Interview mit Theoharis Liratzakis von Hail Spirit Noir

Mit „Mayhem In Blue“ legen die Griechen HAIL SPIRIT NOIR nach „Pneuma“ und „Oi Magoi“ ihr drittes überaus bemerkenswertes Album in Folge vor. Sänger und Gitarrist Theoharis Liratzakis über Retro-Synthesizer, Soundfragen und Flüchtlingspolitik in seinem Heimatland.

hail spirit noir logo

Seid ihr mit dem Resultat eurer Arbeit, eurem dritten Album, zufrieden?
Ja, mehr denn je zuvor. Wir haben viel harte Arbeit in dieses Projekt gesteckt und es ist sehr befriedigend, es jetzt genau so zu hören, wie es in unseren Köpfen geklungen hat. Ich weiß, es ist ganz natürlich, dass man sein neuestes Album am liebsten hat, aber all das neue Equipment, das wir diesmal benutzt haben, und alles, was uns die beiden letzten Alben gelehrt haben, hat dieses Werk zu unserem bislang besten geformt. Bis jetzt, wohlgemerkt. (lacht)

Was steckt hinter dem Titel, „Mayhem In Blue“?
Der Text zum Titeltrack basiert auf einem Alptraum, den Haris hatte. Es war ein bisschen wie die Rache der Natur, gesehen durch die Augen des Teufels. Als Albumtitel erfüllt es einen etwas anderen Zweck. Für uns klingt es wie ein extremer Widerspruch: Blau ist für gewöhnlich eine beruhigende Farbe, die einen beruhigenden Effekt hat. Insofern ist all das Chaos, das uns umgibt, nur schwer mit der Farbe Blau zu assoziieren.

hail-spirit-noir-mayhem-in-blueInwiefern gehören Titel zum Artwork zusammen?
Der Titel passt perfekt zum Artwork. Die abgebildeten Kreaturen sind dabei, uns das Totenglöcklein zu schlagen, nachdem die Abwärtsspirale, in der sich die Welt in den letzten Jahren befunden hat, nun den harten Steinboden erreicht. Sowohl der Titel als auch das Artwork übermitteln eine mystische Aura und ein Gefühl bevorstehenden Verderbens.

Warum ist das Bild die perfekte Visualisierung eurer Musik?
Wie gesagt, es strahlt ein Gefühl von Verzweiflung aus. Was sind das für Figuren? Warum tragen sie schwarz? Wenn du die Texte aufmerksam genug liest, wirst du sehen, dass in dem Artwork Elemente jedes Songs zu finden sind. Es ist eine Art Puzzle, um den Hörer beim Musikhören mehr einzubinden. Da ist das Meer, da ist der Schrecken. Du wirst an dem Album noch mehr Freude haben, wenn ich nicht alles, und wie es mit jedem Song verbunden ist, offenlege.
Als wir auf das Bild gestoßen sind, hat uns einfach umgehauen, wie gut es zur Musik und zum ganzen Albumkonzept passt. Wir haben den Fotografen kontaktiert und dann ein paar kleine Änderungen vorgenommen, die uns notwendig erschienen – et voilà! Es ist brillant!

Das Album selbst klingt etwas wie ein Soundtrack zu einem alten Schwarz-Weiß-Horrorfilm. Würdest du das unterschreiben, war das die Idee?
Nun, als Haris die Idee zu HAIL SPIRIT NOIR kam, war die Musik italienischer Horrorfilme und Regisseure wie Lucio Fulci eine große Inspiration für ihn. Aber das waren Farbfilme. Wären Schwarz-Weiß-Filme unsere Inspirationsquelle gewesen, würden wir vermutlich wie die Beatles klingen. Oder Michael Jackson! Aber Spaß beiseite – wir wollen, dass unsere Musik eine so intensive Atmosphäre heraufbeschwört wie die Filme, die du angesprochen hast: Die waren damals wahnsinnig gut darin, ein Momentum und Schrecken zu erzeugen. Dieses filmische Feeling wollen wir mit unseren Riffs auch erzeugen, so dass der Hörer in unsere verrückte, kleine Welt gesogen werden kann.

SONY DSC

Auf dem Album finden sich viele Hammond-Orgeln und Oldschool-Synthesizer. Was fasziniert euch an diesen Instrumenten beziehungsweise Elementen?
Ihr Charakter und die Atmosphäre! Es ist bemerkenswert, wie diese Instrumente solche Sounds erzeugen können, um die herum man eine gesamte Soundlandschaft aufbauen kann. Du bekommst quasi jeden Sound, den du dir wünschst. Von den lustigsten zu den ernsten und düsteren. Selbst wenn ihr Zweck nur ist, dem Sound Volumen zu verleihen oder das Grundgerüst eines Teils zu bilden, gibt es diesem doch immer etwas sehr eigenes. Außerdem bekommen wir jedes Mal, wenn wir es mit den noch abgefahreneren Black-Metal-Riffs in unseren Songs mischen, ganz unterschiedliche Resultate. Sie werden verrückter und verrückter. Vielleicht aber auch wir.

Welche Bands haben euch dazu gebracht, diese Elemente zu schätzen?
Die Antwort könnte den ganzen Tag füllen, aber wenn ich einfach unsere gemeinsamen Einflüsse aufzählen soll, wären das Bands wie Elp, Pink Floyd, King Crimson, Kasas, Can, Yes und natürlich Goblin. Sie alle wussten, wie man diese Instrumente einsetzt, und beinahe alle von diesen Bands hatten außergewöhnliche Keyboarder in ihren Reihen. Dazu kommen noch Emperor und die experimentellere Schiene des Black Metal, wie Solefald, die uns ebenso geprägt haben.

Wie steht ihr zu dem generellen Hype um diesen „Vintage-Sound“, beispielsweise die neue Welle an 70’s-Rock-Bands?
Jedem das Seine, würde ich sagen. Wenn diese Bands es authentisch machen, immer weiter so! Ihre Aufrichtigkeit wird sich durchsetzen und sie werden eine lange Karriere vor sich haben. Oder zumindest, was auch sehr wichtig ist, eine bedeutungsvolle. Die Trittbrettfahrer werden einfach in Vergessenheit geraten, wie es immer passiert. Aber ich glaube nicht, dass wir ein Teil dieser Szene sind. Wir haben zwar ein paar gemeinsame Einflüsse mit einigen dieser Bands, aber ich hoffe, dass wir mittlerweile unseren eigenen Sound gefunden haben, und sogar einen mit hohem Wiedererkennungswert. Das ist, was wir wirklich versuchen.

hail-spirit-noir-2017-03Warum war Alan Douches die perfekte Wahl, was das Mastering eures Albums angeht?
Um ehrlich zu sein, wollten wir eine Veränderung. Seine Aufnahme von Chelsea Wolf war umwerfend. Wir fanden auch gut, dass er nur Mastering-Jobs annimmt. Kein Mixing, nichts sonst. Er steckt all seine Zeit in das Mastering eines Albums. Nachdem wir bei den ersten beiden Alben spannende Resultate von Jens Bogren bekommen haben, war wichtig, dass unsere nächste Wahl eine wirklich gute ist. Und ich denke, er hat einen fantastischen Job gemacht: Er hat dem Material Tiefgang und Präsenz gegeben und die perfekte Balance zwischen Oldschool-Sounds und modernem Vibe gefunden. Aber er hatte auch einen wirklich grandiosen Mix als Grundlage für seine Arbeit: Dimitris Douvras von Lunatech Sounds, unser Haus-und-Hof-Mischer, hat sich diesmal wirklich selbst übertroffen. Wir haben ihm wahnsinnig kompliziertes Material gegeben und er hat es zum Atmen gebracht, während man trotzdem jedes kleine Detail heraushört. Hätte er das nicht geschafft, hätte Douches eine schwerere Aufgabe zu lösen gehabt.

Worum geht es auf den Texten von „Mayhem In Blue“? Gibt es ein zentrales Thema aller Songs?
Interessanterweise gab es dieses Mal kein übergreifendes Konzept. Wieder kann jeder Track für sich genommen als Horrorgeschichte gesehen werden. Wenn es so etwas wie ein Thema gibt, das sich durch das ganze Album zieht, ist es vielleicht die Art und Weise, wie die Menschheit ihr wahres Gesicht zeigt: Sie waren vorher schon sehr offensichtlich, aber jetzt, wo alles konstant schlechter wird, kommen wir an einen Siedepunkt. „I Mean You Harm“ handelt davon, wie sich die Leute in jeder Form von Beziehung verändern – jeder Beteiligte hat das Bedürfnis, recht zu haben oder überlegen zu sein. Das natürliche Bestreben, besser als andere zu sein, ist nichts, was man per se verteufeln muss. Aber der Mensch hat es auf ein extremes Level getrieben: Selbst innerhalb von Familien gibt es Machtkämpfe. Religionen tragen daran ebenso die Schuld, da sie nach Kontrolle streben und alles manipulieren wollen. „Lost In Satan’s Charms“ handelt von der Unfähigkeit der Menschen, ihr eigentliches Potential auszuschöpfen. Wir sind Sklaven der Religion geworden, die jede Form von andersartigem oder vorwärts gewandtem Denken verteufelt haben. Und wer wirklich neue Ideen und Konzepte vorbringt, wird an die Wölfe verfüttert. Auf der anderen Seite zeigt „Riders To Untopia“, wie all diese verschiedenen Denker und großen Geister auf der Suche nach der Wahrheit in den Wahnsinn getrieben werden. Wenn du tief in dein Bewusstsein eindringst, ist es sehr einfach, dort verloren zu gehen. Es ist ein Labyrinth, aus dem es nur selten einen richtigen Weg heraus gibt. „How To Fly In Blackness“ ist ein Song, der am besten unerklärt bleibt, so kann der Hörer daraus ziehen, was er ihm gibt – ohne von uns geleitet zu werden.

SONY DSCDer Titel „The Cannibal Tribe Came From The Sea“ lässt sich auch missinterpretieren – man könnte auch Rassismus darin erkennen …
Rassismus? Fuck, nein. Ich könnte nicht weiter davon entfernt sein. Wie gesagt, ist auch das eine kleine Horrorgeschichte, in der es eben um einen Kannibalenstamm geht. Aber wenn du ihn dir genauer anschaust, musst du auch bedenken, wo das Leben begonnen hat. Alles Leben. Im Meer. Wir sind aus dem Meer gekrochen. Wir haben uns weiterentwickelt bis zu dem Punkt, an dem wir alle Menschlichkeit verloren haben. Die weltweite, ständige Finanzkrise ist noch viel mehr eine viel dramatischere humanitäre. Die Flüchtlinge überall in Europa brauchen Hilfe. Aber das muss so geschehen, dass alles friedlich abläuft. Du kannst nicht erwarten, dass die Leute in Griechenland, die jetzt acht Jahre unter extremen Bedingungen leben, nicht reagieren, wenn der Flüchtlingsstrom so unkontrollierbar ist. Dennoch, trotz der Dummheit der rechtsextremen Parteien, haben wir es gut hinbekommen. Jeder muss in dieser Sache kooperieren. In allen Aspekten des Lebens wird ein Mensch seinen Nächsten fressen, wenn das bedeutet, dass er überlebt. Es ist keine Frage der Möglichkeit mehr, sondern eine des Überlebens. Und langsam, aber sicher zerstören wir alles, was wir haben, uns gegenseitig und uns selbst. Insofern ist der Kannibalenstamm die Menschheit. Die Menschheit, die vergessen hat, wie man menschlich ist.

Würdest du HAIL SPIRIT NOIR als Black Metal bezeichnen?
Ja. Nicht nur musikalisch, sondern auch textlich. Die meisten unserer Themen beinhalten luciferanische Aspekte, aber das ist sehr persönlich und soll hier nicht weiter erklärt werden. Aber egal, wie tief wir in unsere Einflüsse eintauchen – der Black Metal wird immer da sein.

Mit welchen Bands würdest du gerne eines Tages spielen, weil sie perfekt zu HAIL SPIRIT NOIR passen?
Ha! Ich fände großartig, einmal mit Oranssi Pazuzu oder Thy Catafalque zu spielen, würde er jemals live auftreten. Oder vielleicht Alcest, oder auch Enslaved. Ich glaube, das wäre so passend wie großartig. Oder King Crimson. Lass mich da gar nicht erst mit anfangen, sonst geht das den ganzen Tag so weiter!

Wie sehen eure konkreten, realen Pläne für die nähere Zukunft aus?
Es tut sich einiges, aber wir müssen noch warten, bevor wir etwas bekanntgeben können. Das einzige, was bereits sicher ist, ist unser Auftritt auf dem Inferno Festival in Oslo kommenden April. Darüber sind wir wirklich begeistert.

Vielleicht auch mal eine Tour mit Konzerten in Deutschland?
Wir arbeiten daran, glaub mir. Wir arbeiten wirklich daran!

Vielen Dank für deine Zeit und Antworten. Zum Abschluss ein Brainstorming:
Musik: Lebensverändernd.
Erdogan: Beunruhigende Arroganz.
Rotting Christ: Respekt.
Deutschland: Power Metal.
Donald Trump: Wie um alles in der Welt ist das passiert?
Dein Lieblingsalbum 2016: Vielleicht Hammers Of Misfortunes “Dead Revolution”. Vielleicht aber auch die neue Urfaust oder vielleicht Stillas „Skuggflock“. Aaaah, hör auf zu fragen, ich kann mich nicht entscheiden!

Die letzten Worte gehören dir:
Vielen Dank für den Support und das Interesse an unserer Musik! Wir wissen das zu schätzen! Hütet euch vor dem SPIRIT NOIR, er zieht dunkler und dunkler herauf!

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert