Interview mit Toby Driver von Kayo Dot

Read the English version

Mit ihrem aktuellen Album „Blasphemy“ haben Toby Driver und seine Mitmusiker einmal mehr anschaulich vorgeführt, dass es schlichtweg unmöglich ist, KAYO DOT in eine musikalische Schublade zu stecken. Warum Genres für Driver schon längst ihre Bedeutung verloren haben, weshalb man seine Musik auch als „versteckten Prog“ bezeichnen könnte und mit welchem vielen Fans gar nicht bewussten Risikofaktor die Band bei der Organisation ihrer letzten Tour zu kämpfen hatte, hat uns der Kopf der Band im folgenden Interview verraten.

Eure Musik wird mit einer Unzahl verschiedenster Genres assoziiert. Wie denkst du über diese Versuche, euch zu kategorisieren?
Ich glaube, die Leute nutzen Genres als Beschreibung, wenn sie nicht wissen, was sie sonst noch sagen sollen. Aber ich glaube, dass sich im Jahr 2020 jeder geübte Hörer weit darüber hinaus entwickelt hat, auf diese Weise über Musik nachzudenken. Wir alle haben Zugang zu einem unendlichen Angebot an Musik aus allen Ecken der Welt und das wird jeden Musiker in Zukunft immer mehr beeinflussen, also können wir jetzt alle den Versuch aufgeben, an Genre-Ideen festzuhalten, bevor wir uns zum Narren machen.

Jedenfalls verarbeitet ihr in eurer Musik unzählige unterschiedliche Stilelemente. Gibt es demgegenüber auch Genres, die du nie anfassen würdest?
Ich weiß nicht, was ist schon ein Genre im Jahr 2020? Scheint bedeutungslos zu sein. Aber wie auch immer, ein Beispiel – ich hasse den Klang von Reggae absolut, aber ich liebe den Klang einer Steeldrum – ein Instrument, das ziemlich exklusiv für Reggae ist. Wenn ich also eine Steeldrum in meiner Musik benutze, bedeutet das, dass ich Reggae mache? Ich meine, das ist doch nur ein dummer Gedankengang.

Du machst schon sehr lange Musik und bist in zahlreichen Projekten involviert. Was kommt dir in den Sinn, wenn du auf deine künstlerische Laufbahn zurückblickst?
Ich sehe jedes Album als eine eigene kleine Welt, mit eigenen Merkmalen und einer Identität, und mein Werk ist wie eine große Karte eines Universums. Sie sind Markierungen von Ort und Zeit und somit wahre Portale. Wenn ich auf meine künstlerische Karriere zurückblicke, würde ich sagen, dass es noch zu früh ist, um Antworten zu geben. Ich kann weder das Ende noch die Bedeutung vorhersehen und habe noch einen langen Weg vor mir… solange ich überleben kann.

Ihr habt kürzlich eine Art Online-Spendenaktion ins Leben gerufen, weil sich eure Live-Shows anderweitig nicht mehr gut finanzieren ließen. Woran liegt das deiner Einschätzung nach?
Du sprichst von unserer Tournee im Herbst 2019 in den USA und Kanada. Der Grund dafür war, dass der Booking-Agent, den wir für diese spezielle Tournee eingesetzt haben, keine Ahnung hatte, was er da tat, er war ein kompletter Amateur, der sich als Profi ausgab, er wartete zu lange, um mit seiner Arbeit zu beginnen, und am Ende buchte er einige wirklich beschissene Situationen. Die Band gerät also in eine Situation, in der wir entweder 1) die Tournee ablehnen und die Termine absagen, aber dann haben wir keine Tourdaten, die das Erscheinungsdatum des Albums umgeben, sodass wir diesen Schwung völlig verlieren, oder 2) die Tournee trotzdem machen und hoffen, dass sie besser als erwartet verläuft, obwohl sie das wahrscheinlich nicht wird. Wir verlieren so oder so. Solche Dinge sind genau der Grund, warum Bands bei Booking-Agenten SO WÜTEND werden – weil man ihnen Vertrauen schenkt und sie dann im Grunde genommen die Macht haben, dich in eine Lose-Lose-Situation zu bringen, wenn sie am Ende einfach nur beschissen oder faul in ihrem Job sind. Niemand sollte als Booking-Agent tätig sein, wenn er nicht verstehen kann, wie sehr sich seine Künstler auf ihn verlassen. Unnötig zu sagen, dass wir nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten.

So unermüdlich, wie du neue Musik kreierst und veröffentlichst, könnte man meinen, dass es bei dir nie zu einem kreativen Engpass kommt. Gehen dir tatsächlich nie die Ideen aus?
Ganz und gar nicht. Aber ich habe viele Momente, in denen mir die Ressourcen ausgehen, und diese Momente sind ziemlich hinderlich. Wenn mir jemals jemand eine riesige Summe geben würde, könnte ich sie wunderbar und in nie dagewesener Weise in der Kunst nutzen.

Stellt es dich mitunter auch vor technische Herausforderungen, immer wieder Neues auszuprobieren, anstatt einfach nur nach einem bestimmten Schema vorzugehen?
Ja, immer. Aber das ist irgendwie der Sinn. Ich möchte sichergehen, dass jede nächste Sache, die ich tue, eine Herausforderung ist, durch die ich etwas lernen und ein besserer Künstler werden kann. Wenn ich etwas schaffe und es mir zu einfach erscheint, dann kommt es mir nicht wie ein gutes Kunstwerk vor.

Eure Songs unterscheiden sich sehr deutlich voneinander, sodass man sie durchaus als unvorhersehbar bezeichnen kann. Was ist deiner Ansicht nach der rote Faden, der sie miteinander verbindet?
Der rote Faden bin ich selbst und meine gleichzeitige Suche nach und Verweigerung von Identität.

Ein Album wird üblicherweise als Einheit angesehen, die idealerweise kohärent sein sollte. Wie verhindert man deiner Meinung nach, dass eklektisches Songwriting wie eures in einem einzigen Chaos resultiert?
Einheitliche Produktion. Verwende bei jedem Song die gleichen Instrumente, nutze die gleichen Aufnahmetechniken, setze die gleichen Musiker ein.

Kommen wir auf eure aktuelle Platte zu sprechen: „Blasphemy“. Neue Alben werden von Seiten der Label und Kritiker ja oft sehr blumig umschrieben und das nicht immer dem Selbstbild der Künstler entsprechend. Wie würdest daher du selbst euer neues Album kurz umschreiben?
Es ist ein politisches Album, das in eine allegorische Sci-Fi-/Fantasiegeschichte verpackt ist. So ähnlich wie Frank Herberts „Dune“. Es hat eine relativ geradlinige Songwriting-Struktur, drückt ein fröhliches Live-Rock’n’Roll-Gefühl aus, versucht, etwas von der Energie von Bands wie Iron Maiden einzufangen, mehr als von melancholischen Goth-Bands, obwohl das Goth-Ding immer noch ein bisschen mit dabei ist. All diese Elemente sind eine neue Sache, die wir auf diesem Album ausprobiert haben. Die kompositorischen Schmuckstücke hier drin das Resultat der Art und Weise, wie ich versucht habe, ausgefeilte Harmonie und Modulation zu verwenden, ohne dass es für den Hörer zu offensichtlich ist. „Versteckter Prog“ könnte man es nennen. Es ist auch ein Metal-Album, das ohne die tiefe Gitarrensaite geschrieben wurde, was ich als eine clevere und lustige Herausforderung empfand, und als einen expliziten Weg jeder langweiligen und unoriginellen Metal-Band da draußen eine lange Nase zu zeigen.

Euer Label beschreibt das Album als direkter und weniger eskapistisch als eure bisherigen Veröffentlichungen. Siehst du das auch so?
Sicher, wie ich gerade in der vorherigen Antwort gesagt habe. Es ist auch insofern „nicht eskapistisch“, als es wirklich um unsere Welt geht, unseren gegenwärtigen Zustand, es gibt hier keinen Wunsch, von all dem weggetragen zu werden, sondern eher den Wunsch, sich damit auseinanderzusetzen.

Du bist bei euch in KAYO DOT die treibende Kraft. Wie viel Einfluss haben hingegen die anderen an „Blasphemy“ beteiligten Musiker auf die Platte genommen?
Jedes meiner Alben ist mit Blick auf meine spezifischen Bandmitglieder komponiert. Ich versuche immer, das, was sie besonders gut können, bestmöglich zu nutzen und es so klingen zu lassen, als sei die Musik speziell für sie geschrieben worden. Das gilt auch für den Produzenten und das Aufnahmestudio – ich wusste, dass ich zum Beispiel ein weiteres Album mit Randall Dunn machen wollte, also schrieb ich die Musik so, dass sie zu seinem Stil passt. Unser vorheriges Album „Plastic House On Base Of Sky“ zum Beispiel hätte nie als Randall-Album funktioniert.

Meines Wissens handelt es sich bei „Blasphemy“ um ein Konzeptalbum mit allegorischen Figuren. Geht es dabei, wie der Titel nahelegt, um Religionskritik oder zielt ihr dabei auf andere Themen ab?
Blasphemie bedeutet in Wirklichkeit, ein Gegner einer Institution zu sein, nicht wahr? Blasphemie ist eigentlich gar keine Blasphemie.

Denkst du, dass eure Hörer der Geschichte bewusst folgen und sich mit den darin verarbeiteten Themen auseinandersetzen oder geht es den meisten nur um die Musik?
Ja, ich denke, unsere langjährigen Hörer tun das auf jeden Fall, weil sie wissen, dass der lyrische Inhalt von KAYO DOT immer entscheidend ist. Was neue Hörer betrifft, habe ich keine Ahnung. Aber ich hoffe, dass sie auf diese Dinge achten. Wir haben den Gesang auf diesem Album speziell so produziert, dass er sehr klar ist und nicht zu sehr vom Hall verdeckt wird, damit die Leute gezwungen sind, darauf zu achten.

Welchen Track auf „Blasphemy“ würdest du als die Klimax der Geschichte bezeichnen?
Track 6, „Midnight Mystic Rise And Fall“.

Ist die Handlung der Platte mit dem zum Schluss platzierten „Blasphemy: A Prophecy“ komplett abgeschlossen oder steht womöglich sogar die Option einer direkten Fortsetzung im Raum?
Jason Byron ist bereits fast fertig mit einer Fortsetzung des Buches, und ich glaube, wir werden noch in diesem Jahr ein Split-Album mit etwas mehr von der Geschichte veröffentlichen, weil es sich im selben Albumzyklus befindet. Aber es wird kein weiteres Album in voller Länge als Fortsetzung geben – KAYO DOT ist nicht dafür bekannt, so viel Zeit nur einem Thema zu widmen.

Was ist sonst als Nächstes für KAYO DOT geplant?
Siehe meine vorherige Antwort. (lacht) Ich hatte gehofft, dass wir für „Blasphemy“ lange auf Welttournee gehen könnten, aber es war unmöglich, einen guten Booking-Agent zu finden und ich bin einfach nicht daran interessiert, eine DIY-Tournee zu machen. Mir ist klar, dass es sich in diesem Interview so anhört, als hätte ich eine Menge Probleme mit Booking-Agents, und ich finde das lustig und auch zutreffend. Es gibt viele Leute in dieser Branche, die nicht in der Lage sind, einen guten Job zu machen. Ich bin jetzt alt und erfahren genug, um das erkennen zu können.

Auf Metal1.info beenden wir unsere Interviews üblicherweise mit einem kurzen Brainstorming. Was fällt dir zu den folgenden Begriffen ein?
Musikstreaming: Die primäre Art des Musikhörens heutzutage.
Burnout: Passiert andauernd.
Avantgarde: Scheiß auf die Avantgarde.
Mainstream: Kontrolliert von einer kleinen Anzahl von Leuten in großen Medienunternehmen und eigentlich viel flexibler als die meisten Leute denken, wenn wir nur die Leute mit beschissenem Geschmack ersetzen könnten, die die Kontrolle haben.
Coldplay‘s Tour-Stopp: Ich denke nie über Coldplay nach.
Perfektionismus: Hindert einen daran, jemals etwas zu vollenden.

Nochmals ein großes Dankeschön für deine Antworten. Gibt es noch ein paar abschließende Worte, die du gerne an die Leser richten würdest?
Vielen Dank, dass ihr über unsere Musik gelesen habt, und ich hoffe, ihr könnt sie euch anhören!

Publiziert am von Stephan Rajchl

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert