Interview mit Kjartan Harðarson von Kaleikr

Read the English version

Mit seinem Debütalbum „Heart Of Lead“ hat das isländische Progressive-Black-Metal-Duo KALEIKR ein wahrhaft herausragendes Stück extremer Tonkunst geschaffen, dass tief in die Abgründe des menschlichen Innenlebens blicken lässt. Warum die beiden Ausnahmemusiker, die vormals unter dem Namen Draugsól agierten, eine Umbenennung für angebracht hielten, aus welchem Grund auf dem Album neben dem typischen Metal-Instrumentarium auch Streichinstrumente zu hören sind und warum die Band unbedingt mit Stephen Lockhart als Produzent zusammenarbeiten wollte, erfahrt ihr im folgenden Interview mit Schlagzeuger Kjartan Harðarson.

Ich grüße dich! Es freut mich, dass du dir für dieses Interview Zeit nehmen konntest. Wie fühlst du dich?
Ich fühle mich großartig! Besonders jetzt, da wir gerade unseren ersten Live-Auftritt beim Ascension Festival beendet haben. Es war ein großer Erfolg für uns.

Ihr kreiert eure Musik in KALEIKR als Duo. Wie habt ihr einander kennengelernt und wie kam es dazu, dass ihr euch entschieden habt, gemeinsam eine Band zu gründen?
Wir lernten einander 2014 mit der gemeinsamen Absicht kennen, eine Black-Metal-Band in Reykjavik in Island zu gründen. Diese Band war Draugsól. Später lösten wir Draugsól auf und gründeten KALEIKR als unser neues kreatives Ventil.

Was war der Grund für die Umbenennung von Draugsól in KALEIKR?
Einige persönliche Unterschiede kamen dabei ins Spiel, aber wir hatten auch musikalisch weitergehende Ideen, von denen wir dachten, dass Draugsól dafür nicht geeignet war, da wir uns zuvor sehr auf Black Metal konzentriert hatten. Wir wollten in einen progressiveren Bereich vordringen.

Ich habe den Eindruck, dass man bei euch Einflüsse des isländischen Black-Metal-Stils heraushören kann, allerdings in Kombination mit gänzlich anderen Sounds. Wie würdest du eure Musik diesbezüglich beschreiben?
Ich würde sagen, wir haben einige Einflüsse aus der isländischen Szene, da wir selbst Teil dieser Szene sind, welche wiederum sehr klein ist. Ich denke, dass sich letztlich alle Bands, wenn auch nur ein bisschen, von ihren Kollegen inspirieren lassen. Wir nehmen Einflüsse aus einem sehr breiten Spektrum von Musik in uns auf, sodass es für uns schwierig ist, genau zu bestimmen, wo wir klanglich einzuordnen sind, aber ich verweise immer nur auf extreme, progressive Musik als Beschreibung.

Euer Debüt „Heart Of Lead“ wurde von einigen mit Enslaved und Opeth verglichen. Würdest du sagen, dass diese Bands euch zum Teil beeinflusst haben oder habt ihr primär andere Vorbilder?
Beide sind großartige Bands und wir beide sind gewissermaßen damit aufgewachsen und haben uns diese Bands und natürlich noch viele mehr angehört. Wir verstehen die Referenzen natürlich, aber wir haben uns nicht darauf konzentriert, ähnlich wie diese Bands zu klingen. Unser Sound ist nur ein Mix von allem, was wir an extremer Musik mögen.

Während eure Songs mitunter ziemlich ungewöhnlich klingen, geben sich viele Bands damit zufrieden, ihren Idolen hinterherzueifern. Würdest du sagen, dass es schwierig ist, einen völlig eigenständigen Stil zu entwickeln?
Es ist sicherlich schwierig, heutzutage etwas ganz Neues zu finden, da Musik im Allgemeinen eine sehr gesättigte Szene ist. Sogar die extreme Musikszene. Aber ich persönlich denke, der Schlüssel, um etwas Originelles zu schaffen, ist, alles, was man in der Musik hört und liebt, zu nehmen und das zu kreieren, was man selbst am liebsten hören würde. Folge nicht bloß einem Sound oder einer Band. Wir beschreiben KALEIKR als Musik, die direkt aus dem Herzen kommt, und wir haben das Gefühl, dass wir genau das kreiert haben.

Die Entstehung eures ersten Albums hat recht lange gedauert, stimmt’s? Was war der Grund dafür?
Wir begannen Anfang 2016 mit dem Schreiben des Albums, sodass es etwa drei Jahre dauerte, bis es ernst wurde und das Album tatsächlich veröffentlicht wurde. Es gibt viele Gründe dafür, dass es ein so langer Prozess geworden ist, sie reichen von persönlichen Problemen bis hin zu zeitlichen Einschränkungen. Etwas zu schaffen, das so emotional ist wie „Heart Of Lead“, braucht Zeit, wenn man es richtig machen will, und es ist oft eine schwere Last für einen Künstler, wenn er sich dabei mit sehr persönlichen Themen beschäftigt.

Wie läuft bei euch das Songwriting ab – erarbeitet ihr zuerst die Texte oder die Kompositionen?
Wir kreieren zuerst die gesamte Musik, bevor die Texte geschrieben werden. Dann schreiben wir die Texte, die auf dem Klang und dem, was wir fühlen, wenn wir die Musik hören bzw. spielen, basieren.

Soweit ich weiß, beschreibt ihr auf „Heart Of Lead“ das Innenleben eines Menschen, der immer tiefer in die Dunkelheit stürzt, richtig? Könnt ihr uns etwas genauer erläutern, was es mit diesem Konzept auf sich hat?
Wir beschreiben das Konzept grundsätzlich als eine Reise von Traurigkeit über Verzweiflung bis hin zum totalen mentalen Zusammenbruch. Wir reisen durch den Geist einer Person, die mit tiefem emotionalem Schmerz zu kämpfen hat. „Heart Of Lead“ bezeichnet das Gewicht dieses Schmerzes.

Würdest du sagen, dass du in der Musik selbst Katharsis suchst oder geht ihr eher aus der Distanz an die von euch besungenen Themen heran?
Ich würde sagen, es ist eine Mischung aus beidem. Wir schreiben nicht direkt über tatsächliche Ereignisse oder Gefühle, aber wir werden stark von persönlichen Kämpfen geleitet und graben tief in unseren Gedanken.

Würdest du sagen, dass es auf dem Album einen bestimmten Höhepunkt gibt oder habt ihr eher darauf abgezielt, euch bis zum Schluss konstant zu steigern?
Jeder Song auf dem Album hat Abschnitte, in denen sich die Spannung aufbaut und wieder auflöst, und all diese verschiedenen Teile vermitteln das ganze Album über das Gefühl von Spannung und Entspannung. Wir erhöhen und verringern den Druck immer wieder.

Welchen eurer Tracks würdest du als euer bisheriges Meisterstück bezeichnen und warum?
Ich persönlich würde keinen Song eher als ein Meisterwerk bezeichnen als die anderen, da ich das Album eher als ein zusammenhängendes Kunstwerk sehe. Ich würde allerdings „The Descent“ und „Neurodelirium“ als zwei Favoriten nennen, da es ein paar der ersten Songs waren, die wir geschrieben haben, und ich denke, dass sie viele unserer verschiedenen Stile einfangen.

Die Streicher auf eurem Debüt wurden von Árni Bergur Zoëga eingespielt. Warum war es euch wichtig, in gerade diesen Tracks Streichinstrumente einzusetzen und wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Árni?
Im Laufe der Arbeit an dem Album begannen wir, Ideen und Schichten hinzuzufügen, um unsere musikalische Vision zu verwirklichen. Wir waren der Meinung, dass einige Teile mit zusätzlichen Saiteninstrumenten stärker betont werden könnten, also haben wir uns entschieden, an einigen Stellen auch Viola-Parts einzubauen. Wir mussten relativ kurzfristig jemanden finden, der die Viola spielt. Wir kannten Árni eigentlich aus der Draugsól-Zeit, da er „Volaða Land“, Draugsóls Debüt, produziert und gemixt hat. Er stellte sich der Aufgabe, nahm die Viola-Parts für uns auf und fügte den Songs dabei seinen einzigartigen Twist hinzu.

Zieht ihr in Betracht, in Zukunft auch andere Instrumente in eure Songs einzubauen, die ihr bisher noch nicht eingesetzt habt?
Wir lieben es, mit verschiedenen Sounds zu experimentieren und es ist durchaus möglich, dass wir in Zukunft auch einige nicht-traditionelle Instrumente verwenden werden.

Für die Produktion habt ihr mit Stephen Lockhart zusammengearbeitet. Wie viele andere Alben, die von ihm produziert wurden, klingt „Heart Of Lead“ unwirklich und verwaschen. War dies von euch beabsichtigt und falls ja, aus welchem Grund?
Es war von Anfang an unsere Absicht, mit Stephen zusammenzuarbeiten. Wir sind große Fans seines einzigartigen Sounds und er ist zu einer sehr prominenten Figur in der isländischen Szene geworden. Wir waren der Meinung, dass er die professionellste Arbeit und den Sound liefern würde, der unserer Vision am nächsten kommt.

Das Artwork des Albums sieht psychedelisch aus, zeigt aber auch einige Symbole. Kannst du uns erklären, welcher Gedanke dahintersteckt?
Das Artwork ist ganz und gar die Interpretation unserer Musik und unseres lyrischen Konzepts durch den Künstler. Wir haben für dieses Bild mit Metastazis zusammengearbeitet und sie haben generell einen starken Katalog an sehr surreal aussehenden und markanten Kunstwerken. Wir lieben es!

Habt ihr schon Pläne für die nächste Zukunft von KALEIKR? Vielleicht schon Ideen für die Kursrichtung eurer nächsten Veröffentlichung?
Wir haben große Pläne für KALEIKR. Wir haben bereits einige grobe Ideen, wie unsere nächste Veröffentlichung klingen soll, aber nichts ist festgeschrieben. Unser Fokus liegt vorerst auf Live-Auftritten und wir streben auch eine Tournee an.

Als Nächstes würde ich mit dir gerne noch unser traditionelles Metal1.info-Brainstorming durchgehen. Woran denkst du als erstes bei den folgenden Begriffen?
Psychoanalyse: Aufschlussreich
Beste isländische Band: HAM
Surrealismus: Verträumt
Psychoaktive Substanzen: Beschwörend
Debemur Morti: Dankbarkeit
Umweltschutz: Dilemma

Damit wären wir auch schon am Ende unseres Interviews. Möchtest du den Lesern noch ein paar letzte Worte sagen?
Vielen Dank an alle, die KALEIKR bisher unterstützt haben. Es bedeutet uns die Welt. Wir fangen gerade erst an.

Publiziert am von Stephan Rajchl

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert