Interview mit Jóhann Örn von Dynfari

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Im Gegensatz zu vielen anderen isländischen Black-Metal-Bands, die sich durch ihren chaotischen, dissonanten Stil auszeichnen, zeigen DYNFARI auf „Myrkurs Er Þörf“ einen in ihrem Genre seltenen Mut zur Verletzlichkeit. Den Release ihres mitreißenden fünften Albums haben wir uns zum Anlass genommen, um Frontmann Jóhann Örn ein paar Fragen zu stellen. Warum es aus seiner Sicht richtig war, den Release unter der Coronapandemie zu verschieben, welche Rolle das Akkordeon im Sound der Band spielt und was hinter dem kryptischen Artwork zu „Myrkurs Er Þörf“ steckt, ist im folgenden Interview nachzulesen.

 

 

Guten Tag! Danke, dass du dir Zeit für dieses Interview nimmst. Wie läuft es bei dir momentan?
Danke für das Gespräch. Aufgrund der Pandemie-Situation geht alles nur langsam voran, aber wir freuen uns darauf, „Myrkurs Er Þörf“ nach den Verzögerungen endlich der Welt zugänglich zu machen. Was mich persönlich betrifft, so ist meine siebenjährige Remission von meiner Autoimmunerkrankung zu Ende gegangen, sodass es mir definitiv schon besser ging. Also ja, ich wünschte, ich hätte hier eine positivere Antwort für dich.

Isländischer Black Metal wird wohl in erster Linie mit dem desorientierenden Stil von Bands wie Svartidauði oder Carpe Noctem assoziiert. Eure Musik klingt hingegen etwas nachvollziehbarer und zum Teil fast schon fragil. Siehst du in eurem Sound dennoch Parallelen zu anderen isländischen Bands?
Sicher, bis zu einem gewissen Grad. Bei dieser aktuellen Welle des isländischen Black Metals sind alle Beteiligten etwa im gleichen Alter, sodass wir beim Aufwachsen meist die gleichen Konzerte besuchten, ähnliche Alben hörten usw. Auch wenn also nicht jeder jeden kennt, wird es immer einen gewissen gemeinsamen Einfluss geben, auch wenn jede Band ihren eigenen Ansatz in ihrem Schaffen hat.

Da ihr einen ziemlich eigenständigen Sound habt, sind eure musikalischen Vorbilder nicht so offensichtlich wie bei vielen anderen Bands. Woher bezieht ihr hauptsächlich eure Inspiration?
Ich denke, abgesehen von dem offensichtlichen Zweig des Black Metals beziehen wir viel musikalische Einflüsse aus dem Post-Rock, wie z.B. von Mogwai, This Will Destroy You, Sigur Rós usw. Vielleicht sind sie auf unserem neuen Album weniger präsent als auf „Four Doors“, ich bin da nicht der Richtige, um darüber zu urteilen. Was die Inspiration zum Komponieren betrifft, so haben meiner Meinung nach späte Nächte und Winterblues eine große Rolle gespielt.

Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurde der Release eures neuen Albums „Myrkurs Er Þörf“ von April auf September verschoben. War das eure Entscheidung oder die eures Labels?
Es war eine gemeinsame Entscheidung auf Anregung des Labels. Das Label hat seinen Sitz in Italien, wo die Situation im April wirklich beängstigend war. Die Menschen hatten buchstäblich Angst um das Leben ihrer Kinder und ihrer engsten Familie. Angesichts abgesagter Festivaltermine und Ausgangssperren auf dem ganzen Kontinent erschien das Drängen auf die Veröffentlichung eines Albums in dieser Situation in keiner Weise richtig.

Denkst du, dass sich der Aufschub des Release-Datums positiv auswirken wird und daher die richtige Entscheidung war?
Ich denke, das kann man nicht wirklich sagen. Ich denke, es war eine unvermeidliche Entscheidung, unabhängig von ihren Auswirkungen. Es war die einzige Entscheidung war, die uns in den Sinn kam, also ja, es war die richtige Entscheidung. Und überhaupt, der Herbst ist eine passendere Jahreszeit für dieses Album als der Sommer.

Inwieweit seid ihr nach wie vor von den Auswirkungen der Pandemie betroffen?
Planung ist praktisch unmöglich. Glücklicherweise ist es möglich, jetzt schon kleine Konzerte in Island zu veranstalten, aber eine langfristige Planung ist so gut wie unmöglich. Es gibt keine Möglichkeit zu wissen, wie die Situation im nächsten Monat sein wird. Wir hoffen aufrichtig, dass wir in irgendeiner Form ein Release-Konzert zustande bringen können und dass wir 2021 auf das Festland zurückkehren können.

Meines Wissens beschäftigt ihr euch auf „Myrkurs Er Þörf“ mit Themen wie Depressionen und Selbstmord. Inwieweit basieren die Songtexte auf euren persönlichen Erfahrungen?
Zu einem großen Teil. Einige der Texte wurden aus den tiefsten Tiefen der Depression und Verzweiflung geschrieben.

Viele Menschen hören und spielen Musik, um ihre Gefühle zu verarbeiten. Hat deine Kunst dir mitunter schon dabei geholfen, mit persönlichen Problemen fertigzuwerden?
So habe ich darüber noch nicht nachgedacht, aber ja, ich glaube schon. Ich glaube, ich bin normalerweise dann in Stimmung zum Komponieren, wenn ich mich bedrückt oder freudlos fühle und mich mit schwierigen Fragen und Gedanken auseinandersetze. Es ist in gewisser Weise ein Ventil.

Durch die Melodieführung und den Gesang hat euer neues Album einen sehr starken emotionalen Ausdruck. Denkst du, dass im Black Metal zu selten aufrichtige Empfindungen gezeigt werden?
Das würde ich nicht wirklich sagen. Ich denke, im Black Metal gibt es Raum sowohl für einen zutiefst persönlichen und emotionalen Ausdruck als auch für die heftigere und esoterischere Seite. Man kann definitiv beide Arten wertschätzen. Jedem das Seine.

Vor allem euer Gesangsstil unterscheidet euch von den meisten anderen Bands des Genres. Wie ist es dazu gekommen, dass ihr nicht einfach herkömmliche Screams einsetzt?
Als ich anfing, zu singen, war ich sehr angetan von den Screams, die man manchmal im Black Metal finden kann, aber besonders beeinflusst wurde ich von hochtönigem Death-Metal-Gesang der alten Schule, z.B. von Chris Reifert von Autopsy. Mit etwa 20 Jahren konnte ich solche Screams eigentlich ganz gut hinkriegen, aber als meine Stimme immer tiefer wurde, probierte ich andere Ansätze aus. Ich war schon immer mehr daran interessiert, dass meine Schreistimme authentisch und von Herzen kommt anstatt formelhaft oder wie aus dem Lehrbuch.

Man könnte sogar vermuten, dass dieser kräftige Gesang anstrengender ist als Screaming. Ist da etwas dran?
Nicht, wenn man sich gut aufwärmt und seine Stimme pflegt. Es gibt immer einen falschen Weg, Dinge zu tun, und ohne Aufwärmen kann man seine Stimme ernsthaft schädigen, vielleicht gerade auf diese Weise. Ich fühle mich oft direkt nach Shows körperlich ziemlich erschöpft, aber es gibt viele Faktoren, die dazu beitragen. Vielleicht ist es schon irgendwo wahr, dass es so in gewisser Weise anstrengender ist.

Ihr setzt auch nicht nur im Black Metal eher übliche Instrumente, sondern zum Beispiel auch ein Akkordeon ein. Warum passt dieses Instrument deiner Meinung nach gut in eure Songs?
Mit dem Akkordeon lassen sich wunderbar melancholische Klanglandschaften erzeugen – nicht nur Polka und Dur-Akkorde! Ich habe das Instrument von meinem Großvater geerbt und setze es seit „Vegferð Tímans“ ausgiebig bei Aufnahmen ein. Es eignet sich gut als Ersatz für Synthesizer oder andere raumfüllende Spuren für eine Klangwand.

„Myrkurs Er Þörf“ hat einen sehr schön abgerundeten, nicht allzu harschen Klang. Manch einem Black-Metal-Fan mag es vielleicht sogar zu bieder klingen. Wie denkst du über diese mögliche Reaktion?
Wir haben seit „Sem Skugginn“ kein harsch klingendes Album mehr gehabt, wenn man also auf der Suche nach einem solchen Sound ist, dann kann man in dieses Album vielleicht reinhören. Ich persönlich denke, dass guter Black Metal trotz seiner Geschichte eine gute Produktion verdient.

Laut eurem Label soll euer neues Album weniger vertrackt und eher nach DIY klingen. Worin äußert sich dieser neue Ansatz deiner Meinung nach?
„Four Doors“ war sehr experimentell, deshalb haben wir uns bei „Myrkurs Er Þörf“ für eine vertrautere Herangehensweise entschieden, vor allem im Aufnahmeprozess. Die meisten Stücke für das Album haben wir selbst aufgenommen. Vielleicht ähnelt es „Vegferð Tímans“ in gewisser Weise mehr, mit einigen einfacheren Herangehensweisen an die Riffs und ohne allzu wilde Experimente.

Bist du mit euren früheren Alben trotz dieser Neuausrichtung immer noch zufrieden?
Ja, absolut. Sie waren das Produkt unserer damaligen kreativen Bemühungen und entsprechen genau dem, was wir damals erreichen wollten.

Das von Metastazis kreierte Artwork sieht ziemlich interessant aus. Habt ihr ihm dafür bestimmte Vorgaben gegeben oder ihm gänzlich freie Hand gelassen?
Ich habe ihm Richtlinien gegeben, vielleicht zu viele! Aber letztendlich vertrauten wir seiner künstlerischen Vision, die zu etwas führte, das wir uns vorher nicht vorgestellt hatten. Wir sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden.

Worin besteht die Verbindung zwischen dem Bild auf der einen Seite und der Musik und den Texten auf der anderen Seite?
Die ursprüngliche Idee stammt aus dem zweiten Lied „Langar Nætur (Í Botnlausum Spíralstiga)“, das grob mit „Lange Nächte (in bodenlosen Wendeltreppen)“ übersetzt wird. Der Text dieses Liedes handelt von der Abwärtsspirale selbstzerstörerischen Verhaltens und das Albumcover spiegelt eine Art „Blick nach unten“ wider, in einen Abgrund, wenn man so will. Auch die Zahl Fünf spielt eine Rolle.

Was habt ihr als Nächstes für DYNFARI geplant?
Pläne sind im Moment schwierig. Wir hoffen zumindest, im neuen Jahr wieder auf die Bühne zu kommen.

Auf Metal1.info beenden wir unsere Interviews üblicherweise mit einem kurzen Brainstorming. Was fällt dir zu den folgenden Begriffen ein?
Sólstafir: Ausgezeichnete Band bis 2010 oder so. Danach okay.
Bandcamp: Absolut lebenswichtige Plattform für Musiker.
Geistige Gesundheit: Der wichtigste Teil der Gesundheit.
Klimaschutz: Entscheidend für unser Überleben als Spezies.
Derzeitiges Lieblingsalbum: Das neue Album von Winterfylleth gefällt mir.
Black Lives Matter: Ja, absolut. Scheiß auf Rassismus.

Zum Schluss nochmals vielen Dank für deine Zeit. Möchtest du den Lesern noch etwas mitteilen?
Passt in diesen schwierigen Zeiten gut auf euch auf und hört euch „Myrkurs Er Þörf“ an!

Publiziert am von Stephan Rajchl

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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