Interview mit Andras von Infestus

Unter all den Soloprojekten, die sich in der deutschen Black-Metal-Szene umtreiben, ist INFESTUS unzweifelhaft eines der bemerkenswertesten. Mit seinem neuesten Album „Thrypsis“ hat Einzelkünstler Andras abermals ein technisch akkurates und schonungslos persönliches Album veröffentlicht, das es definitiv wert ist, gehört zu werden. Im Interview mit dem Multi-Instrumentalisten und Sänger könnt ihr nun mehr darüber lesen, was der Antrieb hinter dem Projekt ist, warum sich Andras bei der Wahl des Titels seines neuen Albums an medizinischer Fachterminologie bedient hat und was es mit dem prägnanten Artwork auf sich hat.

Dein Musikprojekt INFESTUS hat zwar deutliche Black-Metal-Züge, weist aber auch andersartige Einflüsse auf. Was ist deiner Meinung nach der herausragendste Aspekt deiner Musik?
Für mich als Erschaffer dieser Musik und der innewohnenden Thematik sind das Aspekte, die ein Außenstehender sehr wahrscheinlich nicht nachempfinden kann und die jenseits von den verwendeten Musikrichtungen liegen. Es geht mir um ein größeres Ganzes. Die Stilmittel bzw. Stile, die ich benutze, sind nur Werkzeuge emotionalen Ausdrucks. Ich bin also auf einer ganz anderen Ebene involviert. Für mich persönlich ist der herausragendste Aspekt der schonungslose Schmerz in meinen Kompositionen, die tiefgründige Vertonung meiner Dunkelheit und die bis aufs Letzte ausgefeilte Verkettung von Lyrik, Emotion und verwendetem Musikstil. Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile…

Für mich stechen vor allem die gelegentlichen Piano-Passagen heraus. Gibt es einen bestimmten Grund dafür, dass du gerade von diesem Instrument wiederholt in deinen Musikstücken Gebrauch machst?
Meiner Meinung nach ist das Klavier eines der ausdrucksstärksten Instrumente überhaupt; vor allem als Solo-Instrument. Es war einfach an der Zeit, eine neue Dimension für die tonliche Gestaltung meiner Werke zu eröffnen.

Du führst INFESTUS schon seit einiger Zeit als Soloprojekt. Gibt es manchmal Momente, in denen du dir doch wieder Hilfe von anderen Mitmusikern wünschen würdest?
In solchen Momenten, wo ich mal wieder merke, was es doch für einen Aufwand bedeutet, all das alleine zu erschaffen und zu verwirklichen, kommen mir schon Gedanken von Klon-Experimenten unter. Ich denke, ich war schon immer ein Mensch, der sehr ungern um Hilfe gebeten hat. Wenn man die Sachen selbst in die Hand nimmt, spart man sich Enttäuschungen… und davon gab es genug. Andererseits ist INFESTUS ein derart persönliches Projekt geworden, dass es für mich nicht infrage kommt, andere Musiker an der Entstehung der Werke mitwirken zu lassen. Denn das würde den Sinn der Entität INFESTUS ad absurdum führen.

Du nimmst dir für das Songwriting meist recht viel Zeit, zwischen deinem letzten Album und deiner aktuellen Platte liegen über vier Jahre. Ist das deinen alltäglichen Verpflichtungen oder eher deinem Perfektionismus geschuldet?
Wir sind alle mehr oder weniger gefangen in diesem System und haben daher auch nur begrenzt Zeit zum Ausleben von kreativen Phasen – sofern man solche hat. Mir ist es wichtig, dass meine Werke maximal authentisch sind und die Tiefe und Komplexität meines Leids widerspiegeln. Wahre Kunst wird aus Dunkelheit geboren und aus nichts anderem. Das heißt auch, dass ich nichts erzwinge. Sicherlich sind die alltäglichen Verpflichtungen ein Dorn im Auge meiner Kreativität, um es gelinde auszudrücken. Auf der anderen Seite herrscht auch ein gewisser Perfektionismus vor, wobei der Grad der Zwanghaftigkeit diesbezüglich mittlerweile besser unter Kontrolle ist.
Zwischen meinen letzten Werken lagen stets drei Jahre. Dieses Mal waren es vier Jahre, weil zwei Verletzungen zu einer langen Verzögerung der Aufnahmen führten. Das ist aber eine andere Geschichte… Bevor ich Qualität zugunsten geringerer zeitlicher Abstände zwischen Werken opfere, lasse ich es lieber gleich bleiben. Und sind wir ehrlich: Ist nicht das Warten bzw. die Sehnsucht auf eine Fortsetzung per se schon ein erstrebenswertes Gefühl, das es wert ist, in die Länge gezogen zu werden? …Besonders wir, in der heutigen Gesellschaft, sollten uns darüber Gedanken machen. Gutes braucht Zeit. Und manch Ding braucht mehr als den „Fastfood-Musik“-Konsumenten, zu dem viele mittlerweile verkommen sind.

In welcher Hinsicht hast du dich deiner Meinung nach als Musiker über die Jahre weiterentwickelt?
Ich denke, meine Ausdrucksfähigkeit mithilfe verschiedener Musikrichtungen hat sich ausgebaut. Das passiert aber ganz natürlich. Da ist nichts, was ich von Anfang an erzwingen möchte, wenn ich ein neues Werk schreibe. Ich setze mich auch nicht hin und versuche Elemente einzufügen, die möglichst anspruchsvoll sind. Ich lasse es einfach geschehen, lasse meinen Gefühlen freien Lauf in jenen Momenten, in denen das Ich und der Ton ihre jeweilige Identität aufgeben und miteinander verschmelzen, um Neues zu gebären.

INFESTUS existiert nun schon seit 15 Jahren. Welches Album war, rückblickend betrachtet, das für dich persönlich wichtigste deiner Laufbahn?
Eine schwierige Frage. Für mich haben vor allem die Solo-Alben („Ex|Ist“, „The Reflecting Void“ und „Thrypsis“) einen extrem hohen Wert aufgrund meiner sehr tiefgründigen Verbindung zu ihnen. Jedes Werk ist tief verwurzelt in bestimmten Phasen meines Lebens; jeder Song ein Zeitzeuge, sodass sie teilweise fast posttraumatische Reaktionen in mir hervorrufen, wenn ich es zulasse. Damit ist jedes Werk das wichtigste Werk.

Dein neues Album „Thrypsis“ ist nach einem medizinischen Fachbegriff für eine Zertrümmerung benannt, richtig? Was hat dich gerade zu diesem Titel inspiriert?
Richtig. Die Etymologie von „Thrypsis“ beschreibt einen Akt der Zerstörung durch Zerschmetterung oder Zermalmung. Der Begriff wird in verschiedenen naturwissenschaftlichen Fachrichtungen benutzt, teilweise etwas anders geschrieben, wie z. B. bei der sogenannten „Chromothripsis“: Dabei handelt es sich um ein Geschehen in (z. B. menschlichen) Zellen, welches zu einer katastrophalen Kettenreaktion führt und zu weitreichenden Schäden an der Erbsubstanz, was zum Zelltod oder auch zu Krebs führen kann. Als ich davon las, dachte ich mir, dass dieser Mechanismus im übergeordneten Sinne sehr wohl auch auf der psychischen/mentalen Ebene existieren kann. Und das war der Moment, wo ich ein Gefühl der Verschmelzung empfand zwischen dem Wort „Thrypsis“ und diesem Werk bzw. meinem Leben oder jedem Leben. Denn ich sehe das Leben als eine Art Thrypsis des Individuums, also eine konsequente Zerstörung des ursprünglichen Seins durch „thryptische“ Ereignisse, deren Schäden in jeder Faser der Existenz mitschwingen bzw. nachwirken und damit einen dauerhaften Einfluss auf das (Über-)Leben haben; ein kausaler Zusammenhang zwischen Erfahrungen, biochemischen Effekten in neuronalen Netzwerken und der Gesellschaft.

Die Themen, die du besingst, sind erneut ziemlich düster. Gibt es da einen roten Faden zwischen den Songs oder stehen sie diesbezüglich jeweils für sich?
Der rote Faden bin ich. Dieses Album huldigt auf tragische Weise allen dunklen und zerstörerischen Anteilen, die durch nichts und niemanden ausgerottet werden können. Es behandelt eine Existenz jenseits der Illusion von Katharsis.

Die meisten deiner Texte sind auf Englisch, es gibt aber auch ein paar deutschsprachige Songs von dir. Wonach entscheidest du, in welcher Sprache du schreibst?
Das ist ehrlich gesagt eine spontane Entscheidung, je nachdem was sich gerade eher passend anfühlt.

Worin, würdest du sagen, liegt der größte Unterschied zwischen „Thrypsis“ und dem Vorgängeralbum „The Reflecting Void“?
Thematisch gesehen ist „The Reflecting Void“ ein therapeutisches Wagnis, der Blick hinter die reflektierende emotionale Leere auf das Verdrängte, das dort vergraben liegt. „Thrypsis“ hingegen stellt die Erkenntnis dar, dass wir das Produkt von irreversiblen, „thryptischen“ Geschehnissen sind. Dieses Album umarmt den Schmerz, die Dunkelheit und die Scham als unausrottbare, zerstörende Anteile einer Existenz. Es ist eine Hommage an das Zerstörerische in uns.
Von musikalischer Seite ist „Thrypsis“ der logische Nachfolger von „The Reflecting Void“. Wer INFESTUS kennt, erkennt meinen Stil. „Thrypsis“ ist mindestens genauso emotional aufwirbelnd mit einem Schuss mehr Aggression, gleichzeitig jedoch oft kontrollierter im Tempo. Der größte Unterschied ist sicherlich die Benutzung des Klaviers, welches das Gefühl der Resignation auf ein anderes Level hebt.

Bei der Produktion hast du wieder mit V. Santura (Dark Fortress) zusammengearbeitet. Wie läuft das bei euch ab? Und würdest du sagen, dass ihr inzwischen ein eingespieltes Team seid?
Den Mix des Albums habe ich ja selbst übernommen. V. Santura übernahm dann das Mastering des Albums. Beim Endprozess des Masterings geht es um den letzten Schliff des fertig gemischten Stereosignals. Dabei kommunizieren wir primär schriftlich. Da ich schon beim letzten Album mit ihm zusammengearbeitet habe und damit zufrieden war, habe ich ihn dieses Mal wieder gefragt.

„Thron aus Trümmern“, der längste und zugleich einer der wenigen deutschen Tracks wurde als erstes vorab ins Netz gestellt. Warum wolltest du den Fans gerade mit diesem Song einen ersten Eindruck des Albums vermitteln?
Das ist nicht einfach zu beantworten. Es könnte meine enge emotionale Bindung zu diesem Song sein. Jedoch habe ich eine solche Bindung auch zu den anderen Stücken. Über die Zeit kommt es auch vor, dass sich die Intensität der Erfahrung hinsichtlich eines bestimmten Songs verändert und bei einem anderen Stück intensiver wird. Ich kann nur mutmaßen. Im Endeffekt war es eine emotionale Moment-Entscheidung.

Auf dem Artwork sieht man eine schreiende Person, aus deren Mund dunkle Partikel verschossen werden. Was war der Gedanke dahinter? Und gab es diesbezüglich Fans oder Kritiker, denen das Bild zu plakativ ist?
Natürlich hat das Cover, so wie jeder kleinste Teil dieses und meiner anderen Alben, einen Bezug zum Namen bzw. der Thematik. An diesem (wie auch dem letzten) Artwork habe ich mit meinem Live-Gitarristen Ain zusammengearbeitet. Das Cover ist die Darstellung meiner persönlichen inneren Thrypsis. Aus mir schießen Fragmente meines Seins, eine Versinnbildlichung des Zerfalls, die Scherben einer Existenz, welche gleichzeitig den Ursprung meines ganzen kreativen Schaffens darstellen. Ich wählte bewusst diese klare, kalte Darstellung, um das unmissverständlich klarzumachen. Dieses Cover spaltet die Meinungen in zwei Lager: Die meisten finden es sehr gelungen, andere wiederum sagen, dass es stilistisch nicht passt. Letztendlich kümmert mich das aber wenig, weil ich weiß, warum ich es genau so wollte.

Obwohl du als Solomusiker agierst, trittst du auch manchmal mit Gastmusikern live auf. Wie laufen da bei euch die Vorbereitungen ab, wenn ihr kein festes Bandgefüge habt?
Bisher war es so, dass man sich nur ein- bis zweimal vor einem Gig für eine Probe getroffen hat, vor allem deswegen, weil die Musiker oft in halb Europa verstreut waren. Das, und der andauernde Wechsel von Musikern, war sehr anstrengend und weit entfernt von optimal. Seit kurzem habe ich jedoch ein komplettes Live-Lineup aus der näheren Umgebung zusammengestellt, sodass mehrere Proben möglich sind. Nachdem INFESTUS seit mittlerweile zwei Jahren (aus verschiedenen Gründen) nicht mehr aufgetreten ist, steht nun ein Zeitenwechsel bevor. INFESTUS ist ab jetzt wieder bereit, die menschliche Seele auch live in Schmerz zu baden. Anfragen sind erwünscht!

Warum ist es dir wichtig, mit INFESTUS live zu spielen und es nicht einfach nur als reines Studioprojekt zu führen?
Warum tue ich das? Vor allem, warum tue ich es mir an, mir diese tief schmerzbesetzten Themen wiederholt zuzuführen bzw. es live auf einer Bühne auszuleben und es damit auf eine ganz andere Art und Weise zu erfahren oder zu durchleben? Wahrscheinlich, weil ich ein Masochist bin; wahrscheinlich, weil alles Leben Leid ist; wahrscheinlich, weil ich im Leid erst wirklich merke, dass ich am Leben bin.

Kommen wir nun noch zum traditionellen Metal1.info-Brainstorming. Was fällt dir zu den folgenden Begriffen ein?
Katharsis: Eine Illusion.
Supergroup: Super aufgebläht.
Derzeitiges Lieblingsalbum: Hildur Gudnadottir – Saman
Interessanteste Debemur-Morti-Band: Kein Kommentar.
Musikfestival: Exzess der Massen
Lo-Fi: Nur in Kombination mit Können.

Dann nochmals vielen Dank für deine Zeit. Gibt es noch ein paar letzte Worte, die du an die Leser richten möchtest?
Mein Dank und Respekt gebührt jenen Menschen, die meine Werke nachempfinden können.
Danke auch Dir für das Interview.

Publiziert am von Stephan Rajchl

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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