Interview mit Herbst von Lantlôs

Mit „.neon“ haben LANTLÔS ein vielleicht nicht ganz einfaches, jedoch auf alle Fälle interessantes Album veröffentlicht, das vom Coverartwork über die Musik bis hin zur Sänger-Neuverpflichtung Neige (Alcest) jede Menge Gesprächsstoff bietet. Was Herbst zu dem Werk, Black Metal im Allgemeinen und Alcest im Speziellen zu sagen hat, könnt ihr in unserem Interview nachlesen.

Sers! Zunächst einmal Gratulation zum Release des neuen Albums, „.neon“. Wie fühlt man sich, wenn das zweite Kind der eigenen Kreativität das Licht der Welt erblickt?
Hi! Vielen Dank! Nun, „.neon“ ist ja durch die ganze Label-Wechsel-Geschichte schon sehr alt für mich, daher habe ich mit dem Material schon recht lange abgeschlossen. Trotzdem fühlt es sich gut an, die Platte in der Hand zu haben.

Wie gerade bereits angesprochen, handelt es sich erst um das zweite Album von LANTLOS – und doch hast du mit deinem Projekt ja schon so einiges erreicht, von dem andere nur träumen können… (Release über Prophecy Records, erst Alboin, dann Neige als Sänger etc.)
Wie erklärst du dir den raschen Aufstieg von LANTLÔS?

Puh, was soll ich dazu sagen? Weiss nicht. Habe hart gearbeitet und die richtigen Leute kennengerlent, schätze ich.

Hättest du das erwartet, als du mit LANTLÔS angefangen hast, oder hieltest du einen derartigen Aufstieg damals überhaupt für möglich?
Als wir mit LANTLÔS angefangen haben, hatten wir gar keine großen Erwartungen, wie das immer so ist ;) Prophecy war aber in der Tat schon immer das, was wir angestrebt haben und ich bin stolz darauf, dass wir dieses Ziel nun erreicht haben.

Alboîn von Eis (ehemals Geist) zu kennen, und ihn dazu zu bringen, auf einem Album zu singen, klingt ja noch relativ plausibel. Aber wie kam dein Kontakt zu Neige von Alcest zustande?
Das war mehr oder minder zufällig. Ich habe mir 2006 die Ruines Humaines 10“ von Amesoeurs gekauft. Das Cover hat mir sehr gut gefallen und da wir gerade mit dem Aufnehmen des Debüts fertig waren, brauchten wir ein Cover. Da habe ich an, damals noch enfence graphisme geschrieben. Später stellte sich dann heraus, dass ich da an Fursy Teyssier geraten war, der damals noch Gitarrist bei Amesoeurs war. Ihm hat das Debut sehr gut gefallen und er hat es an Neige weitergeben. Alboîn und ich haben währenddessen festgestellt, dass das mit uns aus mehreren Gründen nicht wirklich funktioniert und ich war sängerlos. Da ich Neige nun schon kennengelernt und auch getroffen habe, habe ich ihn darum gebeten, das zu machen. So ist das dann Zustande gekommen.
…und ist er jetzt, anders als Alboin, fester Teil der Band oder ebenfalls nur dein Sessionsänger?
Neige ist fester Bestandteil von Lantlôs.

Hatte er einen irgendgearteten Einfluss auf das Material von „.neon“, seien es nun die Texte oder die Songs?
Nee, das war alles ich.

Wird man ihn also auf dem nächsten Album wieder hören?
Ganz genau! Wir nehmen schon im Juli diesen Jahres unser drittes Fullength auf!
Neige hat mit Alcest ja eben ein viel gelobtes Album veröffentlicht. Was hälst du von dem Werk, auch im Vergleich mit seinem Vorgänger?
Um ehrlich zu sein, gibt mir Alcest nicht sehr viel. Nicht, dass das falsch verstanden wird: Ich respektiere ihn als Musiker und auch seine Vision, die er rüberbringen möchte. Aber ich bin für sowas nicht offen oder romantisch genug. Ich kann auch den Gedanken um seine Traumwelt nicht folgen, weil ich denke, dass man diese Visionen selbst Erfahren haben muss. Also, große Leistung, die ich anerkenne, die mir aber leider größtenteils verschlossen bleibt, weil Alcest zu romantisch und zu positiv für mich ist.

Du bist ja quasi LANTLÔS… was eine Live-Karriere zumindest solange ausschließt, als bis du dir weitere Session-Musiker suchst. Ist derartiges in Planung, oder wird LANTLÔS auf ewig Studioprojekt bleiben?
Ja! Wir sind immernoch auf der Suche, aber ich bin guter Dinge bald einen Sessiondrummer, der immer schon das größte Problem war, zu finden. Danach kann es dann endlich losgehen.

Kommen wir zum Album selbst. Hier sticht ja zunächst das wirklich gelungene Artwork ins Auge. Wurde das Bild extra als Artwork für dieses Album gemalt und welchen Rahmen hast Fursy Teyssier gesetzt?
Ja, das Bild wurde extra für Lantlôs gemalt. Es zeigt die Diskrepanz zwischen menschlichem Kern und Aussenwelt. Darum geht es auch auf „.neon“ – um das kurz einzuwerfen. Ich denke, dass es wichtig ist, das Konzept/die Intention hinter diesem Album zu verstehen und dafür muss ich leider relativ weit ausholen. Vor einigen Jahren hat sich meine Wahrnehmung komplett gewandelt. Ich habe eine Art Filter vor meiner Wahrnehmung. Das ist ganz schwer zu beschreiben und ich tue mich immer wahnsinnig schwer damit. Man fühlt sich, als wäre man kein Teil der Umwelt, als wäre das eigene Leben ein Film, in dem man eine Nebenrolle spielt. Die Umwelt/Wahrnehmung ist total verwaschen und ist zu einem abstrakten nicht linearen Brei geworden. Ich habe große Probleme Dinge als real anzuerkennen, mich auf Sachen zu konzentrieren und Ereignisse zeitlich einzuordnen, als auch mich in die Umwelt einzuorden. Ausserdem hat sich mein Leben dahingehend gewandelt, als dass ich Dinge nicht mehr wertschätzen kann, Entscheidungen Wert aberkenne und ich eine immer gleichbleibende, graue, betäubte Stimmung habe. Es ist wie eine Art Rauschgefühl, dass immer präsent ist, dass einen desorientiert, vernebelt und es einem unfähig macht, sich auf das, was man Wahrnimmt zu verlassen. Alles was ich als wahr empfinde, ist das, was in mir ist und was von mir selbst kommt. Darum geht es bei „.neon“. Um die Wirkung der Aussenwelt auf das Ich, darum, wie schwer es ist damit umzugehen und wie man durch Ausflüchte aller Art mit Derealisationserleben ertragen kann.
Um nun auf das Cover zurückzukommen: Das Cover zeigt den menschlichen Kern, der in einer matschigen, vernebelten Umgebung schwebt. Er wird von Händen, die normale Einschläge auf den Kern wirken, zerrissen. Das Mädchen symbolisiert die Einschläge und Flüchte, die dem Kern näher kommen, wie z.B. Liebe, Drogen, Schlaf etc. und zeigt, dass auch diese zur Last werden. Ich habe Fursy dafür keinen Rahmen und keine Angaben gemacht. Er hat das alles aus der Musik entnommen, was ich für unglaublich halte. Fursy ist ein Genie, was sowas anbelangt!

Das nächste auffällige ist der Name des Albums, „.neon“. Ein reiner Kunstgriff oder im Albumkonzept verankertes Detail? Kannst du uns die Idee dahinter näher erläutern, falls nötig im Zusammenhang mit dem Textkonzept des Albums?
Der Titel rührt von einer der extremsten Derealisationserfahrungen, die ich bisher hatte – ich war abends unterwegs und war im totalen Delirium, bin umhergeirrt und wusste nicht wohin, wo ich war, was ich bin, warum und war einfach komplett desorientiert. Alles was ich wahrgenommen habe, war in mir drinnen und ein paar Neonlichter und Farben. Weil dieser Zustand das Konzept von „.neon“ sehr gut beschreibt, habe ich diesen Titel gewählt. Mit dem Punkt vor dem Titel, wollte ich etwas steriles mit in das Wort einbringen. Daher ist das Wort Neon auch kleingeschrieben. Das erinnert mich irgendwie an Daten, Computer und sowas, eben an das, wo es nur auf die Information und nicht die Form ankommt.

Und warum heißt der Titeltrack nicht auch „.neon“, sondern ganz „normal“ nur „Neon“?
Puh, das ist ’ne gute Frage. Um ehrlich zu sein müsste ich mir jetzt etwas aus dem Fingern saugen. Ich mache mir über sowas nicht wirklich Gedanken, sondern entscheide das eher aus dem Bauch heraus. Irgendetwas hat mich also dazu bewogen, den Track „Neon“ zu nennen. Was, kann ich Dir nicht sagen.

Hinter jedem Song steckt ja immer auch eine Geschichte… sei es nun direkt die, die der Text erzählt, oder eine zur Entstehung oder der Entwicklung des Stückes. Könntest du uns vielleicht an dieser Stelle das Album aus deiner Sicht etwas näherbringen? Sei es nun der jeweilige Text, der Entstehungsprozess oder die Rolle des Stückes im Gesamtkonzept, auf die du eingehst:

Minusmensch: Ein „negativer“ Mensch, sozusagen. Nicht im depressivem Sinne, sondern im poligen Sinne. Alle Menschen sind Plus-Menschen und in dem Fall gibt es einen Minusmenschen, der anders wahrnimmt. Es geht darum, auf anderem Boden zu gehen, als andere Menschen, sich surreal zu fühlen. Nicht im überlegenen Sinne, sondern im Sinne der Wahrnehmung.

These Nights Were Ours: Ausflucht Liebe

Pulse/Surreal: Das Wahnsinnige Gefühl empfinden, dass Körper und Geist zusammen funktionieren. Dass man mit Immateriellem Materielles steuern kann. Auch hier geht es um ein transreales Gefühl der Wahrnehmung, wie ich es schon beschrieben habe.

Neige de Mars: Transreale Wahrnehmung, Verlust

Coma: Ausflucht Drogen

Neon: Transformation der Wahrnehmung, Leere, Abschied

Wie Du siehst sind alle Songs eng mit dem Gesamtkonzept verknüpft und zielen alle auf das Selbe ab.

Langsam wird es Zeit, mal auf die Musik von „.neon“ zu sprechen zu kommen.
Könntest du als Einleitung hierzu vielleicht in einem Satz erklären, was der Hörer von „.neon“ erwarten darf und warum er im Laden genau nach dieser CD greifen sollte?

Puh, keine Ahnung, was der Hörer erwarten kann. Das ist eine schwere Frage. Was ich versucht habe, in das Album reinzustecken, habe ich nun mehrfach erklärt. Ich denke es ist ein sehr graues, negatives Album, das sich mit einer schwierigen Thematik beschäftigt. Ich denke auch, dass es sich dem Hörer nicht allzu schnell offenbart und dass es seine Anläufe braucht. Und warum jemand nach der CD greifen sollte? Vielleicht, weil sie es ihm ermöglichen könnte, Dinge aus einem anderen Blickwinkel zu sehen, weil sie einen in einen Rausch ziehen soll und weil sie, wenn man offen dafür ist, eine Erfahrung ist.

War das Debüt in meinen Ohren noch eindeutig als Black Metal zu bezeichen, bin ich mir bei „.neon“ diesbezüglich alles andere als sicher. Siehst du LANTLÔS noch als Black Metal-Band? Warum?
„.neon“ ist schon noch deutlich hörbar im Black Metal angesiedelt, was den Gesang und auch das Drumming anbelangt. Ich denke aber, dass das Riffing sich stark vom traditionellem Black Metal abhebt. Auch die Thematik und die Atmosphäre sind schon etwas anderes als im Black Metal. Mit Black Metal habe ich persönlich aber schon recht lange abgeschlossen, d.h. Ich höre kaum Neues, sondern nur eine handvoll Bands.
Wenn wir aber über die aktuellen, noch nicht aufgenommenen LANTLÔS Sachen sprechen, ist das mit dem Black Metal Einschlag in der Form auf jeden Fall vorbei.

Black Metal ist ja in der heutigen Zeit ein sehr dehnbarer Begriff geworden… längst bedarf es keines Satans und keiner invertieren Kreuze mehr, um als Black Metal-Band anerkannt zu werden.
Wie stehst du zu dieser Thematik, und wie definierst du selbst „Black Metal“?

Ich möchte nicht arrogant wirken, aber da hab ich keine Meinung zu. Wie gesagt, ich höre nur noch nebensächlich Black Metal und habe auch generell nie auf Burzum, Darkthrone, Mayhem etc gestanden. Die Sachen, die mir jetzt noch was geben sind eher atypisch und sehr speziell, daher: Keine Ahnung. Also, klar ich habe früher viel Black Metal gehört, aber ich habe da nie was definiert, sondern nur entnommen.

Ich persönlich habe auf dem Album (vor allem in „Pulse/Surreal) eine recht deutlich herauhörbare Post Rock-Attitüde ausmachen können. Hat dich Musik dieses Genres beeinflusst, und wenn ja, welche Post Rock-Bands lassen dein Herz höher schlagen?
Ich finde überhaupt nicht, dass der Song oder auch das ganze Album nach Post Rock klingt.
Post Rock ist etwas seliges, schönes und melancholisches und das steht mit meinen Erfahrungen, die sich auf „.neon“ niedergeschlagen haben nahezu im Kontrast. „.neon“ ist für mich ein durchweg negatives, graues und tristes Album. Viele scheinen aber einen Post Rock Einschlag ausmachen zu können. Ich meine, sicher sind da ein paar Leads, die typisch für Postrock sind. Aber das ist doch nur ein Detail bzw. Element – das ist meiner Meinung nach, wie als würde man sagen „Oh, da schreit wer hoch, na dann ist also auch nen Screamo Einschlag in der Musik“.
Trotzdem höre ich ein paar Post Rock Bands – Mono, Caspian, GIAA, Té, Gregor Samsa. Das sind so die Bands die ich für wirklich erwähnenswert halte. Beim Post Rock habe ich das Problem, dass einfach 99% der Bands identisch klingen und ich finde, dass diese Bands ganz gut die Vielfalt des Genres repräsentieren.

Damit geht meines Erachtens auch ein Wandel in der von der Musik transportierten Atmosphäre einher… war „Lantlôs“ noch sehr emotional und nicht zuletzt durch Alboins Gesang ein mitreißendes Album, hat „.neon“ meinem Empfinden nach wenig markante Höhepunkte… das Album wirkt auf mich glatter, geschlossener und weit weniger aufgewühlt als sein Vorgänger. War das deine Intention, oder siehst du das völlig anders?
Da gab es keine Intention oder dergleichen. Ich mache alles aus dem Bauch heraus. Ich denke einfach, dass wir/ich auf dem Debüt einfach wesentlich jünger waren und dass es mehr eine Art Selbstfindung als eine geschlossene Darstellung ist. Als ich den ersten Song für das Debüt geschrieben habe, war ich 16 oder 17 Jahre alt. Das ist nun schon eine ganze Zeit her. Und in den paar Jahren passiert auch eine ganze Menge, die einen prägt. So auch bei mir. Ich denke, ich weiss jetzt einfach besser, wie ich mich ausdrücken kann, bin also näher an das gekommen, was ich ausdrücken möchte. Ich finde, das ist auch schwer zu sagen, wenn man die Musik selbst geschrieben hat. Das Debüt hat für mich eher einen nostalgischen Wert, mit dem ich viele Erfahrungen verbinde, die ich in der Zeit gemacht habe. „.neon“ ist für mich eher ein richtiges Album, auf das ich zurückblicke und dem eine Stimmung entnehmen kann, die sich auf alles niedergeschlagen hat.

Du hast mit LANTLÔS nun zwei Alben veröffentlicht, die zwar charakteristische Merkmale enthalten, jedoch zumindest in meinen Augen grundverschieden sind – wenn man deine Andeutung von vorher richtig versteht, wirst du diesen Trend beibehalten?
Ich möchte nicht zu viel zum dritten Album sagen, aber es ist ein extrem negatives Album, das sich sozusagen von Dir ernährt. Die Songs sind sehr lang und strukturlos. Die Atmosphäre würde ich als surreal und nihilistisch, fast kosmisch beschreiben. Ein sehr sperriges, hypnotisches Album, das sicher vielen Leuten, die das Debüt und „.neon“ gemocht haben vor den Kopf stossen wird, weil es wirklich anders ist und zudem eine sehr merkwürdige und unangenehme, hässliche Atmosphäre vermittelt. Für uns ist es aber das intensivste, abstrakteste und persönlichste Album, das wir bisher gemacht haben.

Ok, ich bin gespannt…
Wie geht es ansonsten jetzt weiter mit LANTLÔS? Hast du konkrete Pläne, was die Zukunft angeht?

Wie gesagt, Neige und ich gehen im Juli ins Studio und planen auch Live zu spielen. Ansonsten gibt es nichts Festes oder so, das ich mir vorgenommen hätte.

Mich interessiert immer auch der Mensch hinter der Musik… insofern meine letzte Frage, so dir das nicht zu persönlich ist: Was machst du beruflich und womit verbringst du am liebsten deinen Feierabend oder das Wochenende?
Ich arbeite in der Musikbranche. Am Wochenende und Feierabend spiele ich viel Gitarre, höre viel Musik und trinke gerne. Ich versuche auch so oft es geht unter Leute zu kommen, was mir durch die hier gegebene Verkehrsstruktur leider oft verwehrt bleibt.

Gut, dann wäre ich soweit durch und würde das Interview gerne an dieser Stelle mit dem traditionellen Metal1.info-Brainstorming beenden, heute mal in der Namens-Edition.Was fällt dir spontan ein zu: (googlen erlaubt ;))

Joachim Gauck: kenne ich nicht
Steve Jobs: kenne ich nicht
Tony Hayward: kenne ich nicht
Angela Merkel: Politik
Clint Eastwood: Westernkacke
Ronnie James Dio: ist neulich gestorben.

Ich bedanke mich recht herzlich für deine Zeit und die Antworten – wenn du noch etwas loswerden willst, hast du nun hier die Gelegenheit dazu:
Vielen Dank für Deine Mühen und tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe, um das Interview zu beantworten.

Kein Problem, dafür sind die Antworten ja auch wirklich informativ ausgefallen!
Ich bedanke mich für das Gespräch!
Redakteur: Moritz Grütz

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