Interview mit Stephan L. von Fjoergyn

Im heimischen Black-Metal-Sektor nehmen FJOERGYN eine eher avantgardistische Rolle ein. Nach ihrer EP „Terra Satanica“ mit seinem eigentümlichen Cover von „What A Wonderful World“ haben die experimentierfreudigen, deutschen Metaller mit „Lvcifer Es“ ein weiteres außergewöhnliches Album veröffentlicht. Mastermind Stephan erklärte uns im Interview, was es mit dem neuen Sänger und dem Albumtitel auf sich hat, inwiefern die Platte eher gesellschafts- denn religionskritisch ist und woran es vielen deutschsprachigen Bands mangelt.

FJOERGYN kommt aus dem Altnordischen und bedeutet „Erde“. Warum habt ihr euch für den Namen eurer Band gerade bei dieser Sprache bedient und welchen Bezug habt ihr zur Bedeutung dieses Wortes?
FJOERGYN steht für mich für Erde und Natur. Sie ist allumfassend und meint gleichsam die Natur aller Dinge. Anfänglich und wahrscheinlich auch im romantisierten Naturverständnis, ging es um die Darbietung des selbigen im engsten Sinne. Mittlerweile fasse ich den Begriff der Natur weiter und beziehe mich sogar auf ein kosmisches Ganzes. FJOERGYN ist die allumfassende Schöpfung, ein Gleichgewicht zwischen Blühen und Welken, ein Strom an Existenz vor und nach der Menschheit.

Ursprünglich war FJOERGYN als orchestrales Soloprojekt geplant, stattdessen ist es eine Avantgarde-Black-Metal-Band geworden. Wie kam es damals dazu?
Sobald man eine Genregrenze ablehnt, entwickelt man sich offen und das Reiseziel ist ungewiss. FJOERGYN ist ein Prozess, der mit jedem Musiker wirkt. Ich habe mich in fast 15 Jahren Band sehr verändert und möchte dies auch in Ton setzen. Mit jedem Musiker kamen Inspirationen, mit jedem Lebensjahr neue Gedanken. Es war eine für meine Person logische Entwicklung.

Welche Bands und Musiker haben euch am meisten geprägt? Ich meine ja, da ein bisschen Korova oder Grabnebelfürsten herauszuhören.
Uns haben einige Bands beeinflusst, diese aber waren es nicht. Grabnebelfürsten habe ich persönlich eher selten gehört, da ich doch eher in extremeren Gefilden zuhause bin. In der deutschen Szene haben mich Secrets Of The Moon sehr geprägt. Daneben liebe ich aber auch Bands wie Farsot oder Antlers.

Nachdem eure ersten drei Alben jeweils mit zwei Jahren Abstand veröffentlicht wurden, haben die letzten beiden, also auch eure neue Platte „Lvcifer Es“, jeweils vier Jahre auf sich warten lassen. Wieso hat sich die Zeitspanne zwischen euren Releases verdoppelt?
Alle aus der Band gehen einem geregelten Berufs- und Familienleben nach. Auch wenn wir die Band sehr ernst nehmen, bleibt meistens relativ wenig Zeit für selbige. Sicherlich hätten wir auch nach zwei Jahren bereits Songs veröffentlichen können, aber die Titel wären nicht authentisch gewesen bzw. hätten wir uns schwer getan, uns mit halbfertigem Material zurückzumelden.

Als kleinen Appetizer vor dem neuen Album gab es 2016 immerhin die EP „Terra Satanica“, deren Titeltrack auch auf „Lvcifer Es“ zu hören ist. Was hat es mit den übrigen Tracks auf sich und warum habt ihr ausgerechnet „What A Wonderful World“ gecovert?
„What A Wonderful World“ ist eine in Melodie gefasst Hommage ans Leben, die leider aber der realen Welt nur bedingt gleicht. Während die erste Welt um die Schönheit von Luxus buhlt, sterben andernorts Menschen durch Armut und Krieg. „What A Wonderful World“ könnte den suchenden Menschen erden, wenn er sich an dem erfreuen würde, was er haben kann, ohne es einem anderen Menschen zu entwenden. Eine tiefe Zufriedenheit basierend auf Bescheidenheit.

Seit 2014 habt ihr mit Ivo Raab einen neuen Leadsänger. Warum musste da jemand Neues her und wieso fiel die Wahl gerade auf ihn?
Ivo ist einer meiner besten Freunde und seit den frühen Tagen begleitet er die Band. Anfänglich nur bei „Katharsis“, später bei allen Titeln unterstützt uns Ivo am Mikro auf der Bühne. Er ist in dem Fall ein Live- bzw. Sessionmitglied. Irrtümlich denken viele, dass er auch auf der CD gesungen hätte, was aber nur für den Refrain von „Terra Satanica“ zutrifft. Ich gebe nur sehr ungern Aufgaben ab.

Hat Ivo auch am Songwriting und an den Texten mitgewirkt?
Nein. Die Texte schreibe und singe ich. Eigentlich verhielt es sich auch größtenteils mit der Musik so, allerdings brachte unser neuer Gitarrist Phillip T. gute Ideen ein, die das Album nochmals nach vorne gebracht haben.

Da wir gerade beim Thema Texte sind: „Lvcifer Es“, zu deutsch „du bist Luzifer“. Ist das positiv in einem zur Selbstbestimmung aufrufenden Sinne gemeint oder handelt es sich dabei eher um einen Vorwurf?
Man kann es in beide Richtung deuten, je nachdem, was man mit dem Teufel verbindet. Freudianer haben wahrscheinlich wieder eine ganz andere Theorie, die sich aber tatsächlich auch finden lässt.
Auf der Suche nach Feindbildern und dem Verteufeln von freien Gedanken oder Glaubensgemeinschaften sind wir das Böse par excellence. Darüber hinaus geht jene Phrase für mich auf die Geschichte der Katharer ein, die die Christen und ihre Religion als eigentlichen Quell des Bösen identifizierten. Am Ende ist es aber auch eine Auseinandersetzung, die der Hörer mit sich selbst führen muss. Sich heutzutage zu hinterfragen und zu positionieren ist wichtiger denn je, da wir stets in Versuchung geführt werden, falschen Götzen zu folgen, ein Phänomen, das wir wirklich überall beobachten können. Man könnte Stunden über den Titel sinnieren.

Warum schreibt ihr Luzifer im Albumtitel mit einem V, im Songtitel hingegen mit einem U?
Im Albumtitel haben wir uns für das lateinische „U“ entschieden. Das geschriebene Textheft sind meine handschriftlichen Auszeichnungen der Texte, da schreibe ich für gewöhnlich, wie ich es gelernt habe. Einen tieferen Sinn gibt es nicht dahinter, aber ich bin beeindruckt, dass man auf solche Details achtet!

Eure Texte haben generell einen starken Bezug zu Religion, aber auf eine unkonventionelle Weise. Findest du, dass es sich andere Bands textlich in diesem Themenkreis zu leicht machen?
Die Auseinandersetzung mit Religion war nie ein so zentraler Punkt bei uns. Sicherlich fanden sich viele Bilder in unseren Texten, aber wir haben uns nie diesem Thema zentral verschrieben. Tatsächlich empfand ich es auch irgendwann als überholt und langweilig, da keine neuen Ideen aufkamen bzw. das Thema ohne wirkliche Kenntnisse halbherzig und einem Groschenroman gleich abgearbeitet wurde, weil es eben die Musik so brauchte. Mittlerweile setzen sich immer mehr Bands wieder ernsthaft mit diesem Thema auseinander und es ergibt für mich wieder einen Sinn, Texte zu lesen. Unabhängig welches Thema man verfolgt, sollten die Lyrics ernst genommen werden. Ich habe das Gefühl, dass man dieser Aufgabe immer öfter am Schluss als „naja, da schreiben wir mal etwas“ nachkommt.
Summa summarum musste ich feststellen, dass die meisten deutschen Texte unserer Metalbands haarsträubend sind, womöglich wegen dieser geringschätzigen Betrachtung des Texteschreibens selber.
„Lvcifer Es“ ist für mich weniger ein religiöses als ein gesellschaftskritisches Album. Es kritisiert den Kapitalismus und das Propagieren von einer gültigen Wahrheit.

Wo siehst du die größten Unterschiede zwischen „Lvcifer Es“ und euren sonstigen Alben?
Jedes Album in den letzten zwölf Jahren stellte für mich eine Suche dar. Dieses nun scheint eine Antwort zu sein, auf eine Frage, die ich mir selbst stellte. Das Album klagt nicht direkt an, es lästert zwischen den Zeilen. Es ist das musikalische Pendant unserer Zeit und leider so erschreckend authentisch, wie ich es mir beim Schreiben der Texte nicht hätte vorstellen wollen.

Welcher Track des Albums bedeutet dir am meisten und wieso?
Ich finde alle fantastisch!

Ihr schreckt gewiss nicht vor musikalischen Experimenten zurück, so wird „Dinner mit Baal“ zum Beispiel lässig jazzig eingeleitet. Wieso lasst ihr den Track gerade so beginnen?
Das hat etwas mit dem textlichen Background zu tun. Ich bezog mich hierbei auf die reale Figur des Joshua Milton Blahyi alias General Butt Naked, einem liberianischen Kriegsverbrecher und Warlord, der u.a. rituell die Herzen seiner Opfer aß, unter denen sich größtenteils die Zivilbevölkerung befand. Mittlerweile ist er nach einer Gotteserscheinung selbstverständlich geläutert, bereut und ist ein liebender Christ.
Ich stellte mir die Frage, wie es sei, einen solchen Menschen zu interviewen. Welche Gedanken würden einem durch den Kopf gehen, wenn man ihn mit seinen Gräueltaten konfrontieren würde. Der jazzige Anfang symbolisiert das Warten in der Lounge, meinetwegen das Konsumieren berauschender Präparate, bevor die schweren Türen aufgehen und einem die Bestie gegenübersteht.

Mit „Lvcifer Es“ habt ihr nun zum ersten Mal ein Album über Lifeforce Records veröffentlicht. Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit dem Label?
Wir suchten ein Label, das heutzutage mutig genug ist, eine Scheibe zu veröffentlichen, die absolut anders ist als alles, was gegenwärtig angesagt ist. Wir haben Lifeforce unsere Ideen gezeigt und kurze Zeit später erhielten wir ein OK vom Labelchef. Es war eine großartige Zusammenarbeit und wir hatten jede Menge Freiheiten, ich kann das Label gänzlich empfehlen!

Wie wird es mit FJOERGYN als Nächstes weitergehen?
Jetzt werde ich meine Gitarre packen und mich auf dem Weg zum Konzert machen. Demnächst beginnen wir, an neuen Titeln zu arbeiten, und sicherlich einige Konzerte spielen. Mal sehen, was die Zeit bringt.

Gut, dann kommen wir langsam zu einem Ende. Zum Abschluss möchte ich dich noch bitten, bei unserem traditionellen Metal1.info-Brainstorming mitzumachen. Was fällt dir zu den folgenden Begriffen ein:
Antichrist: Trump
Black Metal: Emperor
Himmel: Vergangenheit
Theater: Brecht
Lieblingsalbum: Sear Bliss – „Phantoms“
Dimmu Borgir: „Enthrone Darkness Triumphant“

Wunderbar, dann nochmals vielen Dank für dieses Interview. Wenn du den Lesern noch etwas sagen willst, kannst du das jetzt gerne noch tun:
Lebt und liebt die Kunst! Sucht nach der Einzigartigkeit und nicht nach der Masse! Danke fürs Lesen!

Publiziert am von Stephan Rajchl

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