Interview mit Mayhemic Destructor von Endstille

Zehn Jahre sind seit „Kapitulation 2013“ vergangen – und auf einmal sind ENDSTILLE mit einem neuen Album namens „DetoNation“ zurück. Mit Schlagzeuger Mayhemic Destructor haben wir uns über das Comeback, Technik und Trends unterhalten – und gute Neuigkeiten in Sachen Gesundheit und Familie hat der sympathische Kieler obendrein.

Zunächst einmal: Willkommen zurück! Viele Fans haben wohl nicht damit gerechnet, dass ihr nach zehn Jahren nochmal zurückkommt. War euch zu jeder Zeit klar, dass das eine Pause und nicht das Ende von ENDSTILLE ist?
Natürlich steckt in dem Namen „Kapitulation 2013“ auch eine gewisse Brisanz, die uns auch bewusst war und wo wir uns auch gedacht haben: Wir uns damit alle Optionen offen. Einige werden natürlich schreien: Das hätten sie mal machen sollen! Aber wir sind ja wie Scheiße am Stiefel, uns wird man nicht los. Aber es ist auch einfach so: Wenn du innerhalb von 13 Jahren acht Alben rausbringst und zwei Splits, ist es auch mal an der Zeit, sich einfach mal nicht zu sehen. Mit dem Roten [Gitarrist Lars Wachtfels, A. d. Red.] mache ich seit 1994 Musik. Das sind bald 30 Jahre! Und wir sind auch immer noch Kollegen und das bleibt auch so. Natürlich sind unsere Lebensstile ein bisschen anders manchmal, ich bin ein Familienmensch geworden, er ist halt immer noch der Rote. Was auch total gut so ist. Er ist einfach ein Unikat, dafür schätze ich ihn auch. Und ich glaube, für das, was ich ihm bieten kann, schätzt er mich. Letztlich ist es dann aber schon auch so, dass es an der Zeit war, sich einfach mal weniger beziehungsweise nicht zu sehen.

Habt ihr euch bewusst dazu entschieden, Pause einzulegen, oder hat sich das so eingeschlichen?
Nein, es war nicht so, dass wir gesagt haben: Wir machen jetzt einen Break. Es ist einfach so passiert. Ich bin ein paar Monate nach dem Release der Platte zum ersten Mal Vater geworden, das war natürlich ein sehr einschneidendes Erlebnis. Dann waren wir danach noch auf Tournee mit Ondskapt und Koldbrann, das war auch ein gutes Erlebnis, aber mit der Zeit haben wir dann einfach auch für uns festgestellt, dass auch einfach ein bisschen die Luft raus war. Klar, du machst das immer und immer wieder, und irgendwie hat es dann einfach eine Pause gebraucht. Aber das ist einfach so entstanden, das war nichts irgendwie Geplantes. Wir sind keine Band, die irgendwas plant! Das ist fern ab, das können wir gar nicht.

Was habt ihr in der Zwischenzeit gemacht – und wie habt ihr wieder zusammengefunden?
Cruor hat seine Projekte gemacht, mit Commando und den Klempins, Zingultus hat Morast angefangen, ich hatte auch noch ein Projekt am Start – da ist auch alles fertig produziert, aber es fehlt ein Sänger. Vor drei Jahren habe ich mich mit dem Roten dann zusammengesetzt … wobei wir ja auch immer mal wieder geprobt hatten, weil wir ja auch Konzerte gespielt haben. Wir waren ja nie weg – für uns waren wir immer da.

Wir haben in der Zeit auch noch eine neue Tauthr-Platte gemacht, auch in einer anderen Besetzung. Aber die ist auch noch nicht raus. Bei Tauthr dauert es ja immer ein paar Jahre, bis eine Platte rauskommt. Wir nehmen die auf, dann liegt das erstmal wieder brach … da sind wir jetzt grade wieder dran. Wir haben gesagt: Jetzt muss erstmal die „DetoNation“ raus, und dann können wir die Tauthr hinterherschieben, dann haben wir vielleicht auch wieder Zeit dafür. Jedenfalls haben wir dann gesagt: Lass einfach mal eine neue ENDSTILLE machen und fuck off … ist ja egal, was wir dann machen. Wenn es Leute gut finden, ist es schön, aber letztlich muss uns das gefallen.

Habt ihr da dann angefangen, neue Songs zu schreiben, oder hattet ihr in der Zwischenzeit trotzdem weiter Material gesammelt, das ihr dann nur noch umsetzen musstet?
Der Rote ist ja ein Quell. Also wirklich, ohne Scheiß. Ich sag immer: Es gibt keinen schlechteren und besseren Gitarristen als den Roten. Technisch gesehen, musikalisch, stecken uns ja sowieso alle in die Tasche, aber vom Songwriting her finde ich ihn einfach ungeschlagen. Er hat einfach ein geiles Gespür für Sachen. Aber es war einfach so, dass wir uns zusammengesetzt haben und dann sagt er: Hier, ich hab ein neues Riff, lass mal daddeln. Dann haben wir gedaddelt und das war mega. Also haben wir gesagt: Gut, lass das aufschreiben und dann gucken wir mal, was passiert.

Das heißt, ihr schreibt die Songs dann auch ganz „oldschool“ gemeinsam im Proberaum, oder wie entsteht ein ENDSTILLE-Album?
Ja, klar! Ich glaube, keiner von uns kann richtig Notenlesen. Es wird auch nichts geschrieben, keiner macht Tabulaturen oder sowas … er spielt ein Riff, und dann daddel ich was dazu. Und dann versuchen wir uns das irgendwie bis zur nächsten Woche zur merken. Im 21. Jahrhundert ist das ja glücklicherweise so, dass man im Besitz eines Smartphones ist, und sich zur Not die Sachen abfilmen kann: Hier, so hast du das gespielt – und dann hast du’s in der nächsten Woche auch noch. Ohne Scheiß! Wir sind da wirklich, wirklich, wirklich richtig oldschool unterwegs. Ich glaube, ich könnte sowas auch gar nicht, dass man da am Rechner mit irgendwelchen Programmen arbeitet und alles gleich aufnimmt und so. Das geht nicht. Wir haben uns mittlerweile ein Mischpult zugelegt und können im Proberaum aufnehmen. Das ist so ein ganz kleines Teil, wo du ’ne SD-Karte hinten reinschiebst, und dann hast du da deine zwölf oder sechzehn Kanäle oder was. Scheißegal. Ich hab das Schlagzeug abgenommen, wir haben die Gitarre abgenommen, ich mische das zuhause mit irgend so einem komischen Programm, Reaper oder so, da drehe ich mir das dann hin, sodass wir da eine Momentaufnahmensicherung wenigstens haben. Das ist ganz geil. Aber mehr ist auch technisch bei uns nicht drin.

ENDSTILLE 2023; © Endstille
ENDSTILLE 2023; © Endstille

In unserem Interview zum ENDSTILLE-Jubiläum 2021 hattest du erzählt, dass ihr alle Verträge habt auslaufen lassen oder gekündigt habt, um wieder völlig frei zu sein. Auf was bezog sich das dann alles und warum war euch das so wichtig, Tabula rasa zu machen?
Wir hatten ja einen Plattenvertrag mit Season Of Mist. Das ist ja einmal für bestimmte Alben, also du machst eines und meistens gibt es im Vertrag dann noch eine Option auf ein weiteres, die haben sie auch gezogen, und das ist auch OK. Und dann haben sie ja das Vertriebsrecht auf eine bestimmte Zeit. Da brauchten wir uns gar nicht weiter drum kümmern, das läuft einfach und ist irgendwann dann vorbei. Wir hatten auch einen Merch-Deal mit Art Worx – das war immer top, Art Works macht super Arbeit. Aber letztlich haben wir für uns festgestellt, dass es das auch einfach für beide Seiten nicht mehr ist. In den Nullerjahren konnten die richtig Shirts machen und verkaufen, das war für den Moment auch OK, glaube ich. Aber das sind wir einfach nicht mehr, und das wollen wir auch gar nicht mehr sein. Ich will nicht, dass ich irgendwo hingehe und da dann eine Kaffeetasse von mir sehe. Das ist toll, wenns ’ne Kaffeetasse gibt, wo ENDSTILLE draufsteht, das ist super …

Die ENDSTILLE-Tasse des Redakteurs.

… die habe ich sogar! (lacht)
Ich auch! Ich habe hier eine Reliquienkammer von ENDSTILLE, klar. Aber: Brauche ich nicht. Wir haben dann gesagt: Wir machen das alles für uns. Klar, wir müssen jetzt die Shirts, die es auf Konzerten gibt, alle vorab bezahlen, das strecken wir jetzt eben vor. Und wenn die Leute kommen und die kaufen, dann ist das geil. Das gibt mir einfach viel mehr Kontrolle über das, was wir machen. Wir haben auch keinen Booking-Deal mehr. Wir machen jetzt alles selbst. Wir sind zu einer Do-It-Yourself-Band geschrumpft. Das ist, glaube ich, auch so eine Art „gesundschrumpfen“ – und ob wir dann vielleicht irgendwann mal wieder uns eine Booking-Agentur ranholen, weil wir wieder mehr Konzerte spielen wollen, oder andere, dann machen wir das. Dann suchen wir uns da jemanden. Wir haben ja Kontakte, wir kennen ja Leute. Das ist ja nicht das Ding. Das Merch lassen wir hier in Kiel bei MerchLab machen, das macht der Schlagzeuger von Divide. Ein megageiler, entspannter Typ, den schreibe ich an: Alter, kannst du mir vielleicht mal ganz schnell ein paar T-Shirts machen? Und dann sagt der: Schieb ich irgendwo zwischen, geht schon, passt. Das ist total fair, das ist mit Handschlag, das läuft. Das ist richtig gut. Da freue ich mich dann auch immer drüber, dass das so läuft. Mit Ván haben wir übrigens auch keinen Deal. Da gibt es auch kein Schriftstück, wo irgendwas draufsteht. Das ist ein Telefonat. Das ist quasi ein Handschlag, und dann wird sich vertraut, und fertig ist. Das ist das, worauf es ankommt. Das macht es für mich mega sympathisch.

Das klingt alles extrem sympathisch und gesund, aber es ist zugleich ein sehr unorthodoxer Weg. Andere Bands würden töten für einen Vertrag bei Season Of Mist oder dafür, nicht mehr alles selbst machen zu müssen. Das alles aufzugeben gibt einem sicherlich Freiheiten, aber ja auch jede Menge Verpflichtungen zurück.
Sagen wir mal so: Die T-Shirts habe eigentlich immer ich gemacht. Das ganze Layout von ENDSTILLE ist bis auf die „Kapitulation“ immer hauptsächlich bei mir an meinem alten Rechner mit meinem Photoshop 7 von 2002 oder so entstanden. (lacht) Die Shirts habe auch alle ich gemacht. Einmal hat Season Of Mist Shirts gemacht, da sind wir bald hintübergefallen, als wir das gesehen haben, und haben uns gefragt: Was ist denn das für ein Scheiß? Unglaublich! Ich zieh dir das Motiv so groß! Ja braucht kein Mensch! Aber bitte. Das war dann halt so eine Sache, die steht dann halt in so einem 36-seitigen Vertrag irgendwo drin, irgendein Part, den wir vielleicht nicht gelesen haben oder so. Wir wussten, die wollen auch ein, zwei Shirts. Wir haben es in dem Moment halt dann gerade verpasst, ihnen ein Motiv rüberzuschicken, und dann haben die das eben selbst in die Hand genommen. OK, das ist dann halt einfach mal so. Ansonsten war das mit Season ja alles tutti paletti, das ist ja ein geiles Label. Da kann ich ja gar nichts Schlechtes drüber sagen. Bloß das sind so Momente, wo du dir denkst: Moment mal, eigentlich bin ich hier doch der Künstler und ich gebe euch Sachen, aber nun gut. Dann ist das so und dann machen die und fertig.

Kleineres Label, keine Bookingagentur, vermutlich auch kleinere oder weniger Gigs – das dürfte sich dann ja auch finanziell bemerkbar machen, oder?
Wir haben für uns einfach erkannt: Wir wollen gar nicht mehr an jeder Steckdose spielen, das brauchen wir einfach nicht. Und keiner von uns macht es wegen der Kohle. Wir haben alle Jobs und arbeiten irgendwie, und die Band ist ein Hobby und läuft nebenbei. Wir werden keine dreiwöchige Europatournee oder sowas machen. Deswegen: Ausgewählte Konzerte, die wir für uns spielen, wo wir sagen: Darauf haben wir Bock. Das Können total kleine Konzerte in irgendwelchen kleinen privaten Clubs oder so sein, weil das nette Leute sind und Kumpels von uns, wo wir sagen, da haben wir Bock drauf. Oder das ist halt das Party.San.

Hast du das Gefühl, dass sich euer Standing in der Szene über diese zehn Jahre verändert hat? Habt ihr an Bekanntheit eingebüßt, gerade beim Nachwuchs in der Szene? Oder merkst du da keinen Unterschied?
Doch, also ich glaube schon: Wir sind nicht mehr so … da gibt es jetzt andere Bands, die nach oben streben. Das ist ja auch völlig OK, das ist der Wandel der Zeit. Aber viele Leute haben es auch echt ersehnt, dass wir wieder da sind. Und wir sind wieder da und wir machen immer noch den gleichen Scheiß wie vorher. Weil wir nichts anderes können, glaube ich … und gut ists! (lacht)

Du hast in dem letzten Interview auch prognostiziert, dass ihr das Album 2021 rausbringen wollt – jetzt ist es dann doch 2023 geworden. War das einfach zu optimistisch geschätzt, oder ist noch was dazwischengekommen?
Also wir wohnen nicht alle in Kiel, ne? Das ist schon mal Fakt eins: Unser Sänger wohnt in Aachen. Das ist unfassbar weit weg. Wir proben nie mit ihm … ich glaube, wir haben in den ganzen Jahren einmal mit ihm zusammen geprobt, vielleicht zweimal. Die Proben sind komplett instrumental. „Jericho Howls“ haben wir jetzt ja auf dem Party.San gespielt, das war die Premiere. Wir haben diesen Song noch nie zusammen gespielt. Dafür lief das ganz gut. (lacht)

Anfang 2022 sind wir ins Studio gegangen und haben das ganze Geraffel aufgenommen, wir wollten das eigentlich früher machen, aber das hatte dann nicht geklappt. Nach drei, vier Wochen im Studio – weil wir halt auch nicht jeden Tag daran arbeiten können, sondern wir müssen immer so Stückchenweise rein, dauert das halt alles immer ein bisschen – hatten wir den ganzen Kram dann drinnen. Das haben wir dann zu Zingultus runtergeschickt, er geht dann natürlich erstmal in sich und schreibt Texte. Vielleicht hat er auch schon einige Sachen fertig gehabt, weil er ja ein paar Rough-Mixes aus dem Proberaum hatte. Und dann geht er ins Studio. Eigentlich wollten wir die Platte viel schneller rausbringen, aber es gab dann immer hier und da noch Probleme, und zwei Studiomenschen, die nicht kommunizieren und nicht eine Sprache sprechen – das kannst du dir nicht ausdenken! – dann schiebt sich das alles nach hinten raus. Letztlich ist er dann nochmal hier hochgekommen und hat bei JAK’s Hell im Studio nochmal einiges gemacht. Ja, und dann musst du ein Presswerk finden, das dir ein paar Schallplatten druckt, das dauert dann auch nochmal locker ein halbes Jahr. Und somit kam der Termin dann jetzt relativ spontan.

Habe ich dich da richtig verstanden, dass Zingultus die Songs im Endeffekt erst so richtig zu hören bekommt, wenn ihr sie ihm in der fertigen Endfassung zuschickt?
Weil wir eben jetzt dieses Mischpult haben und ihm ein paar Rough-Mixes schicken konnten, eine Pre-Production quasi … das ist eine bessere Proberaumaufnahme, ne? … war es bei dieser Platte schon so, dass er sagen konnte: Mensch, der Part ist hier etwas zu lang, mach den da mal kürzer, und ich bräuchte da hinten etwas mehr Platz oder so. Aber vom Grundlegenden her nicht. Er kann zwar sagen, wenn er einen Part scheiße findet, aber wenn der Rote und ich den geil finden, hat er Pech gehabt. (lacht)

ENDSTILLE 2023; © Endstille
ENDSTILLE 2023; © Endstille

Da sind die Kompetenzen also klar verteilt. (lacht)
Es gab und gibt bei ENDSTILLE immer ein Veto-Recht. Jeder dar pro Platte einmal Veto einlegen und sagen: Mach ich nicht. Und dann auch gedroschen, dann ist das Thema durch und es muss anders gemacht werden. Aber das ist bisher noch nicht so häufig vorgekommen …

Das spricht ja auch fürs Bandgefüge, wenn das so funktioniert. Du hast JAK’s Hell gerade bereits angesprochen, ihr wart also wieder im gleichen Studio wie immer. Das überrascht mich einerseits nicht, weil ihr da ja wie gesagt bisher immer wart, andererseits aber doch sehr, weil ich finde, dass die Platte sehr anders klingt als alles, was ihr bisher gemacht habt…
[MD schaut erstaunt]

Findest du nicht? Kurz gesagt finde ich, dass ihr seit „Navigator“ immer mehr auf einen druckvollen, pumpenden Sound gegangen seid – bei der neuen war ich fast schockiert, wie wenig Druck sie hat, sie ist ja auch relativ leise gemastert … aber wenn man sie dann etwas lauter dreht, ist es der beste Sound, den ihr je hattet, weil das Klangbild so differenziert ist.
Ja. Wir sind immer bei ihm. Einfach, weil er da ist. Einfach, weil er da ist. Ich habe alles, auch meine ganzen anderen Projekte, die ich so hatte, bei ihm aufgenommen. Der kostet echt Geld der Typ, und ich weiß nicht warum (lacht) – doch, natürlich. Der hat das studiert. Der hat richtig Ahnung. Der hat auch Geraffel da stehen, da träumt die Fachwelt von, wirklich! Der hat meterweise diese Sideracks vollgeknallt mit irgendwelchem alten analogen Scheiß, ich glaube, sein Mischpult kommt aus der Semperoper oder sowas … kein Scheiß! Also der ist ein totaler Vollnerd, der Typ. Und er hat mit Metal überhaupt nix zu tun. Was man leider manchmal auch ein bisschen raushört. Wir müssen ihm das dann immer so ein bisschen erklären. Er mischt sich dann auch mit uns manchmal echt ’nen Wolf.

Ja, weiß ich nicht. Ich höre mir unsere alten Platten relativ selten bis gar nicht an. Ich höre die aktuelle Platte, wenn die raus ist, höre ich die echt oft, weil ich natürlich hören will: Hört man dieses oder jenes … und irgendwann verschwindet sie im Regal und ich höre sie nicht mehr. Irgendwann bin ich nostalgisch und ziehe mir die mal wieder rein, und denke mir: Ach guck mal, dieses Lied war ja auch da drauf. Deswegen kann ich das gar nicht so richtig sagen. Ich finde zum Beispiel, dass die „Navigator“ einen grottenschlechten Sound hat, die feiern alle so ab, ich finde das richtig schlimm. Die „Dominanz“ haut alles weg, die macht ihrem Namen wirklich alle Ehre. Ich finde, das ist immer noch eine unserer geilsten Platten. Ich habe zwei Lieblingsplatten, das eine ist aus der Iblis-Ära die „Dominanz“, und von unseren neuen Platten finde ich die „Infektion 1813“ sackstark, weil die einfach unglaublich vielseitig ist. Die neue Platte muss ihren Platz noch finden, da kann ich noch gar nicht so richtig was zu sagen. Die finde ich natürlich auch mega gut. Du weißt ja: [verstellt die Stimme] „Die neue Platte ist unsere beste!“

Aber ihr seid die Sache nicht gezielt anders angegangen, wolltet nicht bewusst diesmal anders klingen – dass es zumindest in meinen Ohren so anders klingt, ist reiner Zufall?
Ne, das ist dann einfach so. Wir haben immer das gleiche Equipment, der Rote spielt seit 120 Millionen Jahren seinen Laney-Verstärker und hat immer noch den kleinen Metal Zone davor geschaltet … ist so! Ich habe immer noch meine Schießbude und die gleichen Becken drauf … das einzige, was sich verändert, ist das Equipment im Studio. Und der dreht sich dann da halt irgendwas hin. Und dann sagt er: Da muss ich hier nochmal drehen und da nochmal, und wir: Äh, ne, lass das mal, mach das mal zurück! Und er: Ja weiß ich nicht, wo waren wir denn da? Ja. Und irgendwie entsteht dann halt so ein Sound. Er schickt uns diverse Pre-Masters oder sonstwas, und dann kommt „Nummer zwei finde ich ganz gut, Nummer drei ist mir hier da zu dolle, das andere hat hier zu wenig“ … und irgendwie entsteht da dann was draus. Der Spruch, den wir da immer haben, heißt: „Den Rest machen wir beim Mastern.“ (lacht)

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Tatsächlich finde ich auch das Songwriting weiterentwickelt und teilweise deutlich anders als eure bisherigen … du schaust schon wieder so, als könntest du das auch überhaupt nicht nachvollziehen. Du hast einfach ein neues ENDSTILLE-Album gemacht, und jetzt kommt dieser Journalist daher und sagt, das sei alles irgendwie anders?
Ne … also. Wie sage ich das am besten. Also du hast eine Strophe, du hast einen Refrain, und du hast einen dritten Part. So. Klassisches Ralph-Siegel-Schlagerschema. Das ist ein ganz klassisches Schema von so einem Song. Und das nimmst du, und dann sagst du: OK, machen wir nach der Strophe vielleicht mal nicht den Refrain, sondern den dritten Part. Das muss klingen, und wenn ich einen Part spiele und mir denke: Da muss jetzt aber dieser und nicht jener Part folgen, dann wird das eben so gespielt und dann ist das eine runde Sache. Wir sind keine Prog-Rock-Band, die irgendwie 25 verschiedene Parts in einen Song reinbauen muss und sagt: „Soundso, jetzt machen wir mal hier und da, und trallali und trallala.“ Machen wir nicht. Auf der Platte sind zwei Songs, glaube ich, die vier Parts haben. Ist da vielleicht sogar einer dabei, der fünf hat? Ich weiß es nicht. Und das schreiben wir halt auch echt so auf. Wir haben eine Tafel, ohne Scheiß, da schreiben wir drauf: Wir spielen viermal den ersten Part, dann dreimal den zweiten und so weiter. Das schreiben wir so auf und da hangeln wir uns lang. Da guckst du drauf und spielst.

Ich finde aber schon auffällig, dass das Album sehr melodisch ausgefallen ist, die Riffs sind sehr catchy, aber auch die Basslinien sind sehr melodiereich. Dann habt sogar ein Stelle mit Chor … das wäre doch früher undenkbar gewesen? Hintenraus ist es fast doomig, beispielsweise „Victorious“ …
Jetzt komm: Du bist Musikredakteur … „Victorious“ – das Anfangsriff, das kennst du doch, oder?

Ich muss zugeben, dass es mir nicht aufgefallen ist?
Ich bin ein bisschen schockiert … wir haben dieses Riff gespielt und uns gedacht: Das können wir nicht bringen, das ist ja fast ein Plagiat. Dann haben wir ein paar Töne ein bisschen verändert … aber die Betonung ist so markant, ich habe gedacht, das wird in jedem Review drinstehen, dass das ein Abklatsch von dem und dem ist.

Was ist es denn nun?
Hör dir deine Bathory-Platten an! So. Und jetzt nicht diesen „Nordland“-Kram. Sondern die „Twilight Of The Gods“. Die musst du dir mal anhören. Und da wirst du sagen: Ach guck mal, huch, das hat er ja von ENDSTILLE geklaut. (lacht)

Auch in Sachen Besetzung hat sich was bei euch getan, euer zweiter Gitarrist B-Killed ist 2022 ausgestiegen. Bleibt ihr jetzt wieder zu viert, oder sucht ihr Verstärkung?
Wir suchen niemand neuen. Also nicht aktiv. Wenn uns irgendwann einer vor die Füße fällt und wir sagen: Alter, megaguter Typ, das wäre ja mal was, dann von mir aus. Aber … also ich finde das total schade, dass Björn nicht mehr dabei ist, weil ich finde, dass er ein mega Typ ist. Und den fanden wir auch alle mega cool. Das wurde ja so falsch verstanden, weil wir geschrieben hatten: „Wir haben einen Gitarristen verloren, keinen Freund.“ Und dann haben alle gedacht: Wie, das war kein Freund? Aber den Freund haben wir ja behalten, so. Er ist ein mega Typ und macht mega Spaß, aber letztlich war das seine Entscheidung. Wir suchen keinen neuen Gitarristen, das passt so.

B-Killed live mit ENDSTILLE auf dem Night Fest Metal X (2019); © Thomas Rossi/Metal1.info

Aber was mir noch aufgefallen ist, wenn du fragst, was wir an der Platte anders gemacht haben: Diese Platte haben nur der Rote und ich gemacht. Das ist kein Gesamtkonstrukt. Alle bisherigen Platten haben wir entweder, als Iblis noch in der Band war, zu viert gemacht, da waren wir alle immer komplett dabei beim Songwriting, oder halt danach auch zu viert – B-Killed und Cruor, der Rote und ich. Das ist dann immer komplett so entstanden. Diese Platte jetzt basiert komplett auf Gitarre und Schlagzeug. Cruor kam dann erst ganz zum Schluss dazu. Alles was er da spielt ist natürlich seine Idee, das ist ganz klar … keine von uns kann Bass spielen. Also der Rote könnte das vielleicht, aber der würde das anders machen. Deswegen: Cruor spielt den Bass, aber das kam erst im Studio dazu.

Hat der Rote also alle Gitarren eingespielt?
Ich glaube, bei „Destines To Silence“ ist ein Solo drauf, das hat Cruor gespielt! Ich glaube, er hat dafür sogar Credits gekriegt. Er meinte zwar, er braucht das nicht, aber ich glaube, das steht sogar im Booklet.

Und auf den früheren Platten, wie war das da?
Das weiß ich gar nicht mehr … ich glaube, das war zum Großteil der Rote, aber B-Killed hat natürlich auch so seine Sachen gespielt. Es gab ja auch Sachen wo B-Killed einfach technisch viel versierter ist als der Rote.

L. Wachtfels live mit ENDSTILLE (2008); © Moritz Grütz/Metal1.info

Dann lass uns nochmal zum Albumthema oder eurem Konzept kommen. Was ich spannend finde: Ihr wart jetzt zehn Jahre weg, und genau in dieser Zeit ist das Genre, das ihr mitbegründet habt, auf einmal groß in Mode gekommen: Die Kriegsfaszination im Metal ist groß wie nie, scheint es. Fangen wir jetzt nicht von Sabaton an, aber auch gerade im Black Metal mit Bands wie Kanonenfieber, Panzerfaust, 1914, Minenwerfer und wie sie alle heißen. Euch hat man das damals ja schon erst einmal ziemlich vor die Füße geworfen, ihr musstet das immer verteidigen – auf einmal ist das so ein Mainstream-Thema, möchte man fast sagen. Wie nimmst du das auf?
Ich weiß gar nicht … am Dienstag habe ich mit dem Roten geprobt, und dann habe ich bei Spotify nach ENDSTILLE geguckt und dann wird dir vorgeschlagen – auf einmal standen da diese ganzen Namen, Kanonenfieber, Minenwerfer … da sage ich: Oh Gott, was haben wir denn da angerichtet! (lacht)

Ihr seht euch also als Großväter dieser heutigen Nachwuchsbands?
Ne. Ich sehe mich als gar nichts. Ich sehe mich als mich, und die sollen alle machen, wozu sie lustig sind. Ich bin nicht verantwortlich für andere Bands, so. Ich bin verantwortlich für das, was wir machen. Aber klar waren wir die erste Black-Metal-Band aus Deutschland, die sich dieser Thematik gewidmet hat. Aber letztlich … jetzt kommen andere, und machen halt auch sowas. Das ist für mich völlig OK, ich kann ja niemandem verbieten, eine Musik zu machen. Ich habe das ja nicht gepachtet. Und ich glaube, die machen musikalisch bestimmt auch ganz andere Sachen als wir.

Aber glaubst du, dass euch das zu Gute kommen könnte, dass ihr da jetzt von diesem Hype profitieren könnt?
Kann sein. Synergieeffekte sind ja immer irgendwie da, in die eine wie auch in die andere Richtung. Aber das ist mir völlig egal. Jeder soll hören, was er will … wenn er uns dadurch entdeckt, ist das gut, wenn er uns scheiße findet, ist das auch gut. (lacht) Und andersrum ist das ja auch OK, also es darf ja jeder machen, was er lustig ist.

Aber du hoffst nicht auf einen zweiten Frühling für ENDSTILLE, mit einer neuen, jungen Generation Fans?
Überhaupt nicht. Also ich wüsste gar nicht, wie ich das organisieren soll, ehrlich. Ich hab doch alles erlebt, wirklich! (lacht) Ich bin mit dem Nightliner durch Europa gefahren, ich habe in Mexiko gespielt, ich stand in Wacken um 18:00 Uhr auf der Bühne und hab da gespielt … was soll denn noch kommen? Japan steht noch auf dem Zettel, OK. Das wäre noch ein Ziel. Aber letztlich … wir sind total glücklich und erfüllt, wir brauchen keinen zweiten Frühling, echt nicht. Also wenn das kommt, wenn Leute es geil finden, alles super, alles schick. Aber dafür mache ich das nicht. Ich mach das, ehrlich gesagt, für mich. Ich muss einmal die Woche Minimum in den Bunker und Mucke machen.

Auf der anderen Seite ist Krieg in den letzten Jahren, durch die ganze Ukraine-Tragödie, deutlich präsenter geworden. Beeinflusst einen das, hat man weniger Lust, sich musikalisch mit Krieg auseinanderzusetzen, wenn man den Krieg so real vor der Nase hat?
Also der Name „DetoNation“ ist ja eigentlich schon ein halbes Jahr, bevor der Ukraine-Krieg losgegangen ist, entstanden. Das war damals schon unser Arbeitstitel, auch mit dem großen N darin, weil es eben um die Deto-Nation geht, es geht wirklich um die Nation, und nicht einfach um unser Land, das sich hier gerade von links und rechts … das sind ja so Lagerkämpfe, richtig krass. Das ging ja mit der Corona-Nummer los, entweder du bist das eine oder das andere. Ich habe mir gedacht: Hä, was ist denn los mit euch. Warum muss ich jetzt den einen, weil er keine Maske tragen will, doof finden, oder den anderen, weil er sich nicht impfen lassen will? Lasst doch die Leute in Ruhe ey! Aber das war ja immer so mit Sprengstoff beladen. Und das ist momentan ja immer so: Dann haben die einen ein Problem, weil die da so ein Gender-Sternchen hinsetzen sollen. Ja mein Gott, mach es oder lass es. „Diktatur!“ – ja nix, Diktatur. Fahr mal in ’ne Diktatur, du Penner ey! (lacht) Ja ist ja so! Und das ist eigentlich der Titel „DetoNation“, woher der kommt. Und dann hast du ein halbes Jahr später da diesen Krieg in der Ukraine und denkst dir: Uff … können wir die Platte noch so nennen? Ja, unbedingt!

Aber nimmt es einem die „Freude“ an so einer Thematik, wenn man es in einer so realen Brutalität vor Augen geführt bekommt, oder betrachtest du das losgekoppelt?
Das ist losgelöst davon, glaube ich. Ich bin ja glücklicherweise auch nicht der Texteschreiber bei uns. Also ich habe für ein paar Platten auch mal Texte geschrieben, das ist alles in Ordnung, aber ich bin nicht der Texteschreiber. Ich mache die Musik mit, ich mache das Schlagezeug… insofern: Für mich persönlich ist das Thema Krieg einfach ein gutes Bild für diese Musik, die wir machen. Das ist Raserei, da geht viel kaputt, das brennt. Das ist für mich persönlich eher das Ding.

Zingultus live mit ENDSTILLE auf dem Night Fest Metal X (2019); © Thomas Rossi/Metal1.info

Ist der Albumtitel dann auch von euch als Duo gewesen und stand schon fest, bevor Zingultus die Texte gemacht hat?
Ich habe ihn irgendwann angerufen, da war ich gerade dienstlich unterwegs, und ich höre immer Nachrichten im Dienstauto, und dann hab ich ihn angerufen und gesagt: Alter, die Platte muss genau so heißen, mit einem großen N! Und er sagt nur: Mega, so machen wir das. So kam das dann halt.

Weißt du, ob er sich dann textlich daran dann auch orientiert oder sich darauf bezieht, oder ist das Textwerk davon losgelöst?
Ich glaube schon, dass er sich seine Texte unter dieser Überschrift, die es dafür dann gibt, zusammenschreibt, damit es automatisch passt.

OK, damit kommen wir auch schon zum Ende – wie steht es um Konzerte oder gar eine Tour – sieht man euch mal wieder live, auch und gerade in Süddeutschland?
Süddeutschland … Emden, ne? Da fahre ich fast zwei Stunden in den Süden – nein, ich fahre in den Westen, aber auch ein bisschen nach Süden. Da spielen wir am 18. November mit Friisk zusammen. Dann 15.12. Tombstoned Fest in Dortmund, mit Pestilence – megagut, auch im Süden! (lacht) Dann steht nächstes Jahr eigentlich noch das Thronefest in Belgien an, was wir dieses Jahr ja krankheitsbedingt von meinem Sohn absagen mussten … und sonst kommt bestimmt irgendwas. Also eine Tour werden wir nicht machen, definitiv. Wir überlegen, ein paar Weekender zu machen, Donnerstag, Freitag, Samstag, drei Konzerte am Stück, aber das erst fürs nächste Jahr.

Weil du es jetzt selbst gerade noch angesprochen hast … ich hatte die Nachricht über die Krebserkrankung deines Sohnes natürlich mitbekommen, wollte darauf im Interview aber eigentlich nicht groß eingehen. Ich wünsche euch da aber trotzdem alles, alles Gute.
Läuft auf jeden Fall ganz gut jetzt. Wir haben keine Krebszellen mehr in ihm drin, und jetzt muss eine fortlaufende Chemotherapie gemacht werden. Das ist noch alles intensiv bis zum Jahresende und so, aber dann sind wir hoffentlich damit durch, und dann ist nur noch begleitend eine ambulante Chemo. Also wir sind auch jetzt komplett ambulant, eigentlich, ab und zu mal stationär, aber das läuft ganz gut, da sind wir ganz froh drum.

Das ist eine frohe Nachricht, das sind doch die schönsten möglichen Abschlussworte. Ich wünsche ihm und euch alles Gute und bedanke mich nochmal für deine Zeit heute!
Danke dir!

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Dieses Interview wurde per Telefon/Videocall geführt.

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