Interview mit Noise von Kanonenfieber

Krieg und Metal sind eng verbunden und doch eine problematische Allianz. Umso erfreulicher ist es, wenn sich zwischen verklärten Darstellungen antiker und moderner Kriege auch Alben finden, auf denen das schreckliche Thema mit Demut behandelt wird. Den Newcomern KANONENFIEBER aus Franken ist mit ihrem Debüt „Menschenmühle“ genau das gelungen. Auf dem Wolfszeit Festival sprachen wir mit Projektkopf Noise über die Aktualität alter Briefe, die Faszination des Grauens und pazifistischen War-Metal.

Du hast KANONENFIEBER erst 2020 gegründet – dafür sieht man hier im Publikum echt viele KANONENFIEBER-Shirts. Ich bin beeindruckt!
Ich auch, ehrlichgesagt.

Vorher hattest du schon andere Projekte – was war die Initialzündung für die Entscheidung, noch ein neues zu starten?
Wenn ich ein Projekt anfange, soll das Hand und Fuß haben, von vorne bis hinten. Da will ich, dass das nirgends eine Lücke hat, wo etwas nicht funktioniert. Ich habe das komplett durchgedacht, auch mit den Uniformen und so weiter … ich hatte quasi schon das Bühnenbild im Kopf, obwohl ich ursprünglich gar nicht geplant hatte, live zu spielen. Aber ich hatte die ganze Systematik außenherum geplant und dann bin ich damit rausgegangen. Ich habe tatsächlich gerade noch drei andere Projekte, die ich gerade frisch starte … das letzte habe ich vor sieben oder acht Tagen gegründet. Das nächste Album von wieder einem neuen Projekt kommt jetzt im November raus …

Noise von KANONENFIEBER; © A. Gethöffer-Grütz/Metal1.info

Was denkst du, warum hat ausgerechnet KANONENFIEBER so gut gezündet … und hattest du damit gerechnet, als du das Album produziert hast?
Ich hatte keine Ahnung, dass das Ding so groß werden würde. Ich habe das Ganze mit 300 CDs angefangen, die ich vorproduziert habe, und von denen ich gehofft habe, sie in den nächsten 50 Jahren verkauft zu bekommen. Dann habe ich das Album auf YouTube von „Black Metal Promotion“ hochladen lassen und plötzlich ging es in alle Himmelsrichtungen los.
Ich glaube, es war einfach die richtige Zeit, der richtige Ort und das richtige Thema. Gerade der Erste Weltkrieg hatte, ich will jetzt nicht sagen „ein Comeback“, aber 2018 war das Thema ja wegen „100 Jahre Erster Weltkrieg“ relativ präsent und auf jeder Newsseite gab es dazu etwas zu lesen. Ich glaube, das hat dann einfach ganz gut reingepasst.

Meinst du, der Erfolg der ukrainischen Doom-Metaller 1914, die sich ja wie du mit dem Ersten Weltkrieg befassen, hat auch zum Höhenflug von KANONENFIEBER beigetragen?
1914 waren mein größter Einfluss, da brauchen wir nicht drum herumzureden. Das sind auch riesige Idole für mich. Die haben musikalisch mit ihrem Album „The Blind Leading The Blind“ große Wellen geschlagen. Ich glaube, das hat sich alles potenziert. Die Leute waren auf 1914 eingestiegen, viele davon haben dann angefangen, KANONENFIEBER gut zu finden, weil es sich mit der gleichen Thematik befasst und weil die Thematik durch die Texte eben so greifbar war. Das hat sich dann gegenseitig hochgeschaukelt – auch zusammen mit Minenwerfer.

„Weniger Glorifizierung, mehr echter Graben, echter Dreck“

Noise von KANONENFIEBER; © A. Gethöffer-Grütz / Metal1.info

Wie bist du denn in diese Runde gestoßen, was hat dich zu einem Konzeptalbum über den Ersten Weltkrieg motiviert?
Das Thema habe ich zusammen mit einem Kumpel erarbeitet. Wir haben uns auf einen Kaffee zusammengesetzt und über Black Metal palavert, und dann ging es darum, dass man einfach mal ein Album herausbringen sollte, das Krieg darstellt … aber nicht glorifizierend, wie bei Sabaton mit „Primo Victoria“ – nichts gegen Sabaton, ich will da nichts schlechtreden –, sondern eben näher und ehrlicher: weniger Glorifizierung, mehr echter Graben, echter Dreck. Und besagter Freund ist ein Hobbyhistoriker. Der sammelt Briefe und Klamotten und so weiter und hatte auch schon eigene Ausstellungen und ein Buch geschrieben. Der ist richtig tief drin in der Materie! Aus diesen Briefen haben wir die Texte erstellt: Ich habe das Ganze in Versform gebracht, aber eben so ehrlich und historisch korrekt wie irgend möglich.

Das war glaube ich auch der springende Punkt, warum das Projekt so schnell durch die Decke gegangen ist: Das Visuelle mit dem Cover-Artwork, der relativ seichte – oder greifbare – melodische Death Metal mit Black-Metal-Einflüssen, in Verbindung mit dieser Ehrlichkeit, die auch ganz viele Militaria-Fans aus ganz anderen Riegen, die mit Metal also gar nichts zu tun haben, mit reingebracht hat. Zudem war Corona, die Leute saßen vor dem Rechner, denen war langweilig. Das war im Februar 2021, also während des ersten Peaks wo wirklich alle daheim waren, weil kompletter Lockdown war. Das alles zusammen hat dann einfach gezündet.

Weil du das Cover gerade angesprochen hast: Woher stammt das Bild?
Das hat auch besagter Freund ausgesucht … er hat gesagt: „Guck mal hier, ich habe da ein Buch, ist das nicht geil?“ Da habe ich gesagt: „Alter, das ist geil, das nehmen wir!“ Mit den Urheberrechten hat auch alles perfekt hingehauen. Das Bild wurde tatsächlich vorher auch schon mal von einer anderen Band verwendet, was ich aber erst ein halbes Jahr später erfahren habe, weil mich jemand angeschrieben hat.

„Ein Brief verliert nie seinen Wert und die Emotionalität“

Ganz konkret: Was fasziniert dich an dem Thema Krieg?
Mein generelles Interesse an dem Thema Krieg rührt daher, dass ich meiner Oma zuliebe mit besagtem Kumpel das Tagebuch meines Urgroßvaters übersetzt habe. Der war im 2. Weltkrieg im Osten, in Polen, ist dann nach Russland eingezogen, hat dann zur Panzerdivision gehört. Kurz vor Kriegsende 1945 ist er mit einem Kriegsschiff, der Goya, versenkt worden und gestorben. Diese Greifbarkeit der Worte hat mich fasziniert: Ein Brief verliert nie seinen Wert und die Emotionalität – egal, ob der heute verfasst wurde oder vor 2000 Jahren. Wenn man sich einen Schwarz-Weiß-Film anschaut, ist das weit weg. Aber niedergeschriebenes Wort ist zu dem Zeitpunkt, an dem es gelesen wird, genauso aktuell wie zu dem Zeitpunkt, als es geschrieben wurde.

Was in diesem Tagebuch stand, war zum Teil so extrem … für ihn war alles normal, würde ich mal so behaupten. Er hat sich hingesetzt und gekocht und erzählt, der Typ – Zitat: „mit dem Loch im Kopf“ – habe ihm die ganze Zeit so auf seine Spiegeleier geschaut, deswegen habe er ihm einen Lappen aufs Gesicht gelegt, damit er ihm nichts wegfrisst. Sie hatten quasi vorher einen Russen erschossen gehabt, und der lag dann im Eck des Zimmers und hat Richtung Herd geschaut, während er gekocht hat. Das Ganze in die Realität umzusetzen und zu verarbeiten, als Mensch, der mit so viel Gewalt nie etwas zu tun hatte, ist für mich unglaublich interessant und unglaublich beängstigend. Und sehr, sehr anstrengend zu lesen – diese ganzen Einzelschicksale.

KANONENFIEBER auf dem Wolfszeit 2022
KANONENFIEBER auf dem Wolfszeit 2022; © A. Gethöffer-Grütz/Metal1.info

„Alle Individuen sind für sich genommen Helden –
aber nur auf ihrer Seite“

Du bereitest also Briefe von Soldaten auf – nun kommt man aber ja auch beim Ersten Weltkrieg nicht umhin, zu sagen, dass der deutsche Soldat im Großen und Ganzen ein Täter war.
Ja.

Noise von KANONENFIEBER; © Afra Gethöffer-Grütz / Metal1.info
Noise von KANONENFIEBER; © A. Gethöffer-Grütz / Metal1.info

Achtest du also bei der Auswahl der Textvorlagen drauf, was darin passiert, wer wie dargestellt wird, um niemand fälschlich zu glorifizieren beziehungsweise die falschen Personen als Opfer dastehen zu lassen?
Jemanden aus Erzählungen und Berichten fälschlich zu glorifizieren, ist nicht möglich. Wenn ich über meinen Kumpanen schreibe, der mit mir im Graben gelegen hat und von einem Schrapnell getroffen wird, wird er glorifiziert. Egal, ob ich Russe bin, Franzose, Engländer, es wird immer auf das Gleiche hinauslaufen. Im Endeffekt sind alle Individuen für sich genommen Helden. Aber nur auf ihrer Seite. Ein Beispiel aus meinen Texten, „Die Schlacht bei Tannenberg“: Das war ein Brief nach Deutschland, in dem von einem gebildeten Mann, einem Professor, der das Ganze etwas überschaut und auch medial verfolgt hat, aus dem Graben berichtet wurde. Das hat einen gewissen glorifizierenden Touch, so in der Art „Die Nachricht verbreitete sich in Sekunden von Front zu Front“ und so. Es ist glorifizierend, für diese eine Person. Aber wenn ich einen Brief aus England benutzt hätte, von den Siegern, würde genau das gleiche drin stehen. Aus Russland genau das gleiche. Wenn ich also auf das Individuum eingehe, sehe ich keine Glorifizierung, weder des Individuums an sich noch des Krieges an sich. Ich reflektiere in meinen Texten bloß, was diese Person gesagt oder empfunden hat.

Ich stelle es mir durchaus belastend vor, wenn man bei einem so schrecklichen Thema so tief in Augenzeugenberichte eintaucht wie du. Macht das dann trotzdem noch Spaß, oder ist es „nur“ interessant?
Es ist anstrengend. Ich mache es einerseits aus Interesse, andererseits aus Faszination dafür, was der Mensch aushalten kann – psychisch und auch physisch. Wenn man das Buch „In Stahlgewittern“ gelesen hat … das ist lyrisch super gut geschrieben, ein tolles Buch, wenn auch etwas glorifizierend und den Krieg verherrlichend … aber diese Belastbarkeit, die da beschrieben wird: Mit Verwundungen durch das Schlimmste gegangen, was ein Mensch ertragen kann, und trotzdem noch so gefestigt, ein Buch darüber zu schreiben.

Auf der EP „Yankee Division“ sind ein paar Textzeilen auf Englisch – für die du Trevor Strnad von The Black Dahlia Murder als Gastsänger gewinnen konntest. Wie kam es zu dieser überraschenden Zusammenarbeit?*
Mit Trevor bin ich über Instagram in Kontakt gekommen. Er hat unter meinen Posts kommentiert, wofür ich mich bei ihm bedankte. Ich muss dazu sagen, The Black Dahlia Murder war eine der Bands, die mich in den extremen Bereich den Metals gebracht hat. Zudem habe ich das Album „Rituals“ so oft auf dem Schlagzeug nachgespielt, dass ich jetzt noch jedes Fillin kenne. Dementsprechend aufregend war es für mich, dass Trevor auf dem KANONENFIEBER-Instagram unterwegs war. Ich bedankte mich eben bei ihm, woraufhin ein ziemlich intensives Gespräch entstand. Im Zuge des Gesprächs erzählte er mir, dass er direkt in der ersten Woche nachdem die „Menschenmühle“ raus kam, die CD bestellt hatte. Das war natürlich eine riesige Sache für mich. Wir schrieben relativ viel hin und her, bis ich mit einer Songskizze und der Idee für „Yankee Division“ an ihn heran trat. Ohne zu zögern schrieb er „I‘m in!“ und zwei Wochen später hatte ich seine Aufnahmen. Wir haben uns gut verstanden und uns gegenseitig Musikvorschläge gemacht und über neue Alben diskutiert. Umso dramatischer war für mich die schreckliche Nachricht von seinem Tod im Mai. Er war nicht nur einer der besten Metal-Frontmänner, die diese Welt gesehen hat, er war auch meiner Meinung nach der sympathischste.

KANONENFIEBER auf dem Wolfszeit 2022
KANONENFIEBER auf dem Wolfszeit 2022; © A. Gethöffer-Grütz/Metal1.info

„Wir Metalheads sind in dieser Kriegs-Thematik sehr verwurzelt“

Krieg und Metal sind generell sehr eng verbunden – diese Verbindung gibt es so in keiner anderen Musikrichtung. Wie erklärst du dir die Faszination der Metalheads für die Kriegsthematik, warum funktioniert das so gut zusammen?
Das liegt glaube ich am Kern der Musik: Diese Emotionalität, diese geballte Gewalt, die Musikalisch im Metal auf einen niedertrifft, ist ziemlich gut mit einem Artillerie-Sturm vergleichbar. Bei Endstille wurden die Blastbeats ja immer mit MG-Schüssen verglichen, ich würde sagen, das geht in eine gute Richtung. Und es ist de facto ja auch so, dass extrem viele Metalheads in dieser historischen Thematik drin sind, entsprechende Serien anschauen und Filme – „Der Soldat James Ryan“, „Band Of Brothers“ und so weiter … wir kennen sie alle. Gerade wir Metalheads – ich schließe mich da ein – sind in dieser Pagan- und Kriegs-Thematik sehr verwurzelt. Das geht mit der Musik, der Gewalt und der Emotion einher – ich denke, da kommt das ursprünglich her. Das wird natürlich von manchen Bands auch ausgenutzt, beziehungsweise in die falsche Richtung getrieben, da brauchen wir nicht drüber reden. Aber dafür bin ich ja hier.

Netflix bringt ja bald eine neue Verfilmung von Remarques „Im Westen nichts Neues“ heraus – interessiert dich das?
Keine Frage … alles, was die Thematik aufgreift, wird von mir konsumiert, und zwar sobald es da ist. Der Film „1917“ zum Beispiel: Ich war nicht einmal, ich war nicht zweimal – ich war dreimal im Kino. Also ich geb’s mir da schon echt hart. (lacht)

Noise von KANONENFIEBER; © A. Gethöffer-Grütz / Metal1.info

Was mich immer wieder fasziniert, ist, dass Krieg in anderen Kunstrichtungen – sei es nun eben im Film oder auch in der Literatur – als absolut gängiges Thema etabliert ist und sogar unverhohlen glorifiziert wird, während sich Metal-Bands mit dieser Thematik ständig dafür rechtfertigen müssen und quasi automatisch in die rechte Ecke gedrängt werden. Das käme bei einem Kriegsfilm ja niemandem in den Sinn …
Ja. Wenn bei „Inglorious Basterds“ die Hitlerbinden getragen werden, fragt keiner, ob da einer rechts ist.

Wurdest du mit KANONENFIEBER schon falsch verstanden – sei es, dass dir eine rechte Gesinnung unterstellt wurde, oder aber, dass du über die Thematik Fans angezogen hast, die du nicht haben willst?
Zum Thema rechtes Gedankengut und NSBM habe ich mich in meinen bisherigen Interviews sehr deutlich geäußert. Es ist ein unglaublich schmaler Grat, dass man aufgrund von Militaria, von historisch-kriegsbezogenen Texten in eine rechte Ecke gestellt wird – wovon ich mich ganz klar abgrenze. Mit Politik hat meine Musik überhaupt nichts zu tun. Das einzige, was ich mit meiner Musik und den Texten versuche, ist, den Schrecken des Krieges darzustellen. Von daher gibt es bei KANONENFIEBER keine politische Agenda. Wie das dann ausgelegt wird, bleibt dem Hörer überlassen. Ob es in die falschen Ohren gerät? Dagegen kann ich nichts tun. Ob es in die richtigen Ohren gerät? Das hoffe ich doch sehr.

„Es könnten du und ich sein, wie wir hier gerade stehen“

Eine politische Aktion hast du aber dann doch durchgezogen: Anlässlich des Ukraine-Kriegs hast du eine digitale EP mit dem Titel „Stop The War“ veröffentlicht. Wieso war dir wichtig, dass du mit diesem Projekt, das sich ja dezidiert auf den Ersten Weltkrieg fokussiert, diesbezüglich ein Statement setzt?
Der Ukraine-Krieg hat mich sehr getroffen. Mir wurde danach oft vorgeworfen, dass ich keine Songs über den Syrienkrieg geschrieben habe oder über die Kriege in Afrika. Aber ist der erste Krieg, der in Europa stattfindet. Und so traurig es ist: Die Menschen, die dort leben, sind greifbarer – schon alleine, weil ich viele Menschen aus der Ukraine kenne, tolle Musiker, mit denen man in Kontakt kommt … es ist für mich sehr nah. Krieg in Syrien ist für mich weit weg. Ich habe Asylanten kennengelernt, ich habe mir ihre Stories angehört, es war schrecklich, gar keine Frage. Aber das jetzt ist greifbar. Es ist unglaublich nah, es ist die gleiche Zivilisationskultur, es ist Demokratie, es ist genau das, was wir hier durchleben. Es könnten du und ich sein, wie wir hier gerade stehen. Und die Vorstellung, dass wir in den gleichen Schockzustand verfallen würden wie die Ukraine gerade macht mich krank. Ich habe die ersten Bilder gesehen, mein Freund Dmytro von 1914 hat mir geschrieben, bei ihnen wäre grade die Hölle los … ich hatte dann auch viel Kontakt zu KANONENFIEBER-Hörern aus der Ukraine. Es ist schrecklich, was da gerade passiert, und dann habe ich entschieden: Ich muss an dieser Stelle einen Cut machen, aus dieser ganzen Erster-Weltkrieg-Thematik raus, da muss etwas passieren. Ich habe mich dann drei Tage lang in meinem Kellerstudio eingesperrt und geschrieben, was das Zeug hält, und in kürzester Zeit den Song rausgehauen. Einfach nur, um die Plattform, die ich habe – auch wenn es keine große ist – zu nutzen und soweit auf das Geschehen aufmerksam zu machen, wie es mir mit meiner Tatkraft möglich ist.

Das Thema ist unglaublich schwierig. Ich habe dann auch relativ viel Stunk von Russen bekommen. Das Video wurde ja über Season Of Mist hochgeladen und ist in Sachen Klickzahlen und Reichweite unglaublich schnell explodiert – hat aber auch ganz, ganz viel negative Resonanz mit sich gezogen. Was für mich echt kränkend war und sehr schwierig, weil ich oft als Nazi und sonst was beleidigt wurde. Aber für mich war es das einzig Richtige, mein Statement abzugeben und meine Einstellung klarzumachen. Ich mache ja Anti-Kriegs-Metal. Darum geht es ja: Es geht gegen Krieg von vorne bis hinten. Und wenn es ein aktuelles Thema gibt – ja meine Fresse, dann muss ich dagegen auch was tun. Ich habe dann ja auch insgesamt rund 8500€ an Spenden gesammelt, über Bandcamp und Ebay-Verkäufe von Erstpressungen und anderen Platten, die ich komplett an eine Hilfsorganisation gespendet habe, die dafür gesorgt hat, dass die Flüchtlinge mit Kleidung und Essen versorgt werden. Das war mir ein unglaublich wichtiges Thema, weil es eben so nah und greifbar war und meine Freunde davon direkt betroffen waren.

KANONENFIEBER auf dem Wolfszeit 2022
KANONENFIEBER auf dem Wolfszeit 2022; © A. Gethöffer-Grütz/Metal1.info

Auf der anderen Seite gibt es ja unzählige Bands, die Krieg glorifizieren oder zu einem Gute-Laune-Thema machen – ob nun die bereits erwähnten Sabaton oder Amon Amarth mit ihrer verklärten Darstellung brutaler Wikingerschlachten. Du machst das gezielt nicht. Trotzdem stehen bei deinen Konzerten Leute und feiern deinen Auftritt. Geht das für dich zusammen, oder ist KANONENFIEBER eigentlich eher dafür gemacht, dass man sich mit dem Booklet daheim hinsetzt und die Texte studiert, als angetrunken dazu zu moshen?
Genau dazu habe ich kürzlich ein Review gelesen, das kein Review war. Da hat der Autor geschrieben: „KANONENFIEBER hat um 16:30 Uhr gespielt, ich konnte es mir nicht anschauen, weil es mir nach fünf Minuten zu überwältigend war.“ Und genau das ist, was wir erzielen wollen: Es soll schockieren und es soll informieren. Und es soll abschrecken. Das ist der einzige Wert, den ich dahinter sehe. Dass es die Leute fasziniert – mit den Uniformen und den schwarzen Gesichtern und allem drum und dran – ist natürlich ein positiver Nebeneffekt. Aber grundsätzlich habe ich da keinerlei Intention, die Leute zu belustigen. Es soll eher abschrecken.

„Musik muss ja auch irgendwo Spaß machen,
sonst hört man sie sich nicht an“

KANONENFIEBER auf dem Wolfszeit 2022
KANONENFIEBER live 2022; © A. Gethöffer-Grütz / Metal1.info

Aber wie gehst du damit um, wenn es trotzdem passiert. Die Leute haben ja Spaß auf einem Festival. Führt es deine Kunst aus deiner Sicht eher ad absurdum, wenn dann trotzdem gejubelt wird?
Wenn jetzt vor der Bühne ein Moshpit losbricht, wenn die Leute mit einstimmen, „Hey“ schreien … Ich, als Mensch, finde das geil – keine Frage. Das fühlt sich super an auf der Bühne. Und Musik muss ja auch irgendwo Spaß machen, sonst hört man sie sich nicht an. Das ist ja die Grundidee von Musik. Ich höre mir ja keine Musik an, um schlecht drauf … gut, wir Metaller hören uns schon Musik an, um schlecht drauf zu sein, klar. (lacht) Aber ich gehe nicht negativ damit um, wenn Leute vor der Bühne Spaß haben. Im Grundsatz geht es ja darum. Aber wenn sich dann jemand von unserem Konzert so getriggert fühlt, dass er sich danach mit der Thematik befasst, habe ich doch alles erreicht, was ich erreichen will.

Ihr habt euch dazu entschieden, eure erste Clubtour im Rahmen der „Wolfsfest Tour“ zu spielen. Warum glaubst du, dass ausgerechnet dieses Pagan-Metal-Package das richtige Setting für eure Musik bietet? Ohne den anderen Bands und deren Fans zu nahe treten zu wollen – hast du keine Angst, dass euch das eher schadet als nutzt? *
Ich sehe da überhaupt keinen Schaden, der enststehen könnte. Ganz im Gegenteil – rein musikalisch passen wir mit Varg sehr gut zusammen. Auf dem Wolfszeit hat sich herausgestellt, dass das auch menschlich sehr gut harmoniert. Von daher: Keine Bedenken meinerseits, nur große Vorfreude

Wenn 1914 für dich, wie vorher angeklungen ist, keine „Konkurrenten“ sind – wäre das dann nicht mal ein stimmiges Tour-Package?
Das ist alles andere als Konkurrenz. Ich war ja mit ihnen auf dem Summer Breeze und habe dort einen Gastauftritt hingelegt. Wir haben uns extrem gut verstanden. Ich hab ein paar Alkoholika aus dem fränkischen Land mitgebracht, sie aus der Ukraine, und wir hatten eine riesen Gaudi. Supercoole Jungs, top drauf, mehr Spaß kann man gar nicht haben. Und wir sind auch schon im Gespräch, dass eine gemeinsame Tour frühestmöglich hinhaut. Und auch musikalisch wird ein bisschen was passieren, das nehme ich hier jetzt mal vorweg.

KANONENFIEBER auf dem Wolfszeit 2022
KANONENFIEBER auf dem Wolfszeit 2022; © A. Gethöffer-Grütz/Metal1.info

„Ich wollte fern von all dem bleiben
und die Anonymität des Soldaten wahren“

Bei eurer Liveshow setzt ihr ja neben den Uniformen auch auf Anonymität durch Strumpfmasken – wie derzeit gefühlt jede neue Band im Black Metal. Ist das klassische Corpsepaint tot?
Im Death Metal greift das ja auch schon um sich, wenn man etwa an Imperial Triumphant denkt … ja. Was KANONENFIEBER angeht: Es gibt das „Denkmal des unbekannten Soldaten“ – daran habe ich mich orientiert. So theatralisch das jetzt auch klingen mag, aber wir wollen auf der Bühne gesichtslos bleiben, weil wir quasi für die Soldaten stehen, die im Krieg gedient haben. Und die hatten kein Gesicht, weil es diese anonymen Massen waren. Wenn ich mich jetzt hinstelle und mein Gesicht zeige, haben die Hörer immer das Bild von meinem Gesicht, wie ich ins Mikrophon schreie, vor Augen. Wenn ich mir Cannibal Corpse anhöre, sehe ich ja vor dem inneren Auge auch George „Corpsegrinder“ Fisher, wie er ins Mikrophon kotzt und seine Grimassen zieht. Das wollte ich nicht – ich wollte fern von all dem bleiben und die Anonymität des Soldaten wahren, um für die Soldaten zu stehen. Deswegen haben die Jungs in meiner Band ja auch alle die gleichen Uniformen an, alle mit Maske, um eben Konformität entstehen zu lassen.

Die Anonymität an sich ist mir gar nicht so wichtig. Gut, jetzt tatsächlich schon, weil sie ihre Vorteile hat … ich stelle mich hier vor die Bühne, schaue mir Groza an, trinke mein Bier, habe Spaß und keiner quatscht mich von der Seite an. Das finde ich schon gut – vor allem weil ich ein Festival-Fan bin. Ich gehe auf alle Festivals im Umkreis, von daher ist das sehr angenehm.

KANONENFIEBER auf dem Wolfszeit 2022
KANONENFIEBER live 2022; © A. Gethöffer-Grütz / Metal1.info

Wie geht es jetzt weiter, abgesehen von deinen ganzen anderen Projekten – also konkret auf KANONENFIEBER bezogen? Wann darf man mit dem nächsten Album rechnen, und wirst du auch das selbst herausbringen?
Ich habe viele Verhandlungen in alle Himmelsrichtungen und mit ganz vielen Flecken auf diesem Planeten geführt, aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich es doch selbst machen werde. Ich habe meinen Kooperationspartner Avantgarde Music, die für mich Vinyls herstellen und die Distribution übernehmen und die Großmärkte bedienen. Ich mache alles Kleinere, meinen Webshop und so weiter. Das einzige, was noch interessant wäre, wäre ein Nordamerika-Deal, weil die Portokosten dorthin einfach zu hoch sind. Aber grundsätzlich fahre ich ganz gut damit, dass ich alles selbst mache – darum bleibt es vorerst auch dabei. Ich meine, wir spielen nächstes Jahr mit KANONENFIEBER auf dem Summer Breeze, was nach – Stand jetzt – fünf Monaten des Live-Auftretens glaube ich nur wenigen Bands vergönnt ist. Ich glaube, da läuft alles richtig. Von daher denke ich mir: Warum soll ich die Fäden aus der Hand geben? Geplant ist ein Release im November – allerdings kein volles Album. Das volle Brett kommt dann nächstes Jahr im April oder Mai – dann gehen wir aber ein paar Hundert Jahre in der Geschichte zurück, das Thema ist diesmal der Dreißigjährige Krieg. Und zwischendrin wird noch was kommen, aber dazu äußere ich mich jetzt noch nicht weiter.

Man darf also auf viel neue Musik gespannt sein! Danke dir für das Gespräch und viel Freude noch auf dem Wolfszeit Festival!
Ich danke dir! Ebenso!

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* Diese Frage wurde per E-Mail nachgereicht und schriftlich beantwortet.

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Dieses Interview wurde persönlich geführt.

4 Kommentare zu “Kanonenfieber

  1. War gestern in Oberhausen, Club Helvete! Top Show! Die Jungs haben mir sogar die Platte signiert!! Richtig nette Crew! Einwandfrei!!!!
    Den Vergleich zu 1914 und Minenwerfer (habe die auch im Schrank stehen), kam mir gar nicht in den Sinn.
    Dieses ständige Vergleichen liegt mir sowieso nicht!
    LG keep on!

  2. Ich durfte die Kapelle zum ersten Mal im ORWO-Haus in Berlin sehen. Was für eine Performance, diese Beinarbeit, diese Emotionalität in den Texten. Ein gelungener Auftritt und ein in Erinnerung rufen, was für eine schlimme Zeit das gewesen sein muss. Noise, Ziel erreicht.
    Danke.

  3. Was für ein (zumindest dem Interview nach zu schließen) für ein unglaublich sympathischer & auf dem Boden gebliebener Mensch! Unterstützenswert! Da pack ich mir das Date von Kanonenfieber in Kassel direkt mal in den Kalender :)

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