das Video wurde in den Konnerud Hill Mines in Drammen, Norwegen aufgenommen.

Das düstere und erschütternde Cover für „Coal“ ist das komplette Gegenteil von dem surrealistischen Artwork für „Bilateral“. Es fällt mir schwer, es mit eurem Musikstil in Verbindung zu bringen. Warum habt ihr es ausgesucht?
Das Artwork von „Bilateral“ war gut für das Album, aber die Musik auf „Coal“ ist einfach anders, so dass es keinen Sinn gemacht hätte, diesen Stil beizubehalten. „Coal“ hat einen dunkleren Ausdruck, ist weniger verspielt als „Bilateral“ und das Cover brauchte einfach etwas Anderes. Unser erster Entwurf für das Artwork war sehr viel simpler. Das Cover sollte so aussehen wie das fertige Booklet, mit dem Albumtitel drauf. Aber wir brauchten noch irgendetwas dazu, also kontaktierten wir Jeff Jordan noch einmal. Als wir seine und unsere Ideen kombinierten, entstand das finale Cover. Auf die eine oder andere Art und Weise haben das Cover von „Bilateral“ und das von „Coal“ also viel gemeinsam. Sie kommen nur von verschiedenen Quellen.

Wie haben sich LEPROUS und auch du selbst von eurem Debüt „Aeolia“ (2006) bis „Coal“ weiterentwickelt?
Es war eine lange Reise. Als wir „Aeolia“ aufgenommen haben, hatte ich ungefähr vier Jahre Erfahrung im Gitarrespielen. In den Jahren danach habe ich noch so viel gelernt. Es gibt nichts, von dem man schneller lernt, als Mitglied in einer Band mit Musikern zu sein, die genauso viel Begierde haben, sich zu verbessern, wie man selbst. Wenn man Teil einer Band ist, merkt man, was wirklich wichtig ist. Man nutzt seine musikalischen Fähigkeiten so, wie es gedacht ist: Um eigene Musik zu kreieren. Das ist etwas ganz anderes als allein zuhause zu üben, das was man kann aber nie einzusetzen. Als ich mich der Band anschloss, war ich extrem aufgeregt. Und es war bisher eine wundervolle Erfahrung dabei zu sein und zu erleben, wie wir uns als Songwriter weiterentwickelt haben und auch als Name in der Szene.

Über die Jahre haben wir viel Zeit mit Suchen verbracht. Wir haben nach einem Sound gesucht und danach, was wir sein wollen. Die Alben sind lediglich ein Produkt davon. Trittsteine entlang unseres Weges. Mit jedem Album fokussieren wir unsere Ziele, kommen ihnen einen Schritt näher. Es ist sehr befriedigend, Erfüllung und Weiterentwicklung zu spüren mit jedem Album, das wir veröffentlicht haben. Für uns war die Veröffentlichung eines neuen Albums immer ein großer Schritt vorwärts. Und genauso fühlt es sich auch jetzt an. Wir haben uns als individuelle Musiker weiterentwickelt, aber vor allem auch als Band. Wir haben gelernt, zusammenzuarbeiten und das Beste aus uns allen herauszuholen um etwas zu machen, das keiner von uns alleine machen könnte.

Im Sommer spielt ihr auf einigen großen Festivals, zum Beispiel auf dem Wacken Open Air in Deutschland. Bist du schon ein bisschen nervös, wenn du darüber nachdenkst, solch anspruchsvolle Musik wie eure auf einem großen Metal Festival zu spielen?
Nein, überhaupt nicht. Genau diese Denkweise versuchen wir zu vermeiden, wenn wir Musik machen. Es gibt keine Band auf der Welt, die allen gefallen kann. Das ist bei einer Liveshow genauso. Wir glauben, dass man alles von sich selbst geben muss – ungefiltert – um etwas Großes zu machen. Nur dann macht man etwas ehrliches und persönliches, und nur dann kann es potenziell neu und erfrischend sein. Wenn man seine persönliche Ausdrucksweise und das, was einen so geformt hat, unterdrückt, macht man es sich selbst nur schwerer. Wir machen einfach unser Ding, und wenn die Leute es nicht mögen, können wir daran nichts ändern. Es spielt keine Rolle. Wir werden unsere Energie lieber darauf verwenden, die beste Liveshow zu machen, die wir können – und dabei hoffentlich ein paar neue Fans gewinnen und den bestehenden Fans gefallen. Wir haben immer eine Menge Spaß auf der Bühne! Aber selbstverständlich versuchen wir, eine nette Setlist zusammenzustellen, die zu der Atmosphäre des jeweiligen Festivals passt. Wir möchten, dass die Leute eine gute Zeit haben.


Habt ihr schon Pläne für die Zeit nach den Sommer-Festivals?
Wir haben große Tourpläne! Wir kommen zum zweiten Mal auf Headliner-Tour in Europa, aber dieses Mal werden wir einige Orte mehr besuchen als zuletzt, zum Beispiel unser Heimatland. Wir werden insgesamt 42 Shows in Europa spielen und hoffen natürlich, so viele Leute wie möglich zu sehen. Wir können es kaum abwarten, das Material von „Coal“ auf die Bühne zu bringen. Außerdem würden wir gerne mit der Arbeit an weiterer Musik beginnen und ein neues Album veröffentlichen!

Welchen LEPROUS-Song sollten sich Leute anhören, die euch noch nicht kennen?
Ich würde sie ermutigen, zwei Tracks zu hören, die wir kürzlich veröffentlicht haben – sorry, ich kann nicht anders. Beide sind von unserem aktuellen Album „Coal“. Sie heißen „Chronic“ und „The Cloak“ und das letztgenannte hat wie gesagt ja sogar ein Musikvideo. Das sollte sie gut mit der Welt von LEPROUS vertraut machen. Ich hoffe, ihr mögt sie!

Warum sollte man euer neues Album kaufen?
Weil es die beste Musik ist, die wir bisher komponiert haben. Wir sind sehr stolz darauf. Das Album hat ein geniales Cover, großartige Gastmusiker und es ist Leprous „at its very best“.

Zum Abschluss noch unser Brainstorming. Was fällt dir ein, wenn du die folgenden Begriffe hörst?
Star Trek: Into Darkness
Vegan: Ei
Das Nervigste, wenn man ein neues Album aufnimmt: Wenn dein Take ruiniert ist, weil du vergessen hast, den Loop auszuschalten
LP, CD or MP3? MP3
Kraftwerk: Electronica
Ich würde gerne auf Tour gehen mit: Leprous
Dein absolutes Lieblingsalbum: Alles von Mr. Music!
Deutschland: Camper

Øystein, nochmals danke für deine Zeit. Ich wünsche dir und LEPROUS viel Erfolg mit eurem neuen Album. Hast du noch irgendwas auf dem Herzen?
Ich hoffe, euch diesen Sommer zu sehen oder während unserer Tour im Herbst. Wir werden sicher gehen, dass ihr einiges für euer Geld bekommt!

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