Interview mit Martin Wiese von Enid

7 Jahre war es ruhig um ENID, die Zeit hat Mastermind Martin genutzt, um das neue Album „Munsalvaesche“ in einen für ENID ungewohnten Klanggewand zu kleiden. Munsalvaesche?? Was es damit auf sich hat, verrät uns Martin im folgenden Interview!

Hy Martin, cool, dass Du Dir Zeit für das Interview nimmst.
Hi! Immer gerne doch. Schließlich ist es eine ganze Weile her, seit ich das letzte Interview gemacht habe. Ich gebe zu: gefehlt hat es mir doch ein wenig :-)

Es ist ja noch etwas hin bis zum Albumrelease. Vermutlich hast Du trotzdem eine Menge zu tun, oder?
Das stimmt! In der letzten Zeit waren wir damit beschäftigt, mit Code666 das Artwork abzustimmen und alles für die Veröffentlichung vorzubereiten. Jetzt wird es tatsächlich erst mal etwas ruhiger, was das Album betrifft, was unsere Probenarbeit angeht sind wir aber fleißig dabei. Außerdem gibt es ja noch mein Tagesgeschäft im Studio zu erledigen…

Lass mich mal raten, die Frage nach dem Albumnamen dürfte wohl in jedem Interview gestellt werden ;)
Das ist wohl richtig, aber natürlich besonders in unserem Fall vollkommen gerechtfertigt. Um ehrlich zu sein, war der Titel nicht unumstritten. Mein Favorit war lange Zeit tatsächlich „Red Knight“, weil ich es für allgemein verständlicher hielt als „Munsalvaesche“. Florian hat aber letzten Endes die Überzeugungsarbeit geleistet, dass eigentlich „Munsalvaesche“ als Song das Zeug zum Titeltrack hat. „Munsalvaesche“ ist die Gralsburg in der Romanvorlage von Wolfram von Eschenbach, insofern fasst auch dieser Titel die Geschichte um Parzival gut zusammen, weil Munsalvaesche ja ein wesentlicher Schlüssel in der Romanhandlung ist.

Wie ist die Herangehensweise an ein Werk wie dem „Parzival“, wie hast Du Dich entschieden, auf welche Teile Du Dich besonders fokussierst?
Also zunächst mal etwas ganz wichtiges vorweg: Es war von Anfang an nie mein Ziel, den Parzival zum gefühlt einhundertsten Mal nachzuerzählen. Ich mochte die Wagner-Fassung nie, abgesehen davon bin ich ein glühender Wagner-Hasser, das gebe ich offen zu. Orchestrierungstechnisch kann man eine Menge von ihm lernen, aber ansonsten trifft er nicht gerade meinen Geschmack von Dramaturgie, um es mal moderat zu formulieren. Nein, es war nie das Ziel, die Geschichte nachzuerzählen. Mich hatte einfach die Vorlage von Wolfram von Eschenbach im Germanistik-Studium fasziniert, und zwar einzelne Bilder und Episoden darin. So entstand die Idee, das Ganze als Folie für ein neues Enid-Album zu nehmen. Songs wie Belrapeire und Munsalvaesche beschreiben konkrete Situationen im Roman, aber eben singulär und ohne zeitlichen Zusammenhang. Die Schlacht um Belrapeire ist eine sehr wichtige Episode für Parzival, hier befreit er nicht nur eine belagerte Stadt praktisch im Alleingang, er erobert auch noch nebenbei seine Traumfrau Condwiramurs, ganz wie es sich für einen mittelalterlichen Superhelden gehört. Munsalvaesche beschreibt die erste Ankunft Parzivals auf der Gralsburg. Beide Texte sind sehr verdichtet und beschreiben das Wesentliche, wobei in Munsalvaesche die Sprachlosigkeit über das Versagen Parzivals vor der Gralsfamilie im Vordergrund steht. Deshalb klingt das Stück auch so wie es klingt. Alle anderen Songs sind mehr oder weniger vom Stoff inspiriert. Legends from the storm zum Beispiel entstand allein dadurch, dass mich im Buch eine Szene, wo Schiffe mit rostbraunen Segeln beschrieben werden, inspiriert hat. Dieses Bild war der Ausgangspunkt dieses Songs, der insofern also prinzipiell nichts mit der Geschichte als solcher zu tun hat. Ich habe also größtenteils Bilder aus dem Parzival als Inspiration für eigene Überlegungen und Geschichten genutzt.

Was hast Dich dazu bewogen, gerade dieses Werk in Auszügen zu vertonen? Schließlich ist das in der Vergangenheit schon öfter der Fall gewesen, warum also noch eine Vertonung von ENID?
Anders als bei den anderen Alben habe ich nicht überlegt, was ich als nächstes machen könnte. Der Stoff kam zu mir, so muss man es wohl sagen. Ich bin, wie gesagt, durchs Studium überhaupt erst auf den Parzival in der mittelhochdeutschen Fassung gestoßen. Ich kann mich noch sehr genau an den Moment erinnern, als ich im – eigentlich stocklangweiligen – Pflichtseminar für mittelhochdeutsche Literatur saß und Parzival auf dem Programm stand. Man muss wissen, dass der Stil dieser Zeit nun absolut nicht mehr der heutigen Erzählweise entspricht, deshalb war es auch bestimmt nicht Liebe auf den ersten Blick zwischen mir und Wolfram. Der Funke ist erst während des Lesens übergesprungen. Durch diese seltsame Form epischer Beschreibung in gereimter Sprache ist der ganze Roman automatisch sehr bildreich. Und so war es auch im nachhinein nicht verwunderlich, dass ich bei manchen Bildern hängen geblieben bin. Seltsam, dass sich alles so gefügt hat, dass wir mit Enid nun wieder beim Ausgangspunkt, der Artus-Mythologie, angelangt sind, aber das war wirklich ein Zufall. Ich wäre von selbst wohl nie auf die Idee gekommen, mich wieder zur Artus-Sage zurückzubewegen. Äbwohl man fairerweise sagen muss, dass Artus und die Tafelrunde in der gesamten Parzival-Handlung nur eine Nebenrolle spielen.

Um mal die Brücke zur Musik zu schlagen, der Stoff benötigt sicher sehr epische Klänge, hattest Du das beim Komponieren stets im Hinterkopf?
Natürlich. Ich wollte endlich den Enid-Sound und die Enid-Musik machen, die mir schon immer vorgeschwebt hatte. Epische orchestrale Stimmungen mit Chören und Metal-Band. Leider fehlte es in allen vorangegangenen Alben sowohl an den technischen Möglichkeiten als auch am kompositorischen Know-How, das muss man ja ehrlich zugeben. Es klang eben alles wie gewollt aber nicht so richtig gekonnt. Man hat die Rohmasse erkannt, aber der Feinschliff hat einfach gefehlt. Zurück zu deiner Frage: Natürlich hatte ich diese Klänge im Hinterkopf. Das geht bei mir ohnehin Hand in Hand. Dadurch, dass ich alle Orchesterinstrumente bei mir „at hands“ im Template habe, ist das Orchestrieren viel plastischer geworden und man hat gleich ein authentischeres Gefühl für die Musik im Gegensatz zur Arbeit mit synthetischen Klangerzeugern.

Ich muss gestehen, dass ich von ENID vorher nur das Debüt kannte. Damals war der Sound bzw. der Stil durchaus ziemlich anders als heute. Wie natürlich war die Entwicklung über immerhin mehr als 10 Jahre?
Oh, da sprichst du was an. Natürlich klingt Enid völlig anders als damals. Aus meiner Sicht bin ich froh darüber, aber man muss auch die damalige Vision sehen. 1998 waren die Voraussetzungen in der Musikproduktion noch völlig andere. Heute ist ein Orchester im Rechner vielleicht nicht für jedermann bezahlbar, aber immerhin realistisch zu finanzieren. Damals hätte man ein echtes Orchester gebraucht, für das ich damals aber noch gar nicht effektiv hätte schreiben können, weil mir schlicht und ergreifend das Wissen fehlte. Was ich auch heute noch verteidigen würde ist die Idee der synthetischen Gitarre und des Drumcomputers. Wir hatten eben diesen urigen Summoning-Sound im Kopf und wollten so etwas eben mit unserer Musik machen. Deshalb auch diese schräge Ästhetik, die viele Leute nicht verstanden haben, die viele Leute aber auch erreicht hat, das heißt es hat auf emotionaler Ebene funktioniert, für die Zeit und für die Gegebenheiten war es in sich rund. Auch Abschiedsreigen war noch in dieser Ästhetik gehalten, hatte allerdings ein geradezu lächerliches Studiobudget. CCP hatte uns damals mit sage und schreibe 4 Tagen im hauseigenen Studio abgespeist. Aus heutiger Sicht hätte man denen damals schon die rote Karte zeigen müssen, aber man wird eben nur aus Schaden klug. Deshalb ist der Sound auf Abschiedsreigen höchst bedenklich, genauso wie auf Seelenspiegel auch. Da waren eben Leute am Werk, die ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben, das muss ich einfach aus heutiger Sicht so konstatieren. Der erste Profi, mit dem wir in der Hinsicht gearbeitet haben, war Patrick Damiani, der Gradwanderer produziert hat. Demenstprechend klingt die Platte auch gut, dafür war die musikalische Vision chaotisch. Ich habe zu der Zeit viel ausprobiert und hatte im Studium viele neue Einflüsse, die ich – heute muss ich sagen leider – alle auf Enid projiziert habe. Konsequenterweise war nach Gradwanderer eine kreative Pause mehr als überfällig. Ich hatte keine Lust mehr, halbgares Zeug zu machen. Es war klar: wenn ich noch etwas mit Enid mache, dann soll es so werden wie ich es mir immer vorgestellt hatte. Und Munsalvaesche ist nun ein großer Schritt in diese Richtung, wie ich finde…

In meiner Review habe ich die Kritik geäußert, dass in meinem Empfinden die Musik auf die Dauer etwas zu ruhig ist. Was würdest Du dem entgegnen?
Das würde ich so nicht sagen. Du hast sicher Recht aus deiner Sicht, aber Enid war nie als Headbanger-Band konzipiert, dann hätten wir wohl andere Musik machen müssen. Es war eben diese radikale Mischung von ruhigen Akustik-Parts mit synthetischem Metal-Brett. Ich kann verstehen, was du meinst, aber vielleicht liegt das auch an der generellen Erwartungshaltung heutzutage. Jeder zappt weg oder spult einen Song vor, wenn 30 Sekunden nichts Aufregendes, Lautes und Exponiertes passiert. Als klassisch orientierter Musiker ist sowas für mich natürlich so nicht tragbar, denn für mich gehört zur Musik eben auch eine gewisse Konzentration und Kontemplation, um jetzt mal dieses sperrige Wort in den Ring zu werfen. Musik ist für mich alles andere als Konsum und bloße „tanz- und moshbare Unterhaltung“, auch wenn das jetzt wieder sehr elitär rüberkommt, also bitte nicht missverstehen! Insofern ist unsere Musik tatsächlich eine Art Soundtrack, der Bilder entstehen lässt und zum Schwelgen einlädt. Ich kann völlig nachvollziehen, dass Leute diese Art, vor allem im Metal-Bereich, nicht mögen, aber es ist eben meine Art, diese Musik zu interpretieren. Aber es soll hier auch kein falsches Bild entstehen. Ich habe natürlich versucht, das Gewicht besser auszubalancieren zwischen groovenden Parts und lyrischen Passagen. Auch stehen sie nicht mehr so bausteinhaft nebeneinander, es gibt organischere Übergänge, die Stücke sind mehr aus einem Guss als früher. Ich glaube, man muss sich einfach einmal auf die Scheibe einlassen, dann erklärt sich von selbst, was sich mit Worten nur schwer beschreiben lässt. Ich kann nur sagen, dass „Munsalvaesche“ nicht mehr mit den Vorgängern in Verbindung gebracht werden kann, man mag die Handschrift erkennen, aber es klingt deutlich „erwachsener“. In Bezug auf die Anordnung der Songs gebe ich dir Recht, dass die ersten beiden Tracks sehr ruhig sind, Red Knight vielleicht weniger als Legends from the storm, dafür aber rein orchestral. Insofern ist Belrapeire der erste Uptempo-Track. Ich habe hier auch lange überlegt, ob das nicht zu ruhig ist als Einstieg. Aber, wie schon gesagt, ist mir bei so was immer die Geschlossenheit des Albums wichtiger, und in dieser Reihenfolge ist es für mich in sich schlüssig. Es heißt ja nicht, dass ein etwaiges nächstes Album nicht etwas temporeicher sein könnte ;-)

Hat sich das „Bandgefüge“ eigentlich bewährt oder würdest Du ENID auch gerne mal als komplette Band sehen?
Definitiv ist es seit langem mein Ziel, mit Enid auch live zu spielen. Das Problem waren nur bisher immer die Musiker. Gute und versierte Metal-Drummer und Gitarristen wachsen eben nicht auf Bäumen. Jetzt hat sich das Line-Up aber in den letzten Jahren auch musikalisch extrem weiterentwickelt und wir haben jetzt erstmal eine Konstellation gefunden, in der wir gut und auf hohem Niveau arbeiten können. Ich bin also zuversichtlich, dass wir spätestens im nächsten Jahr live auf die Bühne gehen können.

Kommen wir mal zum Artwork, ähnlich wie „Nachtgedanken“ (grün) kommt auch „Munsalvaesche“ (rot) mit sehr eindringlicher Farbgestaltung daher. Was hat es damit auf sich?
Das hat dieses Mal schlicht und ergreifend mit dem Synonym von Parzival „Red Knight“ zu tun. Parzival ist nun einmal der rote Ritter, einen Beinamen, den er seiner roten Rüstung verdankt. Ich wollte fürs Artwork ein schönes, geschmackvolles Artwork haben, das den Fantasy-Aspekt gut und schlüssig transportiert ohne klischeehaft und übertrieben opulent zu wirken. Ich denke, wir haben das in diesem Fall gut dosiert. Ganz abgesehen davon mag ich ein klares Farbkonzept, das zieht sich ja durchs ganze bisherige Oevre…

Sieben Jahre waren seit dem letzten Output vergangen, wird es diesmal wieder so lange dauern?
Ich dachte, dass ich mir dieses Mal deutlich über 10 Jahre Zeit lasse. Nein, ganz im Ernst hatte diese Pause gute Gründe. Jeder konnte ja auf Gradwanderer hören, dass es Zeit war, sich grundlegend musikalisch zu orientieren. Du kannst nicht in einer Band fünf Stile vereinen, das macht einfach keinen Sinn. Außerdem musste ich meine Prioritäten verlagern. Ich habe mein Studio aufgebaut und meine ganze Energie in meine Arbeit als Film- und Medienkomponist gesteckt. Nicht zuletzt davon profitiert nun die Arbeit an Enid. Ich habe nie aufgehört, an Material zu arbeiten, bzw. Ideen zu sammeln. Nur die Umsetzung frisst heute eben wesentlich mehr Zeit als damals und die Zeit ist nicht eben mehr geworden, die mir zur Verfügung steht. Da ich aber glücklicherweise über ein eigenes Studio verfüge, kann ich mit der größtmöglichen Freiheit arbeiten, sodass sicherlich nicht mit einer allzu großen Pause gerechnet werden sollte.

Ist live-technisch irgendwas geplant oder fällt das aufgrund der Bandpolitik mit Dir als einzigem Mitglied (+ Sessionmusiker bei Aufnahmen) ohnehin weg?
Wie oben schon gesagt, sind wir dran live zu spielen. Es gibt nur noch kein dezidiertes Ziel, sprich: ein Konzert was wir definitiv ankündigen könnten.

Du bist ja jetzt schon eine Weile dabei. Hast Du irgendwelche Veränderungen festmachen können vor allem in der Zeit zwischen den beiden letzten Alben? Ich denke an Vermakrtungsmöglichkeiten, Internet, Veränderungen in der Szene etc.
Ich denke es hat wohl kaum eine Veränderung gegeben, die das Musikbusiness nachhaltiger verändert hätte als das Internet. Ich sehe das prinzipiell nicht so dramatisch. Ich finde es gut, dass viele Leute die Möglichkeit bekommen, ihre Ideen zu verwirklichen. Sowas bringt Leben in die Szene. Ob man alles davon mag, hängt natürlich von einem selbst ab, der Hörer selbst muss eben mehr und mehr entscheiden, was er hört, das Spektrum wird breiter. Grundsätzlich finde ich das gut, ich ziehe nur in Zweifel, ob das breite Publikum im Durchschnitt dazu in der Lage ist, rein zeitlich alleine schon wird das nicht jedem möglich sein. Insofern kann das auch zu einer gewissen Willkür führen. Was Vermarktungsmöglichkeiten angeht, eröffnet es natürlich neue Möglichkeiten. Aber auch hier ist wieder die Frage, gut zu selektieren. Da ich hier nicht der Fachmann bin, muss ich mich auf die Promotion verlassen, die code666 macht und da kann ich mich eigentlich nicht beschweren. Es ist ja einfach so, dass ich – wenn ich mein Soundniveau halten will – mich nicht auch noch vollzeitmäßig mit Vermarktungsstrategien befassen kann. Hier bin ich auf externe Hilfe angewiesen. Was ich aber sehe ist, dass es auch hier durch das Internet viele neue Möglichkeiten gibt, sich zu präsentieren. Man sieht es ja schon allein daran, dass es nicht mehr wirklich nötig ist, als Band eine eigene Homepage zu unterhalten. Es genügt ein Profil auf den verbreitetsten Sozialnetzwerken, um alle Leute rundum zu informieren und in Kontakt zu bleiben. Insofern ist für mich die Szene schlicht und ergreifend reicher geworden und ich habe, verglichen mit der Anfangszeit mit Enid, viel eher die Möglichkeit mit den Leuten, die meine Musik hören, in Kontakt zu treten. Somit kriege ich auch viel unmittelbarer mit, wie das, was ich mache, rezipiert wird.

Wie ist Deine Meinung zu den aktuellen Krisen? Warum müssen Banken schon nach drei Jahren wieder mit Steuergeldern gestützt werden? Bist Du schon selber davon betroffen?
Ich persönlich kann dazu nur sagen: Niemand hätte mir damals für mein Studio einen Kredit gewährt. Ohne Businessplan und knallharte Kalkulationen läuft da als Startup nichts. Und stell mal als Filmmusikkomponist einen Businessplan auf mit völlig unkalkulierbaren Projekten. Das kann auch jeder verstehen. Nur anderen Leuten wird unter ähnlichen Voraussetzungen das Geld buchstäblich in den Hintern gepustet, wenn die Taschen schon überquellen. Das ist die Sache, die ich an der ganzen „Logik“ nicht verstehe. Ich bin kein Finanzexperte, aber man braucht ja bei einer gewissen Sensibilität für gesellschaftliche Vorgänge nur die Augen aufzumachen und die Missstände schreien einen an. Alle Welt redet davon, dass wir im Wohlstand leben. Real sehe ich aber, dass immer mehr Menschen immer weniger Kaufkraft haben. Es profitieren verhältnismäßig wenige in exorbitant hohem Maße. Damit sage ich nicht, dass sie vielleicht hart dafür arbeiten und es auch verdient haben, das ist nicht die Frage. Ich kritisiere nur die sich immer weiter ausbreitende Mentalität, die Geld über alles andere stellt. Es wird zunehmend häufiger nach dem Kosten-Nutzen-Prinzip gehandelt. Das ist es, was mich schon früher auf die Palme gebracht hat, und diese Pflanze ist nur noch höher geworden, mittlerweile ist sie nur schon so hoch, dass ich nicht mehr runtersteigen kann. :-)

Finanzexperten rechnen damit, dass der größte Crash noch bevorsteht, ihrer Meinung nach ist eine Umverteilung von oben nach unten wieder dringend notwendig – meiner Meinung nach im übrigen auch. Wie siehst Du das?
Hat es wohl jemals eine Umverteilung von oben nach unten gegeben? Haben die Leute je freiwillig etwas von dem gegeben, was sie sich „erarbeitet“ haben, nur um der sozialen Gerechtigkeit wegen? Es mag sein, dass uns der große Crash noch bevorsteht, das kann ich wohl am allerwenigsten glaubwürdig und objektiv einschätzen. Vielleicht ist aber auch genau so ein Crash nötig, um jene von dir angesprochene Umverteilung möglich zu machen. Grundsätzlich fehlt mir aber der Glaube in eine universelle Art von Vernunft innerhalb der menschlichen Spezies, die die Voraussetzung dafür wäre, grundlegend etwas zu verändern. Derzeit ist der große Dollarschein im Kopf so groß geworden, dass ihm alles zu gehorchen hat. Das merke ich an so vielen Stellen. Das macht mir vom Grundsatz her die größten Sorgen. Auch wenn das jetzt etwas platt und verkürzt klingt, anders kann ich es nicht in der Kürze darstellen. Es gibt mir sowieso schon zu viele Leute, die über Dinge schwadronieren, von denen sie nichts verstehen, da möchte ich mich nicht auch noch einreihen.

So, machen wir gerne noch ein abschließendes Wortspiel. Deine spontanen Gedanken zu den folgenden Begriffen:
Steve Jobs: Tot, aber bei mir im Studio noch ne Weile lebendig…
Herbst: Rilke, rotes Laub und f-Moll
Winter: Eine der schönsten Jahreszeiten für tongrüblerische Stunden allein.
Fußballeuropameisterschaft: Tangiert mich nur insofern, als dass ich kein Spiel verpassen werde…
Metal1.info: The number one in metal-info.

So, damit wären wir durch. Vielen Dank für Deine Antworten. Die letzten Worte sind Dein.
Ich danke dir für dieses Interview und das Interesse an Enid trotz der langen siebenjährigen Abstinenz. Vielen Dank an alle treuen Fans, die so lange ausgehalten haben und immer, wie ich, an eine Fortsetzung der Geschichte geglaubt haben. Ich denke, das Warten hat sich gelohnt!

Publiziert am von Jan Müller

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