„Epic Melodic Death Power“ – so bezeichnen GLADENFOLD ihren Genremix treffenderweise selbst. Die Finnen haben Kreativität und Ideen ohne Ende und schaffen es auf „Nemesis“, diese in abwechslungsreiche Songs mit einem roten Faden zu packen. Mit Sänger Esko Itälä, Drummer Lauri Itälä und Gitarrist Toke Gerdts sprechen wir über den Stilmix, emotionale Texte und epische Musicals.
Hallo und danke für eure Zeit. Wie geht es euch?
Lauri: Danke für die Nachfrage, mir gehts gut. Mein Job und die anstehende Veröffentlichung von “Nemesis” beschäftigen mich und die Jungs enorm, aber auf eine gute Weise. Mit dem ganzen Promomaterial zu arbeiten ist eine ziemlich angenehme Arbeit.
GLADENFOLD wurden schon 2003 gegründet, dürften für viele unserer Leser aber noch ein unbeschriebenes Blatt sein. Magst du uns zu Beginn von euren Anfängen erzählen?
Lauri: Nun, da könnte ich ewig erzählen. (lacht) Am Anfang waren wir alle nur ein Haufen Teenager, ich war 14 oder 15, als wir mit GLADENFOLD angefangen haben und die anderen waren nicht viel älter und wir hatten alle nicht viel Erfahrung mit Musik. Ich habe vorher zum Beispiel nie Schlagzeug gespielt, also musste ich von Null anfangen und somit hat es einige Zeit gedauert, überhaupt die Grundlagen zu lernen. (lacht) Anfangs war die Band auch nur ein Hobby, es hat ein paar Jahre gedauert, bis wir realisiert haben, dass es auch mehr als nur ein „Hobby“ sein könnte. Und dann gab es natürlich noch so viele Wechsel im Line-up, dass ich sie gar nicht mehr alle zählen kann. Esko und ich sind inzwischen die einzigen, die noch seit Anfang an dabei sind. Ich denke, mit unserem letzten Demo „Tales From Worlds Afar” haben wir den ersten großen Schritt in Richtung einer bemerkenswerten Band gemacht und mit unserer Musik außerdem den GLADENFOLD-Stil gefunden. Davor war es eine Mischung aus verschiedenen Stilen und Genres. Aber auch, wenn wir eine ernsthaftere und bekanntere Band geworden sind, was natürlich unser Ziel ist, ist es wichtig für uns, den Gedanken zu behalten, dass es ein „Hobby“ ist. Das macht das ganze angenehmer und es macht mehr Spaß.
Wie habt ihr euch eurer Meinung nach seit eurem zweiten Album „When Gods Descend“ weiterentwickelt und hatte Corona Einfluss auf die Produktion und den finalen Sound von „Nemesis“?
Toke: Der grundsätzliche Weg, auf dem wir uns als Band entwickelt haben, ist die Kompromissbereitschaft, dem Song zu dienen. Die Band hat sehr unterschiedliche musikalische Hintergründe und Einflüsse, und daher haben wir enorm viele Ideen für jeden Song, was auf „When Gods Descend“ sehr deutlich wird. An „Nemesis“ sind wir direkter rangegangen: In jedem Abschnitt gibt es eine oder vielleicht ein paar Hauptideen und alles andere ist diesen Ideen untergeordnet. Die Pandemie hat vor allem unsere Arbeitsweise beeinflusst: Den Großteil des Albums haben wir in unseren eigenen Home Studios geschrieben und Ideen per Onlinenachriten hin- und hergeschickt. Man könnte auch sagen, dass diese Arbeitsweise den Sound beeinflusst hat, heutzutage kann man in einem budget-freundlichen Home Studio aber so viel erreichen, dass es kaum ein Kompromiss war. Die Drums wurden sogar live in einem Studio eingespielt. Da das neue Album im Vergleich zu „When Gods Descend“ viel düsterer ist, was den Sound und die Optik betrifft, ist es naheliegend anzunehmen, dass das an der Pandemie liegt. Tatsächlich haben wir den Großteil der Songs, wenn nicht sogar alle, vor der Pandemie geschrieben, in diesem Fall hat das also nichts miteinander zu tun.
Euer Sound und eure Mischung aus Death, Symphonic und Power Metal klingt wirklich einzigartig. Wie würdest du euren Sound selbst beschreiben und einordnen?
Toke: Wir könnten noch ein paar Aufkleber mit dem Aufdruck „GLADENFOLD – Epic Melodic Death Power“ übrighaben. Damit versuchen wir mehr oder weniger den Genremix einzuordnen, den du beschreibst. Die Kombination aus Melodic Death Metal und Power Metal ist unser aktueller Rahmen für GLADENFOLD, die symphonischen Elemente spielen eine Nebenrolle. Das Problem mit den symphonischen Parts ist, dass wir bei den Liveshows oft sehr von Backing Tracks abhängig sind. Wir haben gemerkt, dass uns das nicht gefällt und außerdem viel Aufmerksamkeit von unserem Keyboarder nimmt, von dem wir wollten, dass er sich auf dem neuen Album wirklich präsentieren kann. Auf der anderen Seite sickern die aktuellen Einflüsse aller Bandmitglieder in die Songs. Für dieses Album, ohne nun irgendwelche Bandnamen zu nennen, wären das etwa Black Metal, Synth Pop und Shoegaze.
Wenn GLADENFOLD eine perfekte Symbiose aus Death und Power Metal ist, welche beiden Bands aus diesen Genres wären dazu vermischt worden?
Lauri: Nun, wenn Dark Tranquillity und Freedom Call ein Baby hätte, wäre das GLADENFOLD. (lacht) Aber natürlich gibt es eine große Menge verschiedener Bands aus beiden Genres, die uns über die Jahre beeinflusst haben und da ist es wirklich schwer, nur zwei zu nennen.
Ihr habt eine Balance zwischen Melodic Death und Power Metal gefunden, die ich so überzeugend bisher kaum gehört habe. Achtet ihr beim Songwriting auf eine perfekte Mischung beider Genres?
Toke: Wie alle Künstler und Bands, deren Musik sehr vielschichtig ist, achten wir sehr genau auf die Mischung der unterschiedlichen Soundelemente und Strukturen, aber nicht besonders auf das Gleichgewicht zwischen Power Metal und Melodic Death Metal. Wir spüren beispielsweise immer recht genau, welche Art von Gesang oder Gitarrenriff ein spezieller Part benötigt.
Ich finde, eure Musik klingt sehr finnisch – was sagst du dazu, wie würdest du finnischen Metal charakterisieren und was macht ihn so besonders?
Toke: Das Wort, dass am meisten auftaucht, wenn man über finnische Musik spricht, ist vermutlich „Melancholie“ und für finnischen Metal passt das noch besser. GLADENFOLD hat sicher auch melancholische Elemente, sowohl musikalisch als auch lyrisch, wir haben uns auf diesem Album aber auch bewusst dem Finnischen hingegeben. Ich und unser Keyboarder Paavali referenzieren verschiedene Keyboardsounds, die mit Korg- und Roland-Synthesizern/ROM-Playern der 90er Jahre sehr stark auf finnischen Rock- und Metal-Alben der späten 90er und frühen 2000er Jahre vertreten waren. Ich glaube, jeder der es gehört hat, erkennt den typischen Sound, den ich meine.
Beim Hören von „Nemesis“ kommen mir Bands wie Sonata Arctica, Kamelot, Falconer, Children Of Bodom und Wintersun in den Kopf. Welche Bands würdest du als größte Einflüsse bezeichnen und gehören die erwähnten Bands dazu?
Toke: Ich persönlich kenne kaum etwas von Falconer, aber die anderen Bands waren für uns absolut entscheidend und wir beziehen uns bis heute immer wieder auf diese Bands. Die für mich größten Einflüsse sind Künstler, die sich nicht darum kümmern, in bestehende Genres zu passen und ihre verschiedenen Einflüsse zu etwas Eigenem verbinden und damit neue Wege schaffen, Musik zu spielen und Musik mit anderen Augen zu sehen. Das könnte man über Frank Zappa, David Bowie, Devin Townsend, The 1975 und viele andere sagen.
Das Album heißt „Nemesis“ – wer ist der titelgebende Nemesis und wer oder was sind in deinem Leben deine persönlichen Erzfeinde?
Esko: Das sind wir alle, oder zumindest haben wir alle das Potential, dazu zu werden. Es geht um die Umstände und unsere Fähigkeiten, damit umzugehen und wie wir uns am Ende des Tages selbst im Spiegel sehen. Auf diesem Album ist der Nemesis mehr eine Art Phänomen der Selbstreflektion.
Was inspiriert dich, abgesehen von Musik und Bands, beim Schreiben der Songs und der Texte?
Esko: Auf eine Art und Weise schreibe ich über meine eigenen Gedanken und Zweifel, Ängste und Wünsche – Dinge, die ich erlebt oder miterlebt habe. Ich versuche, eine Geschichte zu schreiben, in die ich diese Themen aus meinem eigenen Leben einarbeite. Themen, die ich normalerweise in den Lyrics aufarbeite, sind zwischenmenschliche Beziehungen, Natur, Moral, Menschlichkeit und solche Dinge. Musikalisch lasse ich mich auf einer emotionalen Ebene inspirieren und ich komponiere, wie ich mich fühle. Meistens schreibe ich also heroische und erhebende Themen, aber manchmal gibt es auch dunklere Momente im Leben und „Nemesis“ ist das Ergebnis davon. Ich glaube nicht, dass das nächste Album wieder so düster wird.
Kannst du mir mehr über den textlichen Inhalt des Albums erzählen? Hängen die Songs thematisch zusammen oder stehen sie eher für sich selbst?
Esko: Man kann auf dem Album viele verschiedene Bedeutungen oder Themen finden. Für mich ist das Hauptthema psychologischer Natur. Es ist wie ein Kampf zwischen Gut und Böse in uns selbst. Wir alle haben die Möglichkeit, beide Wege zu wählen. Aber was bringt uns dann dazu, das Böse anstatt dem Guten zu wählen und ist es überhaupt wirklich unsere Entscheidung? Können wir unsere falschen Entscheidungen korrigieren oder sind wir an sie gebunden?
Dieser Thematik kannst du beim Hören von „Nemesis“ folgen. Aber anstatt von vorne zu beginnen, musst du vielleicht mit dem fünften Song „Saraste“ starten.
„Nemesis“ ist ein wahnsinnig abwechslungsreiches und vielschichtiges Album. Als Blind-Guardian-Fan gefällt mir „Saraste“ besonders, der Song erzeugt mit seinen Akustikgitarren eine ganz besondere, besinnliche Atmosphäre. Worum geht es in dem Song und was macht ihn so emotional?
Esko: Ich habe „Saraste“ ursprünglich als Liebesbrief an meine wunderbare Frau Sara geschrieben, also kommen die Emotionen hoffentlich daher. Ich glaube, der Song hat es wegen seiner zerbrechlichen, emotionalen Ausstrahlung aufs Album geschafft. Für mich fühlt es sich so an, dass der Track sowohl für die Story als auch für die Musik eine Hauptrolle spielt.
Besonders der Titeltrack ist ein sehr dramatischer, komplexer Track, bei dem ich an ein Bühnenstück oder eine Theateraufführung denken musste. Ich finde, der Song erzählt allein instrumental und durch die epischen Chöre eine spannende Geschichte. Ist es mit GLADENFOLD euer Ziel, Spannung und Dramatik zu erzeugen und Geschichten zu erzählen?
Toke: Mit den Worten des Mixing Engineers, als er den Titeltrack zum ersten Mal gehört hat: „Das ist wie ein Musical!“ Ja, wir lieben es, mit unserer Musik Geschichten zu erzählen. Das meiste davon entsteht natürlich beim Lyric- und Songwriting-Prozess, aber die Produktion spielt auch eine große Rolle. Wir lieben es, viele verschiedene Klangwelten in einem einzigen Track zu haben und wir experimentieren auch gerne mit verschiedenen Arten des Gesangs. Instrumental wird das durch die individuelle Anpassung der Drum-Mix-, Gitarren- und Bass-Sounds für jeden Part umgesetzt, wobei einige Abschnitte bis zur Unkenntlichkeit verfremdet und verzerrt werden, während andere ziemlich organisch bleiben. Für den Gesang wollten wir diesen trockeneren, intimeren Leadgesang haben, der von verrücktem, verzerrtem Flüstern umgeben ist, das dann von den aggressiven Growls und dem gewaltigen, mit Hall bedeckten Chor kontrastiert wird. Welche Bedeutung diese ästhetischen Entscheidungen in Verbindung mit dem Song, dem Text und den Bildern haben, bleibt dem Hörer überlassen. Ich denke, dass viele, gleichermaßen sinnvolle Interpretationen möglich sind.
Welche der Tracks auf „Nemesis“ sind deine persönlichen Favoriten?
Lauri: Ich mag den Titeltrack sehr gerne, weil er so vielschichtig ist. Er ist einer der aggressivsten Songs auf dem Album und es macht riesigen Spaß, ihn live zu spielen. Der andere ist „Solitude’s Bane“, weil er in seiner Demoversion noch nicht besonders überzeugend war, aber dann so überragend geworden ist.
Lasst uns das Interview mit unserem traditionellen Brainstorming abschließen. Was kommt euch bei den folgenden Begriffen als erstes in den Sinn?
Aktuelles Lieblingsalbum:
Lauri: Bloodred Hourglass – Your Highness.
Toke: Bleachers – Take the Sadness out of Saturday Night.
Ukraine: Respekt.
Bestes Film-/Serien-/Buch-Universum:
Lauri: Star Wars.
Will Smith:
Lauri: Mehr Memes. (lacht)
Videospiele:
Lauri: “Heroes of Might and Magic 3”.
Sammeln:
Lauri: Unbewusst unnützes Zeug. (lacht)
Toke: Effektpedale für die Gitarre!
Etwas, das jeden Tag besser macht:
Lauri: Sauna mit einem oder zwei Bier.
GLADENFOLD in zehn Jahren:
Lauri: Hoffentlich immer noch aktiv.
Danke nochmal für eure Zeit! Die letzten Worte gehören euch.
Lauri: Horns high und holt euch euer Exemplar von „Nemesis“, wenn ihr das noch nicht habt. Hoffentlich sehen wir uns bald auf Konzerten.
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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