Es gibt sie noch, diese Bands, die auch im katzengoldenen Zeitalter der Social-Media-Selbstdarstellung ein Mysterium aus sich machen. (DOLCH) haben bereits mit namhaften Persönlichkeiten wie King Dude und V. Santura zusammengearbeitet, ihre eigenen Namen haben die Deutschen bislang jedoch unter Verschluss gehalten. Welchen Zweck die Anoynmität für sie erfüllt, weshalb ihnen Diskretion inzwischen jedoch nicht mehr wichtig ist, was es mit dem Schwenk in Richtung Darkwave auf „Nacht“ – ihrer aktuellen Platte – auf sich hat und was Bono mit ihrem kommenden Album mit dem Titel „Tod“ zu tun hat, haben wir von einem ihrer Bandmitglieder im Folgenden erfragt.
Hallo! Danke, dass du dir Zeit nimmst, um ein paar Fragen beantworten. Wie läuft es bei dir derzeit?
Hallo, danke der Nachfrage. Gerade ist alles etwas traurig, da wir eine kleine Tour durch Westeuropa wegen einer Corona-Infektion absagen mussten. Ich bin gesundheitlich noch angeschlagen. Wir sind alle am Boden zerstört, aber es ging nicht anders. Hoffentlich können wir das nachholen.
Ihr betreibt die (DOLCH) nicht unter euren Namen, sondern allenfalls unter kurzen Pseudonymen. Welchem Zweck dient eure Anonymität?
Wir wollten schon immer die Kunst und Musik in den Vordergrund stellen. Welche Individuen hinter der Musik stehen ist intern natürlich wichtig für uns, aber nach außen eher nicht. Wir haben es aber etwas gelockert, mittlerweile ist es nicht primär wichtig, anonym zu sein. Trotzdem würden wir uns wünschen, dass die eigentliche Kunst und Atmosphäre wichtiger ist als irgendwelche Namen.
Ihr habt schon mit einigen namhaften Menschen aus dem musikalischen Underground zusammengearbeitet – zum Beispiel King Dude, V. Santura und Michael Zech. Kann man davon ausgehen, dass ihr abseits (DOLCH) bereits anderweitig künstlerisch tätig wart?
Ich habe tatsächlich Kunst studiert, bildende Kunst, Fotografie, Malerei, Erzählung. Und nebenbei schon immer in Bands gespielt. Wir kommen alle musikalisch eher aus dem Underground bzw. haben einen DIY-Punk-Hintergrund. King Dude, Michael Zech und V. Santura haben wir tatsächlich aber erst durch das Treiben mit (DOLCH) kennengelernt.
Eure Musik ist auf einzigartige Weise vielseitig und wandelbar. In der Vergangenheit habt ihr etwa Einflüsse aus Black Metal, Doom Metal, Ambient und Noise durchscheinen lassen. Woher bezieht ihr eure Inspiration?
Wir setzen uns vielleicht einfach weniger Grenzen, es gibt eigentlich wenige Stilmittel, die wir zu Beginn gleich ausschließen. Wichtig ist immer, was der Song oder die Story braucht um interessant zu sein, um sich weiterzuentwickeln. Daher kann tatsächlich, wie banal es auch klingt, irgendwie alles als Inspiration für uns dienen.
Gibt es eine Musikrichtung, an die ihr euch noch nicht herangewagt habt, die dich aber interessieren würde?
Ganz klar: Klassische Musik! Ich höre immer mehr davon, kenne mich aber noch viel zu wenig aus. Gerade die unkonventionellen Komponisten ihrer Zeit scheinen eine große Wirkung auf mich zu haben. Ich kenne noch viel zu wenig, höre aber sehr gerne Wagner, Brahms, Mahler, Pärt, Richter, Selling Horse usw.
Gewiss legen viele Künstler*innen wert darauf, ihren ganz eigenen Stil zu finden. Manche scheinen aber auch damit zufrieden zu sein, einfach einen bereits etablierten Sound wiederzugeben. Wie stehst du dazu – ist nur eigenständige Musik interessant oder hat Kunst immer einen inhärenten Wert?
Wie schon erwähnt, ist uns die eigentliche Kunst, nicht nur die Musik, sondern auch die Geschichte und Atmosphäre, welche (DOLCH) verbreiten können sehr wichtig und stehen über dem Stilmittel. Ich habe Respekt vor jedem Musiker, egal was er macht und ob er klingt wie viele andere, weil er damit vielleicht erfolgreicher sein kann. Aber wirklich interessant finde ich eher die, die wenigstens versuchen, einen eigenen Anstrich zu erlangen. Neu erfinden können wir sowieso nichts. Aber wenigstens versuchen, etwas minimal Eigenes zu erschaffen, das wäre mir wichtig. Das darf auch gerne anstrengend sein und evtl. auch weniger massentauglich und kommerziell unerfolgreicher, das ist zweitranging.
Mit „Nacht“ habt ihr inzwischen den zweiten Teil einer Trilogie veröffentlicht. Laut der Beschreibung auf Bandcamp wurdet ihr dabei von Trips durch Berlin, Los Angeles und Seattle inspiriert. Wie hat es sich ergeben, dass ihr einerseits im Voraus geplant und andererseits kurzfristige Erfahrungen in das Album integriert habt?
Zeitlich gehört beides zusammen. Die Entstehung der Trilogie ist schon etwas her, die Songs sind demensprechend alt und zu jener Zeit waren wir viel in diesen Orten unterwegs. Sie sind aber auch nur ein Teil der Inspiration, sonst wäre das zu einfach. Vieles ist im Herzen bzw. in Gedanken entstanden. Als wir dann in Los Angeles waren und dort im Studio die ersten Aufnahmesessions hatten, hat das einfach perfekt zu der Idee gepasst.
Würdest du dich als Nachtmensch bezeichnen?
Ja, eigentlich schon. Vor allem wenn ich morgens schlecht aus den Federn komme, weil ich wieder am Abend kein „Ende“ gefunden habe, merke ich das. Die Nacht ist schön, wenn man nicht schlafen muss. Ruhiger, anonymer, aber auch kälter. Kreativität würde ich auch eher in die dunklen Stunden schieben. Leider schaffe ich das immer seltener, nachts wach zu sein, das liegt wohl am Alter.
Die ersten beiden Teile der Trilogie – „Feuer“ und „Nacht“ – unterscheiden sich recht deutlich voneinander und auch die Verbindung zum noch kommenden „Tod“ ist nicht offensichtlich. Welchen Bezug haben die drei Alben zueinander?
„Feuer“ ist die Vergangenheit, „Nacht“ die Gegenwart und „Tod“ das, was noch kommt. Es ist eine Reise. Eine physikalische aber auch geistige Reise aus unseren Erinnerungen, Sorgen und Ängsten. Hier und dort extrem dunkel, ab und zu auch mal tanzbar, es kann ja nicht immer nur negativ sein. Die Alben können auch einzeln gelesen werden, für uns gehören sie aber irgendwie zusammen. Wir planen aber auch schon viel weiter. Ich bin zwar 99% Atheist, aber evtl. kommt nach dem „Tod“ noch etwas…
Ihr habt euch auf der neuen Platte erneut musikalisch verändert. Ihr geht darauf eher in Richtung Darkwave. War das eine bewusste Entscheidung im Zusammenhang mit dem inhaltlichen Konzept?
Wie bereits erwähnt, passte dieser Sound vielleicht besser zu der urbanen Situation für das „Nacht“-Konzept. Das war aber nur zum Teil bewusst so entschieden, eher einfach zusammengewachsen. Wir habe nicht gesagt: „Das wird jetzt Darkwave.“ Wir haben uns einfach getraut, andere Sounds zu benutzen, die Stimme in den Vordergrund zu mischen um die Erzählweise zu ändern. Es war dann schnell klar, dass es etwas mehr Pop wird, aber es gibt eben keine guten oder schlechten Genres, nur gute oder schlechte Songs. Ich hoffe doch, dass wir immer noch nach (DOLCH) klingen, Anspielungen in andere Richtungen haben wir ja schon von Anfang an gehabt.
War dieser Stilwechsel für euch mitunter auch eine Herausforderung?
Nein, eigentlich nicht. Wir haben eigentlich nur total viel Spaß gehabt bei der Produktion.
Habt ihr auch mit neuem Equipment experimentiert, um diesen Sound zu kreieren?
Unser Freund und Produzent und eigentlich schon Bandmitglied Michael Zech hat freie Hand für Experimente bekommen. Es hat viel positive Energie freigesetzt. Wir haben früher auch immer schon experimentiert, viele Synthesizer die Du vermeintlich hörst sind eher Gitarren. Michael und wir haben viel probiert und verrückte Sounds geschaffen, viele sind organisch aufgenommen und dann transferiert worden.
Gibt es auf dem Album einen Track, den du als das Kernstück der Platte ansiehst?
Das ist schwer zu sagen. Konzeptuell gibt es kein Kernstück, höchstens das kurze „Nacht“-Gedicht, gesprochen von der Schauspielerin Maria Neumann. Ich liebe irgendwie jeden Song auf dem Album. Ich liebe den dunklen jazzigen Anstrich bei „Into The Night“, ich weiß noch, das wir geplant hatten, die Drums so klingen zu lassen, als sei es der letzte Auftritt einer unbekannten Jazz-Trommel Legende in einer verrauchten Bar irgendwo im mittleren Westen. Ich liebe die beiden „Hydroxyt“-Teile „I Am Ok“ und „House Of Glass“, sie sind tief traurig und letzterer auch wiederum tanzbar und schließen die kleine Mini Trilogie zum „Demo III“ perfekt ab, falls das jemand mitbekommen haben sollte. Drei Titel zum Thema Depressionen aus drei verschiedenen Blickwinkeln, das ist mir schon wichtig. Und ich liebe das Ende mit dem großen „CODA“ und dem „Early Morning No Taxi“-Treppenwitz.
Der Song „CODA“ erinnert schließlich doch recht stark an die Vorgängerplatte. Was hat es mit dieser Reminiszenz gegen Ende des Albums auf sich?
Oh, das müsste ich unsere Sängerin fragen, das ist ganz klar einer ihrer wichtigsten Songs. Ich glaube es ist Shakespeare, richtig, „Macbeth“? Der Song ist wie ein Theaterstück über die Hoffnungslosigkeit und das paradoxe der menschlichen Existenz, zumindest lese ich den Song so.
„Ist dies ein Dolch, was ich vor mir sehe, den Griff zu mir gewendet…?“
Eure früheren Veröffentlichungen waren mitunter sehr unzugänglich. In die beiden Full-Lengths findet man hingegen etwas leichter hinein. Wie denkst du rückblickend über eure ersten Releases?
Ich liebe die älteren Sachen total. Es gibt noch viel Rohmaterial aus der Zeit und unfertige Stücke. Wir müssten da mal wieder etwas von veröffentlichen, am besten in dem raueren Sound. Mal sehen, es wäre ja evt. eine schöne Abwechslung.
Könnt ihr schon einen ersten Hinweis darauf geben, was man von dem Abschluss der Trilogie – „Tod“ – erwarten darf?
Stell Dir folgendes vor: Du bist alt und hast Dein Leben gelebt, bist jetzt grad auf der letzten Zielgraden und etwas angespannt. Die „Tod“-Platte wird der perfekte Soundtrack zu deinem letzten Autogenem Training bevor Du stirbst. Das ist natürlich Quatsch. „Tod“ könnte ja auch einfach „Loslassen“ oder „Neubeginn“ bedeuten. Die LP wird auf jeden Fall anders klingen, es wird eine Geige geben! Die haben wir in der Wüste aufgenommen in Joshua Tree. Ich habe Bono und The Edge gesucht, aber nicht gefunden. Ungelogen!
Zum Abschluss noch ein kurzes Brainstorming. Was fällt dir zu den folgenden Begriffen ein?
Schlaflosigkeit: Schlaftabletten, Alkohol, Onanie.
Konzeptalbum: Viel Arbeit.
Schreigesang: Wenn´s sein muss…
Spiritualität: Wahrscheinlich immer auf der Suche nach dem Nichts… und dann ist da doch etwas?
Musik-Streaming: Wie Sex alleine, wenn man schlaflos ist…
Feel-Good-Musik: Khruangbin! Iron Maiden, Gregory Porter, The War On Drugs, Tool, Marvin Gaye und die „Digitale Tanzmusik“ Alben von (DOLCH), vor allem die, die noch kommen!
Danke nochmals für das Interview. Möchtest du noch ein paar letzte Worte an die Leserschaft richten?
Seid lieb zueinander und zu Tieren. Tanzt und esst mediterran! Lasst Euch immer die Nummer eines örtlichen Taxiunternehmens geben, wenn ihr ausgeht.
Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
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