Interview mit Noise Records

Lass uns ganz am Anfang beginnen: Wie kamst du überhaupt darauf, ein Label ins Leben zu rufen, sprich wie kam es 1981 zur Gründung der Modern Music Records GmbH? Was waren deine Beweggründe?
Ich hatte 1980/81 etwa ein Jahr lang im Rahmen eines Kreuzberger Kollektivs den Punk Club KZ36 geführt, in dem einmal monatlich drei bis vier lokale und überregionale Punkbands zum Selbstkostenpreis (drei Mark Eintritt, niedrige Getränkepreise) spielten. Der Laden war im tiefsten Anarcho-Kreuzberg in der Waldemarstraße 33 im letzten Hinterhof im EG und war von uns besetzt und umfunktioniert worden. All die Bands, die dort spielten, hatten keinen Plattenvertrag. Die erste Platte, die ich überhaupt produzierte, war der KZ-36-Sampler mit Katapult, Ätztussis etc. Heute eine ziemliche Vinyl-Rarität. Als ich dann im SO36 eine Konzertsaison organisierte, habe ich all diese Punkbands, die ich ja persönlich kannte, gebeten, Songs für meinen ersten Modern-Music/AGR-Sampler namens „Soundtracks zum Untergang“ beizusteuern. Da waren dann Bands wie Slime oder ZK, der Vorläufer der Toten Hosen schon mit Campino als Sänger, und auch die Böhsen Onkelz dabei.

1984 etablierte sich NOISE RECORDS, das sich dem Metal widmete. Warum der stilistische Umschwung? Was waren deine ersten Berührungspunkte mit dem Genre?
Ich war von ’79 an leidenschaftlicher Plattensammler und habe insbesondere Punk-7“s gesammelt. Da kam ab ’80 sehr viel aus den Staaten rüber. Ich mochte die etwas metallischer klingenden Punkbands und mein Favorit waren Black Flag, mit denen ich zwei Touren machte und diverse Platten veröffentlichte. Der Gitarrist und Songwriter von Black Flag, Greg Ginn, stand auf Metal und hat mich angefixt, sogar zu kombinierten Punk-/Metal-Shows in Los Angeles eingeladen. Beim Stöbern im TOWER-Records-Laden in L.A. stieß ich schließlich auf die Thrash-Welle: Slayer, Metallica, Metal Blade.
Durch den Neue-Deutsche-Welle-Hype fingen die Punk-Verkäufe an, zurückzugehen und es war logisch für mich, dass Metal der nächste Schritt für mich war. Thrash hatte in der Anfangsphase viel vom Punk. Das verstand ich.

kreator - Love Us Or Hate Us (The Very Best Of The Noise Years 1985 – 1992)Nachdem ihr anfänglich eigentlich nur Thrash-Bands im Roster hattet, nahmt ihr später auch Bands wie Helloween, Rage oder Running Wild unter Vertrag. Wie kam es zu dieser stilistischen Öffnung? War das eine natürliche oder eine wirtschaftlich bedingte Entwicklung?
Als ich mit NOISE anfing, hatte ich keinen blassen Schimmer von Metal. Die Thrash-Explosion faszinierte mich. Aber hier in Deutschland herrschte totale Leere. Da waren wenig Bands, die man ernst nehmen konnte. Ich nahm letztlich Kreator und Tankard unter Vertrag, Steamhammer dann Sodom und Destruction. Und es gab da noch Warlock. Zwei Bands zum Labelaufbau ist etwas dürftig. Folglich musste ich mich mit weiteren Metal-Strömungen beschäftigen.

Wie kamst du mit Megaforce Records in Kontakt, mit denen ihr eine Weile zusammengearbeitet habt?
Ich hab den Kontakt gesucht, weil ich ja Metal veröffentlichen wollte und hier nicht viel Brauchbares zu finden war. Also brauchte ich Lizenzprodukte. Von Metal Blade habe ich Bitch lizensiert, eine Metal-Massacre-Compilation und eine von Megaforce Overkill. Im Gegenzug haben die dann dasselbe mit Hellhammer und Grave Digger gemacht. Die waren wohl in einer ähnlichen Zwangssituation wie ich.

Wie kam es zu dem Deal mit EMI und warum ging der so schnell wieder in die Brüche? Welche Folgen hatte das für NOISE RECORDS?
Erfolg produziert Gier und bringt die Geier ins Spiel. Das Iron-Maiden-Management, nach einer Pleite in den USA beim vergeblichen Versuch, WASP und Iron Maiden dort in Stadiongröße durchzusetzen, brauchte neue Einnahmequellen und hatte sich Helloween und Exodus ausgesucht. Da aber die Band schon lange in einem Netzwerk von Verträgen eingebunden war, musste dieses zerstört werden. Als erstes hat man den persönlichen Manager Limb Schnoor eliminiert und sich dann gegen NOISE gerichtet. Die Arroganz dieser englischen Manager war wirklich verblüffend. Sie dachten daran, den Gerichtsstand nach England zu ziehen, das hätte das Prozessieren extrem teuer für mich gemacht. Außerdem schickten sie uns englische Buchprüfer ins Haus, die Erfolgsboni bekamen. Die deutschen Gerichte haben aber unsere Position gestützt. Gerichtsstand blieb Berlin, die Prüfer wurden abgelehnt und durch deutsche ersetzt, der Band wurde das Touren und Aufnehmen untersagt. Innerhalb von sechs Monaten hatten wir die Schlacht für uns entschieden. Ein Vergleich war erst nach weiteren Niederlagen vor dem Amtsgericht und Landgericht, nach zwei Jahren, möglich – die waren stur. Die wollten uns über den Kostendruck kaputtmachen. Die Prozesse kosteten uns letztlich 750 000 Mark und ließen eine ausgelaugte und kaputte Band zurück. Diese Schattenband machte darüber hinaus unter der Regie von Weikath eine musikalische Wende hin zum Pop-Metal und die Verkaufszahlen stürzten bei den Flops „Pink Bubble…“ und „Chaemelon“ in den Keller.

In den 90ern habt ihr sowohl T&T Records als auch Hellhound Records als Sublabel an NOISE angeschlossen. War das interessengesteuert oder musstet ihr euch als Label einfach breiter aufstellen, um zu überleben?
Die 90er waren nicht unbedingt ein Metal-Jahrzehnt. Die Trends der 80er, Thrash, Speed und Power Metal, hatten längst ihren Zenit überschritten. Helloween, unser Nummer-eins-Verkaufshit, war weg, klar mussten wir da was machen.

skyclad - noise
Skyclad

Warum wurde NOISE 2001 an Sanctuary verkauft?
Seit 1994 lebte ich in Los Angeles, um dort ein Büro aufzubauen. Ab 1995 ging das dort richtig mit dem Internet los und schon bald war MP3 in aller Munde. Ich habe die Bücher von Negroponte, insbesondere „Being Digital“ (1996) gelesen. Hier philosophierte er über die Zukunft verschiedener Industrien, u.a. der Musikindustrie. Mir war gleich klar, dass du nicht umsonst im Massenmarkt konkurrieren kannst. Der Genie war aus der Flasche, die Musik vom Trägerformat befreit, nämlich digital. Und dieses formatlose Format hat an sich keinen Wert. Schau dir heute die Streams an und wie die abgerechnet werden, mit 0,00035 Cent pro Stream! Da kannst du kein Geld mehr verdienen. Die übrig gebliebenen professionellen Labels sind reine Ausbeuter geworden. Die machen sich heutzutage mehr Gedanken über die Verpackungen als über die Musik. Neue Bands haben dort keinerlei Bedeutung.
Diese Entwicklung erahnte ich und da sah ich keine Zukunft mehr für NOISE. Glücklicherweise lag ich genau richtig und schaffte den Ausstieg noch frühzeitig, als meine Kataloge noch etwas wert waren.

Als Sanctuary 2007 an Universal verkauft wurde, war das das Ende für NOISE RECORDS. Gab es damals Pläne oder Ideen, NOISE wieder auszugliedern oder zu retten?
Nein. Diese Majors schlucken ja alle Rechte mit der Vorstellung, dass sie irgendwann über gekaufte Politiker Gesetze durchdrücken können, die ihnen die Kontrolle über die Festplatten der Fans ermöglicht. Orwell also. Das nennt man dann Digital-Rights-Management-Systeme (DRM) – ein Euphemismus. Aber ich glaube, das ist so nicht umsetzbar. Wie gesagt, der Genie ist aus der Flasche.

noise logoSeitdem sind fast zehn Jahre vergangen und nun gibt es NOISE RECORDS wieder. Warum hast du das Label wiederbelebt und warum gerade jetzt?
Ich habe da nichts wiederbelebt. Das ist alles außerhalb meiner Kontrolle. Ich unterstütze die Re-Releases lediglich mit diesen Interviews. Die Veröffentlichungsplanung lief gänzlich ohne mich. Ein amerikanischer Journalist namens David Gehlke hat soeben das NOISE-Buch fertiggestellt, das im Oktober bei Iron Pages erscheint und somit ist die Re-Issue-Kampagne eine gute Möglichkeit, um auf das kommende NOISE-Buch mit dem Arbeitstitel „Verdammte Musikindustrie“ (engl. Damn The Machine) aufmerksam zu machen. Ich bin heute  Manager (Wucan, Alpha Tiger, Hammercult, Die Vorboten) und hoffe somit auch junge Bands anzusprechen.

Eure ersten Releases werden Best-Of-Alben eurer alten Bands sein. Wie habt ihr das Material dafür ausgewählt?
Hier kann ich dir ein Zitat des englischen Marketing-Verantwortlichen geben, der für die Kampagne zuständig ist:

HELLOWEEN – Michael Weikath (ursprünglich Leadgitarrist und jetzt Bandchef) hat sowohl die Tracklist als auch die Texte im Booklet abgesegnet.

TANKARD – Tracklist und Booklet-Texte von Andreas Geremia (Sänger) und Buffo (Bandmanager) abgesegnet.

RUNNING WILD – Tracklist und Booklet-Texte von Rolf Kasparek (Sänger, Gitarrist, Bandchef) abgesegnet.

SINNER – Tracklist und Booklet-Texte von Mat Sinner (Sänger, Bassist und Bandchef) abgesegnet.

SKYCLAD – Tracklist und Booklet-Texte wurden von der (gegenwärtigen) Band (mit Originalmitgliedern) und dem Management angesegnet. Der ehemalige Sänger Martin Walkyier lehnte es ab, an der Tracklist oder den Texten im Booklet beteiligt zu sein. Martins Herausgeber gab Hinweise bezüglich der Veröffentlichunginformationen (obwohl diese versehentlich auf drei Tracks vor der Herstellung geändert wurden).

KAMELOT – Es wurde keine formelle Zustimmung seitens der Band gegeben. Sie schienen mehr damit beschäftigt zu sein, die Rechte für ein Re-Release des ‚Epica‘-Albums in Verbindung mit dem ‚The Black Halo‘-Album zu erhalten.

GRAVE DIGGER – Bandchef Chris Boltendahl wurde für die Booklet-Texte interviewt, obwohl er es ablehnte, involviert zu sein. Daher wurde keine formelle Zustimmung zu Tracklist oder Booklet-Texte gegeben.

VOIVOD – Michel Langevin (Schlagzeug) gab seine Zustimmung zur 2-CD- & US-1-CD-Best-Of-Tracklist. Für die Booklet-Texte wird er interviewt werden. Für die 2-CD-Deluxe-Editionen, die mit den ersten drei Alben einhergehen werden, wurden sowohl Booklet-Texte als auch Tracklists genehmigt.

Habt ihr schon weitere Releases geplant? Werdet ihr ausschließlich alte Sachen neu auflegen oder wollt ihr auch neues Material verschiedener Bands veröffentlichen?
Also noch mal, ich war da nicht beteiligt.

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Helloween

Wie seid ihr in euren Anfangstagen eigentlich mit den Bands in Kontakt gekommen? Gab es lustige Zufälle, von denen du berichten kannst?
Die mehr abenteuerlichen Entdeckungen passierten in meiner Punk-Label-Phase, als ich in den Staaten diverse Bands ausgrub wie Bad Brains, Misfits, Black Flag oder Social Distortion. Mehr Details dazu stehen in dem im Herbst erscheinenden Buch (IP Verlag). Die ersten Metal-Bands von NOISE habe ich über Fanzine-Kontakte gefunden.

Wenn du auf die Zeit mit (und ohne) NOISE RECORDS zurückblickst, hast du da eine Band, die dir persönlich am meisten am Herzen liegt bzw. lag?
Eindeutig Black Flag und die Angry Samoans und dann noch die Band Middle Class Fantasies, die leider nur eine 7“ auf Aggressive Rock Produktionen rausbrachte. Bei NOISE waren die frühen Voivod mein Ding. In den 80ern mochte ich es zu Anfang rough und heavy. In der zweiten Hälfte der 80er dominierte da geschmacklich bei mir der Melodic Metal und da waren Helloween meine Lieblingsband.

Was waren eure größten Erfolge, sowohl kommerziell als auch anderweitig?
Das war Helloween. Eine Million für „Keeper 2“ war selbst damals im Indie-Bereich eine enorme Zahl.

Gibt es eine Band, bei der du besonders stolz darauf bist, sie entdeckt/gefördert zu haben?
Running Wild, weil wir sie gegen alle anfänglichen medialen Kritiken durchgesetzt haben. Wie wurde doch deren Piraten-Image belächelt!

Was war euer größter Fehlschlag?
Da gibt es schon einige. Heraussticht die neuseeländische Band Shihad, das einzige Signing auf NOISE, das ich nicht gemacht habe. Wegen meines Wechsels nach Los Angeles 1994 musste für das Berliner Büro ein A+R-Mitarbeiter (eigentlich immer meine Domäne) her und der war im Zuge des Nirvana-Booms hin und weg von dieser Band. Da ist wohl eine viertel Million in den Sand gesetzt worden für zwei Alben.

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Running Wild

Gibt es die eine oder andere Anekdote, die du uns verraten kannst?
Das mit den Anekdoten ist so eine Sache, die kann man nicht in zwei Sätzen umreißen. Das sind immer Kurzgeschichten! Da verweise ich lieber auf das kommende NOISE-Buch.

Mit welchen Bands war das Arbeiten besonders angenehm oder schwierig?
Thomas Gabriel Fischer und die Jungs von Killing Joke waren der schlichte Albtraum. Letztere wollte zuletzt keine englische Plattenfirma mehr anfassen und auch kein englischer Journalist. Die waren dort berüchtigt und denen blieb nichts anderes übrig, als ein Label sonstwo zu finden, und das waren wir. Alle vier Musiker haben mein ganzes Büro mit Telefonterror überzogen und nach einer Platte hatten wir die Nase voll. Fischer von Celtic Frost lief meist neben der Spur, der hatte so einen Tick, dass er keine Diskussionen und Konflikte mit Rückgrat und Selbstbewusstsein durchstehen konnte. Das war ein typischer Backstabber, wie die Engländer sagen.

Wie sehen konkret die nächsten Schritte für NOISE RECORDS aus?
Nun, die bringen die aus ihrer Sicht bekannten Namen über die nächsten neun Monate raus, gehen aber dabei nicht in die Tiefe des Katalogs, was ich sehr schade finde. NOISE wird in dem Sinne auch nicht wiederbelebt. Das ist eine reine Re-Issue-Kampagne.

Alles klar, vielen Dank! Zum Abschluss würde ich gern das traditionelle Metal1.info-Brainstorming mit dir spielem:

Iron Maiden: Metal-Retorte
Black Metal: Ork-Musik für Dumpfbacken
Jan Böhmermann: Ich gebe keine Kommentare zu Mainstream-Inszenierungen
Re-Releases: Wer braucht Best-Ofs?
NOISE RECORDS in zehn Jahren: Bekommt einen Grabstein, damit der Schlusstrich endgültig ist.

Dann nochmals vielen Dank, dass du dir die Zeit für uns genommen hast.

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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