Nach einer fast zehnjährigen Pause melden sich Lagwagon mit ihrem neuen Album „Hang“ zurück. Metal 1 hat Frontmann und Sänger Joey Cape zum Interview gebeten. Dieser erwies sich als äußerst redseliger Gesprächspartner und gab viele Details aus dem Innenleben der Band bekannt: Interessantes über die letzten Jahre, wie man als Band fast 30 Jahre zusammenbleibt und was seine Tochter zum Album beigetragen hat.
Hey Joey. „Hang“ ist jetzt seit ein paar Monaten draußen. Wie ist das Album denn bisher von den Fans und den Medien aufgenommen worden?
Sehr gut, es fühlt sich super an. Ich bin sehr zufrieden mit der Rezeption des Albums – wir haben sehr hart und sehr lange daran gearbeitet.
Seit dem Release von „Resolve“ sind neun Jahre vergangen. Warum hat es so lange gedauert, bis ihr ein neues Album fertig gestellt habt? Hattet ihr euch zwischenzeitlich aufgelöst?
Nein, wir hatten uns in der Zeit zwischen „Resolve“ und „Hang“ nie aufgelöst, waren immer am Arbeiten. Ich glaube, dass wir uns zwischenzeitlich nicht über unsere Identität als Band im Klaren waren. Ich kann nicht mal Songs schreiben, wenn ich keinen tieferen Sinn dahinter sehe. Den Sinn zu sehen kann wiederum schwer sein, denn wir entwickeln uns alle und verändern uns, ebenso wie die Bandmitglieder kommen und gehen. Es gibt immer einen Tag, wo es dann einfach „klick“ macht und man loslegen kann. Manchmal dauert es eben neun Jahre. (lacht) Aber das ist es wert. Mir ist es lieber, ein inspirierendes Album zu schreiben, als mir über verlorene Zeit Gedanken zu machen.
Haben Familienplanung und ähnliche Dinge dabei eine Rolle gespielt?
Vielleicht, aber das ist eigentlich kein Faktor, der mich beim Schreiben aufhält. Lagwagon hat schon viele Alben veröffentlicht und ich habe noch mehr Songs geschrieben. Ich wusste, dass, sollte ich noch ein weiteres Album schreiben, ich wollen würde, dass es sich eher wie ein Konzeptalbum anfühlen soll als als eine Reihe von Liedern, die aneinandergereiht wurden, damit die Leute sie sich anhören können. Meine Tochter hat eine Rolle bei den Texten gespielt: „Hang“ ist eine Beobachtung der Welt, in der sie aufwächst. Sie ist voller Spannungen und besorgniserregenden Dingen.
Im Mai 2011 hast du ein Solo-Album mit deiner Band Bridge veröffentlicht. Was war der Grund dafür, ein Solo-Album aufzunehmen und inwiefern ist es dort schwieriger beziehungsweise einfacher, ein Album zusammenzustellen?
Ich habe jetzt schon ein paar Solo-Alben geschrieben. Am Anfang war es eine Art des Erwachsenwerdens, etwas, das alle Songschreiber tun müssen, um ernst genommen zu werden. Irgendso einen Scheiß halt. (lacht) Aber ja, ich mache solche Alben, weil alle Songs, die ich schreibe, so beginnen und ich es cool finde, sie in einer so simplen, puren Form zu hören. Als Kind war ich ein großer Folk-Fan, der Beatles, Elton John und Simon & Garfunkel. Später habe ich beispielsweise Elliot Smith gehört. Die Musik hat eine spezielle Dynamik, Tiefe und Energie, die nur erreicht werden kann, wenn man Schlagzeug und verzerrte Gitarren weglässt. Aber ich denke, ich werde immer auch meinen Metal, Hardcore und Punk brauchen. Es ist großartig, diese Dynamik im Leben zu haben und wertschätzen zu können.
Wann habt ihr die Entscheidung getroffen, ein neues Album zu schreiben und wie lange hat es letztendlich gedauert, alle Songs für „Hang“ fertigzuschreiben? Oder habt ihr sie eh über eine längere Zeitspanne geschrieben und 2014 einfach alles zusammengefügt?
Bis 2012 waren nur zwei Songs geschrieben, den Großteil des Rests haben wir dann in einer circa zweijährigen Zeitspanne geschrieben und aufgenommen. Wir haben Monate damit verbracht, Live-Aufnahmen zu machen, bis wir das Gefühl hatten, dass alle Lieder so waren, wie wir sie haben wollten. Wir haben dabei mehr als je zuvor als Band zusammengearbeitet. Als wir die Live-Demos fertig hatten, habe ich drei 14-Stunden-Tage hintereinander damit verbracht, jeden Akkord auf Papier zu bringen, sodass wir das Livegefühl beibehalten konnten, aber die Möglichkeit hatten, etwas zu verändern. Die Ironie ist, dass als wir ins Studio gegangen sind, um die Tonspuren aufzunehmen, alles vollkommen reibungslos funktioniert hat und wir nichts mehr editieren mussten. Heutzutage sind so viele Alben einfach überproduziert und verlieren dadurch viel Lebendigkeit. Vorgegebene Tempi und bearbeitete Vocals überschwemmen die Musikszene – da fehlt die Wertschätzung für eine echte Performance. Ich fand es toll zu sehen, wie der Prozess, dem wir gefolgt sind, den Sound von „Hang“ geprägt hat. Es ist wahrlich die klangliche Repräsentation davon, wie sich die Band zur Zeit anfühlt. Darauf bin ich sehr stolz. Wir haben uns als Band darauf geeinigt, Musik nie mehr anders aufzunehmen.
Wie seid ihr diesmal beim Songwriting vorgegangen?
Ich habe wie immer sehr viel selber geschrieben, aber diesmal früher als je zuvor. Ich habe darauf geachtet, die Arrangements nicht ganz fertigzustellen und versucht, Ideen bereitzuhalten, wie sie sich weiter entwickeln sollten. Als Band haben wir sie dann gemeinsam auseinandergenommen und jetzt habe ich das Gefühl, erfahrene Bandmitstreiter zu haben, die viel Einfluss auf die Songs genommen haben. Ein Lied wurde sogar von vorne bis hinten komplett während der Proben geschrieben: „The Cog In The Machine“. Das Album hört sich für mich anders an als frühere, aber ich denke, es repräsentiert uns perfekt als die Band, die wir momentan sind.
Mit den Lyrics war das so eine Sache: Ich habe zwei Jahre damit zugebracht, meine „Bitterer-alter- Mann“-Texte zu schreiben. (lacht) Es war schwierig. Es gab viel zu sagen und ich musste entscheiden, welche Texte ich auf die Platte bringen würde. Es war mir sehr wichtig, ein wiederkehrendes Hauptthema und Ideen zu haben, die immer wieder darauf zurückgehen. Empathie und die Gefahr ihres Verlusts ist wahrscheinlich das Hauptthema von „Hang“.
Habt ihr mal darüber nachgedacht, etwas an eurer Musik zu ändern? Oder anders gefragt, langweilst du dich inzwischen manchmal, wenn du Punk hörst?
Klar denk ich darüber nach, etwas zu ändern – und tue es dann einfach. (lacht) Nein, ernsthaft, ich folge da keiner bestimmten Mentalität. Alles, was man in irgendeiner Art und Weise kreiert, sollte natürlich rüberkommen. Ansonsten wirkt es gekünstelt und berechnend. Es mag etwas idealistisch klingen, aber ich denke, viele Leute sind in der Lage, etwas, das mit Überzeugung gemacht wurde, zu erkennen und reagieren dann auch begeisterter. Der Rest ist Fast Food: Schlecht für dich und für uns. (lacht) Nein, es stimmt wirklich.
Was ist deiner Meinung nach das wichtigste, wenn man als Band so lange zusammenbleiben möchte wie ihr es getan habt?
Geduld, Empathie und Toleranz. Es ist wie in einer Familie. Du musst in der Lage sein, dich mit den anderen zu identifizieren und kannst nicht immer sofort Lösungen erwarten. Es wird Zeiten geben, wo es sich anfühlt, es säßt du im falschen Boot, aber das Boot wird durch Vertrauen stärker. Dadurch werden die Eigenarten der Bandmitglieder immer einfacher zu tolerieren. In vielen Bands brechen die Beziehungen durch Kleinigkeiten auseinander. Viele Menschen sind einfach nicht bereit, zu akzeptieren, dass es auch mal schwere Zeiten gibt und dass man da durch muss. In Wirklichkeit ist es die Arbeit aber wert, denn am Ende werden sich alle wie blind vertrauen und die Chemie in der Band wird stimmen – das ist etwas, was du nicht einfach herbeizaubern kannst. Das braucht Zeit.
Wie fast alle eurer vorigen Alben besteht der Albumtitel nur aus einem Wort: „Hang“. Ich nehme mal an, dass das Wort und die Schlinge auf dem Cover nicht einfach nur für „Selbstmord“ stehen, sondern dass es mehrdeutig ist. Kannst du es erklären?
Ich hab über den Titel „Hang“ ziemlich lange nachgedacht. Ich denke, es ist ein sehr ausdrucksstarkes Wort, das verschiedene Bedeutungen und Konnotationen hat. Das Bild auf dem Albumcover kam mir eines Tages in den Sinn. Ich habe eine Schwäche für die Kultur des Westens – und die Bienen sind natürlich das beste Beispiel für die Vernichtung der Umwelt durch den Menschen, durch uns. Es ist ziemlich barbarisch, wie wir miteinander und dem Planeten umgehen. Ich glaube, das Label und die Jungs in der Band haben mich ein wenig für verrückt gehalten. Vermutlich zu Recht. (lacht)
Aber klar, ich hab das Bild von einer Freundin in Montana schießen lassen. Sie hat nicht mit der Wimper gezuckt, als ich mit der Idee zu ihr gekommen bin. Sie wusste, wo sie eine Schlinge kaufen konnte und hatte Freunde mit einer Bienenfarm. Wie ein Wunder. Drei Tage später hab ich das Foto erhalten. Das auf dem Cover ist eine raw file. Nicht mit Fotoshop oder sonstwie bearbeitet. Es ist noch ausdrucksstärker rausgekommen, als ich angenommen hatte. Es ist provokativ und wenn es etwas gibt, was ich für das Cover wollte, dann war es das.
Kannst du nochmal genauer auf das Konzept des Albums eingehen?
Genau gesagt geht es darum, dass wir ein Problem damit haben, Verantwortung für unsere Taten zu übernehmen. In mancher Hinsicht begehen wir Selbstmord. Die Songs und die Texte sind ein Rant meinerseits über die Dinge, die uns unterschwellig Angst verursachen. So machen wir das.
2012 ist Tony Sly sehr plötzlich und unerwartet gestorben, unter ungeklärten Umständen. Gibt es auf „Hang“ ein Tribut oder eine Hommage auf ihn?
Ja, und zwar „One More Song“. Tony hatte in einem Hotel, in dem wir zusammen gewohnt haben, an einem Song gearbeitet. Das war auf seiner letzten Tour, in der Woche, bevor er gestorben ist. Ich beziehe mich auf diesen Song, in tiefer Trauer und Bedauern. Ja, ich habe ihn gehört, doch er wird ihn nie wieder zu hören bekommen. „One More Song“ war ein Ausruf, der am Ende von Tonys Song „Liver Let Die“ zu hören war. Es hat für mich Sinn ergeben, es so zu verpacken, dass „One More Song“ gemeint haben könnte, dass ich einen oder mehrere Tage mehr Zeit gehabt hätte, ihn zu sehen oder mit ihm zu reden.
Tony verloren zu haben ist eins der Dinge in meinem Leben, die Worte nicht beschreiben können. Ich finde keine Erleichterung darin, über diese Dinge zu schreiben. Ich muss es einfach tun.
Heutzutage gibt es viele Bands, die nicht mal mehr CDs veröffentlichen, sondern nur digitale Versionen ihrer Alben, vielleicht auch Vinyls oder Tapes. Habt ihr das Album auch in Vinyl oder auf Kassette veröffentlicht und wie siehst du die ganze „Retro“-Bewegung?
Vinyl. Ich bin Sammler. Ich denke, eine Vinyl zu besitzen ist und war immer romantischer und viel erfüllender als eine CD zu kaufen. CDs sind einfach nur ein Datenträger, um Digitales auf ein Gerät zu packen. Viele junge Leute kümmern sich nicht darum. Viele junge Leute kennen CDs nicht mal mehr. Meine zehn Jahre alte Tochter und ihre Freunde streamen alles. Wenn sie es nicht finden, ist es ihnen egal. Es muss immer sofort verfügbar sein. Das zerbricht mir ein bisschen das Herz, aber ich kann es verstehen. Wir haben in unserem Haus einen ganzen Raum, in dem nur Vinyls stehen. Ich kaufe meine Tochter jede Schallplatte, die ich kriegen kann. Manchmal hört sie sie auch tatsächlich, aber es könnte auch sein, dass das alles gar keinen Sinn hat (lacht).
So ist es, aber so lange ich dabei bin, werde ich immer Vinyl produzieren, weil ich es liebe und weil ich Leute liebe, die Vinyl lieben. Gemasterte Vinyls laufen in 24 Bit. Sie sind immun zu dem „Soundaufrüsten“. Sie sind dafür gemacht, weniger hell und leiser zu klingen als viele heutige digitale Aufnahmen. Daher hat es eine tiefgängigere Dynamik und klingt wärmer. Es klingt großartig.
Ich habe ein „Digital-Only-Session“-Label, das „One Week Records“ heißt. Es steht im Vertrag, dass der Künstler von sich aus Schallplatten produzieren kann, mit wem er will. Seine einzige Pflicht ist, dass wir eine Kopie davon bekommen müssen. Schon ein bisschen witzig, aber das soll Künstler dazu inspirieren, Vinyls aufzunehmen. Ich habe einen Freund, der immer noch Musikkassetten herstellt. Ich hab für mein Soloprojekt ein paar Kassetten mit ihm hergestellt. Ich würde liebend gerne auch „Hang“ in diesem Format sehen.
Glaubst du, dass es für neue Bands schwieriger geworden ist, sich zu etablieren?
Ja, ich denke tatsächlich, dass es schwieriger geworden ist, gesehen oder gehört zu werden. Es ist zwar einfacher geworden, Sachen zu veröffentlichen mit den ganzen Netzwerken, aber es ist auch eine Welt, in der jeder irgendetwas produzieren und veröffentlichen kann. Das hat ein bisschen die Auslese, die es früher gab, herausgenommen. Es stimmt schon, dass Elitismus in der Kunst weit verbreitet ist, ebenso wie die Tatsache, dass Leute dadurch bekannt werden, dass sie außergewöhnlich sind. Es ist trotzdem schwerer, in der Musikwelt gesehen zu werden. Die Dinge, die um die Welt gehen, tun das eher wegen gutem Marketing als wegen ihres musikalischen Wertes.
Ich denke, es gibt eine Menge außergewöhnlicher Musik da draußen und dass durch die Digitalisierung der Medien Bands gezwungen werden, mehr zu touren, um ihre Musik zu unterstützen. Das Ergebnis ist ein harter Wettkampf und eine sehr Wettkampf-orientierte Musikszene. Vielleicht müssen Bands in der Zukunft wieder aus guten Musikern bestehen. (lacht)
Viele Fans in Europa sind sehr gespannt darauf, euch wieder live zu sehen. Wie ist die Erwartungshaltung bei euch?
Genauso: Wir können es nicht erwarten.
2016 wird es wieder Präsidentenwahlen in Amerika geben. Was sind deine Erwartungen und seid ihr als Band eigentlich auch politisch aktiv?
Die Ewartungen sind auf einem Allzeit-Tief. Ich denke, Politik charakterisiert sich durch Kompromisse und das Finden eines kleinsten gemeinsamen Nenners. Es müssen sich so viele Dinge ändern, ich weiß kaum, wo ich anfangen soll. Ich hab es satt, für das geringere Übel zu stimmen, um ehrlich zu sein.
Alles klar, zum Abschluss würde ich gerne ein kleines Brainstorming mit dir machen: Ich nenne dir einfach ein paar Begriffe und du sagst mir, was dir als erstes dazu in den Sinn kommt:
Grexit: Schwer, dazu was zu sagen. Viel Glück.
Vladimir Putin: Milosevic
Orange County: Ausgeglichen: Jugendliche und Nachfahren
Der nächste US-Präsident: Hillary Clinton, bla, bla, bla
TTIP: Klar, wir sind am Arsch.
Metal1.info: Manowar