Interview mit Mickaël André von Eryn Non Dae.

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Mit „Abandon Of The Self“ haben ERYN NON DAE. zuletzt eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass die Metal-Szene in Frankreich nicht nur im schwarzmetallischen Bereich Außergewöhnliches hervorgebracht hat. Bassist Mickaël André hat uns aus diesem Anlass ein Interview gegeben, in dem er unter anderem auf die mehr oder weniger offenichtlichen Einflüsse der Band, die Idee hinter ihrem neuen Album und seine Meinung zu Easy-Listening-Musik eingeht.

Ich muss gestehen, dass ich euren Bandnamen selbst mit einem Internet-Übersetzer nicht entschlüsseln konnte. Was genau bedeutet ERYN NON DAE.?
Es gibt keine bestimmte Bedeutung, wir mussten unseren Namen wegen unseres Vertrages mit Metal Blade Records 2009 ändern, damals hießen wir End. Wir wollten die Buchstaben END beibehalten und dachten uns einfach, dass ERYN NON DAE. cool klingt.

In puncto Genre seid ihr gar nicht so leicht einzuordnen, ihr setzt viele verschiedene Elemente ein. Was ist deiner Meinung nach die Quintessenz eures künstlerischen Ausdrucks? Was wollt ihr im Hörer auslösen?
Die Essenz unserer Musik ist die Emotion! Wir wollen wirklich, dass der Hörer tief in sich etwas erlebt, sei es nun Freude, Traurigkeit, Unterdrückung, Spannung, Überraschung, Liebe, Kraft, einfach alles, was dich lebendig fühlen lässt. Wir wollen, dass der Hörer in unserer Musik ertrinkt und uns ist klar, dass unsere Musik ziemlich fordernd sein kann, aber ich denke, das ist eine Brücke, die man überqueren muss, um etwas Großartiges zu sehen…

Eure Musik wird oft mit der von Godflesh, Tool und Meshuggah verglichen. Ehrt euch diese Assoziation oder wäre es euch lieber, wenn eure Musik gänzlich unabhängig betrachtet wird?
Wir haben kein Problem damit, wenn manche Leute solche Vergleiche brauchen, um unseren Sound zu beschreiben. Als Künstler ist es uns aber, wie ich denke, wichtiger, einfach wie ERYN NON DAE. zu klingen und so arbeiten wir schon seit langer Zeit. Ich denke, das schaffen wir mehr und mehr, besonders auf „Abandon Of The Self“. Aber nochmals, ich kann diesen Drang, etwas zu kategorisieren, durchaus verstehen, unser Hirn macht das ganz natürlich.

Wo liegen sonst eure musikalischen Wurzeln? Gibt es auch Einflüsse, die nicht so offensichtlich aus eurer Musik herauszuhören sind?
Ich denke, Wurzeln und Einflüsse müssen nicht dasselbe sein. Wir sind alle in unseren späten Dreißigern und frühen Vierzigern, also liegen unsere Wurzeln bei Metallica, Sepultura, Machine Head und Slayer. Das mag für einige unserer jüngeren Hörer überraschend sein, aber das sind die Bands, mit denen wir aufgewachsen sind. Später haben wir uns dann zum Beispiel für Nine Inch Nails, The Dillinger Escape Plan oder Neurosis interessiert, aber das sind nicht unsere Wurzeln. Bezüglich Mathieu denke ich auch an Prodigy, Tool oder Rage Against The Machine. Und selbst, wenn du zwischen diesen Bands und ERYN NON DAE. keine Gemeinsamkeiten siehst, für mich scheint der Einfluss von „The More Things Change“ von Machine Head im Gitarrenspiel von Franck und Yann durch, die ganzen Texturen kommen aus dieser Zeit und selbst wenn wir nie typische, alte Metal-Riffs verwendet haben, sind das eindeutig unsere Wurzeln…

Ich würde sagen, dass eure Musik recht sperrig ist. Was hältst du demgegenüber von Easy-Listening-Musik?
Wir hören alle auch leicht zugängliches Zeug und wir verstehen, warum manche Künstler diese Art der Populärmusik spielen und das Vergnügen, das man daraus ziehen kann. Ich meine, im Leben geht es doch oft um das simple Vergnügen, das ist in der Musik nicht anders. Meiner persönlichen Meinung nach ist es sogar schwer, einen guten, einfachen Song zu kreieren, der nur von wenigen Elementen zusammengehalten wird. Sogar noch mehr, wenn es das bewusste Ziel ist. Aber diese die Debatte könnte ewig weitergehen, manches Easy-Listening-Zeug kann dem Zahn der Zeit nicht standhalten und wir wollen doch alle, dass unsere Musik zeitlos klingt, denke ich… Das ist also ein sehr weites Feld…

Euer neuestes Album nennt sich „Abandon Of The Self“, der Vorgänger „Meliora“ erschien 2012. Was ist der Grund für die doch recht lange Zwischenzeit?
Wir haben zwei Jahre damit verbracht, zu selten Gigs zu spielen und wegen des Mangels an Konzerten zu „Meliora“ waren wir ziemlich frustriert, also wurde es langsam angespannt in der Band. Wir haben 2014 versucht, neue Musik zu schreiben, aber das war nicht zufriedenstellend, also machten wir Anfang 2015 kurz Pause. Dann fühlten wir, dass es Zeit war, etwas Anderes zu probieren. Wir haben dann „Abandon Of The Self“ in zwei Jahren geschrieben und aufgenommen, das war für uns sehr schnell… Ich sage es oft, die Band ist nicht unser Job und wir müssen mit den Songs komplett zufrieden sein, wenn wir das Studio betreten, deshalb macht es uns nichts aus, wenn es mehrere Jahre dauert.

Worin, würdest du sagen, liegt der größte Unterschied zwischen euren bisherigen Alben und „Abandon Of The Self“?
Es ist schwer, das genau zu benennen. Wir spüren einen großen Unterschied zwischen „Abandon Of The Self“ und unseren anderen Veröffentlichungen. Der Hauptpunkt ist, dass unsere Musik nicht mehr auf Gitarrenriffs angewiesen ist, sondern auf Beats und Texturen, das ist wohl der signifikanteste Unterschied.

Die Texte eurer neuen Songs klingen zum Teil sehr gesellschaftskritisch. Worum geht es im Detail?
Auf dieser Platte schrieb Mathieu über seinen Drang, Fragmente zu einem Ganzen zu formen, das kann jeden von uns auf universaler Ebene betreffen. Die Kritik an der Gesellschaft ist nichts Neues in der Musik oder in unseren lyrischen Konzepten, aber ich denke auch nicht, dass dies das Hauptthema hier ist. Es ist lediglich ein konstitutives Element der Welt, in der wir leben, über das Mathieu schreibt, während er versucht, ein besserer Mensch in einer besseren Umgebung zu werden.

Inwiefern ist der Albumtitel mit den Texten verbunden? Und was bedeutet es für dich, das eigene Selbst aufzugeben?
Der Albumtitel verkörpert die Vorstellung der Aufgabe des eigenen Egos, um etwas Größeres als uns selbst zu gebären, aber das ist nicht die einzige Bedeutung. Ich kann nicht für Mathieu sprechen, aber für mich können diese Worte auch bedeuten, dass man etwas von außen in sich aufnimmt, ohne dass man dabei das bisher Erlebte auslöschen müsste, sondern eher in Form eines Gleichgewichts zwischen inneren und äußeren Einflüssen. Ich kann mich daran erinnern, dass ich allein über das Wort „Aufgabe“ nachgedacht habe und es ist sehr persönlich, aber dieses eine Wort bedeutet für mich so viel und es ist sehr bezeichnend für den Sound von „Abandon Of The Self“, wenn man ihn mit „Meliora“ vergleicht. Da ist ein gewisses aufgebendes Element zu hören, in bestimmten Aspekten der Musik. Ich bin mir nicht sicher, ob das deine Frage beantwortet, aber es sind ein paar Gedanken dazu…

Findest du es wichtig, in der Musik politische Botschaften zu vermitteln oder hältst du auch rein persönliche Texte für legitim?
Ich denke, du hast dich da vielleicht auf die Texte zu „Stellar“ und „Fragment“ konzentriert, denn Mathieu schreibt eigentlich selten nur über Politik. Er bezieht sich manchmal darauf, aber 90 % seiner Texte handeln ausschließlich von seinen Gefühlen. Ich erinnere mich noch daran, dass wir oft darüber diskutiert haben, dass er auf „Hydra Lernaïa“ oft das Wort „ich“ verwendet hat und seitdem versucht er, das im Hinterkopf zu behalten. Nicht, dass wir nicht wollten, dass er über sich selbst singt, aber es war einfach eine interessante Überlegung im Hinblick auf „Abandon Of The Self“ und die Zukunft.

Der erste Song, den man vor dem Release zu hören bekam, war „Astral“. Findest du, dass dieser Track das Album am besten widerspiegelt oder gibt es einen anderen Grund, aus dem gerade diese Nummer zuerst veröffentlicht wurde?
Wir haben viel über Auszüge aus dem Album diskutiert und waren etwas hin- und hergerissen. Einerseits hatten wir den Wunsch, etwas Überraschendes wie „Stellar“ oder „Abyss“ auszuwählen, andererseits wollten wir diese neuen Elemente eher Schritt für Schritt präsentieren. Schließlich fanden wir, dass „Astral“ den Leuten diesen neuen Ansatz sehr stimmig näherbringen könnte. Ich kann nicht behaupten, dass es meine persönliche erste Wahl gewesen wäre, aber wir entscheiden so etwas immer im Kollektiv. Wir haben also einen Song ausgewählt, der eher geradeheraus ist und nicht unbedingt alles zusammenfasst, was es auf dem Album zu hören gibt. Es ist eher wie eine Überleitung von „Meliora“ zu dem neuen Album.

Ihr setzt in euren Songs zum Teil tief dröhnende Sounds ein, zum Beispiel auf „Stellar“. Wie erzeugt ihr diese Klänge und was wollt ihr damit ausdrücken?
Die kreieren wir oft mit der herkömmlichen Kombination aus verzerrten Gitarren und Reverb, diesmal haben wir aber auch viele elektronische Klänge und brummende Sounds verwendet. Manchmal dienen sie als Momente der Ruhe, denn wir wollen, dass sich unsere Musik wie eine Welle hebt und senkt. Es kommt auf den jeweiligen Song an, aber es ist schlichtweg ein weiteres Werkzeug, um mit der Dynamik zu spielen.

Legst du beim Musizieren mehr Wert auf Atmosphäre oder technische Performance?
Natürlich Atmosphäre und Emotion. Unsere Musik ist herausfordernd zu spielen, aber nicht so sehr wie zum Beispiel die von Ulcerate. Man kann unsere Musik vor allem wegen der Drum-Parts als technisch anspruchsvoll ansehen, da sich Julien, unser Drummer, immer wieder technisch selbst herausfordert. Er ist aber der einzige in der Band, der sich derart viel mit seinem Instrument auseinandersetzt. Wir nutzen also seine Fähigkeiten, um einen Kontrast zu den Gitarrentexturen und der Elektronik herzustellen, denn wir alle mögen seine seltsamen Ideen, wenn es darum geht, neue Drum-Parts zu finden. Ich denke, es ist ein wichtiger Teil unseres Sounds und er wird wohl nie damit aufhören, seine Technik weiter zu verbessern…

Auf dem Artwork sehen wir einen Teil eines menschlichen Körpers, der von strähnenhaften Schatten bedeckt ist. Was ist der Gedanke dahinter und inwiefern spiegelt es den Inhalt des Albums wider?
Wir wollten, dass das Artwork auf einer simplen Fotographie ohne großartige Photoshop-Kniffe beruht, um einen Unterschied zu „Meliora“ zu kreieren, dessen Artwork von Gemälden und Manipulationen geprägt war. Das Cover hat mit einem Satz zu tun, den Mathieu auf dem Song „Fragment“ singt: „Was wir alle in Fragmenten suchen, die Verbindung zwischen Körper, Geist und Seele“. Es ist eine Repräsentation dieser bruchstückhaften Kreatur.

Für den Release habt ihr diesmal mit Debemur Morti zusammengearbeitet. Aus welchem Grund habt ihr euer Label gewechselt und wie kamt ihr zu eurem jetzigen Label?
Unsere Beziehung zu Labels ist nicht immer einfach, weil die Band schwer zu verkaufen ist. Es ist nicht immer unsere eigene Entscheidung, das Label zu wechseln, Metal Blade Records haben unsere Kollaboration ziemlich bald nach „Hydra Lernaïa“ beendet, weil sie viel mehr Verkäufe erwartet hatten und wir wollten „Abandon Of The Self“ unserem früheren Label nicht vorschlagen, weil wir mit diesem zur Zeit von „Meliora“ einfach überhaupt keine Verbundenheit gespürt haben. Also sind wir immer auf der Suche nach Leuten, die die Band wirklich verstehen, unsere Wünsche und unsere Musik. Mit uns kann man nämlich nicht einfach das große Geld machen, ich will da nicht zu negativ klingen, aber es ist eben nicht leicht, mit ERYN NON DAE. zu arbeiten, da wir eben Nischenmusik spielen. Das ist nicht immer einfach, aber es ist nun mal so.

Was plant ihr als Nächstes für ERYN NON DAE.? Wird man auf das nächste Album wieder eher lang warten müssen?
Ich wünschte, ich könnte nein sagen, aber wer weiß das schon? Es ist jetzt unsere vierte Platte, wenn man die erste EP dazurechnet, also müssen wir erst mal einen anderen Angriffswinkel finden, damit wir nicht das Gefühl bekommen, uns im Kreis zu drehen. Es kommen auch ein paar Gigs auf uns zu und wir versuchen, mehr live zu spielen, so viel wir können. Ein Video sollte auch bald veröffentlicht werden…

Als kleine Tradition beenden wir bei Metal1.info unsere Interviews immer mit einem kurzen Brainstorming. Was fällt dir zu den folgenden Begriffen ein?
Avantgarde: Das Wort ist ziemlich schwer zu benutzen und zu definieren. Was ist denn Avantgarde? Ist es, wenn man auf einem Griffbrett 90 Saiten anbringt und dann Musik damit macht oder ist es, wenn man einen Song schreibt, der länger als dreieinhalb Minuten ist…? Jeder hat da andere Meinungen…
Emmanuel Macron: Autsch! Ist vielleicht nur ein weiterer Präsident… Ich bin immer an unserer politischen Situation hier in Frankreich interessiert und sogar noch mehr an all der Kommunikationsmaskerade, die man täglich im Fernsehen sieht. Es ist sehr interessant, sie schauspielern und je nach Situation und Kontext unterschiedliche Dinge sagen zu hören. Ich meine, sie spielen das alles nur, wie wir es in unserem Alltag vielleicht auch tun, aber ihnen hören viel mehr Leute zu und ich muss zugeben, dass Macron sich in dieser Hinsicht sehr schlau anstellt. Das spielte eine große Rolle in seiner Wahl. Diese neue Ära, die er in seiner Kampagne versprochen hat, hat massive Proteste ausgelöst, obwohl Frankreich als sehr konservatives Land bekannt ist. Der Großteil des Landes gab ihm die Möglichkeit, tiefgreifende Veränderungen in unserem Land herbeizuführen, aber gleichzeitig verweigern sie jede Reform, die er anstrebt. Ich sage nicht, dass das gut oder schlecht ist, aber es ist eine sehr interessante Situation.
Punk: Ich muss zugeben, dass dieses Wort in mir keinerlei Echo auslöst, sei es nun musikalisch oder kulturell.
Sci-Fi: Ich steh nicht wirklich auf Sci-Fi, ich kann mir solche Filme von Zeit zu Zeit ansehen, aber um es nochmal klarzustellen, ich habe keine Affinität dazu. Mathieu ist da viel mehr dran interessiert als wir anderen in der Band, insbesondere bezüglich Filmen. Ich denke, er ist der einzige von uns, der immer noch DVDs kauft! (lacht)
Gojira: Sie ist wohl der Grund dafür, dass französische Bands im Ausland nun als potentiell interessant angesehen werden. Mir fehlt das Mysterium, das sich noch auf ihren ersten Alben gefunden hat. Da gab es noch ein paar echt merkwürdige Songs, die von einem anderen Ort zu kamen schienen, und obwohl ich „Magma“ für seine unmittelbare Stärke schätze, vermisse ich die unvorhersehbaren Momente wie auf „Over The Flows“, in welche die Jungs viel Persönlichkeit gesteckt haben. Aber ich habe nichts als Respekt für sie übrig, auch wenn ich finde, dass ihre Musik inzwischen etwas verloren hat, wodurch sie mittlerweile mehr Leute verstehen. Sie sind auf Platte immer noch eine interessante Band und auf der Bühne sogar noch beeindruckender, außerdem ein paar der nettesten und herzlichsten Jungs, die ich je kennenlernen durfte.
Französisches Essen: Da denke ich an die Kochkünste meiner Mutter! Es ist völlig klischeehaft, aber ja, ich liebe unser Essen und das ohne jeden Chauvinismus. Die Mahlzeit ist manchmal der vergnüglichste Teil des Tages.

Gut, dann nochmals vielen Dank, dass du unsere Fragen beantwortet hast. Möchtest du zum Abschluss noch etwas sagen?
Einfach ein großes Dankeschön, dass du dich für unsere Band interessierst und danke für die Fragen! Cheers!

Publiziert am von Stephan Rajchl

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