Interview mit Skald Draugir von Helrunar

Mit ihrer aktuellen Platte „Vanitas Vanitatvm“ haben HELRUNAR ihrem Ruf als eine der interessantesten, deutschen Black-Metal-Bands erneut alle Ehre gemacht. Wie es dazu kam, dass das Album wieder deutlich schwarzmetallischer ausgefallen ist als der Vorgänger „Niederkunfft“, warum in den Texten abermals neuzeitliche Themen aufgegriffen werden und was Klaus Kinski mit der „Heralds-Of-The-Fall“-Tour zu tun hat, erfahrt ihr neben allerlei Anderem im folgenden Interview mit Leadsänger Skald Draugir.

Ich grüße dich! Schön, dass du dir die Zeit nimmst, um uns ein paar Fragen zu beantworten. Wie geht es dir?
Hei! Danke, alles gut soweit. Nur etwas viel stressige Arbeit für den Broterwerb. Nach der Tour brauchten wir auch einige Zeit für den „Rücksturz in den Alltag“… Vielen Dank für Dein Interesse!

Zuletzt habt ihr mit „Vanitas Vanitatvm“ eure mittlerweile fünfte Full-Length-Platte herausgebracht. Wenn du auf eure Bandgeschichte zurückblickst, welches Album betrachtest du als das wichtigste für eure Entwicklung als Band?
Ich vermute, das wird „Sól“ gewesen sein. Das Album ist definitiv ein Wendepunkt in der Bandgeschichte und hat die Marschrichtung für unsere künftigen Veröffentlichungen festgelegt.

Thematisch bewegt ihr euch auf „Vanitas Vanitatvm“ in der Neuzeit, also noch später als auf „Niederkunfft“. Habt ihr mit den altnordischen Themen eurer früheren Alben abgeschlossen?
Vorerst ja. In meiner Tätigkeit bei Árstiðir Lífsins bewege ich mich zwar immer noch im Kontext altnordischer Themen, aber für HELRUNAR erscheint mir diese Thematik erst einmal erschöpft, da möchte ich neue Themenfelder erarbeiten. Im Prinzip beziehen „Niederkunfft“ und „Vanitas Vanitatvm“ Inspiration aus dem gleichen Zeitraum, nämlich der frühen Neuzeit. „Niederkunfft“ ist aber sehr viel mehr ein historisches Album, während „Vanitas Vanitatvm“ durchaus auch starke Bezüge zur Moderne hat.

Ihr habt euch von dem Vanitas-Motiv der Werke von Andreas Gryphius inspirieren lassen. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, lyrisch in diese Richtung zu gehen?
Ursprünglich wohl durch meine Magisterarbeit. Die handelte zwar nicht von Gryphius, war aber thematisch im 17. Jahrhundert angesiedelt. Ich musste zahlreiche Quellen jener Zeit bearbeiten und fand dieses barocke Deutsch sehr reizvoll… Als dann die ersten Kompositionen zu „Niederkunfft“ fertig wurden fiel mir auf, dass sie sich atmosphärisch sehr gut in die Atmosphäre und Themen jener Zeit einfügen ließen. So entstand dann „Niederkunfft“… Auf „Vanitas Vanitatvm“ wurde diese Beschäftigung dann noch ein wenig fortgesetzt, wenn auch freier, moderner.

Würdest du sagen, dass die Eitelkeit bzw. der vergebliche Versuch, Vergänglichkeit zu verhindern oder zu leugnen, heutzutage in der Gesellschaft zugenommen hat? Falls ja, was könnte der Grund dafür sein?
Das ist eine verdammt interessante Frage…! Und sie ist nicht leicht zu beantworten. Naheliegend ist es wohl zu bemerken, dass den neuen Medien, den sozialen Netzwerken usw. hier eine entscheidende Funktion zukommt. Sie haben sicherlich das Kontakt- und Kommunikationsverhalten der Menschen in den letzten Jahren sehr verändert… Es kommt wohl immer weniger auf reale Begegnungen und langsam wachsende menschliche Bindungen und Freundschaften an, sondern eher auf möglichst effektive Selbstdarstellung, um Interesse zu erregen und Likes und „Freunde“ zu sammeln, schnelle Wirkung auf andere, schnelle Erfüllung von Bedürfnissen, etc.. Diese Entwicklung spielt natürlich der Eitelkeit in die Hände. Aber das berührt nahezu alle Aspekte menschlicher Existenz. Man bemerkt auch, dass immer weniger Menschen zum Beispiel die Muße haben, sich mit einem Album vernünftig und intensiv auseinander zu setzen… Wozu auch, wenn immerzu alles an Musik verfügbar ist? Ebenso wird schnell verfügbare Information mehr und mehr dem Wissen vorgezogen, denn Wissen ist etwas, das langsam wachsen, das bisweilen mühsam erarbeitet werden muss. Was mühsam, unbequem, vielleicht auch hässlich daher kommt, wird lieber zurückgewiesen und verdrängt. Diese Konzentration auf das Äußerliche, das Ansprechende und schnell Verfügbare schafft dabei aber in sich eine eigene, neue Form von Vergänglichkeit… Die Informationen, die man hat, sind ohne Kontext vage und beliebig. Die menschlichen Bindungen, die man eingeht, sind unverbindlich und vergänglich. Die Erfahrung des Lebens, der Existenz höhlt sich zunehmend aus, da es mehr um den Lifestyle und dessen Darstellung geht als um das Leben an sich. Das wären, vielleicht etwas überspitzt, ein paar meiner Ideen dazu.

Inhaltlich bezieht ihr euch diesmal auch auf griechische und römische Mythologie. In welcher Verbindung stehen diese Verweise zu der übergeordneten Vanitas-Thematik?
Sie sind lose damit verbunden. Da wären die „Lotophagoi“, also die Lotusesser aus der Odyssee. Die stehen symbolisch für jene, die sich weltvergessen an sich selbst berauschen. „Satvrnus“ (bzw. Kronos bei den Griechen) hingegen, der antike römische Gott der Aussaat und Ernte bildet, zunächst mit Sichel, den Prototypen des Schnitters. Zu späteren Zeiten macht seine Gestalt einen Bedeutungswandel durch, er wird häufiger und häufiger mit Sense dargestellt und wird im Laufe des Mittelalters schließlich die Vorlage für den „grimmigen Sensenmann“, womit wir dann wirklich bei einem Vanitas-Motiv wären.

Hast du den Eindruck, dass eure Fans den Texten viel Beachtung schenken? Und stört es dich, wenn manche das nicht tun?
Ich habe schon den Eindruck, ja. Es macht wohl viel aus in unserem Falle, diese Verbindung von Musik und Text. Wenn jemand HELRUNAR aber nur wegen der Musik hört stört es mich auch nicht.

Musikalisch spielt ihr auf eurer neuen Platte wieder mehr Black Metal. Warum habt ihr beschlossen, nach „Niederkunfft“ wieder einen Schritt zurückzugehen?
Wirklich beschlossen haben wir das eigentlich nicht… So etwas planen oder beschließen wir eigentlich nie. Es entwickelt sich eher unbewusst, wie von allein. Wir schreiben Musik, wie es uns richtig erscheint, oftmals geprägt von der Musik, die wir selber zu jener Zeit gerne hören. Da war dann wohl einfach wieder mehr Black Metal dabei. Wenn Du mich nun fragen würdest wie der Nachfolger von „Vanitas Vanitatvm“ vielleicht klingen wird… Ich könnte es Dir jetzt noch nicht beantworten.

Ihr habt nun schon Folk, Doom Metal und schwedischen Death Metal in eure Musik einfließen lassen. Zieht ihr in Betracht, in Zukunft noch ganz andere Stilrichtungen in euren Sound zu integrieren oder habt ihr euch inzwischen festgelegt?
Wir haben uns insofern ein wenig festgelegt, dass wir wirklich Metal machen und dass es auch immer nachvollziehbar nach Metal klingen und sich nach Metal anfühlen soll. Wir würden eher nicht gefälligere moderne Einflüsse verwenden, nur weil sie gerade „en vogue“ sind… Wenn, dann orientieren wir uns eher an unseren alten Vorbildern. Gleichwohl haben wir, wenn es um Musik geht, eigentlich keine Scheuklappen auf… Wir hören viele verschiedene Arten von Musik. Ob die dann aber unbedingt Auswirkungen auf den Klang von HELRUNAR haben müssen…? Vielleicht mal ganz dezent. Ein klein wenig innovativ zu sein, das peilen wir ja schon an. Aber auf unsere eigene Weise.

Ich habe den Eindruck, dass die Growls auf eurem neuen Album mächtiger klingen als zuvor. Gibt es dafür einen bestimmten Grund?
Ich glaube, ich habe in diesen extremen Gesangslagen einfach ein wenig mehr variiert… Vor allem auch, da es diesmal keinerlei cleanen Gesang und keine Chöre auf dem Album gibt. Dementsprechend habe ich versucht, in die Growls und das Gekeife mehr Farbe und Ausdruck hinein zu bekommen… Daran mag es liegen.

Eingeleitet und abgeschlossen wird „Vanitas Vanitatvm“ von schwermütigen Streichern. Wie kamt ihr zu dem Entschluss und was war euer Gedanke dahinter?
Nachdem Árni (von Árstiðir Lífsins), der ja Viola spielt, nun schon seit einiger Zeit als Live-Gitarrist bei uns aktiv ist, war der Gedanke eigentlich naheliegend, dass wir dieses Instrument mal nutzen könnten. Streicher haben, wenn man sie richtig einsetzt, etwas sehr morbides. Das passte einfach gut zu „Vanitas Vanitatvm“.

Auf dem Song „Nachzehrer“ spielt ihr sogar ausschließlich Doom Metal mit gesprochenen Text. Warum habt ihr gerade diesem Song derart anders konstruiert als die übrigen Tracks?
Die Ursache dafür mag sein, dass in diesem Falle der Text früher entstanden ist als die Musik. Schon vor einigen Jahren sprach Stefan von Prophecy Productions einmal davon, dass das Label einen Sampler plant, auf dem diverse Bands Themen aus der Folklore vertonen. Da überlegte ich mir welches Motiv für HELRUNAR passend wäre und kam auf den „Nachzehrer“, eine spezielle Form von Vampir bzw. Untoten aus der europäischen Folklore. Bereits zu jenem Zeitpunkt wurde also schon der Grundstein für den Text gelegt. Als es an die Kompositionen für „Vanitas Vanitatvm“ ging, beschloss ich, den Text endlich abzuschließen und komponierte schließlich auch die Musik dazu. Im Kontext der ganzen Idee erschien es mir am passendsten, wenn der Song einen starken narrativen Charakter bekommt.

Hast du einen persönlichen Favorit auf eurem neuen Album? Falls ja, warum ist es gerade dieser?
Das wäre „Da brachen aus böse Blattern, am Menschen und am Vieh“. Ich mag einfach diese unheilvoll schwebende Lead-Melodie am Anfang und die generelle, morbide Stimmung des Songs.

Das Artwork zeigt das Bild „The Death Of Hypatia“ von William Mortensen. Woher kennt ihr dieses Kunstwerk und warum habt ihr gerade dieses für euer Cover ausgewählt?
Da hat das Internet mal seine positiven Aspekte offenbart: Ich habe es auf irgendeiner Seite gesehen (ich weiß nicht einmal mehr wo) und war sofort angetan von diesem Bild. Auch Sebastian meinte, dass es das perfekte Cover wäre: Schönheit und Tod – und das auch noch so meisterhaft und düster arrangiert! Es folgte dann aber noch eine längere Recherchearbeit, um herauszufinden, wo das Bild heutzutage aufbewahrt wird und wie die Rechtslage ist. Am Ende fanden wir heraus, dass es im Archiv der Universität von Arizona liegt. Die Mitarbeiter dort waren sehr freundlich und hilfsbereit und schickten uns auch einen hochauflösenden Scan, so konnten wir es dann verwenden.

Eure Setlist auf der „Heralds-Of-The-Fall“-Tour hatte einige Überraschungen zu bieten: Ihr habt zum Beispiel ein Stück von eurer Demo, dafür aber keines von „Baldr Ok Iss“ gespielt. Woran habt ihr die Songs ausgewählt?
Vor allem lag die Betonung erst einmal auf den neuen Stücken, denn wir hatten wirklich Lust, endlich mal wieder neue Sachen zu spielen und wollten diese natürlich auch unseren Fans präsentieren. Die anderen Stücke haben wir eher danach ausgewählt, was atmosphärisch dazu passen könnte und was live gut funktioniert.

Wie kam es dazu, dass ihr mit Empyrium und Sun Of The Sleepless auf Tour gegangen seid, und welche Erfahrungen habt ihr auf der Tour gesammelt?
Wir sind ja seit Jahren schon mir den anderen Bands bzw. mit den Musikern, die dahinter stehen, befreundet – da lag es nahe, dass wir so etwas einmal zusammen machen. Es ist schon mal sehr gut, wenn man von vorne herein weiß, dass es menschlich gut funktioniert… In einem Tourbus lebt man doch sehr beengt zusammen, da kann es nach einiger Zeit leicht zu Konflikten kommen, wenn es nicht passt. Aber auf dieser Tour lief es großartig. Alle haben sich super verstanden und gut aufeinander aufgepasst. Auch musikalisch passten die Bands natürlich gut zusammen, das sollte ein ansprechendes Package für jeden Besucher gewesen sein! Generell hatten wir eine echt gute Zeit, von den üblichen Entbehrungen einer Tour einmal abgesehen. Alle Konzerte liefen gut und waren gut besucht.

Gibt es eine Anekdote von der Tour, die du mit uns teilen möchtest?
Nun, wir haben uns auf der Tour einen Spaß daraus gemacht, Klaus Kinski zu imitieren und uns ständig dementsprechend anzuschreien. Als wir an der Schweizer Grenze beim Zoll standen, sagte Allen B. Konstanz plötzlich zu mir: „Wenn du zu den Beamten dort gehst und den Kinski machst, kriegste fünf Euro von mir!“ Ich sagte: „Für fünf mache ich es nicht, aber für fünfhundert!“. Daraufhin fingen alle an, nach ihrem Geld zu kramen und wollten zusammenlegen… Am Ende haben sie es doch nicht gemacht, aber ich kam ganz schön ins Schwitzen und sah mich schon die Nacht zusammengeknüppelt in einer Zelle liegen…

Wie sieht es hinsichtlich Wöljager und Árstiðir Lífsins aus? Gibt es bei einem der Projekte vielleicht schon Pläne für ein weiteres Album?
Wir haben im vergangenen Sommer tatsächlich ein neues Árstiðir-Lífsins-Album aufgenommen, d.h. es wird sogar wieder ein Doppelalbum werden! Wöljager hängt hingegen noch in der Pipeline, da HELRUNAR zunächst einmal Vorrang hatte.

Zum Abschluss würde ich mit dir gerne noch, wie bei Metal1.info üblich, ein kurzes Brainstorming durchgehen. Was kommt dir bei den folgenden Begriffen in den Sinn?
Social Media: War mal gut gemeint. Die Macher haben aber von Anfang an die menschliche Natur nicht ausreichend in Betracht gezogen, bzw. haben sie schon gemacht, aber aus den falschen Gründen. Die Welt wird lernen müssen, damit umzugehen. Wird sie auch, wenn alles gut läuft.
Identität: Wird gerade leider ein Modebegriff und damit eine Worthülse. Schade.
Leben nach dem Tod: Da bin ich so schlau wie jeder andere. Schauen wir erst mal, dass wir das Leben vor dem Tod vernünftig hin bekommen.
Barock: Ein Hexenkessel der Ideen und Ideologien. Der heutigen Zeit nicht unähnlich.
AfD: Wegen der oben schon geschilderten Umstände leben wir in einer Zeit, in der die nassforschen Typen, die Lügner und Blender, die Großmäuler und Selbstdarsteller, die Ideologen und die Selbstgerechten Morgenluft wittern. Das sage ich mal ganz neutral.
Dein derzeitiges Lieblingsalbum: „Dangerous Days“ von Perturbator.
Geschichte: Immer wieder gern!

Zum Abschluss möchte ich mich nochmals bei dir für dieses Interview bedanken. Möchtest du noch ein paar abschließende Worte sagen?
Vielen Dank für Deine Fragen und pardon, dass die Beantwortung etwas dauerte. Man hat´s nicht leicht, aber leicht hat´s einen.

Publiziert am von Stephan Rajchl

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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