Interview mit Eviga von Dornenreich

Mit „In Luft geritzt“ haben DORNENREICH ihren Stil einmal mehr weiterentwickelt. Bandkopf Eviga berichtet im Interview über die Entstehung des Albums, die lyrischen Themen und rein akustische Live-Auftritte.

In den letzten Monaten habt ihr zahlreiche Konzerte absolviert und dabei, auch schon vor den Aufnahmen zu „In Luft geritzt“, Songs des neuen Albums präsentiert. Haben sich die Songs dabei noch verändert, oder waren die Songs zu der Zeit schon fix?
Das Grundgerüst der Stücke war bereits fertig gestellt, doch manche Details bezüglich Arrangement und Wesentliches im Felde der Dynamik und des Tempos entwickelte sich speziell durch die Bühnenerfahrungen, die wir mit den Stücken des Albums sammeln konnten.

Live erschien mir die Stimmung eher kraftvoll, mutig und offensiv. Auf dem Album hingegen herrscht oftmals eine eher melancholische, bisweilen gar traurige Stimmung vor, was mich anfänglich sehr erstaunt hat. Ist dieser Unterschied beabsichtigt?
Ich denke, dass Dein Eindruck sich vorwiegend daraus ergibt, dass die introvertierteren Stücke aus ”In Luft geritzt” – nämlich ”Dem Wind geboren”, ”Aufbruch”, ”Flügel in Fels” und ”Zauberzeichen – so gut wie nie Bestandteil unserer vergangenen Bühnenprogramme waren. Zudem tendiert man in der Konzertsituation freilich dazu, Stücke sehr präsent, zupackend und oftmals in höherem Tempo zu präsentieren und es gehen live mitunter einige Stimmungsnuance unter, die sich im Rahmen einer Albumproduktion gezielt herausarbeiten lassen.

Ihr habt euch dazu entschieden, das Album, der Dynamik wegen, in Einzeltakes live einzuspielen. Das Konzept ist meiner Meinung nach voll aufgegangen, doch kann ich mir vorstellen, dass diese Art der Aufnahme nicht unbedingt die Einfachste ist, erfordert sie doch die volle Konzentration aller Beteiligten. Wie viele Takes habt ihr im Schnitt gebraucht, bis beide mit dem Ergebnis ganz zufrieden waren?
Dieser Aufnahmeprozess, der sich auf Live- beziehungsweise Synchronaufnahmen ohne äußere Rhythmusorientierung beziehungsweise Click-Track konzentrierte, war in der Tat eine große psychische und physische Herausforderung. Da wir den Aufnahmesaal in der Villa Stapf nur für wenige Tage gemietet hatten, arbeiteten wir oft über zwölf Stunden an den Instrumenten. Die Tatsache, dass wir ohne Click-Track und live miteinander aufnahmen, bedeutete, dass wir alles aus uns hervor holen und bei jedem Take vielen musikalischen Ebenen gerecht werden mussten, was uns auf natürliche Weise in den Zustand brachte, uns völlig dem jeweiligen Take eines Stückes hinzugeben. Anders hätten wir nie und nimmer für uns beide zufriedenstellende Ergebnisse erzielen können. Die Takezahl variierte von Stück zu Stück. Manche Stücke gelangen uns in wenigen Takes, andere entfalteten ihr ganzes Wesen erst nach zwanzig bis dreißig Takes.

Der Gesang wurde aber separat aufgenommen, nehme ich an?
Ja, die Stimmen wurden nach den Instrumentalaufnahmen im P.O.T.C.-Studio nahe Innsbruck aufgenommen.

Verse wie „Drang zu sein – Furcht zu werden“ oder „Mein Kahn ohne Segel schweift ziellos umher“ scheinen sich mit Zerrissenheit, einer gewissen Orientierungslosigkeit sowie innerer Unruhe und Rastlosigkeit zu befassen – ist dieser Themenbereich als lyrisches Konzept für „In Luft geritzt“ anzusehen?
Die von dir angeführten Zeilen umschreiben die Rast- und Ruhelosigkeit eines Suchenden, ja. Allerdings erfahren Rast- und Ruhelosigkeit im weiteren Verlauf der Texte in ihrem Suchen schließlich eine tiefe Einbettung in das Ganze beziehungsweise Umfassende des Seins. Das lyrische Konzept von ”In Luft geritzt” besteht darin, archaische beziehungsweise elementare Gefühlszustände, Gedanken, Erfahrungen und Instinkte, die im Leben jedes menschlichen Individuums eine gewichtige Rolle spielen, bewusst zu durchleben, um sich an der Quelle des Seins zu finden und auszurichten.

Charakteristisch für DORNENREICH-Texte ist ja das Bildhafte, das in seiner Aussage dennoch in gewissem Grade mystisch bleibt. Auffallend auf diesem Album ist zudem, dass die Texte extrem auf Prägnanz und Kürze getrimmt sind. Was hat dich dazu bewogen, die Texte diesmal derart minimalistisch ausfallen zu lassen? Verfasst du die Texte für dich, ohne Gedanken an den Rezipienten, oder schreibst du die Texte, damit die Leute darüber nachdenken?
Die Bilder, Gesten und Gefühle in der Musik von ”In Luft geritzt” sind so stark und klar, dass Worte und Stimme nur noch weiter intensivierend wirken können, meine ich. Deshalb versuchte ich, Gefühle und Situationen in wenigen Worten zu verdichten, um dem Gesamtausdruck und der individuellen Wahrnehumung des geneigten Hörers möglichst viel freien Raum zu geben. Allerdings finden sich auch Zeilen bzw. Verse, die für sich stehende Aussagen treffen und an die Essenz des Albums auf den Punkt bringen wie zum Beispiel am Beginn von ”Dem Wind geboren”: ”Erde und Wasser kleiden mich / Trage Feuer hier inmitten / Doch dem Wind bin ich geboren / Nie und nirgends bin verloren”.
Gerade im Rahmen von ”In Luft geritzt” ist jedoch mein erster Anspruch an meine Texte, dass ich Worte verwende, um mit ihnen letztlich weit über das hinauszuweisen, was in Worten sagbar ist. Für ”In Luft geritzt” schrieb ich die Texte erneut zu den Bildern und Empfindungen, die die Musik in mir beschwor. Ich fühle mich also in erster Linie dem authentischen Ausdruck an sich verpflichtet und nicht der Rezeption. Ich denke aber, dass meine intuitive und existentialistische Herangehensweise an ein Album eine tiefgründige Rezeption begünstigt, da ich mein ganzes Sein als menschliches Individuum exemplarisch in die Waagschale werfe.

Die limitierte Version des Albums enthält eine Bonus-CD, auf der das gesamte Album als Instrumental-Version zu finden ist. Bei vielen Bands kann ich mir das gut vorstellen, bei DORNENREICH eher weniger, da Musik und Text hier eben immer eine sehr enge Einheit bilden. Wie bist du auf die Idee gekommen, und was versprichst du dir davon?
Ich verstehe deinen Einwand und habe mir freilich im Vorfeld ähnliche Gedanken gemacht. Meiner Wahrnehmung nach zieht stimmlicher Ausdruck jedoch in jeder Dosierung die Aufmerksamkeit des geneigten Hörers auf sich und uns schien es aufgrund der umfassenden Bildhaftigkeit der Musik reizvoll, ”In Luft geritzt” auch als völlig freie Instrumentalversion zu realisieren, die schlussendlich anders auf einen Hörer einwirkt als die Version mit Stimme.

Der Albumtitel „In Luft geritzt“ ist traditionell schlicht gehalten und doch aufgrund des beschriebenen Paradoxons in gewisser Weise abstrakt, gar widerspenstig. Bezieht er sich eher auf die Wirkung der Musik oder auf die Texte des Albums?
Der Albumtitel ”In Luft geritzt” hat einige Dimensionen und bezieht sich sowohl auf die musikalischen als auch auf den textlichen Ausdruck. Der vordergrünige Bruch mit alltäglicher Wahrnehmung im Titel ”In Luft geritzt” zielt darauf ab, die Vorstellungskraft des Hörers anzuregen und für das Spannungsfeld ”Realität – Wirklichkeit – Möglichkeit” zu sensibilisieren.

Ihr spielt, mit Ausnahme des Special-Gigs auf dem Summer Breeze 2007, nur noch Akustik-Konzerte. Wo liegen denn Vorteile und Schwierigkeiten einer Akustik-Show gegenüber einer mit E-Instrumenten?
Verzerrte E-Gitarre und Schlagzeug verhelfen einer Band freilich zu einer gewissen ”Dezibel-Authorität”, was manches in einer Live-Situation erleichtern kann. Akustikkonzerte sind gewiss mehr von einem angemessenen Verhalten des Publikums abhängig. Die nachhaltige Nähe und Stimmung, die man während eines Akustikkonzertes mit dem Publikum aufbauen kann, empfinde ich als einzigartig wertvoll. Reizvoll ist aber natürlich auch die Ekstase, die ein Konzert in Metal-Besetzung mit sich bringen kann.

Ursprünglich war, wenn ich nicht irre, eine DVD von dem Summer-Breeze-Konzert geplant. Wird es diese noch geben und was wird diese noch enthalten?
Höchstwahrscheinlich werden wir diese erste DORNENREICH-DVD im Laufe des Jahres fertigstellen. Neben dem Summerbreeze-Aufritt wird sie einige Ausschnitte unseres Austikkonzertes während des letztjährigen Wave-Gotik-Treffens enthalten, da unser Aufrtitt in der Krypta des Völkerschlachtsdenkmales zu Leipzig aufgezeichnet wurde. Diese beiden Auftritte waren einzigartige Konzerte für uns und ich bin sehr glücklich darüber, dass sie dokumentiert wurden. Darüber hinaus arbeiten wir an einem weiteren Abschnitt der DVD. Konkretes will ich dazu vorerst jedoch noch nicht sagen. Der Summer-Breeze-Auftritt wird jedenfalls das Herzstück der DVD bilden.

Festival-Gigs sind akustisch ja fast unmöglich, und grade dort kann man ja viele neue Fans gewinnen. Ein Nachteil bezüglich der Popularität?
Tatsächlich klangen bereits einige kleinere Festivals mit akustischen Mitternachtskonzerten DORNENREICHs aus, wobei manche sogar Open-Air-Veranstaltungen waren. Diese Konzerte verliefen sehr gut für uns und wir gedenken, derartige Mitternachtskonzerte zu wiederholen. Zweifelsohne werden wir bei großen (Sommer-)Festivals kaum in Akustikbesetzung spielen, aber das ist für uns völlig in Ordnung.

Wie wichtig ist euch Fannähe? Immerhin gehört ihr zu den wenigen Bands, die nach jedem Konzert eine Autogrammstunde geben…
Fannähe ist uns äußerst wichtig, weswegen wir uns auch bei bzw. meist nach jedem Konzert Zeit nehmen, um mit den Besuchern zu sprechen. Die persönlichen Momente, die sich dabei entwickeln, bedeuten Inve und mir viel.

Euer nächstes Album, das den Titel „Flammentriebe“ tragen wird, soll wieder verzerrte Gitarren sowie Schlagzeug enthalten. Der Akustik-Anteil wird dafür wohl etwas zurückgeschraubt. Wie wird sich das auf Inves Rolle sowie die Bedeutung der Geige auswirken?
Im Moment sehen die Stücke unseres nächsten Albums ”Flammentriebe” keinen Akustikanteil beziehungsweise keine Akustikgitarre vor, doch die Geige wird sehr bedeutsam für dieses Album werden und die dramatischen Melodien intonieren gleich einer Fackel, die in die Nacht getragen wird.

Wird „Flammentriebe“ nur der einmalige Ausflug der Akustik-Band DORNENREICH zurück zu verzerrtem Sound mit Schlagzeug sein, oder ist „In Luft geritzt“ lediglich ein einmaliger Ausflug in die Gefilde der rein akustischen Musik gewesen?
Das lässt sich aus heutiger Sicht nicht genau sagen, da wir sowohl Stücke ausarbeiten, die ”Flammentriebe” bilden werden, wir aber zugleich auch schon wieder zahlreiche Stücke für ein weiteres Akustikalbum entwickeln. Im Moment kann ich mir aber durchaus vorstellen, dass ”Flammentriebe” unser letztes Album mit E-Gitarre und Schlagzeug sein könnte, wenngleich wir drei diesem Album entgegenfiebern.

„Durch den Traum“ schlägt von der Instrumentierung und dem Sound her in die „Hexenwind“-Kerbe, bei „In Luft geritzt“ hingegen ist eine deutliche Weiterentwicklung festzustellen. Was sind die Hauptunterschiede der beiden Alben, insbesondere bezüglich Aussage und Stimmung?
Durch den Traum” war sowohl textlich als auch musikalisch mein ambitioniertester und vielschichtigster Versuch, das Umfassende des Seins in künstlerischem Ausdruck anzudeuten. ”In Luft geritzt” zieht sowohl in textlicher Hinsicht als auch bezüglich der puren bzw. nackten Klangerscheinung die Konsequenz aus ”Durch den Traum” – insbesondere hinsichtlich der Stellung und Ausrichtung des menschlichen Individuums innerhalb des Seinsganzen, wie das die einleitenden Zeilen zu ”Dem Wind geboren”, weiter oben anführte, verdeutlichen.

Wie entstehen DORNENREICH-Songs? Komplett in Einzelarbeit, beim gemeinsamen Proben oder bezüglich Details sogar erst bei der Aufnahme? Komponiert Inve die Geigenspuren alleine, oder bringst du dabei auch Ideen mit ein?
In Luft geritzt” ist ja das erste Album, das in der Besetzung mit Inve entstand. Den Ausgangspunkt bildetete allerdings mein intuitiver Griff zur Akustikgitarre (da ich zu Beginn der ersten Ideen zu ”Drang” und ”Meer” im Jahre 2005 DORNENREICH alleine führte), um – wie ich nun rückblickend erkenne – wild leidenschaftlicher und intensiver akustischer Musik Raum zu geben, was sich schon seit vielen Jahren in mir angekündigt hatte. In vielen Fällen sang ich Inve die tragenden (Geigen-)Melodien der Stücke vor. Im Laufe der gemeinsamen Proben, in denen sich Inve immer weiter und tiefer in DORNENREICH einfühlte, trug er Wesentliche Ideen bei und so kam es, dass die Melodien, Harmonien und Arrangements in enger Zusammenarbeit mit Inve ausgearbeitert wurden. Der kreative Prozess erstreckte sich bis hin zu den Aufnahmen, um die Möglichkeiten des Aufnahmemoments miteinzubeziehen, was sich etwa in einigen veränderten Spielweisen äußerte. Speziell während der Gesangsaufnahmen änderten sich noch manche Details in der stimmlichen Gestaltung der Texte.

Objektiv gesehen verbindet DORNENREICH vor Allem das Publikum mit der Metal-Szene, da die Musik der letzten Alben wenig mit dem gemein hat, was Außenstehende als „Black Metal“ definieren würden. Sieht man „Black Metal“ jedoch nicht nur als musikalisch limitierte Genre-Bezeichnung, sondern bezieht Stimmung und Aussage in das Urteil mit ein, sieht das Ganze schon wieder anders aus.Würdest du DORNENREICH noch als Black Metal definieren?
In meiner Wahrnehmung ist DORNENREICH eine existentialistische Band, die auch für Black Metal stehen kann. In seiner umfassenden Naturmetaphorik, seiner sich weit, weit ausstreckenden Sehnsucht, seiner tiefen Mystik, in seiner individuellen Intensität und Leidenschaftlichkeit und in seiner kompromisslosen Umsetzung mag man ”In Luft geritzt” als Black Metal bezeichnen, der im Geiste eine gewisse Verwandtschaft zu Bands wie Kvist, Empyrium und Ulver erkennen lässt.

Fühlst du dich der (Black-)Metal-Szene insofern verbunden, dass du selbst noch (Black-)Metal hörst, und wenn ja: Für welche Stilrichtungen / Bands kannst du dich begeistern?
Ja, ich fühle mich dem tiefer verbunden, was mir beispielsweise manche Momente von Kvist, Ulver, Gehenna, Satyricon und Emperor vermitteln, das es Wesentliches in mir berührt und aufrüttelt, obwohl ich gewiss Bands, Ensembles und Einzelkünstler untschiedlichster Genres oder Stile schätze.

Zu guter letzt noch zwei Fragen an den Privatmann Jochen Stock: Ich vermute, DORNENREICH nimmt als Hobby, Lebenswerk und Beruf im eine sehr große Rolle in deinem Leben ein und somit einen Großteil deiner Zeit in Anspruch. Gibt es für dich ein Leben außerhalb der Band, oder steckt in Jochen Stock immer und überall ein wenig Eviga?
Ja, mein Leben ist zum größten Teil auf DORNENREICH ausgerichtet, weswegen es mir auch so wichtig ist, mit DORNENREICH etwas Authentisches und Existentialistisches zu vermitteln, das mich das Leben tiefer erfahren bzw. erkennen lässt. Ja, es gibt ein Leben außerhalb der Band, wenngleich man im Moment doch eher sagen muss, dass es ein Leben mit der Band ist, da schlussendlich alles Erlebte und Erfahrene wieder bewusster und unterbewusster Anreiz für das breite Feld meiner künstlerischen Tätigkeit rund um DORNENREICH bietet. Zum Glück habe ich eine wunderbare Gefährtin zur Seite, die viel Verständnis und eigene Begeisterung für ein Leben rund um und mit DORNENREICH aufbringt.

Ist „Musiker“ (d)ein Traumjob?
Es ist viel mehr als das, es ist meine Passion. Ob ich mich dieser auch in einigen Jahren noch im selben Maße werde hingeben können, wird sich zeigen.

Vielen Dank für die Beantwortung dieser meiner Fragen. Ich hoffe, es hat auch dir ein wenig Spaß gemacht, oder war zumindest nicht ganz unerträglich.
Moritz, ich möchte Dir an dieser Stelle für Deine interessanten Fragen danken.
Es war mir eine Freude, sie zu beantworten.

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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