Er ist ein scheuer Zeitgenosse, Markus Tümmers alias Vratyas Vakyas. Dennoch bekamen wir aus dem FALKENBACH-Kopf nicht gerade wenig Worte heraus, als es um das neue Album „Tiurida“, die Figur des Odin und das alte Thema „Auftritte in der Öffentlichkeit“ ging.
Hallo Vratyas/Markus und Glückwunsch zu „Tiurida“. Wie ist das Befinden im Hause FALKENBACH?
Besten Dank. Hier ist alles wie immer eigentlich.
Wie man dein Werk kennt, sind die einzelnen Titel wieder über einen sehr langen Zeitraum hinweg entstanden. Warum bilden sie dennoch eine Einheit als Album?
In meinen Augen sind nahezu alle Lieder unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einem bestimmten Album. Sie bilden als Ganzes eine Einheit, Alben-übergreifend sozusagen. Auf ein Album begrenzt gibt es keinen Grund nach einer solchen Einheit zu suchen. Natürlich mag das ein wenig so wirken, da ein Album auch immer durch den Klang den Liedern ein Stück weit Identität verleiht, und sie somit für die Menschen zu einem bestimmten Album zugehörig erscheinen lassen möglicherweise. Ich selbst aber kenne die Lieder ja weit vor diesen Aufnahmen, sprich auch unabhängig von der jeweiligen Momentaufnahme einer Studioaufnahme. Daher kann ich sagen, dass sie davon unabhängig sind.
Hat sich textlich etwas verändert? Was steht beispielsweise hinter einem Song namens „Time Between Dog And Wolf“?
Textlich hat sich grundlegend nicht viel geändert, die Themen sind weiterhin die Gleichen wie seit jeher. Das von Dir angesprochene Lied trägt einen Titel, der ein Sprichwort darstellt. Es besagt in etwa dass sich ein Mensch in einem Zustand mit offenem Ausgang befindet, zwischen zwei möglichen Wegen wählen muss. Im Deutschen gibt es zumindest kein mir bekanntes Sprichwort, welches dem entspräche, leider. In diesem Lied geht es um verschiedene Entscheidungen, die Art weiterhin zu leben, aufzugeben oder zu kämpfen, um es nur kurz zusammenzufassen. Jeder sollte sich sein eigenes Bild anhand des Textes bilden, statt sich von mir eine Sichtweise vorschreiben zu lassen.
Man könnte ja vermuten, dass du deinen Schwerpunkt nach Süden verlagert hast. „Tanfana“ ist eine Gottheit, die Tacitus bei den rheinischen Marsern nennt, „Tiurida“ ist althochdeutsch, auch „Sunnavend“ scheint mir mehr dem Westgermanischen zu entstammen und du pflegst mittlerweile häufiger „Wuotan“ als „Óðinn“ anzurufen. Hast du dich vom Norden entfernt?
Falkenbach, und auch meine Sichtweise, war schon immer übergreifend über germanische Stämme und Völker. So wie die Edda einen Teil der Grundlage mancher Lieder darstellt, war es auch schon früh, zu Zeiten vor der ersten CD, auch Tacitus und andere Quellen abseits der Edda. Für die meisten Menschen beginnt Falkenbach mit der ersten CD, was nicht der Realität entspricht, weshalb diese Sichtweise natürlich erklärbar, aber nicht zutreffend ist. Für viele Menschen, die sich allgemein im Dunstkreis des Heidentums, Paganismus, oder wie auch immer man es heute nennen mag, bewegen, scheint es nur einen Odin zu geben. Setzt man eine gewisse, zumindest grundlegende Ernsthaftigkeit zugrunde, ist man aber angehalten die Unterschiede zwischen Wuotan, Wodan, Odin usw. ebenso zu kennen, wie die Gemeinsamkeiten, denn nur so ist es möglich ein halbwegs taugliches Bild eines Gottes zu erhalten. Hierbei lasse ich bewusst eigene Erfahrungen und selbst gewonnene Eindrücke außen vor, und halte mich erst einmal nur an schriftliche Dinge. Es ist eines, hier und da am Wochenende auf einem Mittelaltermarkt, oder auf einem zufällig stattfindenden Folk/Pagan/Viking/wasauchimmer Gig zur Abwechslung mal ein bisschen „heidnisch“ zu sein, oder dem Ganzen eine vollkommen andere Gewichtung zuzuschreiben. Es ist legitim dies alles als reinen Spaß zu sehen, als Hobby, vielleicht aufgrund einer unbestimmten Zuneigung dazu, keine Frage. Ebenso wie es legitim ist, sonntags in die Kirche zu gehen, ohne wirklich Christ zu sein.
Will man aber eine tatsächliche Ernsthaftigkeit darin sehen, einen Teil des eigenen Lebens, einen Teil dieser Welt, kommt man nicht umhin sich mit den regional unterschiedlichen Ausprägungen eines Gottes zu befassen, denn nur so erkennt man ein größeres Bild dieses Gottes. Der „nordische“ ist sehr populär, durch die vielen skandinavischen Bands, wohl wegen der Tatsache, dass die Edda eine der bekanntesten Grundlagen darstellt in dieser Thematik. Und dennoch gibt es zahlreiche andere Wege, zusätzliche Wege, die man einschlagen sollte, wollte man sein eigenes Bild nicht nur aus diesem einen Blickwinkel zeichnen.
Um zu Deiner Frage nach dieser ausufernden Antwort zurückzukommen: diese Tatsache ist nicht neu in den Texten Falkenbachs, war schon immer ein fester Bestandteil. Allerdings, wie in „Where Your Ravens Fly…“, versuche ich durchaus sehr bewusst eben dies auch klar auszudrücken, durch die folgende Textstelle beispielsweise „Now am I Othin, Ygg was I once, \’ere that did they call me Thund. Wodan and Oden, and all, methinks, are the names for none but me.“ Man mag es kaum glauben, aber es geht nicht nur um „Oh, Edda, geil“, es geht darum was gesagt wird.
Der aktuelle Albumtitel steht für „Wert“, „Herrlichkeit“, „Ehre“, „Kostbarkeit“ und „Ruhm“. Einfach nur ein schönes Wort oder steht mehr dahinter?
Ich müsste Lügen wollte ich behaupten es sei kein Wort mit einen sehr schönen Klang. Aber natürlich geht es um den Sinn des Wortes, der in Bezug auf das Album am ehesten in „Ruhm“ zu sehen ist. Wie alle Album- oder „Demo“Titel gibt es keinen ausschließlichen Bezug zu diesem Album, oder nur zu den Liedern dieses Albums, sonder ist, ebenso wie die Lieder selbst, übergreifend.
Zum dritten Mal in Folge hast du mit Hagalaz, Boltthorn und Tyran zusammengearbeitet. Warum nennst du sie immer noch Gastmusiker, wo sie doch ziemlich fest dabei sind?
Für mich sind sie keine Gastmusiker.
Sie sind fester Bestandteil des Studio Line-Ups, ebenso wie eines möglichen Live-Line-Ups. Sie alle tragen viel zu dem bei, was letztlich als CD/LP erscheint, und ich möchte ihre Hilfe in keinem Fall missen. Auch wenn der Großteil der Kompositionen im Vorfeld bei mir allein liegt, gibt es im Studio noch etliche Dinge zu tun, angefangen beim Schlagzeug, welches vorab von mir bewusst sehr grob gehalten wird, und dann mit Boltthorns Hilfe im Studio einen sehr eigenen Charakter erhält. Ebenso verhält es sich mit vielen anderen Elementen, akustische Gitarren ebenso wie bestimmte Arrangements für Keyboards, die exakte Wahl der Klänge usw. Zudem hat Tyrann diesmal einen der Texte erstmalig selbst geschrieben, Hagalaz eine der grundlegenden Melodien zu einem Stück beigesteuert. Zudem hat Hagalaz auch viel Zeit vorab investiert um einen bestimmten Klang für den Bass zu realisieren, viele eher schwierig zu organisierende Instrumente beschafft etc.
Diese Leute sind für Falkenbach sehr wichtig, und ich bin froh auf ihre Hilfe zählen zu können, da sie die Lieder enorm bereichern. Und davon abgesehen sind wir ohnehin ganz abseits der Musik seit langer Zeit sehr gut und eng befreundet.
Du behauptest ja keinerlei zeitgenössische (Metal-)Musik in den letzten Jahren gehört zu haben. Worin also liegt deine Inspiration?
Natürlich höre ich hier und da auch neuere Musik, schließlich leben ich zum einen nicht auf einem anderen Planeten, zum anderen auch nicht nur in meiner Wohnung oder im Wald. Aber das ist meist zufällig, auf einer Feier, bei einem Freund, oder indem ich im Internet mehr zufällig darüber stolpere. Wenn ich sage, dass ich seit Jahren keine neue Musik mehr höre, dann meine ich damit nicht taub zu sein, sondern dies nicht von mir aus zu tun, da es mir nichts bedeutet und keinen Wert darstellt für mich persönlich. Ich kenne die neuen Alben diverser älterer Bands nicht, und kenne neuere Band gar nicht, was wie gesagt nicht bedeutet, dass ich nicht vielleicht einmal ein Lied irgendwo nebenbei gehört haben mag. Nur hat das, wie gesagt, für mich keinen besonderen Wert, zumindest wäre mir in den letzten Jahren dahingehend nichts sonderlich aufgefallen.
Davon aber ab – Inspiration Musik zu schaffen liegt nicht im Hören von anderer Musik. Inspiration ist ein Geschenk, etwas das kommt wenn es will, und nicht wenn ich es will. Manchmal ist sie da, manchmal verschwindet sie für lange Zeit. Worin sie also liegt kann ich ebenso wenig sagen, wie woher sie kommt, oder wohin sie geht. Es spielt keine Rolle wie ich mich fühle, wo ich bin, was ich denke oder möchte. Wenn es an der Zeit ist, ist sie da, und wenn die Zeit dazu nicht da ist, wird es auch kaum helfen wenn ich mir irgendwelche anderen Alben anhöre. Das wäre dann auch weniger Inspiration, als vielmehr erzwungener Einfallsreichtum, auch wenn das vielleicht für manche Menschen keinen Unterschied macht.
Wie kam der Gastbeitrag von Alboin von Eis zustande, wo du doch nichts von seiner Musik gehört haben dürftest?
Ich kenne Alboin seit etwas mehr als 15 Jahren, und er ist einer meiner treuesten und besten Freunde. Aber da Du es gerade ansprichst – ich war in den letzten Jahren auf einem einzigen Konzert, und das war als seine Band gespielt hat. Ich habe einige seiner Stücke also tatsächlich doch gehört, auch wenn das im Grunde keine Rolle spielt, denn es ging dabei darum einen guten Freund zu treffen, nicht vorrangig darum mir Musik anzuhören.
Du versuchst stets dich selbst aus der Öffentlichkeit rauszulassen, weil du Personenkult verabscheust. Geht der Schuss nicht aber nach hinten los? So sind die Leute doch nur noch neugieriger, wer hinter Vratyas Vakyas steht. Dein echter Name ist ja mittlerweile auch weit bekannt…
Ich habe nicht den Eindruck von einer Horde Neugieriger belagert zu werden, wenn ich ehrlich bin. Dein Schluss ist aber trotzdem in einem Punkt leider zutreffend, nämlich in Bezug auf Photos. Es hat tatsächlich über all die Jahre nur sehr wenig geholfen, eben keine, bzw. kaum Photos zu machen. In diesem Punkt war die Entscheidung leider kontraproduktiv, weshalb ich seit einiger Zeit darüber nachdenke das Thema Photos einfach zu beenden, indem es vielleicht eine handvoll Bilder geben wird. Mir ist schlicht und einfach wichtig, dass es um Falkenbach geht, um das wofür es steht, was es sagen will, und nicht um meine Hobbys oder Gewohnheiten. Falkenbach existiert nicht damit ich mich in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellen kann, und genau das versuche ich eben zu vermeiden.
Dein Label Skaldic Art liegt zur Zeit auf Eis. Wie kam es dazu? Ist Zeitmangel, wie zu lesen ist, wirklich der Grund gewesen?
Ein Mangel an Zeit war sicher einer der Gründe, aber ebenso waren es einige der Erfahrungen, die ich sammeln durfte / musste durch die Arbeit als Label. Letztlich bin ich ganz einfach nicht der Mensch für eine solche Tätigkeit, die Auseinandersetzung mit Vertrieben, Labels, Magazinen usw. ist nicht meine Welt, und das habe ich relativ schnell erkannt. Man lernt nie aus.
FALKENBACH existiert mittlerweile über 20 Jahre und dein erstes Album hat immerhin auch schon fast 15 Jahre auf dem Buckel. Was sind die Höhen und Tiefen in der Geschichte des Projekts?
Falkenbach selbst hat, so denke ich, keinerlei Höhen oder Tiefen durchlaufen. Es gab selbstverständlich erfreuliche, und auch weniger erfreuliche Dinge in all den Jahren, aber das Höhen und Tiefen zu nennen wäre übertrieben. Solche Dinge finden viel eher Anwendung auf mein eigenes Leben.
Eine echte Website der Band gibt es schon eine Weile nicht mehr, nur noch das Forum ist zu benutzen. Hat das einen tieferen Sinn?
Im Grunde nicht. Das Forum ist mir wichtig, ich versuche dort so gut es eben geht alle Fragen zu beantworten. Ich mag es, da es einen recht direkten Austausch darstellt. Eine Homepage, berichtige mich falls ich falsch liegen sollte, ist meiner Meinung nach meist alles andere als interaktiv, von Umfragen etc. vielleicht einmal absehen. Sie dient vielleicht der Information, größtenteils aber doch als Ansammlung von massenhaft angehäuften Photosessions und anderen Werbeeffekten. Das ist nicht grundlegend schlecht, nicht dass man mich hier falsch versteht, ich sehe nur nicht wo eine Homepage einem Forum vorzuziehen wäre, bzw. was eine Homepage an zusätzlichem Nutzen bieten könnte.
Vielleicht fehlen mir auch einfach die Ideen, da ich zugegebenermaßen in solchen Dingen nicht sonderlich talentiert bin. Ich habe kein Problem an sich mit einer Homepage, es gibt nur keinen dringenden Grund dazu in meinen Augen. Falls ich einmal eine gute Idee habe, wird es vielleicht auch eine Homepage geben, warum nicht. Facebook, Myspace usw. ist ein anderes Thema. Hier sehen ich noch weniger Sinn, bin allerdings im Grunde gezwungen dort eine Seite einzurichten. Einfach weil es in letzter Zeit immer häufiger vorgekommen ist, dass irgendwelche gestörte Menschen dort unter meinem Namen eine Seite betrieben, und natürlich auch in meinem Namen mit Menschen gesprochen haben. Daher wird es offizielle Facebook und Myspace Seiten geben, vermutlich ohne sonderlich herausragenden Inhalt, aber doch um als offizielle Adresse zu dienen – und aufs Forum zu verweisen.
Die Frage wird immer wieder gestellt, aber wie sieht es aktuell mit Auftrittsplänen aus?
Pläne wäre das falsche Wort. Die Idee besteht seit vielen Jahren, schon kurz nach dem zweiten Album, Ende der 90er, hatte Napalm Rec. eine kleinere Tour mit Falkenbach im Sinn. Aber über all die Jahre hinweg gab es Gründe, die es fast unmöglich gemacht haben Falkenbach auf die Bühne zu bringen. Einerseits bin ich einfach kein Mensch, der gerne derart im Mittelpunk steht, wie es dabei vermutlich der Fall wäre, keine Frage. Aber wie schon gesagt, gab und gibt es auch zahlreiche andere Dinge, die es sehr schwierig gemacht haben. Seit einiger Zeit scheint es aber erstmals wirklich eine realistische Lösung geben zu können, und vielleicht tut sich dahingehend etwas in 2011, auch wenn es nicht zu 100% sicher ist.
Man liest, dass das nächste Album weniger lange auf sich warten lassen könnte. Gibt es einen einfachen Grund dafür, dass sich deine Arbeit beschleunigt?
Ich wüsste ehrlich gesagt keinen Grund, weder einen einfachen noch einen komplizierten. Es ist einfach wie es ist, in den letzten Monaten waren viele neue Ideen in meinem Kopf, und ich bin sehr froh darüber, denn es macht eine Menge Spaß und ist jedes mal etwas ganz Besonderes.
Es kann aber auch ebenso gut sein, dass ab morgen für zwei Jahre überhaupt nichts mehr dazukommt, und dann wird es eben diese Zeit brauchen.
Vratyas/Markus, danke für die Beantwortung der Fragen. Nun folgt noch das übliche Metal1.Brainstorming. Was geht dir durch den Kopf bei folgenden Begriffen…
Richard Wagner:
Hat die für mich persönlich vielleicht ergreifendste Musik überhaupt erschaffen.
England:
Bringen in schöner Regelmäßigkeit die schlechtesten Torhüter im Fußball hervor.
Fernsehen:
Schätze ich sehr als Einschlafhilfe. Abends 10 Minuten lang zuzusehen wie zwei bemitleidenswerte Menschen versuchen ein gammeliges Messerset, oder einen Mixer zur hohen Errungenschaft der Menschheit zu erklären, ist der beste Weg ziemlich schnell Schlaf zu finden.
Naturwissenschaften:
Habe vermutlich kaum mehr Wissen als jeder durchschnittliche Europäer in diesem Themenbereich, auch wenn ich mich gerne mit manchen Dingen beschäftige und gerne Neues lerne. Allerdings sehe ich viele Dinge auch eher skeptisch.
Waffen:
Ich schätze und respektiere Menschen, die sich dem Nachbau alter Waffen nach historischem Vorbild verschrieben haben, ich selbst aber kann dem nicht viel abgewinnen, und mir fehlt der Bezug dazu größtenteils.
Vergangenheit:
Vergangenheit birgt die Wurzeln, Ursprünge und Ursachen aller Dinge,sollte aber auch als solches gesehen werden, und nicht als Selbstzweck.
Metal1.info:
Wird das vermutlich längste Interview zu Tiurida veröffentlichen. Es sei denn, es wird gekürzt.
(Wurde es selbstredend nicht, A.d.Red.)
Nochmals danke für deine Aufmerksamkeit und Zeit! Wenn du noch etwas loswerden willst, bitte!
Besten Dank für die Unterstützung!
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