Mit ihrem Album „The Bleeding Veil“ haben sich die schwedischen Melodic-Death-Metaller IN MOURNING mitten in der Pandemie 2021 quasi neu erfunden. Die beiden Gitarristen und Sänger Tim Nedergård und Björn Pettersson erklären im Interview gemeinsam, wie es dazu kam, welchen Einfluss die Pandemie auf den Release hatte und im Vorprogramm welcher Band sie in ihren Träumen auftreten.
Hallo und vielen Dank, dass ihr euch Zeit für dieses Interview nehmt! Wie geht es euch?
Es geht uns gut! Wir haben hier die ersten Sommernächte, das ist wirklich ein Grund zum Feiern. Jetzt eine Tasse Tee und ein Gespräch mit dir.
Normalerweise führt man Interviews, bevor ein Album herauskommt. Bei eurem „aktuellen“ Album sind wir ein halbes Jahr zu spät dran, aber das eröffnet ganz neue Perspektiven. Ihr habt das Album mitten in der Pandemie veröffentlicht – war das aus heutiger Sicht eine gute oder eine schlechte Entscheidung?
Ein bisschen von beidem. Wenn man ein ganzes Album geschrieben hat und sich ins Studio begibt, ist man als Band und als Musiker in einem besonderen Momentum oder in einer besonderen Phase, sodass es eigentlich nur diesen einen Weg gab, es anzugehen. Die Kehrseite war natürlich, dass wir uns völlig bewusst waren, dass wir höchstwahrscheinlich nicht in der Lage sein würden, zeitnah zur Veröffentlichung auf die Bühne zu gehen. Positiv ist aber andererseits auch, dass wir uns voll und ganz auf die Veröffentlichung konzentrieren konnten, da wir keine Shows hatten und nicht viel geprobt haben.
Provokativ gefragt: Welchen „Sinn“ hat es, ein Album zu veröffentlichen, wenn man nicht auf Tour gehen kann … hat sich die Veröffentlichung für euch finanziell gelohnt, oder hofft ihr, dass die anstehenden Tourneen das ausgleichen werden?
In unserem Fall wäre das so, als würde man einen Maler fragen, welchen Sinn es hat, zu malen, wenn man keine Ausstellung machen kann. Natürlich wissen wir, dass der übliche Zyklus für Bands aus Songwriting, Aufnahmen und Touren besteht, aber wenn wir das Gefühl haben, dass es an der Zeit ist, ein Album zu machen, dann machen wir ein Album, ohne Rücksicht auf die äußeren Umstände. Die treibende Kraft in unserer Band war immer, Musik zu machen. Natürlich wollen wir auch live spielen und Leute treffen, wir sehnen uns wirklich danach, versteh mich nicht falsch, aber wenn der Drang aufkommt, muss man ihm nachgehen.
Hatte die Pandemie irgendeinen anderen Einfluss auf die Entstehung des Albums, das ihr wahrscheinlich auch mitten in der Pandemie geschrieben und aufgenommen habt?
Wenn sich die Welt so wendet, wie es mit der Pandemie geschah, dann stellt das wirklich viele Dinge auf den Kopf und bringt einen dazu, manches zu hinterfragen. In gewisser Weise hat uns das alles sehr beschäftigt und wir haben mehr Emotionen in dieses Album gelegt. Nicht, dass wir das früher nicht auch getan hätten, aber dieses Mal hat es sich anders angefühlt, und wir haben alle wirklich tief gegraben. Wir wollten unbedingt, dass dieses Album für jeden, der es kauft, mehr bedeutet. Es war schwierig, sowohl beim Schreiben als auch bei den Proben alles unter einen Hut zu bringen. Dies ist das erste Album, das wir nicht als Band geprobt haben, bevor wir ins Studio gegangen sind.
Mittlerweile habt ihr mit „Live in Valley Sound Studio“ noch ein Live-im-Studio-Album veröffentlicht. Was war die Idee hinter dieser Aufnahme, was reizt euch selbst an Live-Material anderer Bands, das nicht bei Konzerten, sondern im Studio aufgenommen wurde?
Wir waren überwältigt von der Resonanz, die wir nach der Veröffentlichung von „The Bleeding Veil“ bekommen haben. Da wir mit dem Album nicht auf Tour gehen konnten, wollten wir ein paar Live-Vibes einfangen. Wir haben die Arbeit mit Alexander Backlund im Valley Sound Studio, wo wir auch die Gitarren für das Album eingespielt haben, sehr genossen, und so war es für uns auch ein Vergnügen, dort eine komplette Session von Anfang bis Ende zu machen. Bis vor kurzem waren wir eine Band, die immer sehr viel geprobt hat, und eine Live-Aufnahme im Studio zu machen, war sowohl schön: Zum einen, weil wir endlich wieder zusammen in einem Raum spielen konnten, und zum anderen, weil wir eine ganze Performance einfangen konnten, anstatt ein Album Track für Track aufzunehmen. Unser Videoregisseur Jonna ist ein wahrer Meister im Einfangen von Vibes in bewegten Bildern, und als wir alle im Studio zusammenkamen, war das Feuer bei allen sofort entfacht.
Die Aufnahme wurde rein digital veröffentlicht – das ist im Metal immer noch sehr unüblich. Warum habt ihr euch gegen eine physische Veröffentlichung entschieden?
Wir haben jetzt Compact Discs, Kumpel, wir sind bereit! Die Metal-Welt wird sich freuen! Aber ja, unsere erste Idee war eigentlich, es nur als Video zu veröffentlichen. Aber irgendwann haben wir gemerkt, dass die Nachfrage nach einer physischen Version immer größer wurde, und da es bereits aufgenommen und abgemischt war, war es ein Leichtes.
Zurück zu „The Bleeding Veil“: Seid ihr mit der Resonanz auf das Album, aber auch mit den Verkaufszahlen zufrieden – oder habt ihr mehr (oder weniger) erwartet?
Wir sind wirklich sehr dankbar, dass sich so viele Leute aus der ganzen Welt für unsere Musik interessieren, eine Meinung dazu haben, uns kontaktieren, sie mit anderen teilen und zu unseren Songs abrocken. Da wir uns entschieden haben, dieses Album auf eigene Faust zu veröffentlichen, ohne ein gewöhnliches Plattenlabel, haben wir mehr Einblick als je zuvor in die geschäftliche Seite der Veröffentlichung eines Albums bekommen. Uns ist klar, dass wir vielleicht nicht jeden Winkel der Welt erreichen können, wie das bei einem größeren Label der Fall wäre, aber dort, wo wir es geschafft haben, war die Resonanz überwältigend.
Gibt es aus persönlicher Sicht – jetzt, wo ihr genug Zeit hattet, etwas Abstand zu den Songs zu gewinnen – irgendetwas, das euch an dem Album stört und das ihr, wenn ihr die Chance hättet, jetzt anders machen würdet?
Wenn wir jetzt in den Spiegel schauen, gibt es eigentlich nichts, was wir anders machen würden. Damals, wegen Covid und so, liefen die Dinge nicht wie geplant und wir mussten einige Studiozeiten und -orte ändern, was sich damals ein wenig komisch anfühlte, aber das ist etwas, worüber wir jetzt eigentlich froh sind. Eines führt zum anderen, immer. Vorne das Geschäft, hinten die Party, der Arsch ist immer hinten, egal wie sehr man sich dreht.
Was gefällt euch selbst an dem Album andererseits besonders gut – und wie kam es dazu?
Wenn ich über das Album nachdenke, fällt mir vor allem die gute Stimmung bei den Aufnahmen ein. Ein besonderer Moment der Aufnahmen, der mir in den Sinn kommt, ist eine späte Nacht im düsteren Licht des Mischpults und des Mondes, in der wir die Shred-Leads aufgenommen haben. Es war etwas Magisches in dieser Nacht … ob es die Tatsache war, dass wir an diesem Tag bereits gute vierzehn Stunden im Studio gearbeitet hatten oder ob es tatsächlich Magie war, weiß niemand. Eine andere Sache ist, dass wir uns dieses Mal wirklich erlaubt haben, mit dem Equipment, den Verstärkern, den Pedalen und Gitarren, den Mikrophon-Setups und so weiter herumzuprobieren und zu experimentieren. All das trägt zu der Energie und der Stimmung bei, die wir in diesem Album kanalisiert haben.
Das Artwork des Albums unterscheidet sich sehr von dem, was ihr bisher gemacht habt. Es sieht abstrakter und moderner aus als die sehr malerischen, farbenfrohen Gemälde der letzten Werke. Wie seid ihr zu diesem „Umdenken“ in Sachen Layout gekommen, warum passt dieses Bild perfekt zum Album?
Wir wollten mit diesem Album einen Sprung in eine neue Richtung machen, sowohl musikalisch, textlich als auch vom Artwork her … einfach ganz generell. Wir wollten dem Hörer nicht ins Gesicht klatschen, wie er dieses Album zu interpretieren hat, wie ‚Hey, hier ist unser neues Album, es geht um einen brennenden Leuchtturm in einem feurigen Sturm‘. Wir wollten etwas Abstrakteres mit Neo-Vintage-Charakter, das zum Nachdenken anregt, ob es nun ein schwarzes oder ein weißes Cover ist, oder vielleicht beides … das müsst ihr selbst entscheiden!
Musikalisch finde ich es stellenweise viel „proggiger“ als seine Vorgänger, melodischer, mit mehr klarem Gesang, aber an anderen Stellen auch schneller und härter als zuletzt. Seht ihr auch diese gleichzeitige Entwicklung in beiden Extremen?
Dieses Album und diese Songs fließen auf eine organischere Art und Weise zusammen – vielleicht mit einer größeren dynamischen Bandbreite. Für uns fühlt sich dieses Album nicht so progressiv an wie unsere früheren Alben, eher im Gegenteil. Jedes Album fühlt sich an wie eine Reflektion dessen, wo wir als Personen zu diesem Zeitpunkt stehen, also spielt wahrscheinlich die persönliche Entwicklung und der Werdegang eine Rolle in der Musik.
Was macht für dich generell einen guten Song aus?
Ein Song sollte ein Ziel haben, einige gute Melodien und eine Prise Shredding. Melancholische Melodien, treibende Riffs und den dynamischen Wechsel zwischen harten Growls und engelhaftem Clean-Gesang. Auch die Performance, also die Umsetzung des Songs, kann ein Lied richtig gut oder schlecht machen.
Zeit zum Träumen: Welche Band würdest du gerne mal mit IN MOURNING supporten?
Metallica, immer Metallica … und sie spielen nur Songs vom schwarzen Album und von „Load“!
Und ganz realistisch: Wann gibt es eine Chance, euch live auf den Bühnen Europas zu sehen? Euer Schlagzeuger war ja bereits mit Dark Tranquillity auf Tour … wird es wieder mit IN MOURNING losgehen?
Wir sind heiß darauf, wieder zu spielen, kein Zweifel. Ihr könnt uns auf dem Rockstadt Extreme Fest in Rumänien und dem Dark River Festival in Finnland im August sehen. Die Motoren sind angeworfen, wir müssen nur noch irgendwo hin. Im Moment ist für 2022 noch nicht so viel gebucht, aber wir haben schon einige Tourangebote und Pläne in der Pipeline!
Vielen Dank für das Interview. Zum Schluss unser traditionelles Brainstorming:
Das letzte Album, das du dir angehört hast: Prins Svart – Under Jord, eine schwedische Classic Rock Doom Band (Tim) beziehungsweise Devil Master – Ecstasies Of Never Ending Night (Björn)
Wenn „The Bleeding Veil“ ein Auto wäre … welcher Typ? Volvo V70 mit Ledersitzen.
Opeth: PRS-Gitarren haben wirklich schöne Tops, Fredrik Åkessons guter Sound … und großes musikalisches Können!
Black Metal: Dissection
Ein Essen, das dich immer glücklich macht: Etwas, das mit Liebe gekocht ist.
IN MOURNING in zehn Jahren: alt
Nochmals vielen Dank für eure Zeit. Die letzten Worte gehören euch!
Wenn ihr es bis hierher geschafft habt, danke, dass ihr drangeblieben seid! Wenn ihr auf richtigen schwedischen Melodic Death Metal steht, oder einfach nur mal Hallo sagen wollt, wir haben keine Website, aber ihr könnt uns auf Youtube, Instagram und Facebook finden, wenn das euer Ding ist. Oder auf Bandcamp … im Internet eben!
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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