Interview mit Alboin von Geist

Patrick führte mit Alboin anlässlich des neues Albums „Kainsmal“ ein Interview der besonderen Art, ein wenig abseits der Musik. Schnell bemerkte man, dass Alboin nicht viel von Interpretationen und Symbolen zu halten scheint, die Fragen waren jedoch häufig mit jenen verbunden. Heraus kam ein manchmal etwas barscher Ton, der jedoch zu verzeihen ist und im Nachhinein auch mildernd erklärt wurde, die Literaturwissenschaft wird eben nicht von jedem als grundlegend wissens-gesegnet aufgefasst.

Ich grüße dich, Alboin! Kommen wir erst zu den mehr oder weniger obligatorischen Fragen; ein Kainsmal ist eine Art Schandfleck, den man mit sich trägt. Welche Schandflecke sind denn die Welt Kainsmale und wieso?
Ich glaube, da muss man nicht lange suchen, oder? Schwäche, Jähzorn, Grausamkeit, Verderben, Neid, Missgunst… wo immer Du hinschaust, Du kannst überall etwas davon finden. Ich habe keine Vergleichsmöglichkeit, aber ich weiß nicht ob es schon oft in der Kulturgeschichte vergleichbar viele Fälle von Psychosen, Gräueltaten und Abartigkeiten in einer Gesellschaft gab, die sich als zivilisiert und human bezeichnet. Ich will auch nicht behaupten, es gäbe nur Schlechtes auf der Welt, ganz und gar nicht. Aber es gibt trotzdem noch zu viel Schlechtes, und das in so mannigfaltigen Erscheinungsformen, dass ich jedesmal nur staunen kann. Sogar in den vermeintlich elitären Einrichtungen, Universitäten, Schulen, den Institutionen der Politik – Dilletantismus, Egomanie, Phrasen, Sinnlosigkeiten überall. Man fragt sich doch wirklich oft genug, wo die immer wieder beschworene Vernunft und Intelligenzfähigkeit der menschlichen Rasse sich versteckt hat, wenn man sich dieses Trauerspiel mit anschauen muss.

Was macht „Kainsmal“ deiner Meinung nach aus?
Dass es ein ungewöhnlich kompaktes, eigenständiges und eindringliches Album ist, das sowohl in unserer kurzen Bandgeschichte als auch in der gesamten deutschen Black-Metal-Szene einen festen Platz eingenommen hat. Es vereint Attribute, die ich an Alben und an Bands generell schätze, wie Wiedererkennbarkeit, Durchsetzungskraft, Aussagewillen, Innovationspotential, Schönheit, Homogenität und vor allem Atmosphäre. Es gibt zwar noch mengenweise mehr solcher Alben – natürlich -, aber ich bin trotzdem sehr stolz auf das, was wir da geschaffen haben.

Ihr habt diesmal auf Stücke a la „Thanatos Phobein“ verzichtet. Ich las auch in einem anderen Interview, dass solche Stücke nicht sinnvoll wären auf „Kainsmal“. Gibt es denn irgendwann wieder eine Rückkehr zu Liedern wie diesen?
„Thanatos Phobein“ ist ein sehr experimentelles Stück, das eigentlich nur aus Ambiente besteht. „Kainsmal“ ist überhaupt kein ambientes Album, es ist wesentlich kürzer, sagt genauso viel wie „Patina“, nur in einer Viertelstunde weniger. Wir wollten das Album kürzer halten, weniger Leerlauf und Ambiente, dafür mehr Musik, mehr Riffs, mehr Stoff zum Nachdenken auf engerem Raum. Da genau diese Parts auf „Patina“ von Aínvar stammen, halte ich es für ziemlich unwahrscheinlich, dass wir Ähnliches noch einmal auf einem Album machen werden. Ich will und kann diesen Stil auch nicht imitieren. Trotzdem, wenn ich einmal das Bedürfnis habe, ein langes Instrumental ohne viel Geschehen zu schreiben und aufzunehmen, wird das geschehen. Ausschließen kann ich das also nicht. Ich vermute aber sehr stark, dass wir auch in Zukunft eher zu noch mehr Dynamik tendieren werden anstatt in die Gegenrichtung.

Ihr seid nun bei Cold Dimensions, dem Label von Whyrhd. Inwiefern wirkte er auf euer Album ein?
Selbstverständlich überhaupt nicht, warum sollte er das tun? Ein guter Labelchef, und für den halte ich Whyrhd, vertraut seinen Bands und hält sich aus deren Belangen heraus. Wir sind auch keine Musiker von der Sorte, die sich von ihrem Label irgendetwas sagen lassen würde. Das ist auch nicht nötig, wir wissen durchaus was wir wollen und werden das auch umsetzen, egal welchen Widrigkeiten wir dafür trotzen müssten. Rat und Hilfe war auch nicht notwendig, auch wenn ich keine Probleme damit hätte, Whyrhd um seine Meinung zu diesem oder jenem zu fragen.
Ich bin eigentlich nur sehr stolz darauf, dass er das Album und alle unsere Ideen drumherum akzeptiert und gemocht hat. Cold Dimensions ist kein Label, das jede beliebige Band, nur weil sie Black Metal spielt, veröffentlichen würde. Da ist das Gefühl, Teil dieses Labels zu sein gleich ein doppelt gutes.

Habt ihr Aran Vorgaben zum Cover gegeben oder wie entstand es?
Ja, ich habe Aran ziemlich genaue Erklärungen dazu gegeben, wie seine Zeichnungen aussehen sollten, ihm aber trotzdem auch freie Hand gelassen, weil ich seinen künstlerischen Ausdruck sehr mag und schätze und seiner Kreativität vertraut habe. Wie sich herausgestellt hat, nicht zu Unrecht.
Allerdings hat Aran nicht das komplette Artwork gestaltet, er hat nur das „Kainsmal“ auf dem Cover und das Material für die Hintergründe geliefert. Die wirklich wunderbaren Illustrationen der Stücke und die Bandfotos und hat unsere Fotografin Anna S.K. erstellt, teils nach Anweisungen, teils aus ihren eigenen Ideen. Mit diesem exzellenten Material war es nicht mehr sehr schwierig, ein stimmungsvolles Booklet zusammenzusetzen.

Aran, Whyrhd, Lunar Aurora überall, wenn man das mal so formulieren darf. Was haltet ihr/hälst du von der Band und hat sie euch/dich gar geprägt?
Ich verstehe schon, dass man als Außenstehender den Eindruck bekommen kann, wir wären so eine Art Zögling von Lunar Aurora. Der Eindruck täuscht allerdings vollkommen. Es ist ja nur natürlich, dass man uns in Verbindung bringt, wenn wir beim selben Label sind, der Labelbesitzer ein ehemaliges Mitglied von Lunar Aurora ist und ein aktives Mitglied uns bei der Artworkgestaltung hilft. Damit sind die Verbindungen dann aber auch schon erschöpft.
Die Musik Lunar Auroras schätze ich sehr, und das schon seit ihren Anfängen, weil sie sich niemals um Trends geschert, konstant hervorragende Alben aufgenommen haben (und das noch in einem Mordstempo) und trotzdem vollkommen natürlich und auf dem Teppich geblieben sind. Lunar Aurora sind ohne Zweifel die authentischste und beste Black-Metal-Band, die wir in Deutschland derzeit haben, auch wenn es noch einige andere sehr gute gibt. Das ist ein Status, den sie sich hart erarbeitet und fraglos verdient haben. Ich mache auch keinen Hehl daraus, dass mich ihre Alben auch musikalisch beeinflussen, so wie mich alles musikalisch beeinflusst, was ich mag und oft höre. Das ging bei mir aber nie soweit, dass ich einen kompletten Stil imitieren wollte. Ich finde, Einfluss ist in Ordnung, solange er als Inspiration dient.

Wie kam der Kontakt überhaupt zustande?
Seltsamerweise andersherum als man es vermuten würde. Ich kam mit Aran in Kontakt, wegen einer Grafikarbeit für ein geplantes Label (die Pläne haben sich zerschlagen), und hatte irgendwann die Idee, ihn einfach zu fragen, ob er etwas für uns zeichnen könne. Wir kamen ins Gespräch und ich erfuhr, dass Whyrhd einmal geäußert habe, er könne sich eine Zusammenarbeit mit Geist durchaus vorstellen. Das hat mich sehr überrascht, wir telefonierten und waren uns binnen kürzester Zeit darüber einig, dass wir „Kainsmal“ bei Cold Dimensions veröffentlichen wollten. Unser voriges Label Solistitium hat mit „Patina“ sehr gut Arbeit geleistet, wofür ich dem Besitzer Carsten M. auch immer noch sehr dankbar bin. Ich hatte nur den Eindruck, etwas Neues und Frisches würde der Band gut tun und uns zusätzliche Motivation verschaffen. Der Eindruck hat sich übrigens als richtig erwiesen.

Werdet ihr zusammen mit Lunar Aurora einige Auftritte absolvieren? Würde sich ja anbieten.
Ja, das würde sich anbieten. Allerdings liegen 600 km zwischen uns, Lunar Aurora arbeiten an einem neuen Album, wir werden gegen Jahresende das Gleiche tun. Zudem treten beide Bands in Zukunft, was Konzerte angeht, etwas kürzer. Vor 2007 wird das also leider nichts werden, und wer weiß schon, was sich nächstes Jahr alles verändert haben könnte. Ich habe mir allerdings schon vor langer Zeit vorgenommen, Geist nicht aufzulösen, bevor ich nicht einmal mit Lunar Aurora live gespielt habe. Es muss nicht gleich, wie ich es durchaus schön fände, eine kurze gemeinsame Tour sein, ich fände schon einen einzigen Auftritt zusammen sehr schön.

Gut, kommen wir nun mal zu euren Lyrics, ich habe auch dort einige Fragen:
Warum ist die Szenerie in „Stille Wasser“ voller Schönheit und Zerstörung zugleich? Kann man das auch auf etwas anderes im Leben beziehen?

Ja, auf das Leben natürlich. Das ganze Leben besteht aus Schönheit und Zerstörung – wobei Zerstörung natürlich immer negativ konnotiert ist. Man kann es auch Kommen und Gehen nennen. Beides hat unwiderstehliche Reize, finde ich, und deshalb enthält auch genau dieses Stück die Zeile „Verweile, Augenblick, du bist so schön, ich will an dir zugrunde geh\’n!“. Alles im Leben hat zwei Pole, zwischen denen sich alles abspielt. Beide muss man lernen zu akzeptieren, und beide enthalten genug, dass man von ihnen fasziniert sein kann.

„In Pans Hallen“ spricht von Elysium, der Insel, auf der mehr oder weniger die Helden der griechischen Mythologie leben, die den Göttern gefallen. Doch am Ende findet der Protagonist dort genausoviel vor, wie sonst überall auf der Welt, nämlich eine Leere. Eine Absage an paradiesische Gedanken?
Nein, überhaupt nicht. In diesem Text steht auch nichts von einer Leere, sondern von „Nichts“, was meinem Empfinden nach ganz und gar nicht das Gleiche ist.

Wo besteht denn deiner Meinung nach der Unterschied zwischen „Nichts“ und „Leere“, die Begriffe ähneln sich ja.
Auf den ersten Blick mögen sich die Begriffe ähneln, ich finde allerdings, dass „Nichts“ nicht nur besser klingt als „Leere“, sondern auch Charakter hat. „Nichts“ ist etwas, stellt selbst etwas dar, wohingegen „Leere“ für mich nur die Abwesenheit von etwas bedeutet. „Nichts“ ist für mich wesentlich positiver besetzt, weil es auch etwas mit Ruhe und Stille zu tun.Vermutlich ist das nur mein Empfinden, aber darum geht es mir ja auch.

„outo pos exei kardian lykou periplanate monaxos“ – So wird „Lykoi“ eingeleitet, es wird wohl griechisch sein, doch was heisst es übersetzt? Vermutlich hat dieser Satz Symbolcharakter, nicht? Er steht immerhin zu Anfang des Liedes, also was bedeutet er mehr als nur oberflächlich betrachtet?
Der Satz ist griechisch und lautet übersetzt „Wer den Wolf im Herzen trägt, wandert allein“, was am Ende des Textes durch „Nur wer den Wolf im Herzen trägt, der weiß woran ich leide“ wieder geschlossen wird. Man muss das nicht symbolisch zu verstehen versuchen, auch wenn der Wolf natürlich immer ein Symbol ist. Ansonsten kann man das aber ziemlich wörtlich nehmen: die Einsamkeit des Wolfes in sich zu tragen heißt, immer allein zu sein, egal in welcher Gesellschaft man sich befindet. Das ist mehr ein gefühltes Bild als alles andere, eines von vielen Bildern, die das Album für mich ausmachen.

„Einst war es Wein“ spricht davon, dass die Welt früher einmal eine bessere war und durch den Menschen zugrunde gerichtet wird, kann man das so sagen? Ebenso scheint der Geist der Natur, das Wissen der Natur diese Zeiten zu überdauern, also eine Art Huldigung an die Natur?
„Früher war alles besser“ und „der Mensch macht alles kaputt“ klingt ein bisschen wie eine Mischung aus Altersheim und Philosophie-Grundkurs. Ganz so einfach ist es dann glaube ich auch wieder nicht. Eher beschreibt das Stück die Ohnmacht des Menschen, Dinge festhalten zu wollen und dies nicht zu können, die beschämende, überrollende Erkenntnis, dass sich Dinge verändern, vergehen, neu erschaffen, ohne dass der Mensch etwas dagegen unternehmen kann. Das ist aber nicht nur eine furchtbare, sondern auch eine fruchtbare und schöne Erkenntnis – siehe die Erläuterung zu „Stille Wasser“.
Hat die Natur Wissen? Hat sie Geist? Mag sein. In erster Linie ist Natur aber selbst eine Beschreibung dieses Zyklus\‘, wir bezeichnen als „natürlich“ etwas, das, vom Menschen unangetastet, seinen Lauf nimmt und sich immer und immer wieder fortentwickelt. Der Text ist eher ein etwas wehmütiges Staunen dieser Natur gegenüber, und er drückt auch gut aus, in welchem Zustand ich mich befunden habe, als ich ihn schrieb. Mir war klar, dass sich Dinge immer verändern werden, ich hatte es akzeptiert und war doch noch traurig darüber.

„Kainsmal“ klagt vermeintliche Heilsbringer an und enttarnt sie als Vernichter wirklichen Heils, sie tragen das Kainsmal in ihrem Denken. Gen Ende des Stückes drängt sich der Gedanke auf, es ist eine Anklage an das Christentum. Inwiefern ist das richtig und wodurch haben die die Träger des Males ihr Zeichen „verdient“?
„Heil“ ist doch, glaube ich, ein germanischer Begriff für soetwas wie Glück, Gelingen, positives Schicksal, oder? Wer vernichtet das, wer bringt stattdessen „wirkliches Heil“? Wo ist überhaupt der Unterschied? Ich glaube eigentlich weniger daran, dass soetwas wie eben „Heil“ etwas ist, das man jemandem wünschen kann, sondern eher das Resultat der Fähigkeit, sein Leben selber in den Griff zu bekommen, denn das Gelingen einer Sache liegt doch in den meisten Fällen in der Hand des Handelnden. Wenn es sich um etwas nicht Materielles, sondern um persönliches Glück und Wohlfühlen handelt, so mag das ein individueller Prozess sein, in dessen Verlauf man das Eine oder Andere erkennen muss, um aufrichtig glücklich zu sein. Auf alle Fälle glaube ich nicht an das „übersinnliche Heil“, das jemandem zuteil wird oder nicht, weil er ein „Vorbestimmter“ ist oder dergleichen.
Mir ist klar, dass bei einer Black-Metal-Band der Gedanke nahe liegt, dass in einem Text auch mal das Christentum sein Fett weg bekommt, weil es ja generell nichts taugt, schlecht, verdorben, unterdrückerisch und bösartig ist. Das halte ich für völligen Schwachsinn. „Kainsmal“ sagt das Gegenteil aus. Ich glaube, die Idee des Christentums, frei von jeder Kirche und Kurie, ist eine sehr gute. Wahrscheinlich würde man mich für diesen Kommentar im Christhuntforum pfählen. Seis drum. Jedenfalls: wenn Du unbedingt jemanden auf dem Papier stehen haben möchtest, der in diesem Text angeklagt wird, dann kann das niemand Einzelnes sein. Eher drückt er meine Verachtung gegenüber Kleingeistigkeit, Unterdrückung, das Ausnutzen guter Ideen und edler Ziele für den eigenen Vorteil aus. Da darf sich dann die Kirche als Organisation meinetwegen auch angesprochen fühlen, aber nur, weil sie die Idee des Christentums in einen derartigen Verruf gebracht hat. Diese „Anklage“ bezieht sich aber nicht nur auf Religionen, sondern auf menschliches Denken und Handeln überhaupt. Man kriegt doch durchaus den Eindruck, dass es der Menschheit gar nicht gut gehen will, sonst würde sie sich das Leben ja nicht mit Kriegen, Hass und Dummheit schwer machen, oder?

Du sagst, es würde keine Dummheit oder keinen Hass geben, wenn die Menschheit wirklich ein gutes Miteinander gestalten wollte: Ist aber Hass nicht eine bloße ungesteuere, urzeitliche Emotion und ist Dummheit nicht ebenso etwas Ungelenktes, nichts, was jemand absichtlich mit sich führt? Drängt sich dann nicht eher der Verdacht auf, die Ureigenschaften der menschlichen Rasse können es gar nicht zulassen, dass wir im Einklang miteinander leben? Zumindest auf einen Teil der Bevölkerung bezogen.
Das kann gut sein, ja. Dass Dummheit, Hass, Neid und dergleichen Empfindungen sind, die der menschlichen Rasse einfach eigen sind ist vermutlich sogar richtig. Die Geschichte hat das in mannigfaltigen Beispielen sehr eindrucksvoll bewiesen. Es gibt ja sogar Theorien, dass jegliche politischen und gesellschaftlichen Systeme im Grunde zum Scheitern verurteilt sind, weil der Mensch ihr Funktionieren schon durch sich selbst verhindert.

Ihr seid jedoch keine Fürsprecher für den Paganismus, was stört euch daran?
Wer sagt das? Ich bin vielleicht kein Fürsprecher des Pagan Metal, aber Paganismus und Pagan Metal haben ja ungefähr so viel miteinander zu tun wie eben Kirche und Christentum, das eine ist eine perverse Ableitung des anderen. Ich habe nicht einmal eine spezielle Meinung zum Paganismus, wobei es da ja auch noch unzählige Subformen gibt, die alle unbedingt speziell benannt und etikettiert werden müssen. Generell sind heidnische Religionen selbstverständlich genauso zu respektieren wie alle anderen Erklärungsmodelle der Natur und der menschlichen Rolle darin. Religionen sind nichts anderes für mich.
Aber bitte, wer will diese dämlichen fellbehangenen, vollbärtigen Vollplastiktrinkhornschwinger ernst nehmen, die ihren kitschigen Metalmansch auf die Menschheit loslassen? Dafür spricht in der Tat gar nichts.

Ein Bekannter von mit hat eine Frage, die ich mir beim Durchlesen des Textes zu „Wanderer bei Fels und Fjord“ auch stelle, hier eben die entsprechende Textpassage:
„Wenden uns ab und wandern fort
Trotzen den Blicken
In uns’ren Rücken
Klagen euch an: Übermenschenmord
Strebt nur nach Gewinn, Betäubung, Huren
Wir leben fort – wo sind eure Spuren“


Was ist mit dieser Passage gemeint?

Der Text stammt von Aínvar, und eigentlich müsste er ihn erläutern. So wie ich ihn verstehe, und das kann so anders eigentlich nicht sein, geht es auch hier um das Sichunterscheiden, um ein Anderssein, und auch darum, etwas Bleibendes zu hinterlassen. Viele Menschen streben nach den falschen Dingen, oder nach den einfachsten, machen es sich im Leben generell einfach und dafür anderen schwer, die nicht in ihr Schema passen. „Wanderer bei Fels und Fjord“ ist der Stolz darüber, anders zu sein und damit zu bestehen – jedenfalls meinem Empfinden nach.

Nun noch ein kurzer Abstecher in weiter zurückliegende Zeiten, es geht nämlich um Eismalsott und zwar ist es beim Hören von „Alle unter dem Himmel“ besonders der Schlussatz, der im Gedächtnis verbleibt. Kann man daraus auch eine Abneigung von euch gegenüber den naiven Pro-Kriegsthematiken im Black Metal herausinterpretieren?
Das kann ich so gelten lassen, ja. Allzu viel interpretieren muss man da allerdings auch nicht. Diese „Pro-Kriegsthematiken“ sind genauso dümmlich wie alle anderen Themen, mit denen durchschnittliche, langweilige, speckgesichtige PC-Abhängige probieren, ihren Alltag interessanter und ihr Auftreten extremer zu gestalten. Den wenigsten nehme ich ab, dass sie wirklich ein Argument für den Krieg auf der Pfanne haben. Die weitaus meisten würden konditionell und fernab ihrer kochenden, putzenden und waschenden Mama vermutlich nicht mal die dreimonatige Grundausbildung der sowieso schon liberalen Bundeswehr überstehen. Ich kann ja verstehen, wenn jemand sich für die Urgewalt von Schusswaffen interessiert oder aufgrund seines Naturells gerne im Dreck kriecht, aber diese Gewalt- und Kriegsglorifizierung kann man absolut nicht ernst nehmen, genauso wenig wie die meisten Heiden, Satanisten, Nazis etc.
Das Sample in dem Stück hat aber auch noch eine tiefere Aussage, die man aber nur im Zusammenhang versteht und die sich auch eng an den Film hält: der Machthaber probiert, durch Krieg seinem Reich den Frieden und die Einigung zu bringen. Er ist davon überzeugt, dass seine Visionen dem Land gut tun, und er ist gewillt, sie gegen den Widerstand seiner Feinde durchzusetzen. Für ihn ist Krieg notwendiges Mittel zum Zweck, und er setzt es nur ein, weil seine Widersacher ihn nicht verstehen und ihm nicht vertrauen wollen. Dabei schmerzt es ihn selbst, dass er so handeln muss, und das ist das eigentlich Faszinierende daran.

Was tut Ainvar eigentlich derzeit, wird Eismalsott bald wieder von sich hören lassen? Inwiefern würde sich das Material von der EP und der Demo unterscheiden?
Aínvar studiert weiterhin sein sehr zeit- und arbeitsintensives Studium, wir haben uns seit eineinhalb Jahren nicht gesehen. Auf unserer Releaseparty am 22.7.wollten wir gemeinsam ein Stück spielen, und bis 48 Stunden vorher stand das auch fest. Dann kam doch irgendetwas dazwischen.
Eismalsott selbst wird vermutlich nicht mehr von sich hören lassen, zumindest nach dem zu urteilen, was mir bekannt ist. Aínvar erwägt, im Ausland weiterzustudieren, was sicher nicht weniger Zeit fordern würde als es jetzt tut. Momentan ist auch die Homepage offline und wird es wohl auch bleiben. Neues Material war in Planung, aber konkret ist da niemals etwas gewesen, soweit ich das überblicken kann (und wenn, dann hätte es sich in allen Belangen radikal von der EP und dem Demo unterschieden und nicht einmal etwas mit Black Metal zu tun gehabt). Ob es das „Skogtaken“-Album jemals auf eine CD schaffen wird, steht damit auch in den Sternen – obwohl Geist sicher als Musiker zur Verfügung stünden.

Kommen wir mal zu einem anderen Thema, der sogenannten Szene. Ich habe das Gefühl, sie ist zweigeteilt. Zum einen hat man Gruppen wie Lunar Aurora oder euch, ich will das mal als gehoben bezeichnen. Auf der anderen Seite so typische Black Metal-Combos, welche eher mit niveauärmeren Phrasen glänzen, kannst du da zustimmen oder dir diesen Unterschied erklären?
Ja und ja. Ich kann Dir zustimmen und erklären kann ich Dir den Umstand auch: hier bildet sich der ganz normale Querschnitt der Gesellschaft im Kleinen ab. Breite bildungsferne Schichten, und nach oben hin wird alles immer ein Stück anspruchsvoller. Was nicht heißt, dass es zwangsläufig anspruchsvoll wäre, wenn man oben ankommt.

Gehen wir weiter den Weg, das Publikum scheint mir da auch zwiegespalten zu sein, dafür ziehe ich mal euren Auftritt im Januar in Mühlheim heran. Vor euch spielten Mor Dagor, sie wurden gefeiert von dem mehr oder weniger Saufpublikum. Ich hatte bei euch das Gefühl, als würden sich zuviele Leute nicht mit eurer Art und Musik identifizieren können. Ist dir auch sowas aufgefallen oder kannst du dir das erklären?
Ehrlich gesagt wundere ich mich dann, wieso 250 Leute vor der Bühne stehen, wenn sie mit der gerade auftretenden Band nichts anfangen können?! Mir ist völlig egal, was bei Mor Dagor los war oder nicht los war, ich fand die Band langweilig und genau auf dem passenden Level für die bildungsfernen Schichten, die ich gerade angesprochen habe: einfach gestrickt, stumpf insgesamt nicht überfordernd. Ach ja, und natürlich vollständig dem Klischee entsprechend. Es waren trotzdem noch eine Menge Freunde und Bekannte da, über deren Anwesenheit ich mich gefreut habe, und ein paar andere Leute haben wir vielleicht auch noch erfreuen können mit dem was wir dargestellt und gespielt haben.

Einige Personen meinten gar, ihr wärt nicht zu gebrauchen, weil Cypher eine rote Hose trägt, was natürlich arg kleinkariert anmutet. Dennoch lehnen sie deshalb die Band Geist ab. Was meinst du, geht in diesen Leuten vor?
Vermutlich nicht sonderlich viel, oder? Kann ja nicht. Das sind Menschen mit schlimmen Psychosen, die so wenig Selbstvertrauen und Kreativität ihr eigen nennen, dass sie sogar in einer eigentlich rebellischen Szene noch zu 100% den Konventionen entsprechen müssen, damit sie überhaupt eine Chance haben, dass man sie ernstnimmt.
Ich nehme sowas selbstverständlich auch sehr ernst. Alle Leute, die unser Album gekauft und dann diese Meinung geäußert haben, bitte ich, sich bei mir zu melden, damit ich ihnen die CD wieder abkaufen kann. Falls sie die CD nicht gekauft und trotzdem diese Meinung haben, sollen sie bitte niemals eine CD von uns erwerben, das könnte ich nicht mit mir vereinbaren.
Anschließen möchte ich auch noch (ich habe extra nochmal nachgeschaut), dass ich mehrere Bluejeans, ein orangenes, ein rotes, ein lindgrünes, ein blau-gelbes und einige weiße T-Shirts (für die Bewohner des Christhuntforums: das sind T-Hemden) sowie ein gelbes Auto besitze und manchmal lache. Ich hoffe, das ist Grund genug für diese Leute, ihre Nassbirnen in Zukunft nicht mehr auf unsere Konzerte zu bewegen.

Ich persönlich würde dafür missinterpretierte Metal-Werte anführen oder Konventionen, die veraltet sind und nicht mehr zeitgemäß. Was denkst du darüber und was hälst du allgemein von einer Art Kodex im Metal?
Ich halte von Konventionen bei Äußerlichkeiten absolut gar nichts, nur im gesellschaftlichen Bereich und vor allem wenn es um Moral geht, hat das vielleicht seine Berechtigung.
Wer so beschränkt ist, dass er das Wesen des Metal und der Rebellion nicht versteht und sogar darin noch versucht, sich an andere anzupassen, der tut mir wirklich extrem leid. Viele Leute dieser Coleur tun mir aber überhaupt leid, manchmal, wenn ich nach Konzerten das Equipment aus dem Laden trage und dabei über deren stinkende, fette, besoffene Körper in Bierlachen steigen muss. Seltsam, dass man so wenig Selbstachtung besitzen kann.

Nun mal zu den wohl eher anspruchsvolleren, literarischen Fragen, auch hier erst einmal eine ganz selbstverständliche: Ihr seid stark faustbezogen, wieso gerade Faust?
Wir sind „stark faustbezogen“? Das ist mir aber neu. Zwar mag ich Faust sehr, auf ein oder zwei Konzerten habe ich sogar mal eine von Gründgens inspirierte Maske aufgelegt, und nicht zuletzt haben wir auf „Kainsmal“ ein abgeändertes Zitat aus Faust I. Das ist schon alles. Ob das für einen „starken Faustbezug“ reicht, wage ich zu bezweifeln.
Und wieso gerade Faust? Wieso gerade Black Metal? Vermutlich, weil das am ehesten meinem Wesen entspricht, weil es mich am meisten angeht.
(Anmerkung des Interviewers: Die Faustexzerpte, die auf der alten Homepage-Gestaltung vielerorts zu finden waren, sollte man ebenso bedenken. Nimmt man dies zusammen, so entsteht der Eindruck, als wäre Geist stärker faustbezogen.)

Goethe ist unbestritten ein wirklich großer Dichter, gibt es noch weitere Werke, die ihr/du von ihm schätzt und wieso?
Ja, die gibt es natürlich. Ich mag sogar die „Leiden des jungen Werther“, weil ich Goethes Sprache dort, wenn auch voller Überschwang und Übermut, für sehr greifbar und zeitlos halte. Wo findet man das sonst noch, außer bei den ganz großen Dichtern, dass ihre Sprache selbst nach zweihundert Jahren und mehr aktuell und verständlich geblieben ist? Daneben mag ich „Promotheus“ sehr, „Reineke Fuchs“ (Versepen sind schön!), die „italienische Reise“ und eine Vielzahl von Gedichten, und zwar oft aufgrund ihrer Stimmung, ihrer Atmosphäre und ihrer Losgelöstheit von den damaligen politischen oder gesellschaftlichen Begebenheiten. Obwohl ich das als Germanistikstudent sein sollte, bin ich bei weitem nicht wirklich belesen, nicht selten bleibt nach der Lektüre bei mir nur noch ein wohliges Gefühl übrig, ohne dass ich mich an den Inhalt konkret in Einzelheiten erinnert könnte.

Welche anderen Autoren schätzt ihr bzw. du? „Faust“ ist ja den Stürmern und Drängern bzw. der Romantik zuzuordnen, gibt es aus denselben Epochen noch famose Dichter in euren Augen?
Hier gilt ebenfalls: ich mache da nicht gerne die schultypischen Einordnungen und habe absolut keine Lust dazu, ein Werk daraufhin zu lesen, was „epochentypisch“ darin zu finden sein sollte. Was die meisten Leute vergessen ist, dass diese Literaturepochen eine Konstruktion sind, die man nachträglich erdacht hat. Kein Dichter des ausgehenden 18. oder beginnenden 19. Jahrhunderts wird sich Gedanken darum gemacht haben, ob sein Werk nun stürmisch und drängend, eher romantisch oder weiß der Teufel was war. Diese Menschen haben ganze Strömungen aus sich heraus geschaffen, und wir versuchen zweihundert Jahre später, sie auf das Jahr festzunageln und ihnen Attribute zuzuordnen, die meistens gar nicht zutreffen.
Natürlich hat es in dieser Zeit einige visionäre Dichter gegeben, die wunderbare Werke geschrieben haben. Nicht alle davon sind so allumfassend und weltverstehend wie die von Goethe, Hölderlin oder Novalis, aber doch außergewöhnlich schön, wie ich finde. Dazu gehören auch Schiller, Mörike, Heine, Hoffmann, Eichendorff, Tieck, Kleist oder Jean Paul, jeder auf seine Weise. Ich kenne mitnichten das Gesamtwerk der jeweiligen Dichter, manchmal auch nur sehr kleine Ausschnitte, aber ich fühle mich eigentlich immer sehr wohl und aufgehoben und ihrer Sprache und ihrer Zeit. Welcher Epoche man diese Herren und ihre Werke zuordnet, ist mir ehrlich gesagt vollkommen egal.

Ich hatte das Gefühl, ihr würdet vom inhaltlichen eher Faust 2 schätzen, da ihr einige Textstellen daraus zitiert und „Lykoi“ dürfte Apollo sein, richtig? Der wird ja in Faust 2 oftmals genannt.
Vollkommener Blödsinn. Das eine (abgewandelte) Zitat stammt aus Faust I, und mehr ist darin nicht zu finden, schon gar nicht aus Faust II. Falls doch, dann unabsichtlich.
Wie man von „Lykoi“ auf Apollo kommt, ist mir auch vollkommen schleierhaft. „Lykoi“ ist der Plural von griechisch „lykou“, Wolf. Das hat mit Apollo nun wirklich wenig zu tun, meinem Empfinden nach. Ich glaube auch nicht, dass der Text so falsch zu verstehen ist.
(Anmerkung meinerseits: Lykios ist ein Beiname des Apollo und da eine gewisse Ähnlichkeit zu Lykoi bestand, schlussfolgerte ich so – offensichtlich falsch. In Faust II, genauer gesagt kurz vor seinem Tode, findet sich ebenso eine Textstelle, die der abgewandelten Lyrik von „Lykoi“ sehr ähnlich ist, somit ist eine Erinnerung an Faust II wohl nur natürlich und logisch.)

Was hälst du allgemein von der griechischen Mythologie und ist sie im Vergleich mit der nordischen Mythologie, die in Faust 1 wichtig ist, besser oder kann man sie überhaupt vergleichen?
Keine Mythologie ist „besser“ als die andere, was soll das für eine Einstellung sein? Vergleichbar sind Mythologien meiner Ansicht nach immer, weil sie schließlich verschiedene Erklärungsmuster für dieselben Phänomene des menschlichen Lebens sind. Menschen haben versucht, Erscheinungen der Natur und ihres Geistes durch Götterwelten und Religionen oder Mythologien zu erklären, und sich dabei gegenseitig beeinflusst. Es ist ja auch kein Zufall, dass sich die römische und die griechische Götterwelt so sehr ähneln, oder die nordische und die germanische. Ich halte die eine Erklärung für so gut oder schlecht wie die andere, alleine schon deshalb, weil ich mich mit keiner Mythologie so recht identifizieren kann.

Faust 2 ist sehr transzendent gehalten, die Lyrik von Geist bleibt ebensowenig stehen bei irdischen Themengebieten, spricht auch das für eine Bevorzugung dieses Teils?
Zwischen dem ersten und zweiten Teil von „Faust“ liegen weit über 50 Jahre. Da ist es sicherlich natürlich, dass ein Mensch wie Goethe sich am Ende seines Lebens um andere Dinge Gedanken gemacht hat als mit Mitte, Ende zwanzig. So würde ich zum Beispiel den Hang zu weniger „Irdischem“ erklären, wenn es diesen Hang wirklich gibt.
Was ich – schon wieder – nicht verstehen kann ist, warum unsere Texte nicht bei „irdischen Themengebieten“ stehenbleiben. Warum das? Ich habe in jedem einzelnen Text Erfahrungen verarbeitet, die ich hier auf der Erde gemacht habe. Was ist daran nicht irdisch? Weder kommt das Universum darin vor, noch steht ein Wort von Außerirdischen in diesen Texten. Ich finde das alles äußerst real.
Und nein, nochmals nein, das hat NICHTS mit Faust II zu tun.

Gut, falsche Wortwahl meinerseits, ich hätte vielleicht eher sagen sollen, die behandelten Themen sind tiefgründiger, gelungener ausgedrückt und in ihnen steckt somit mehr, so wie in Faust vieles zu beschauen ist.
Alles, das „in der Realität“ geschieht, führt natürlich auf Tiefgründigeres mit sich, das ist wohl so. Die Texte sind trotzdem aus durchaus „irdischer“ Inspiration heraus entstanden und wollen nicht von sich aus tiefgründiger sein, als es das Thema hergibt. Wie ich schon an anderer Stelle schrieb: mehr interpretieren kann man immer, wenn man will. Dass jemand in diesen Texten mehr sieht als ich oder jemand anderes ist als durchaus möglich, und eigentlich ist das auch eine durchaus schöne Eigenschaft eines Textes, vielfältig und offen zu sein.

Ihr beackert viele Themengebiete, Kainsmal ist gar schon biblisch anmutend. Diese ist jedoch oft einfach nur als Alltag auslegbar, quasi ein Leiter durch das Leben unter Berücksichtigung von Moral und richtigem Verhalten, wenn man so will. Würdest du der Bibel eine gewisse Rolle zusprechen?
Selbstverständlich, eine sehr große sogar. Das Titelstück „mutet“ übrigens nicht nur „biblisch an“, es ist sogar konkret biblisch, wenn man genauer hinschaut. Alleine der Titel sagt das ja schon aus.
Selbst wenn die gesamte Bibel, das komplette Alte und auch das Neue Testament nichts weiter wären als eine Anleitung, wie man am sozialsten durch das Leben kommt, hätte sie ihre Berechtigung. Schau Dich mal um, wie hoch der Prozentsatz der Leute ist, die so eine Anleitung dringender als alles andere nötig hätten. Ich glaube trotzdem, dass dieses Buch unendlich viel mehr zu bieten hat, wenn man es symbolisch und metaphorisch liest und von allen zeitlichen Gebundenheiten befreit. Es vermittelt Werte und Ansichten, die jede Gesellschaft jeder Art und jeder Zeit verbessern würde, wenn sie sich daran hielte.

Mephistopheles zitiert zudem die Bibel in Faust 2, wirkte das vielleicht auf euch ein oder was hälst du davon?
Nein, das hat nicht auf mich eingewirkt.
Was soll ich davon halten? Eine primitive Antwort im Christhunt-Format wirst Du vermutlich nicht von mir erwarten, und in Verbindung mit der vorigen Antwort dürfte meine Meinung dazu klar sein.

Viele BM-Bands hetzen gegen die Christianisierung, die Kirche und meist sind es dieselben Gründe, die man schon oft gehört hat. Was ist deine Ansicht über Bands, die mehr oder minder auf diese primitiven Lyrics, also Christenhetze quasi, bauen?
Gibt es das denn wirklich im Jahr 2006 noch? Mir erscheint das wie eine Jugendsünde, als irgendwelche schwedischen und norwegischen Jungs Mitte der Neunziger in der Ablaze über das Christentum hergezogen sind, kurz nach ihrer Konfirmation oder Kommunion. Wahrscheinlich haben sie sich mit ihrem Konfirmationsgeld sogar noch die Instrumente gekauft, auf denen sie ihre hochentwickelten Hasstiraden dann unters Volk bringen wollten. Was ist davon zu halten? Ich finde das ganz amüsant. Die meisten davon betreiben das als Image, und die die es ernst meinen sind zu 90% Trottel, Mitläufer und Leute, die keinen einzigen Satz fehlerlos auf die Reihe kriegen und am liebsten die Kirche, die Gesellschaft und generell „die Anderen“ für ihre Orientierungslosigkeit, Arbeitslosigkeit und was weiß ich wofür verantwortlich machen wollen. Was dann noch übrig bleibt sind Leute, die es damit ernst meinen, die Ahnung haben von dem was sie sagen und die nachvollziehbare Gründe vorbringen können, was sie gegen das Christentum vorzubringen haben und warum.
Ich kritisiere die Kirche auch, die organisierte Religion, und halte so gut wie nichts davon. Allerdings ist mir das Thema zu speziell und zu langweilig, als dass ich das als Thema für eine Band wählen würde. Nicht zuletzt kann ich nicht behaupten, dass mir persönlich die Kirche irgendetwas getan hätte.

Nun hätte ich gerne deine Meinung zum Pantheismus, wenn wir schonmal bei Glaubensansichten in Verbindung mit Faust sind.
Herrje. Der Pantheismus ist eine schöne Vorstellung davon, wie belebt und göttlich durchdrungen die Natur und das Leben in allen seinen Erscheinungen ist. Die „Wahrheit“, falls es überhaupt eine gibt, hat aber auch der Pantheismus meiner Meinung nach nicht für sich gepachtet, auch wenn er ihr wohl näher kommt als viele andere Glaubensrichtungen. Ich praktiziere nicht bewusst irgendeinen Glauben, von daher sehe ich das alles verhältnismäßig objektiv und unbeteiligt.

Kann man Geist mit der Figur Faust vergleichen? Mit der immerzu strebenden aus dem ersten Teil oder der schon ruhigeren, erkenntnisreicheren aus dem zweiten Teil?
Falls Du es nicht bemerkt hast, „GEIST“ ist keine Figur, sondern eine Band, bestehend aus fünf, bzw. momentan vier Leuten. Eine Band kann und sollte man am besten nicht mit einer literarischen Figur vergleichen, das geht schief. Wenn überhaupt, dann müsstest Du wohl Faust und mich als denjenigen vergleichen, der diese Band vornehmlich prägt. Ich für meinen Teil strebe ständig, wohin weiß ich manchmal selbst gar nicht so genau. Mit jedem neuen Schritt gewinnt man auch neue Erkenntnisse, also ist Streben und Erkennen ein zyklischer, sich immer fortsetzender Prozess für denjenigen, der einmal damit begonnen hat.
Ich muss auch noch einmal darauf hinweisen, dass Goethe diese beiden Faust-Teile im Abstand von vielen Jahrzehnten geschrieben hat, in denen dieser universell geniale Mann Dinge gesehen haben muss, von denen wir nicht einmal eine Ahnung haben. Da ist es absolut verständlich, dass sich die Figur Faust im zweiten Teil anders gibt als im ersten.

Faust erkennt, dass ein Mensch streben muss. Wohin streben Geist?
Faust wünscht sich aber auch, finde ich, dass alles Streben einmal ein Ende haben muss, und dass dieser Zustand durchaus wünschenswert ist.
Inhaltlich strebe ich nach einem Abbild dessen, was in mir vorgeht, nach einer Freilassung und Umsetzung meiner Gedanken und Empfindungen. Mehr nicht. Wenn das im „Draußen“ Anklang findet ist das schön, aber es würde mich auch nicht sonderlich kümmern, wenn das nicht so wäre. Der Rest der Band strebt, glaube ich, nach Spaß und Rock?n Roll auf Konzerten, was ich durchaus sehr charmant finde und an dem ich ebenfalls meine Freude habe.

Ebenso stellt er fest, dass man mit Lust streben muss, sonst kann man die Erkenntnis nicht erlangen. Das macht freilich Sinn, es ist eine Lebensweisheit. Wieviel von Goethes Denkweisen in speziell den Faust-Teilen sind kongruent zu euren oder explizit deinen Ansichten?
73,8 %.
Das kann ich Dir beim besten Willen nicht beantworten. Ich wehre mich auch dagegen, die Interpretationen von Literaturwissenschaftsprofessoren darüber, welches Goethes Denkweisen und Intentionen gewesen sind, zu akzeptieren. Was in diesem Mann vorgegangen ist, weiß nur er selbst, und ich würde mir niemals anmaßen zu behaupten, ich hätte ihn verstanden. Selbst das, was man „Dichtung und Wahrheit“ entnehmen kann, ist – man beachte den Titel! – mit äußerster Vorsicht zu genießen und alles andere als verlässlich. Außerdem geht das weit in den „privaten“ Bereich des Menschen Goethe, und dort gibt es einige Verhaltensweisen, die ich nicht besonders sympathisch finde. Es ist also beileibe nicht so, dass ich Goethe und alles was er gedacht oder getan hat glorifiziere.
Du darfst auch nicht vergessen, dass Goethes „Faust“ eine Umsetzung eines viel älteren Themas ist, nämlich das der Teufelsbündner und der Faustsage, und auch nur eine von vielen. Nicht alles, was in Goethes Werk inhaltlich vorkommt, deutet auch gleich auf seine Denkweisen hin. Die Frage ist mir also, verzeih, zu heikel.

Mephisto will ihn immerzu mit irdischen Gelüsten zufriedenstellen, er will seinen Drang mit oberflächlichen Dingen stillen und geht nicht auf seine Wünsche ein. Wer könnte dieser Mephistopheles im Leben von Geist sein, falls es einen gibt?
Er geht nicht auf seine Wünsche ein? Das sehe ich ein bisschen anders. Es ist ja nicht so, dass Faust vollkommen unzufrieden ist mit dem, was Mephisto für ihn bereit hält, oder?
Die eigentliche Frage verstehe ich nicht, tut mir leid. Ich habe nichts dagegen, mit irdischen Gelüsten zufriedengestellt zu werden, falls Du das glaubst, ich bin weder vergnügungsscheu noch asexuell und schreibe trotzdem weiterhin Musik und Texte für GEIST. Am ehesten würde also noch meine Freundin in Betracht kommen, was die irdischen Gelüste angeht, auch wenn sie mich nicht von tiefsinnigeren Dingen abhalten möchte, oder was meinst Du?

Ich wollte vielmehr wissen, ob es in der Geschichte von Geist Leute gab oder gibt, die das Streben eurer Band behindern/behinderten.
Ach so, ich verstehe. Ich weiß nicht ob es diese Leute gibt. Die großen Zeiten des Sichgegenseitigbehinderns im Black Metal, wie vor 10 Jahren mit Moonblood und Andras oder dergleichen, scheinen ja glücklicherweise vorbei zu sein. Es gibt immer mal wieder ein paar Leute, die gegen mich persönlich was haben, aber das sollen sie gerne tun. Um ein Zitat, dessen Urheber mir gerade nicht einfällt, anzubringen: „Viel Feind‘, viel Ehr‘!“. Ich will auch mitnichten mit jedem gut Freund sein, dafür laufen mir zu viele Idioten durch die Gegend. Wer wirklich was gegen mich hat oder Geists Entwicklung behindern möchte, der muss sich allerdings schon tüchtig was einfallen lassen…

Euphorion, Sohn Helenas und Faust stirbt, weil er zu hochmütig ist. Man interpretiert das gerne so, dass die Verbindung aus Klassik und romantischer Moderne nur scheitern kann. Legen wir das mal auf die Musik aus, speziell auf den Black Metal. Für wie fruchtbar hälst du die Verbindung von räudigem, rohem Material der frühen 90er und modernen Einflüssen?
Das ist mit der größte Blödsinn, den die Literaturwissenschaft je hervorgebracht hat. Das klingt mir stark nach Deutsch-Leistungskurs und nach einer Lehrkraft mit einer ins Krankhafte übersteigerten Interpretationswut. Ich hasse das. So viel Geseiere der vollkommen unnützen Art wie in Literaturwissenschaftskursen der Universitäten wird wohl sonst nirgendwo verzapft. Alleine die „Verbindung aus Klassik und romantischer Moderne“ beinhaltet drei Dinge, die miteinander gar nicht so viel gemein haben, oder vielleicht doch gemein haben, die man aber aus unterrichtspraktischen Gründen auseinanderhält.
Das dann auch noch auf den Black Metal auszulegen ist wirklich ein herrlicher Gedankengang. Um die Frage zu beantworten: eine Vermischung alter und neuer Einflüsse und Elemente funktioniert selbstverständlich wunderbar, da gibt?s gar nichts zu diskutieren. Hör Dir SATYRICON an. Die Frage ist immer nur, wie gut solche Verbindungen angenommen werden, und da sieht es aufgrund der Verbohrtheit vieler Metal-Hörer schon wieder ganz düster aus. Den Künstler selbst sollte das aber nicht kümmern.

Ihr zum Beispiel scheint mir eher aufgeschlossen zu sein, was für Bands der Anfangstage jedoch prägten euch?
Die, die wir in unserer Jugend, vor etwas mehr als zehn Jahren gehört haben, denke ich. Mich vor allem solche Bands wie BORKNAGAR, COVENANT, GEHENNA, HELHEIM, TROLL, ULVER, auch DIMMU BORGIR vielleicht. Später habe ich dann Black Metal aller möglichen Richtungen gehört, von alten DARK FUNERAL über SAMAEL bis hin zu den Klassikern BURZUM, DARKTHRONE, IMMORTAL und dergleichen. Deren Musik hat mich zwar sozialisiert, ist aber kein Dogma und kein Anhaltspunkt dafür, wie ich selbst Musik machen. Noch ältere Bands, wie CELTIC FROST, HELLHAMMER oder dergleichen, waren allerdings nie mein Ding.
Bei Cypher verhält es sich mit den Vorlieben ähnlich, auch wenn er weiter gefasste musikalische Hintergründe hat als ich, die bis zu METALLICA und SEPULTURA zurückreichen und insgesamt traditioneller metallisch geprägt sind. Neulich hat man uns allerdings mitgeteilt, dass eine Melodie in Cyphers Stück „In Pans Hallen“ aus dem Amiga-Rollenspiel „Apidya“ stammt. Er sagte mir, er spiele die Melodie seit mehr als 10 Jahren auf der Gitarre, aber woher sie stamme, ob von ihm oder sonstwoher, könne er nicht sagen. So klären sich manche Einflüsse mit der Zeit selbst auf.

Gretchen ist ein Symbol für die Moral, Helena für die griechische Klassik und Schönheit. Wer symbolisiert dies heutzutage aus deiner Sicht?
Schon wieder Interpretations- und Symbolwahn. Wer sagt, dass diese Figuren Symbole für etwas sind? Mir gefällt das nicht, ein Werk nur auf die wissenschaftliche Interpretation hin zu lesen, schon gar nicht bei Goethe.
Wer heute Moral oder Schönheit symbolisiert weiß ich nicht. Konkrete Personen fallen mir da gerade nicht ein, gerade mit der Schönheit ist das ja so eine Sache, weil sie sich mit dem immer schneller wandelbaren Zeitgeist stetig verändert. Deshalb ist Schönheit für mich das Reine, das Bleibende, in der Natur oder im Leben generell.
Moral ist etwas, das Religionen noch am ehesten symbolisieren, ihre Vertreter meist aber schon nicht mehr. Persönlichkeiten wie der derzeitige Dalai Lama oder Ghandi sind für mich noch am ehesten Symbole von Moral. Wie mit Moral umgegangen wird, kannst Du am Schicksal des Dalai Lama übrigens auch hervorragend sehen.

Und jetzt der Wechsel zu einem anderen Dichter: Goethe verwendet sehr viele Namen und Begriffe aus der Antike, aus dem Nordischen. So ist man dazu geneigt, viele Namen nachzuschlagen um herauszufinden, wer nun z.B. Anaxagoras ist und versteht die entsprechende Textstelle so freilich besser. Heine greift auch viel aus der griechischen Mythologie und aus der unmittelbaren Gegenwart auf, man braucht heutzutage als auch ein Hintergrundwissen. Was hälst du von Heine?
Es ist doch ganz natürlich, dass Dichter, die ein Lyzeum besucht hatten, einen von der antiken griechischen Weltanschauung geprägten Hintergrund hatten. Vor diesem muss man vieles von dem verstehen, das sie geschrieben haben. Figuren der griechischen Antike hatten Attribute, die diese Menschen kannten und benutzten, das ist vermutlich die ganze Erklärung.
An Heine schätze ich sein revolutionäres, sarkastisches Denken, aber nur bis zu einem gewissen Punkt. Als er zu sozialistisch und damit auch in seinem Schreiben zu politisch wurde, ist er mir unsympathischer geworden. Generell aber hat er wohl ein pfiffiges, kritisches Wesen gehabt, gepaart mit einem beneidenswerten modernen sprachlichen Talent, das er gegen Missstände im Deutschland des frühen 19. Jahrhunderts einsetzte. Dass er früh nach Frankreich geflohen ist, weil er die Umstände und die Kleingeistigkeit Deutschlands nicht ertrug, finde ich auch mehr als verständlich.

Was hälst du generell von solchen Texten, begrüßt du, dass man eben auch eine gewisse Allgemeinbildung mitbringen muss? Auch auf die Musik bezogen.
Wenn man als Rezipient etwas verstehen möchte, es aber an Wissen oder Grundlage fehlt, dann muss ich mir das wohl entweder beschaffen oder auf das Verständnis eines Textes oder eines Musikstückes verzichten, das ist wohl so. Das gilt aber nur, wenn man ein Kunstwerk unbedingt bis in den hintersten Winkel ausleuchten möchte, und das ist, wie Du sicherlich schon bemerkt hast, meine Sache nicht. Ich habe nichts dagegen, ein Werk auch einmal nicht ganz zu verstehen, was mir bei einigen auch vollkommen unmöglich scheint (die „Divina Comedia“ ist da ein gutes Beispiel). Dann stehe ich eben staunend davor und bin erschlagen von der Größe eines Stückes, ohne dass ich es ganz begreife. Auch das ist eine Freude. Zugegeben bin ich auch ein wenig zu faul. Ich kann NIHIL NOCTURNEs „wahnsinn.tod.verrat“ auch genießen, ohne alle gnostischen Schriften gelesen und verstanden zu haben.

Ende. Alboin war trotz manchen Widerspruchs zufrieden, ihm gefiel das Interview, da es mal etwas anderes war. Später folgte noch die Einsicht, dass man in Christentum im BM-Thematik dieselbe Meinung teilt. Verbleibt also ein ausführlicher Einblick in seine Gedankenwelt. Ich bedanke mich.

Geschrieben am von Metal1.info

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