Interview mit Theoharis von Hail Spirit Noir

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Mit „Fossil Gardens“ haben HAIL SPIRIT NOIR nicht nur ihr bisheriges Meisterwerk veröffentlicht, sondern zugleich die Latte für avantgardistische Back-Metal-Alben sehr hoch gehängt. Mit Sänger und Gitarrist Theoharis sprachen wir über Ironie im Metal, Nirwanas “In Utero” und Über-Song “The Road To Awe”

Seit der Gründung der Band vor 14 Jahren hat sich euer Stil mehrmals stark verändert – zuletzt habt ihr mit „Mannequins“ Synth-Wave gemacht. War es rückblickend eine gute Idee, „Mannequins“ unter demselben Bandnamen zu veröffentlichen? Ich könnte mir vorstellen, dass viele Fans der frühen Alben nicht bereit waren, diesen Weg mitzugehen.
Wie du schon sagtest, haben wir uns mit jeder Veröffentlichung von unserer Haut befreit, also war „Mannequins“ vielleicht ein kleiner Schock, aber ich habe nie so weit gedacht. Uns war von Anfang an klar, dass es ein einmaliges Album sein würde, eine Art Würdigung der ersten zehn Jahre der Band. Die meisten Stücke waren neu abgemischte und neu interpretierte Versionen älterer Songs, zusammen mit ein paar neuen Stücken. Es war ein interessantes Experiment, das Haris und Sakis unbedingt ausprobieren wollten, und wir konnten nichts Schlimmes daran finden. Das Problem lag darin, dass niemand zu verstehen schien, dass dies ausschließlich für dieses Album geplant war, und deshalb liefen die Leute Sturm. Aber es ist ganz klar ein HAIL-SPIRIT-NOIR-Album.

Wie habt ihr den Weg zurück zum (Post-)Black Metal gefunden, wie seid ihr an „Fossil Gardens“ herangegangen, was das Songwriting angeht?
Ziemlich einfach, um ehrlich zu sein. Wir haben nie gesagt, dass wir uns nicht mehr für Black Metal interessieren oder dass wir irgendwie unser Feuer verloren haben. Auf „Eden In Reverse“ fehlten vielleicht die typischen Black-Metal-Elemente, vor allem der Gesang. Also man findet sie hier und dort schon – nur sie sind eben nicht so dominant. Dieses Mal haben wir viele unserer 1990er-Jahre-Einflüsse und ein paar neue Bands wie Stormkeep gehört, und das hat ein bisschen auf uns abgefärbt, was nur natürlich ist. Aber als Haris anfing, die ersten Tracks zu komponieren, wurde es offensichtlich, dass wir anders an die Sache herangehen mussten als bei „Eden…“. Als die Tracks Gestalt annahmen, war es eine extreme Platte, unsere bisher extremste, denke ich. Es war keine kalkulierte Reaktion oder etwas in der Art. Die Songs verlangten nach Aggression und hoffentlich haben wir sie geliefert!

Was steckt hinter dem „Perlenengel“ auf dem Cover?
Wir haben die Arbeiten von George Baramatis gesehen und waren ziemlich beeindruckt – deshalb haben wir ihn gebeten, das Cover für uns zu gestalten. Und das ist das Ergebnis, das er uns präsentiert hat.

Welches Konzept steckt hinter dem Bild, insbesondere in Bezug auf den Titel und die Texte des Albums?
In unseren Augen spiegelt es ziemlich genau die Gesamtheit der Texte und Konzepte des Albums wider. Da ist eine Auster wie ein Tempel, in dem die Welt bereit ist, von der sich noch formenden Figur entweder entdeckt oder zerstört zu werden. Die Figur ist fast wie eine Sanduhr und besteht aus Muscheln, nur um uns daran zu erinnern, wo wir herkommen. Und das alles vor einer Kulisse, die ebenso leer wie voller unbekannter Geheimnisse ist.

Was ist der „Fossil Garden“ – wovon handelt das Album?
Mit diesem Begriff meinen wir das gesamte Universum, den Kosmos, wie auch immer man ihn nennen will. Von den dunkelsten Ecken bis zu den am besten erforschten Oberflächen, von jeder detaillierten und fortgeschrittenen Idee bis zu den obskursten Vorstellungen, die sich in unsichtbaren Clustern verstecken könnten. Haris und ich diskutieren jedes Mal, wenn es Zeit ist, etwas zu Papier zu bringen und herauszufinden, wovon das Album handeln soll. Genau wie die Musik spiegelt es unsere Gedanken zu diesem Zeitpunkt wider. Während einer dieser Diskussionen kam Haris auf den Titel, nachdem er von einem Friedhof der Ideen als Konzept gesprochen hatte. Es ist jede einzelne Idee, die jemals war und jemals sein wird, jede Konzeptstruktur und Methode. Lebendig oder tot, im Stillstand oder sich entwickelnd. All das wird mithilfe unseres großen Freundes, der Zeit, aufhören zu existieren, aber solange auch nur eine Zelle am Leben ist, wird ihr Gedächtnis weiterleben und auf verschiedene Weise die Gegenwart und damit die Zukunft beeinflussen. So wie Fossilien unsere Ölquelle sind. In diesem Sinne hat das Album auch ein triumphales Flair, denn es preist sowohl unsere Errungenschaften als auch all unsere Bedenken.

HAIL SPIRIT NOIR 2024; © Dimitris Katsenos


Das Album beginnt mit dem Satz: „Waking up once again in a circle with no end – What a great time to be alive!“ – Vermutlich bezieht sich das nicht auf unsere aktuelle Zeit, oder? Wie verfolgt ihr das weltpolitische Geschehen – und was tröstet euch in Zeiten wie diesen?
Ich wüsste nicht, warum es sich auf aktuelle Zeiten beziehen sollte – ist ein drohender Krieg nicht aufregend? Ganz im Ernst, ein Hauch von Ironie war schon immer Bestandteil unserer Band. Ich glaube, wir stehen am Rande des Wandels, und das ist furchtbar spannend und aufregend. Ich finde Veränderungen faszinierend, vor allem, wenn man nicht sicher sein kann, in welche Richtung sie gehen werden. Aber manchmal müssen die Dinge erst schlechter werden, bevor sie besser werden. Ich habe versucht, die Nachrichten auszublenden, aber ich kann und will nicht wirklich in einer Leere leben. Die bevorstehenden Wahlen scheinen auf eine ziemlich morbide Zukunft hinzudeuten. In Verbindung mit dem Krieg, der gerade tobt, ist das eine schöne Atmosphäre, nicht wahr?

Am Ende heißt es: „Would you depart this world for a journey towards spacelessness? Our bodies shall melt, shall unite with the universe“ – nehmen wir Menschen uns in der Welt zu ernst oder nicht ernst genug?
Wir sollten beides tun! Aber die meisten Menschen scheinen von einem der beiden Extreme besessen zu sein. In den Weiten dieses Daseins sind wir absolut unwichtig, doch in unserem eigenen kleinen, selbst geschaffenen Universum sind wir alles, was zählt. Die erstgenannte Sinnlosigkeit sollte uns ermutigen, danach zu streben, die beste oder zumindest die modernste Version von uns selbst zu werden, denn unsere Reise in die Raumlosigkeit beginnt bald, und wir sollten erobern, was wir begehren. Sie sollte uns ermutigen, anstatt uns aufzuhalten. Leider scheinen sich die meisten Menschen entweder über Details aufzuregen oder alles abzutun. Es muss ein Verständnis und ein Gleichgewicht herrschen.

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Musikalisch begeistert mich die enorme Melodik in den Songs – trotz ihrer Heaviness. Gibt es Bands, die du als Inspiration nennen würdest, Bands, die du gerade deswegen sehr schätzt?
Die Emperor-Platten sind ein offensichtlicher Bezugspunkt. Die ersten beiden Limbonic-Art-Alben, besonders „Moon In The Scorpio“, Abigors „Nachthymnen“ ist in dieser Hinsicht ebenso beeindruckend. Ich weiß, dass Haris „Communion“ von Septicflesh aus diesem Grund liebt, und auch „In The Garden Of Unearthly Delights“ von Horrified. Letzteres ist auch ein Favorit von mir. Die Musik von „Storm Of The Light’s Bane“ war auch immer eine Inspiration.

„The Road To Awe“ sticht besonders hervor, der Song enthält alles, was das Album ausmacht, komprimiert in rund zehn Minuten mit vielen Gänsehautmomenten – vor allem der Break in der Mitte. Siehst du auch etwas Besonderes in diesem Song, und wenn ja, wann im Entstehungsprozess hat sich dieses Gefühl eingestellt?
Das ist das Herzstück des Albums. Es fasst so ziemlich das ganze Album in einem Rutsch zusammen. Vielen Dank für deine netten Worte. Es ist schön zu wissen, dass unsere Musik einen Nerv bei den Hörern trifft. Dieser und der Titeltrack waren wirklich wichtig für das Album. Ich kann das nie beurteilen, wenn wir etwas aufnehmen, weil wir einfach zu sehr in den ganzen Prozess investiert sind und jeder Teil eines jeden Songs gleich wichtig für das Ganze ist. In meinen Ohren, und ich kann nicht für Haris sprechen, der unser Hauptkomponist ist, beginnt alles sich zusammenzufügen, sobald wir auch die Texte und die Gesangsmelodien haben. Und als „Road To Awe“ sich seiner endgültigen Form näherte, war das wirklich aufregend.

Ihr spielt nicht allzu viele Konzerte – zumindest bis jetzt nicht und nicht in Mitteleuropa. Habt ihr vor, das zu ändern, können wir auf eine Tournee hoffen?
Wir hatten einen sehr guten Start mit Liveshows rund um die Veröffentlichung von „Mayhem In Blue“ und hatten eine Menge Dinge für „Eden….“ geplant und dann kam COVID. Und das war’s dann. Ich kann nichts versprechen, aber wir versuchen, etwas auf die Beine zu stellen, auch wenn sich das als eine ziemlich unmögliche Aufgabe herausstellt.

Zum Abschluss noch ein kurzes Brainstorming:
Septicflesh: Kindheitserinnerungen
Joe Biden: mein Großvater
Künstliche Intelligenz: Fingers Crossed.
Perturbator: groovt!
HAIL SPIRIT NOIR in zehn Jahren: In einer weit, weit entfernten Galaxie, die Sphären der Musik ausstrahlt.

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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