2009 veröffentlichte das Duo IMPAVIDA mit „Eerie Sceneries“ ein wahrlich beeindruckend düsteres Debüt. Elf Jahre später melden sich IMPAVIDA zurück: mit dem nicht minder packenden „Antipode“. Bandgründer God Killing Himself über extremen Erfahrungen, Salad Fingers und den perfekten Black-Metal-Sound.
Wieso hat es so lange gedauert – was hat sich getan seit „Eerie Sceneries“?
Die Idee IMPAVIDAs war absichtslos und völlig unbewusst an eine spezielle persönliche Zeit und gewisse persönliche Erfahrungen gebunden, was mir, beziehungsweise uns zu Beginn des Projektes nicht bewusst war. Diese speziellen und vor allem extremen Erfahrungen habe ich auf „Eerie Sceneries“ ausreichend verarbeiten können. Nach den Aufnahmen zu unserem Debüt gab es deswegen eigentlich weder ein ernsthaftes Bestreben, jemals ein zweites Album zu schreiben, noch die Band weiterzuführen. Dieses Kapitel fühlte sich abgeschlossen an und es war mir emotional nicht mehr möglich, an die Klangwelten anzuknüpfen, die IMPAVIDA aus meiner Perspektive ausmachten. Herbst und ich hatten nach der damaligen Veröffentlichung auch nie wieder miteinander bezüglich der Band gesprochen, auch wenn wir nach wie vor Kontakt zueinander haben. Wir haben uns also ganz inoffiziell aufgelöst und IMPAVIDA mit der Zeit als beendet betrachtet.
„Eerie Sceneries“ hat mich damals ziemlich beeindruckt – was mich aber immer irritiert hat, war dieses Salad-Fingers-Sample. Wie kam es damals zu der Idee, und habt ihr gezögert, weil man euch damit eventuell nicht mehr ernst nehmen könnte?
Vielen Dank erst einmal für dein Kompliment. Die Kurzfilme von David Firth, aus welchem das auch das Salad-Fingers-Sample stammt, waren damals sogar einer der treibenden Motivatoren zur Gründung von IMPAVIDA. Auch wenn es mittlerweile wohl etwas „outdated“ ist, fängt das Sample meiner Meinung nach immer noch exzellent den verstörten, selbstzerstörerischen Geist des ersten Albums ein. Das Sample hat sich in Verbindung mit unserem damaligen Song „Dark Skies“ irgendwie sofort authentisch und an der richtigen Stelle angefühlt, weshalb ich es als eine Bereicherung für die Atmosphäre des Albums empfand. Wir hatten eigentlich nie die Befürchtung oder das Gefühl, durch die Nutzung des Samples nicht mehr ernst genommen zu werden, ganz im Gegenteil: Wir bekamen eine Menge positiver Aufmerksamkeit und Rückmeldungen diesbezüglich.
Wann und warum hast du wieder angefangen, an IMPAVIDA zu arbeiten?
Über die vielen Jahre ist mir dennoch stets die Faszination für obskure, unkonventionelle und düstere Musik erhalten geblieben. Das hat letztendlich auch zur Wiederbelebung von IMPAVIDA vor zwei Jahren geführt. Man könnte sagen, dass es ein ungeplanter, aber tiefgreifender Schlüsselimpuls während Aufnahmen in einer kalten Novembernacht war, der das Feuer wieder zum lodern brachte und eine enorme Menge kreativer Energie freisetzte: „Antipode“ wurde geboren.
Was steckt hinter diesem Titel, „Antipode“ – oder ist es sogar ein Konzept?
„Antipode“ ist lateinisch und bedeutet sinngemäß so viel wie „Gegenteil“: Es beschreibt zwei gegensätzliche, diametrale Pole, also einen Protagonisten und Antagonisten. Feuer und Eis, Leben und Tod; wenn Kälte für die Verdrängung des Lebens steht, so bedeutet Wärme dessen Erhaltung, im dichotomen Umkehrschluss. Diese Symbolik verarbeitet das Album konzeptionell durch mythologische Zeremonien, welche die Wechselwirkung zwischen den beiden Gegensätzen verdeutlichen. Alles irdische Leben ist in dieser Betrachtungsweise der Grausamkeit beider Antipoden und ihrer Unausweichlichkeit hilflos ausgeliefert, beziehungsweise ein Teil von ihr. Dies wird textlich auch in den beiden Hauptstücken thematisiert: Der Winter und die lebensfeindliche Kälte, welche Körper und Geist verschlingt, wird in „Demons’ Eerie Flutes […]“ durch die mythologische Figur der Rusalka dargestellt; ein feminines Wesen, das in Gewässern auf einsame Männer lauert, die sie zuerst durch ihre Schönheit anlockt und daraufhin verschlingt. Der Sommer und die Energie, welche die Wärme versprüht, wird in „The First Flame […]“ durch die Gottheit der Marija verkörpert, welche das menschliche Leben durch die Macht der wärmenden Flamme zusammenbringt und deren Faszination für ebenjene Macht ausnutzt, um es bis zur Selbstaufopferung zu treiben. Diese beiden Erzählungen beziehungsweise Märchen folgen dem „antipodischen“ Leitmotiv und nutzen diese Metapher, um das selbstzerstörerische menschliche Wesen unter extremen Bedingungen zu skizzieren.
Auf dem Debüt hast du die Texte selbst gesungen, jetzt hast du dir einen Sänger an Bord geholt. Wie kam es dazu, was hat dich zu dieser Entscheidung gebracht?
Zu Beginn der Aufnahmen von „Antipode“ bestand ursprünglich die Idee, dass ich selbst den Gesang übernehme, wie auch auf „Eerie Sceneries“. Ich war jedoch mit der Klangfarbe und den eigenen Arrangements meiner Screams auf dem neuen Material nicht mehr zufrieden, woraufhin ich He, Who Walketh The Void kontaktierte, einen alten Freund, von dessen außergewöhnlichen Schreien ich schon länger beeindruckt war. Die Klangfarbe seiner Stimme, aber auch seine unkonventionellen Gesangsarrangements haben mich gleich überzeugen können und er ist zweifellos eine große Bereicherung für IMPAVIDA.
Wer hat das Schlagzeug für das neue Album eingespielt, nachdem Herbst nicht mehr Teil der Band zu sein scheint?
Richtig, Herbst und ich sind unmittelbar nach dem Debüt getrennte künstlerische Wege gegangen. Für die Drums von „Antipode“ bin ich selbst zuständig gewesen, was vor allem die genaue Umsetzung von Ideen, sowie detaillierte Einstellungen am Schlagzeugsound enorm erleichterten. Da ich das Album auch selbst gemixt habe, konnte ich daher alles zu hundert Prozent nach meinen eigenen Vorstellungen gestalten.
Wie schon beim Debüt ist das Cover von Stephen Wilson erneut sehr düster, in schwarz und silber gehalten. In welchem Kontext steht es zu der Musik?
Die Figur auf dem Cover symbolisiert das vorher beschriebene Konzept von „Antipode“. Sein Körper repräsentiert dabei die beiden entgegengesetzten Pole: Erhaltung und Zerstörung des Lebens. Die Wahl von Stephen Wilson fiel uns leicht, da seine Bilder eine grundlegend düstere und bedrohliche Atmosphäre verbreiten, welche perfekt zur Stimmung von IMPAVIDA passt. Er brachte die Ideen zum Artwork selbst ein und arbeitete ziemlich autonom. Das war sehr hilfreich, da wir kaum konkrete Ideen zur Visualisierung des Themas hatten.
Was die Musik angeht, finden sich auf dem Album zwei Songs über 15 Minuten, und zwei sehr kurze mit knapp drei Minuten. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen Verteilung von Spielzeit?
Die exorbitante Länge der beiden Hauptstücke war von Anfang an eine wichtige Intention, um die notwendige Atmosphäre aufzubauen und entfalten zu können. Ich wollte ebenso genügend zeitlichen Raum schaffen, um die jeweiligen Geschichten der Songs zu erzählen. Die eigensinnigen Konzepte der sehr unterschiedlichen Songlängen entstanden, nachdem ich die beiden langen Haupstücke aufgenommen und ein grobe Thematik entwickelt habe. Es war klar, dass es nicht nur bei zwei Songs bleiben wird, allein wegen der Gesamtspielzeit. Also dachte ich, dass so etwas wie ein musikalischer Abspann zu den jeweiligen Stücken eine willkommene Abrundung darstellt und die beiden „antipodischen“ Hauptkapitel damit abschließt. Ganz unbeabsichtigt haben beide LP-Seiten übrigens auch die exakt gleiche Spiellänge.
Die Songs sind in der Tracklist getrennt, man könnte meinen, es wären eigentlich zwei „Seiten“ mit je einem langen und einem kurzen Stück. Bilden die Songs so auch thematisch eine Einheit, oder wären sie untereinander auch vertauschbar?
Die Verteilung der Spielzeit auf „Antipode“ hängt eng mit dem oben genannten Konzept des Albums zusammen. Jeweils ein langes und kurzes Stück auf einer LP-Seite bilden eine thematisch-geschichtliche Einheit. Während die sehr langen Stücke als Hauptteile der Erzählungen funktionieren, bilden „Corpse Devourer“ und „Towards The Pyre“ die jeweilige Nachbereitung ab und sind daher nicht beliebig vertauschbar. „Corpse Devourer“ beschreibt den Verzehr von Vergangenem zwecks Erhaltung des Zukünftigen (in diesem Fall die Erhaltung des Lebens durch den Verzehr von Leichen durch die mythologischen Rusalkas) als Metapher in Anknüpfung an den Opener. Im Gegensatz dazu handelt „Towards The Pyre“ von der Vernichtung des Zukünftigem (also des Lebens), um Vergangenes zu konservieren. Beide kurzen Stücke knüpfen damit an die langen Vorgänger an und pointieren deren Symboliken, während sie gleichermaßen die Geschichten der Hauptstücke zu Ende bringen.
Gerade im Opener spielen Dissonanzen eine große Rolle – wie anstrengend zu hören muss guter Black Metal sein?
Geht es rein um die tonale Inszenierung, dann muss Black Metal meiner Meinung nach nicht unbedingt anstrengend zu hören oder dissonant sein. Es gibt unzählige Bands, die durchaus harmonischen und melodiösen Black Metal mach(t)en und mir sehr gefallen, wie etwa Kvist, alte Ulver oder Barbelith, um auch eine aktuellere Band zu nennen. Es kommt meiner Meinung nach eher darauf an, wie authentisch sich die Musik anfühlt und ob sie es schafft, den Hörer emotional zu ergreifen. Dennoch stelle ich fest, dass es oft eher dissonante und kakophonische Werke sind, die mich so richtig mitreißen. Ich denke, Black Metal kann sein Potenzial am ehesten dort entfalten, wo er die Grenzen konventioneller Hörgewöhnheiten überschreitet und in eine unwirkliche, andere Welt einlädt, die sonst kein anderes Genre so offerieren kann.
Fast schon als Markenzeichen von IMPAVIDA muss man den extrem düsteren, verwaschenen Sound ansehen – wer zeichnet dafür verantwortlich, und warum „muss das so“?
Da ich selbst für die Aufnahmen und das Mixing zuständig bin, freut es mich natürlich sehr zu hören, dass mein Sound einen Wiedererkennungswert hat. Ich kann steril klingenden Produktionen gewöhnlich nichts abgewinnen, ihnen fehlt es an Leben, sie „atmen“ quasi nicht. Lo-Fi-Produktionen hingegen bergen das Potenzial, unerwartete Synergien von verschiedenen Klangfarben und Tönen zu erzeugen, welche im „Schmutz“ einer organischen, vermeintlich minderwertigen Aufnahme vergraben sind und durch gezielte Produktion ausgegraben werden müssen. Zur Verdeutlichung muss man nur die grandiose selbstbetitelte Scheibe von Strid auflegen: Der Sound klingt deshalb so kalt und verloren, weil dessen extrem verwaschene Aufnahme einen ganz eigenartigen, fremd wirkenden Guitar-Tone produziert. Das alles geht in der Regel bei sämtlichen Hochglanz-Studio-Produktionen leider verloren.
Was macht für dich generell Black Metal aus, welche Bands aus dem Genre haben dich besonders beeindruckt, vielleicht sogar beeinflusst?
Wie gerade schon erwähnt, definieren für mich besonders solche Werke den Black Metal, die konventionelle Hörgewöhnheiten in Frage stellen. Das kann einerseits durch eine eigenartige Produktion geschehen, aber auch, indem spezielle Songarrangements, Melodien und Strukturen implementiert werden. Geht es um die Produktion, habe ich mich im Entstehungsprozess von „Antipode“ besonders von einigen eher unbekannteren Platten, wie „Banished From Time“ von Black Cilice oder der „Odour Of Dust & Rot“-Compilation vom Label Rhinocervs inspirieren lassen. Beim Songwriting hatte ich jedoch keine konkrete Inspiration zum Vorbild, sondern habe versucht, „Antipode“ so klingen zu lassen, wie sich IMPAVIDA schlichtweg heutzutage für mich anfühlt. Da steckt sicher der eine oder andere hörbare Einfluss verschiedener Bands drin, es ist aber trotzdem zu 100 % IMPAVIDA, wie ich finde.
Und mit welcher Art von Black Metal kannst du gar nichts anfangen?
Das ist schwer zu sagen, da es aus beinahe jedem Subgenre ein paar hörenswerte Platten gibt. Aber auf keinen Fall kann ich etwas mit NSBM beziehungsweise Black Metal, der faschistoide, rechte oder antisemitische Einflüsse hat anfangen. Das schließt für mich auch äußere und subtile Einflüsse ein, wie Verbindungen von Musikern ins rechte Lager oder kryptofaschistische Texte und Symbole. Für solche Ideologien im Black Metal (und sonstwo) habe ich keine Toleranz. Davon abgesehen kann ich dem „Orthodox Black Metal“-Trend generell kaum etwas abgewinnen.
Kannst du dir vorstellen, mit IMPAVIDA auch mal live aufzutreten?
Nein, niemals. IMPAVIDA ist eine reine Studioband und wird es auch ewig bleiben. Ich kann Konzerten generell übrigens wenig abgewinnen.
Besten Dank für Zeit und Antworten. Zum Abschluss ein Brainstorming:
Dimmu Borgir: Not my cup of tea.
Spotify: Zerstört die Kreativität und Ressourcen kleiner Akteure.
Klargesang im Black Metal: Kann durchaus großartig sein.
Boris Johnson: Ein armer Clown.
Alkohol: Bier und Pfeffi.
CDs: Lieber Jewel-Case als Digi.
IMPAVIDA in zehn Jahren: Keine Ahnung …
Die letzten Worte gehören dir – gibt es noch etwas, was du unseren Lesern mitteilen möchtest?
Vielen Dank an alle, die uns über die Jahre nicht vergessen haben.
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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