Mikael Stanne ist nicht nur einer der versiertesten Sänger im Death Metal, sondern auch ein Arbeitstier: Mit DARK TRANQUILLITY, THE HALO EFFECT, GRAND CADAVER und CEMETERY SKYLINE hat er mittlerweile vier Bands, die auch alle live spielen. Vor der Show von GRAND CADAVER auf dem Dark Easter Metal Meeting stand uns Mikael mit seinem GRAND-CADAVER-Kollegen Alex Stjernfeldt Rede und Antwort über alle vier Projekte.
Willkommen in München. Du warst erst vor zwei Wochen mit THE HALO EFFECT hier und wirst im Oktober mit DARK TRANQUILLITY wiederkommen. Magst du München?
Mikael: Das tue ich wirklich. Ich liebe es hier. Ich habe vor zwei Tagen die letzte Show in Köln gespielt, hatte dann einen Tag frei und bin dann nach München gefahren. Viel zu tun, arbeitsreiche Zeiten.
Jetzt bist du mit GRAND CADAVER wieder hier. Die Band wurde im Jahr 2020 gegründet. Wie kam es denn dazu? Du hattest ja erst 2019 THE HALO EFFECT gegründet, zusätzlich zu DARK TRANQUILLITY. Wie kam es dazu, dass du noch eine Band gegründet hast?
Mikael: Ich und Alex hier sind Nachbarn …
Alex: Ja, und ich habe früher mit Stefan [Lagergren], dem anderen Gitarristen, in einer Band namens Mr. Death gespielt. Das ist etwa zehn Jahre her. Ich hatte das Gefühl, dass mir das Spielen mit ihm fehlt. Vor ein paar Jahren bekam ich eine SMS von Daniel [Liljekvist], der fragte, ob ich eine Death-Metal-Band gründen wollte. Und ich dachte mir: Ja, will ich! Und ich will mit Stefan spielen. Natürlich brauchten wir auch einen Sänger, und wie Mikael schon sagte, sind wir Nachbarn. Die Pandemie war gerade ausgebrochen, wir waren zusammen auf ein Bier, und ich habe ihn gefragt, ob er einer Death-Metal-Band beitreten wolle. Und wir haben quasi noch an diesem Abend losgelegt, denn wir haben bei diesem Gespräch direkt Christian angerufen, und der war auch sofort dabei.
Mikael: Mit Alex‘ anderer Band Novarupta habe ich einen Song zusammen gemacht, und dann haben wir die allererste Show zusammen gespielt. Christian war damals auch am Bass. Er ist ein alter Freund von mir aus der Zeit, als die Göteborger Szene noch am Anfang stand. Es war also richtig cool, mit ihm zusammen auf der Bühne zu stehen. Darum fand ich, er sollte hier mitmachen. Und er meinte: Ich habe noch nie Death Metal gespielt, also lass uns das machen.
Alex: Er hat also mit 50 Jahren seine Death Metal-Jungfräulichkeit verloren.
Mikael: Es war wirklich toll. Wir hatten gerade das DARK-TRANQUILLITY-Album fertiggestellt, und ich schrieb zur gleichen Zeit am ersten Album von THE HALO EFFECT, also dachte ich mir, ja, warum nicht? Ich habe nichts anderes zu tun, es macht Spaß. Und es ist einfach, in eine kreative Stimmung zu kommen, wenn man weiß, dass man nichts in seinem Kalender stehen hat. Das hat wirklich geholfen: Zu wissen, dass ich nirgendwo hinfahre und ich mich einfach auf das hier konzentrieren kann. Das hat es so viel einfacher gemacht. Normalerweise würde ich sagen: Ja, das würde Spaß machen, das würde ich gerne tun, aber wahrscheinlich schaffe ich es nicht …
Was für ein glücklicher Zufall! Ihr spielt heut erst eure 15. Show zusammen. Mit DARK TRANQUILLITY hast du schon rund 1.000 Shows gespielt. Noch dazu ist GRAND CADAVER auch stilistisch etwas anderes. Ist es für dich anders, mit GRAND CADAVER auf die Bühne zu gehen?
Mikael: Ja, natürlich. Aber ich glaube, das macht den Spaß daran aus. Das Schreiben der Songs ist auch ganz anders. Man kommt in einen anderen Modus. Ich bin so daran gewöhnt, seit über 20, über 30 Jahren mit denselben Leuten zu arbeiten. Jetzt etwas neues zu machen ist toll. Dass ich dabei mit anderen Leuten, die ich kenne und gern habe, auf der Bühne stehe: Das macht diese Erfahrung noch schöner. Und obwohl wir im gleichen Sektor unterwegs sind, ist es trotzdem etwas anderes. Insofern lerne ich auch eine Menge. Bisher haben wir nur in Schweden und Norwegen gespielt, aber das waren wirklich herausragende Shows. Einige wirklich intensive, coole Auftritte, die richtig Spaß gemacht haben!
Alex: Sehr schweißtreibend und sehr intensiv!
Mikael: Das DARK EASTER METAL MEETING ist also unser erstes Mal außerhalb von Skandinavien. Und wir spielen diesen Sommer noch eine Show in Deutschland.
Alex: Es ist also eine Ehre, dass wir hier sein dürfen.
Mikael: … und das an einem für mich sehr vertrauten Ort!
Von DARK TRANQUILLITY bist du es gewohnt, zwischen Growls und Clean Vocals zu wechseln, und du growlst vielleicht sogar ein bisschen weicher. Hast du also versucht, deinen Gesangsstil an die Musik von GRAND CADAVER anzupassen? Oder machst du einfach dein Ding?
Mikael: Mit der Art und Weise, wie Alex schreibt, und dem Sound, der je sehr traditioneller, schwedischer Death Metal der alten Schule ist, kam es einfach ganz natürlich. Denn genau so sollte diese Art von Musik klingen. Wir haben ihr unseren eigenen Stempel aufgedrückt, aber es geht nicht darum, etwas neu zu erfinden. Es geht darum, es zu unserem eigenen Ding zu machen …
Alex: Es ist Hommage an die alten Götter des Death Metal …
Mikael: … aber auf unsere Art. Es hat einfach unglaublich viel Spaß gemacht, das zu tun. Auch, wie wir aufnehmen: Wir nehmen in einer Woche auf, oder, wie bei der ersten EP „Menace Comes“, an einem Wochenende.
Alex: Das war ein Wochenende, ja. Und es war eigentlich das erste Mal, dass wir alle fünf zusammengekommen sind. Wir haben uns zum ersten Mal im Studio getroffen. „Hi, mein Name ist Daniel.“ „Mein Name ist Alex.“ „Mein Name ist Christian.“ „Mein Name ist Michael.“ Lasst uns auf „Record“ drücken und sehen, was passiert.
Mikael: Das war ein Wochenende. Und das erste Album dauerte eine Woche, glaube ich, oder sechs Tage. Ich hatte gerade zwei sechs- beziehungsweise neunmonatige Aufnahmen hinter mir. Das hier in einer Woche zu erledigen, war sehr befreiend: Es hat sich genau richtig angefühlt.
Alex: Nicht zu viel nachdenken, einfach loslegen!
Mikael: Ich habe die Texte und so an einem Tag geschrieben: Nichts mehr daran ändern, einfach sicherstellen, dass es sich gut anfühlt und loslegen. Außerdem kann ich all die Klischees bedienen, die ich mein ganzes Leben lang vermieden habe. (lacht)
Wenn ihr über die „Götter des Death Metal“ sprecht, gibt es dann irgendwelche konkreten Vorbilder oder Bands, denen ihr mit GRAND CADAVER auf subtile Weise Tribut zollen wolltet?
Alex: Ich denke nicht, dass es subtil ist: Entombed!
Mikael: Ich habe Nihilist gesehen, als ich jung war. Und das hat mich umgehauen. Und dann Entombed, das erste Demo, da dachte ich, das ist das coolste Ding überhaupt. Und natürlich Dismember, Tiamat und Grave.
Alex: Ich denke, hier wären viele Bands aus der Stockholmer Szene zu nennen, aber wie Michael schon sagte, wir haben unseren eigenen Stil, denn die Mitglieder von GRAND CADAVER kommen aus Göteborg, Stockholm und Falun, was in der Mitte von Schweden liegt. Darum haben wir unterschiedliche Wurzeln und eine unterschiedliche Herangehensweise an den Death Metal. Aber wir teilen alle die gleiche Liebe zu diesem Genre. Das bedeutet, dass wir Entombed huldigen, aber in unserem eigenen Stil.
Mikael: Man kann ja auch einen Unterschied zwischen Necrophobic und Bewitched erkennen, denn Bewitched kommen aus dem Norden, und klingen ganz anders als Necrophobic, die aus Stockholm kommen … Wenn du dir den Death Metal der frühen 1990er-Jahre anhörst, zum Beispiel Dismember und Entombed, dann ist das ein sehr eigener Stil. Und wenn du dir DARK TRANQUILLITY und In Flames und At The Gates anhörst, dann ist das auch ein sehr eigenständiger Sound. Alex ist in Stockholm aufgewachsen und ich in Göteborg, also machte es Sinn, die beiden Stile ein wenig zu kombinieren.
Lass uns zu THE HALO EFFECT wechseln: Du warst jetzt zum zweiten Mal mit dieser Band hier, die erste war mit Amon Amarth und Machine Head im Jahr 2022. Wenn du diese beiden Touren vergleichst, was waren die Hauptunterschiede?
Mikael: Amon Amarth und Machine Head waren Co-Headliner einer Arenatour, da dabei zu sein hat Spaß gemacht, das war toll. Das Amon-Amarth-Publikum hat uns definitiv verstanden. Jetzt haben wir als Hauptsupport gespielt, was natürlich großartig ist. Ich war vorab etwas besorgt, ob das Meshuggah-Publikum unser Zeug mögen würde. Wir haben zwar letztes Jahr schon eine Tour in Skandinavien mit ihnen gespielt, und das lief großartig, aber die Leute in Schweden kennen uns. Es war für uns jetzt aber auch eine tolle Tour mit richtig coolen, aufgeschlossenen Leuten. Fast jede Show war ausverkauft, das war schon toll. Die Jungs von Meshuggah waren super glücklich, die Jungs von Mantar, die eröffnet haben, waren auch super glücklich … also ja, wir waren begeistert, es war großartig.
THE HALO EFFECT könnte man als „Traditionsmannschaft“ von In Flames bezeichnen: Jeder von euch war irgendwann in seiner Karriere in dieser Band, was ein ziemlich lustiger Zufall ist, wie ich finde. Habt ihr darüber Witze gemacht, als ihr angefangen habt, oder war es einfach ein Zufall, der für euch ganz natürlich war?
Mikael: Es ist kein Zufall, denn wir kennen uns natürlich schon aus der Zeit vor In Flames. Als Niklas mich gefragt hat, ob ich Interesse hätte, auf einigen seiner Songs zu singen, sagte ich: Ja, klar, ich werde es ausprobieren. Genauso, war es, als Alex mich gefragt hat: „Hey, willst du etwas starten?“ Ich habe gesagt: „Ja, ich bin in der richtigen Stimmung, ich fühle es, lass uns ein bisschen Spaß haben, lass uns das mal ausprobieren.“ Aber dann hat Niklas mir ein Demo geschickt, und ich fand das wirklich richtig gut. Dann haben wir überlegt, dass wir vielleicht Peter und Daniel fragen sollten, um die „alte Gang“ wieder zusammenzubringen. So war es dann auch in etwa. Ich habe nie in einer Band mit Peter oder Daniel gespielt, obwohl ich sie kenne, seit ich 15 war. Mit Jesper habe ich natürlich in den Anfängen von In Flames ein bisschen gespielt, aber auch mit Niklas nie. Für mich war es also so, dass ich die Chance hatte, mit Freunden zusammen zu sein, die ich sonst nur selten zu Gesicht bekomme, und mal zu schauen, ob wir etwas zusammen machen können. Wir hatten keine konkrete Vorstellung davon, was es werden sollte, oder ob wir es überhaupt irgendwo hinführen würde. Wir wollten einfach ein paar Songs schreiben und Spaß haben.
Das ist sehr interessant, denn ich glaube, viele Fans hatten eine sehr konkrete Vorstellung davon, wie es klingen sollte, als die Besetzung bekannt gegeben wurde, denn jeder hatte diese Vorstellung im Kopf: OK, das sind die alten In-Flames-Leute, also muss es wie die alten In Flames klingen – vor allem, weil Jesper dabei war. Und vielleicht hat das Album diese Erwartung nicht für alle erfüllt, weil es ein bisschen weicher ist und anders klingt. Habt ihr darüber im Vorfeld nachgedacht, habt ihr das Risiko gesehen, zu sehr mit den alten In Flames verglichen zu werden?
Mikael: Natürlich wussten wir, dass das passieren würde. Die Idee war also, es zu unserem eigenen Ding zu machen. Natürlich hat Niklas eine Menge In-Flames-Songs geschrieben, und Jesper hat eine Menge In-Flames-Songs geschrieben. Also wird es ähnlich klingen, aber wir können es trotzdem anders angehen. Gleichzeitig wollen wir das machen, was wir gut können und unsere Stärken ausspielen. Also haben wir uns vorgenommen, einfach nicht zu viel nachdenken, sondern einfach Spaß zu haben. Keine Erwartungen, kein gar nichts. Einfach ein Album machen. Und das war wirklich befreiend für mich, da ich seit über 30 Jahren eine Band habe. Bei jedem neuen Album frage ich mich: Wie zum Teufel machen wir das noch mal? Wie sollen wir nach so vielen Jahren etwas Neues und Frisches hinbekommen? Das ist der schwierigste Teil. Aber es wie etwas ganz Neues anzugehen, war sehr befreiend. Ich habe das schon ewig nicht mehr gemacht, das war eine tolle Erfahrung. Genauso war es auch beim ersten GRAND CADAVER Album: Ich hatte das Gefühl, dass ich so etwas zum ersten Mal machen darf. Das ist großartig.
Apropos zusammenkommen und mit Freunden abhängen: Jesper ist immer noch nicht mit euch auf Tour. Wie geht es ihm und besteht die Chance, dass er irgendwann auch live zu THE HALO EFFECT stoßen wird?
Mikael: Er möchte es wirklich, und wir möchten es auch. Aber es liegt an ihm, zu entscheiden, wann er sich bereit fühlt und ob es für ihn okay ist. Es hängt auch von den Umständen und so ab. Also haben wir gesagt: Wir sind immer bereit und wann immer du willst, lass es uns tun. Aber es hängt davon ab, wie er sich fühlt.
Daniel war bei dieser Tour auch nicht dabei – warum konnte er nicht mitfahren?
Mikael: Er hat eine Menge Arbeit mit der Brauerei, die er betreibt, daher konnte er sich einfach nicht freinehmen. Aber er wird bei den restlichen Shows im Sommer dabei sein, und auch bei der Tour, die nächstes Jahr ansteht …
Und beide werden auf dem neuen Album zu hören sein, nehme ich an? Gibt es diesbezüglich schon Neuigkeiten?
Mikael: Oh ja, das werden sie. Das Album ist fertig aufgenommen und abgemischt und alles. Wir haben noch kein offizielles Veröffentlichungsdatum, weil wir erst vor ein paar Wochen weitere Songs dafür aufgenommen haben. Es erscheint also … irgendwo zwischen jetzt und dann. (lacht) Nein, es kommt Anfang nächsten Jahres, weil das DARK-TRANQUILLITY-Album im August herauskommt. Da wollen wir nicht dazwischenfunken. Gleich nachdem das DARK-TRANQUILLITY-Album erschienen ist, werden wir anfangen, das Album von THE HALO EFFECT zu promoten. Es ist alles meine Schuld. (lacht)
Wo wir gerade über das DARK TRANQUILLITY-Album „Endtime Signals“sprechen: Die erste Single „The Last Imagination“ ist ja schon draußen, aber wie würdest du das Album insgesamt beschreiben? Das letzte Album war insgesamt etwas ruhiger als das vorherige. Ist das ein Trend, der sich auch auf dem kommenden Album fortsetzen wird?
Mikael: Es geht in viele verschiedene Richtungen. Das war eines der schwierigsten Alben seit langem, weil wir das Gefühl hatten, dass wir etwas beweisen müssen. Wir haben einige neue Mitglieder in der Band, einen neuen Schlagzeuger, einen neuen Bassisten. Martin Brändström und Johan Reinholdz haben alle Songs geschrieben, oder die meisten davon. Und daraus wurde so etwas wie, okay, jetzt müssen wir beweisen, dass wir immer noch dieselbe Art von Einheit sind, aber eben auch anders. Wir haben es erst vor ein paar Wochen fertiggestellt, ich könnte nicht stolzer darauf sein. Es ist wirklich heavy, es ist verdammt schnell, verrückt, und es enthält auch einige der sanftesten und melodischsten Sachen, die wir je gemacht haben. Es ist also sehr abwechslungsreich. (lacht) Aber auf eine gute Art und Weise! Es ist ein langes Album, es hat viele Songs, viele verschiedene Stimmungen und Vibes. Es kommen noch mehr Singles!
Wir sind gespannt! Du hast bereits das Thema Bandbesetzung angesprochen: Ihr hattet in den letzten Jahren viele Besetzungswechsel, und ich könnte mir vorstellen, dass es ziemlich mühsam ist, wenn man ständig Nachrücker suchen muss und sich als Band in immer neuen Konstellationen aufeinander einstellen muss. Gab es auch Momente, in denen ihr frustriert wart, in denen ihr vielleicht sogar in Frage gestellt habt, ob es noch das Richtige ist, weiterzumachen?
Mikael: Nein, nein, nie. Es ging immer darum, was das Beste für die Band ist. Wenn jemand das Gefühl hat, dass er die Band verlassen muss oder aus irgendeinem Grund aussteigt, dann ist das vielleicht auch das Beste, denn du willst niemanden in der Band haben, der nicht in der Band sein will. Oder wenn du interne Probleme hast, musst du das lösen und nach vorne schauen. Natürlich ist es schwierig, neue Leute zu finden, aber es ist auch aufregend. Christian, der auch bei GRAND CADAVER spielt, ist jetzt bei DARK TRANQUILLITY. Er ist fantastisch, es ist eine große Freude, ihn dabei zu haben und sein Spiel in unseren Sound einfließen zu lassen …
Alex: Du hast ihn gestohlen! (lacht)
Mikael: Und Joachim, der Schlagzeuger, ist einfach wahnsinnig talentiert. Wir können jetzt also alles machen. Wir können jeden Song aus unserem Repertoire spielen. Das ist auch ein Teil der Begeisterung … in Zukunft können wir so ziemlich alles aus unserer Diskografie besser spielen, als es auf den Platten zu hören war, als sie herauskamen. Das finde ich aufregend.
Ob es nun an den Besetzungswechseln liegt oder einfach nur eine normale Entwicklung ist – euer Stil hat sich im Laufe der Jahre jedenfalls stark verändert, und nicht jeder Fan ist darüber glücklich. Auf Metal Archives zum Beispiel liegen die Bewertungen für alle eure Alben seit „Fiction“ bei nur etwa 60%. Ist das etwas, das euch beeinflusst, wenn ihr ein neues Album schreibt?
Mikael: Nein, so funktioniert das für uns nicht. Klar, man kann sich die Spotify-Zahlen anschauen. Ich hasse es, das zu tun, aber es läuft immer noch gut. Aber Metal Archives, daran habe ich noch nie gedacht. Ich habe da noch nie nachgeschaut, um ehrlich zu sein. Aber wenn du anfängst zu denken: „Oh, was wollen die Leute?“, fängst du an, dich noch mehr zu hinterfragen, als du es ohnehin schon tust. Und das ist ein Rezept für eine Katastrophe. Das führt nur dazu, dass du überhaupt nichts mehr zustande bringst. Es geht also darum, selbst etwas zu entwickeln und dafür zu sorgen, dass es etwas ist, auf das man stolz sein kann und mit dem man sich wohl fühlt. Was bringt das sonst? Wenn man etwas nur für die anderen macht, geht die Integrität der Band verloren.
Aber gibt es auf dem Niveau einer Band wie DARK TRANQUILLITY nicht auch einen gewissen wirtschaftlichen Druck? Ich meine, es ist dein Job, nicht wahr? Also muss es ja in irgendeiner Weise erfolgreich sein …
Mikael: Sicher, ja. Und das ist es immer, in Bezug auf die Verkäufe und Streams und so weiter, es geht immer nach oben. Es gibt also ein konstantes Wachstum, was fantastisch ist. Ich kann mich also diesbezüglich nicht beschweren.
Aber es ist dein Hauptjob, oder?
Mikael: Ja, ich mache nichts anderes. (lacht)Mit all diesen Bands, die abwechselnd auf Tournee gehen, ist es auch ein ziemlich harter Job. mit viel Zeit weg von zu Hause. Waren eure Freunde und Liebsten glücklich, als neben DARK TRANQUILLITY erst THE HALO EFFECT und dann noch GRAND CADAVER dazukamen?
Mikael: Nein, sie waren nicht besonders glücklich darüber. (lacht) Als wir mit dem ganzen Zeug angefangen haben, fühlte es sich gut an: Es war Pandemie, und es war einfach, und ich dachte, es geht schon. Und dann, nach der Pandemie, habe ich plötzlich 165 Shows in einem Jahr gespielt. Ich war 200 Tage lang nicht zu Hause. Das ist nicht cool. Also werde ich versuchen, das zu vermeiden, ich werde es etwas einschränken. THE HALO EFFECT wird nicht so viel touren. Wir werden eine Tour pro Jahr machen, vielleicht auf ein paar Festivals, oder auch einfach kürzere Touren. DARK TRANQUILLITY wird immer viel touren, denn das ist eben, was wir tun. Und mit GRAND CADAVER denke ich, dass wir coole Shows spielen werden, und vielleicht kürzere Touren, wenn wir die Gelegenheit bekommen…
Alex: Der ganze Witz an GRAND CADAVER ist: Wir machen das, weil wir es lieben, zusammen abzuhängen, wir fünf. Wenn es in den Terminkalender passt, spielen wir die Show. Wenn wir nicht auf Tour gehen können, weil jemand auf Tour ist oder es zu Überschneidungen kommt, sind wir aber auch nicht böse. Denn dadurch wird jede Show, die wir spielen, zu etwas Besonderem für uns, und hoffentlich auch für das Publikum. Für uns geht es bei GRAND CADAVER also nur darum, Spaß zu haben und Death Metal zu spielen.
Aber das bedeutet, dass du trotzdem viel Zeit in den Bussen und Flugzeugen verbringst. Gewöhnt man sich irgendwann einfach daran? Oder freust du dich sogar darauf?
Mikael: Ich kann mich darauf freuen. Ich denke: „Oh, das wird schön werden.“ Ich habe mich wirklich auf diese Tour von THE HALO EFFECT gefreut. Ich dachte mir: Das wird großartig werden. Einfach mal von allem wegzukommen, nicht arbeiten zu müssen, nicht schreiben zu müssen, nicht aufnehmen zu müssen. Aber natürlich musste ich trotzdem jeden einzelnen Tag Büroarbeit machen. Das hat mich total gestresst. Es gibt so viele Veröffentlichungen und solche Sachen, die anstehen, also musste ich das alles managen. Wir spielen zwar nur 40 Minuten am Tag, aber dadurch wird es trotzdem zu einer stressigen Sache. Aber es war natürlich großartig …
Alex: Ich glaube, man muss auch zugeben, dass keiner von uns glücklich war, als der Wecker heute Morgen um 2:30 Uhr geklingelt hat.
Um 2:30 Uhr?
Mikael: 2:30 Uhr! Mein Flug ging um 6:00 Uhr von Köln.
Alex: Du bist von Köln geflogen, wir von Göteborg. Wir haben uns um 3:00 Uhr getroffen.
Mikael: Und ich komme gerade von einer Tournee, wo ich um 1 oder 2 Uhr nachmittags aufstehe. Mein Zeitplan ist also ein bisschen… Sowas ist natürlich verrückt.
Alex: Das ist Teil des Jobs. (lacht)
Mikael: Ja, aber es bleibt auch weiterhin so. Ich bin jetzt für zwei Tage zu Hause, dann fahre ich in die Türkei, dann bin ich wieder für zwei Tage zu Hause, und dann fahre ich für drei Wochen nach Südamerika. Und dann beginnt die Festival-Saison, mit Shows an jedem Wochenende.
Alex: Ich werde glücklich darüber sein, zu Hause zu sein. (lacht)
Mikael: Wir haben auch schon mit GRAND CADAVER an einem Wochenende gespielt, und dann sind manchmal DARK TRANQUILLITY oder THE HALO EFFECT auf demselben Festival, aber an verschiedenen Tagen …
Und obendrein haben Sie eine weitere Band gegründet, wie ich erst gestern bei der Recherche für dieses Interview erfahren habe: CEMETERY SKYLINE. Und diese Band ist auch nicht nur ein Studioprojekt, sondern wird auch als Liveband aktiv sein, ihr spielt die erste Show im Juli beim John Smith Rock Festival in Finnland …
Mikael: Ich war strikt dagegen! (lacht) Warum sollten wir das tun? Aber dann bekamen wir dieses tolle Angebot, und es ist gutes Geld, und es macht Spaß. Also, was soll’s, machen wir’s.
Aber wird es nur diese eine Show sein, oder habt ihr vor, auch auf Tour zu gehen? Denn das Lineup und alles klingt wirklich interessant …
Mikael: Es ist wirklich interessant. Ich hoffe trotzdem, dass wir nicht auf Tour gehen werden. Aber wir werden sehen …
Das ist kein „Nein!“, hm?
Mikael: Nein, nein, nein. Ich kann nicht nein sagen. (lacht) Aber es war toll: Wir haben ungefähr zur gleichen Zeit wie THE HALO EFFECT angefangen, aber es war ein sehr langwieriger Prozess, alles auszutüfteln und zu versuchen, es richtig zu machen. Ich war wirklich nervös, weil es im Grunde ein Rock’n’Roll-Album ist, aber eben Gothic-Rock, und das habe ich noch nie gemacht.
Also gibt es nur Clean Vocals?
Mikael: Ja. Und es ist super kitschig und melodisch und gefühlvoll und gothy und so. Aber es macht Spaß! Mit Markus Vanhala bin ich schon ewig befreundet, und mit Santeri [Kallio] natürlich, und Vesa [Ranta] kenne ich schon, seit wir damals mit Sentenced auf Tour waren. Victor [Brandt] wohnt so nah bei mir, wie ich bei Alex wohne. Wir wohnen an der gleichen Straßenbahnstrecke. Es hat also einfach Sinn gemacht. Und es macht Spaß, denn Markus und Santeri sind fantastische Songwriter. Das ist geniales Zeug. Also konnte ich nicht nein sagen. Ich habe viele Male versucht, nein zu sagen, aber dann haben sie mich doch wieder hineingezogen.
Alex: Ich glaube, wir beide wetteifern darum, wer die meisten Bands haben kann.
Mikael: Ja. Okay, ich habe vier. Du hast fünf, sechs?
Alex: Fünf … glaube ich. (lacht)
Also brauchst du noch eine!
Mikael: Ja. Dann muss ich wohl noch eine Grind-Band gründen oder so. (lacht)
Hast du irgendwelche Pläne? Oder bist du mit den vier Bands, die du jetzt hast, zufrieden?
Mikael: Es ist wahrscheinlich schon zu viel. Aber man muss sich seine Zeit eben einteilen und auch darauf achten, dass man nicht alles macht. Das mache ich nämlich selten: Wir haben eine Menge großartiger Leute, die mit und für uns arbeiten, und Dinge für DARK TRANQUILLITY und HALO EFFECT erledigen. Es wird sich also um eine Menge gekümmert. Aber man ist immer noch Teil all dieser E-Mails und so. Ich denke, das ist vielleicht der schwierigste Teil. Es gibt viele Meetings und viele Gespräche. Ich versuche zwar, mich da rauszuhalten, aber ich kann mir auch nicht helfen. Ich will ja sicherstellen, dass das Artwork fantastisch ist und die Logos großartig sind und das hier so aussieht und so weiter. (lacht)
Das war meine letzte Frage. Lasst uns zum Abschluss ein kurzes Brainstorming machen. Was fällt euch bei den folgenden Begriffen als erstes ein:
Slayer-Reunion:
Alex: Nein.
Mikael: Nee … ich habe die letzte Show in Europa beim Hellfest gesehen, und es war perfekt. Es war so cool. Ich hatte die beste Zeit überhaupt. Ich war oben auf der VIP-Bühne, habe einen Cocktail getrunken und Slayer zum letzten Mal gesehen, und ich dachte: “ Ich bin zufrieden.“ Ich muss sie nicht noch einmal sehen.
Alex: Sie waren immer so konsequent und einfach ehrlich. Als sie dann gesagt haben, dass sie aufhören werden, habe ich ihnen geglaubt. Und ich habe es respektiert. Für mich ist das also ein Nein.
Künstliche Intelligenz:
Alex: Nein.
Mikael: Puh … beängstigend. Es ist wirklich unheimlich. Richtig beängstigend. Interessant und faszinierend, und ich bin super neugierig, ich lese gerne darüber, aber je mehr ich weiß, desto mehr Angst habe ich. Wenn man es als Werkzeug benutzt, ist es toll, aber es wird nicht nur als Werkzeug benutzt werden.
Alex: Nun, ich sage es mal so: Skynet!
Judas Priest:
Alex: Großartig. Das neue Album ist fantastisch.
Mikael: Oh, genial. Ich bin so glücklich mit dem neuen Album. Wir haben es jede Nacht im Tourbus gehört, und ich kann es kaum erwarten, nach Hause zu kommen und es mir zu kaufen!
Alex: Und noch eine Sache: Es gibt einen Song auf dem neuen Album, der genau … nein, nicht genau, aber er ist sehr nah an „God Of Thunder“ von KISS!
Das auseinanderbrechen des Grave-Lineups:
Mikael: Sie haben sich getrennt? Wirklich?
Alex: Ja, sie sind alle gegangen. Nur Ola ist noch da. Ich habe aber bisher nichts darüber gelesen, warum …
Mikael: Oh, verdammt … Das ist scheiße. Das habe ich nicht gewusst. Ist mir entgangen.
Alex: Ich kann dazu nichts sagen. Ich kenne die Gründe nicht, warum sie gegangen sind. Ich kenne das neue Lineup nicht, also muss ich passen.
Letzte Frage: In wie vielen Bands werdet ihr in 10 Jahren spielen?
Mikael: Hoffentlich … in mindestens einer.
Alex: Drei.
Mikael: Ja, drei.
Vielen Dank für eure Zeit – ich wünsche euch einen schönen Nachmittag und alles Gute für die Show!
Dieses Interview wurde persönlich geführt.